Heilbronner Antifaschist verurteilt

Klassenjustiz

Prozess gegen Heilbronner Antifaschist

Am 25.Januar 2011 fand vor dem Heilbronner Amtsgericht eine Verhandlung wegen Landfriedensbruch gegen einen Heilbronner Antifaschisten statt. Es ging dabei um die Outing-Aktion anonymer Antifas am 19.Mai 2010 gegen den NPD-Kader Marcel Müller in Obersulm-Willsbach. Obwohl dem Angeklagten keine Beteiligung an der Aktion nachgewiesen werden konnte, wurde er zu 30 Stunden gemeinnütziger Arbeit und einer Geldstrafe in Höhe von 750 € verurteilt.

 

Bereits vor Beginn der Gerichtsverhandlung machte die Heilbronner Justiz klar, dass es sich hier nicht um einen „normalen Prozess“ handelte.

Vor dem Eingang warteten Polizisten, darunter mehrere Staatsschutzbeamte, und beobachteten die ca.30 ProzessteilnehmerInnen. Zum Betreten des Gerichtssaales mussten sich alle ProzessbesucherInnen durchsuchen und eine Kopie ihrer Personalausweise nehmen lassen.

Die zuständige Richterin hatte diese Maßnahmen angeordnet, also mit großem Interesse an dem Prozess gerechnet. Trotzdem war der Sitzungssaal nur mit 16 Sitzplätzen ausgestattet, so dass zu Beginn fast die Hälfte der ProzessbesucherInnen auf dem Gang warten musste

Der Rechtsanwalt des Angeklagten kritisierte deshalb zunächst diese Kriminalisierung und Schikanierung der ProzessbesucherInnen und beantragte die Verlegung der Verhandlung in einen größeren Saal.

Widerwillig lenkte die Richterin ein, so dass in einem großen Sitzungssaal schließlich alle ProzessbesucherInnen einen Platz fanden.

Nach der Verlesung der Anklage befragte die Richterin den Angeklagten. Dieser machte allerdings nur Angaben zur Person und ließ sich auch durch Sticheleien der Richterin, ob er denn nun zu der Aktion nichts sagen könne oder nichts sagen wolle, nicht provozieren.

Als erster Zeuge wurde der 23-jährige stellvertretende Kreisvorsitzende der NPD Heilbronn und ehemalige JN-Stützpunktleiter Marcel Müller vernommen, welcher aussagte, den Angeklagten in der Gruppe von 15-25 mit Sturmhauben vermummten Personen auf eine Entfernung von 10-20 Meter anhand seiner „strahlend blauen Augen“ und seiner „schlanken Figur“ erkannt zu haben.

Er gab außerdem an, den Angeklagten öfters in der S-Bahn getroffen und anhand seiner Buttons als Antifaschisten identifiziert zu haben.

Der Rechtsanwalt des Angeklagten verwies darauf, dass sein Mandant weder blaue Augen habe, noch die S-Bahn benutze, da er jeden Tag mit dem Auto zur Arbeit fährt.

 

Die Vernehmung weiterer Zeuginnen brachte im Anschluss ans Tageslicht, wie es denn überhaupt zu dem Verfahren gegen den Angeklagten gekommen war.

Sie schilderten, dass Marcel Müller direkt nach der Outing-Aktion zu der Kneipe „Bierkiste“ in Obersulm-Willsbach gekommen war, wo sich die Zeuginnen aufhielten. Er erkundigte sich, ob die Frauen jemanden aus der Gruppe der AktivistInnen erkannt hatten. Das verneinten alle drei Frauen, eine von ihnen gab allerdings an, dass sie die Namen von ein paar Leuten kennen würde, von denen sie sich „vorstellen könnte“, dass sie bei der Aktion mitgemacht hätten, da diese früher einmal „Punker“ bzw. „Linke“ gewesen seien.

Die Namen bzw. Spitznamen dieser Menschen wurden dann an die Polizei weitergegeben und Marcel Müller legte sich fest, einen von Ihnen, nämlich den Angeklagten, erkannt zu haben.

 

Endgültig ins Fadenkreuz der Ermittler geriet der Angeklagte dann deswegen, weil angeblich ein von ihm benutztes Familienauto kurz nach der Aktion in Obersulm-Willsbach gesehen worden war.

Der Zeuge, der diese Beobachtung gemacht hatte, war ebenfalls vorgeladen. Er hatte einige Minuten nach der Aktion, als bereits die Polizei im Ort war, einen Wagen gesehen, dessen ungefähre Farbe und dessen Modell er angeben konnte. Als ihm Fotos des vom Angeklagten benutzten Autos gezeigt wurden, erkannte er das Fahrzeug allerdings nicht wieder und sagte aus, dass es sich dabei nicht um das von ihm beobachtete Auto handeln würde.

 

Für den im weiteren Verlauf ebenfalls vorgeladenen und etwas ungehaltenen Kriminalhauptkommissar vom Staatsschutz war der Angeklagte hingegen „ganz klar“ bei der Aktion dabei. Er sei von Marcel Müller erkannt worden, „sein Auto“ sei gesehen worden und außerdem habe die Hausdurchsuchung bei dem Angeklagten ja gezeigt, dass dieser ein Antifaschist sei.

Die erwähnte Hausdurchsuchung fand am 1.Juni 2010 statt. Mehrere Polizeibeamte durchsuchten das Zimmer des Angeklagten in seinem Elternhaus und fuhren in den Ausbildungsbetrieb des 19-Jährigen, um dort das von ihm benutzte Auto zu durchsuchen. Sowohl in der Wohnung als auch im Auto wurden zwar zahlreiche Gegenstände beschlagnahmt – Hinweise auf eine Beteiligung an der Aktion am 19.Mai ergaben diese allerdings nicht.

Der aussagende Staatsschutzbeamte führte als Hinweis auf eine „Tatbeteiligung“ an, dass bei der Hausdurchsuchung handelsübliche Silvesterböller gefunden wurden.

Unter anderem verwies er auf schon jetzt legendäre „Kubanische Kanonenschläge“. Die Frage des Rechtsanwaltes, ob am „Tatort“ denn Reste der von den Antifas gezündeten Böller gesichert und mit den gefundenen Böllern verglichen worden seien, musste der Staatsschutzbulle verneinen.

Er „vermute“ aber, dass solche Böller auch bei der Aktion im Einsatz gewesen seien.

Solche Vermutungen zogen sich durch den gesamten mehrstündigen Prozess, so dass am Ende kaum jemand ernsthaft an eine Verurteilung des angeklagten Antifaschisten glaubte.

 

Die Staatsanwältin überraschte allerdings mit ihrem Plädoyer, in dem sie eine hohe Geldstrafe forderte und ausführte, dass alle Hinweise, die zur Anklage geführt hätten, zwar „einzeln auch anders erklärt werden können, aber in diesem Fall zusammen betrachtet kein Zufall sein können“.

Sie bekannte sich offen dazu, gemeinsam mit dem Staatsschutz die Anklage zusammengetragen zu haben und bezeichnete die Aussagen von Marcel Müller als „glaubwürdig“.

 

Die größte Überraschung nach dieser Farce kam dann allerdings in Person der Richterin, die sich der Staatsanwältin anschloss und den Angeklagten wegen Landfriedensbruch verurteilte.

Die ProzessbesucherInnen trauten ihren Ohren nicht und konnten vereinzelt ihren Unmut nicht zurückhalten. Nachdem die Richterin begann, deswegen Besucher des Saales zu verweisen, verließen diese noch vor der Urteilsbegründung kollektiv den Saal.

 

Dieser Prozess offenbart, wie in Heilbronn nicht nur von Seiten der Polizei, sondern auch von der Justiz gegen AntifaschistInnen vorgegangen wird.

Sie haben keine Hemmungen, aufgrund einer Beschuldigung durch einen Nazi-Kader Hausdurchsuchungen anzuordnen und jugendliche Azubis in ihrem Betrieb bloßzustellen.

Auch wenn keine Beweise vorliegen und stümperhaft ermittelt wird, wollen die Repressionsorgane unter allen Umständen zu einer Verurteilung kommen.

Dass sie damit nicht nur einen, sondern uns alle meinen, wurde am 25.Januar mehr als deutlich.

Während viele zivilgesellschaftliche Gruppen im Hinblick auf den bevorstehenden faschistischen Großaufmarsch am 1.Mai zu einem Engagement gegen Nazis aufrufen, verurteilt die Justiz antifaschistische Jugendliche aufgrund von Vermutungen und Konstrukten.

 

Wir rufen deshalb schon jetzt dazu auf, den Verurteilten bei einer eventuellen Berufungsverhandlung zu unterstützen!

Solidarität ist eine Waffe!

 

Anti-Repressions-Gruppe Heilbronn