Erstmals spricht der Gewerkschafter ausführlich darüber, wie er auf dem Rückweg von einer Demonstration gegen den Neonazi-Aufmarsch in Dresden von Nazis überfallen und ihm der Schädel gebrochen wurde - und was sich für ihn geändert hat.
Am 13. Februar 2009 überfiel eine Gruppe von Neonazis einen Bus
des Deutschen Gewerkschaftbundes Nordhessen (DGB) auf einem Rastplatz
in Thüringen. Die DGB-Mitglieder waren auf dem Heimweg von der
Demonstration gegen Europas größten Nazi-Aufmarsch in Dresden. Die
Rechten traten auf einen Gewerkschafter ein und brachen ihm den Schädel.
Jetzt spricht er mit der Frankfurter Rundschau über den Überfall – und
was sich für ihn geändert hat.
Gehen Sie noch auf Demonstrationen, auf denen Nazis sind?
Ja, ich war letzten Februar erneut in Dresden, um den Nazi-Aufmarsch zu blockieren, und ich werde dieses Jahr wieder fahren. Jetzt frage ich auch meinen Sohn, ob er mitkommt, er ist 16. Es ist nicht so gefährlich, dass ich mir das nicht zutrauen würde.
Trotzdem möchten Sie nicht, dass wir Ihren Namen nennen.
Kurz nach dem Überfall haben sich die Medien auf das Thema gestürzt. Der DGB hat sich damals vor mich gestellt. Ich hatte Bedenken und wollte meine Familie außen vor lassen. Ich möchte nicht, dass sie von Nazis belästigt wird. Hier im Schwalm-Eder-Kreis ist die rechte Szene sehr aktiv.
Wie kam es damals zu dem Angriff auf dem Rastplatz?
Wir sind dort mit zwei Bussen angekommen. Dann sind wir zur Toilette gegangen, in deren Eingangsbereich einige Nazis herumstanden. Aber von denen habe ich mich nicht bedroht gefühlt – wir waren ja in der Gruppe. Als ich zurückkam, musste ich unseren Bus suchen, der ein Stück abseits stand. Anscheinend hat der Fahrer umgeparkt, weil schon gepöbelt wurde. Ich ging zum Bus. Da hat sich eine Gruppe von Neonazis gebildet, jemand hat „Attacke“ gerufen, und sie haben uns angegriffen.
Und sie sind direkt auf Sie losgegangen?
Ich weiß noch, dass ich mich kurz verteidigt habe. Dann habe ich auf allen Vieren auf dem Boden gehockt. Und an den Tritt kann ich mich noch erinnern. Die Nazis sind danach zu ihrem Bus gerannt.
Was ist dann passiert?
Ich bin dann in den Bus eingestiegen. Dort habe ich gemerkt: Sie haben mir meine Zähne rausgetreten. Meine Mitfahrerin hat mir gesagt, dass ich an der Stirn blute. Mir war das gar nicht bewusst, ich spürte keine Schmerzen, hatte einen Filmriss. Ich habe gar nicht wirklich realisiert, dass ich überfallen wurde. Wir haben dann den Notarzt gerufen. Ich kam ins Krankenhaus und wurde zweimal operiert.
Wissen Sie inzwischen genauer, was sich ereignet hat?
Der Staatsanwalt hat das so zusammengefasst: 15 bis 20 Männer haben uns angegriffen. Einige konnten in den Bus fliehen, manche haben sich gewehrt. Drei Leute haben mich an den Füßen neben den Bus geschleppt und zu Boden geworfen. Dann haben sie auf mich eingetreten.
Machen Sie seit dem Angriff etwas anders als vorher?
Es gab eine Zeit nach dem Überfall, da hat das Geschehene in mir etwas verändert. Ich habe alle Leute abgecheckt. Bei jungen Männern habe ich genau geschaut: Ist das ein Nazi? Auch auf Autos mit besonderen Kennzeichen habe ich geachtet. Das ist jetzt aber überstanden.
Und wenn Sie zu Demos fahren?
Damals haben wir sozusagen neben den Nazis geparkt. Das werden wir mit Sicherheit nicht mehr machen. Schon letztes Jahr haben wir vorher angemeldet, wo wir unterwegs halten und wo wir ankommen. Die Polizei stand dann schon bereit, um abzusichern.
Wie sehen Sie den Überfall heute?
Alles ist relativ weit weg. Bis mein Schädelbruch geheilt war, hat es ein Jahr gedauert. Psychisch habe ich es recht schnell verarbeitet. Durch den Gedächtnisverlust weiß ich nicht mehr so viel. Die wenigen Erinnerungen schwinden zusehends. Meine Frau weiß es noch genauer. Als ich sie damals aus dem Krankenhaus angerufen habe, war sie sehr schockiert.
Welche rechtlichen Folgen hatte der Überfall?
Es gab keinen Gerichtstermin. Die Zeugenaussagen haben sich zu sehr widersprochen. Durch die Vernehmung der Nazis wurden zwei mitreisenden Schweden belastet, und die schwedischen Behörden sind um Amtshilfe gebeten worden. Leider besteht keine Chance auf Auslieferung.
Stört Sie das nicht?
Für mich persönlich ist es abgeschlossen. Ich brauche keine Rache. Für die Verletzungen wurde ich aus dem „Fonds zur Entschädigung von Opfern rechtsextremistischer Gewalttaten“ entschädigt. Den Gerichtsprozess habe ich mir gerne erspart, schon wegen der ganzen öffentlichen Aufmerksamkeit. Aber es ist ärgerlich, dass Nazis ungeschoren davonkommen und dass die Verfahren immer ewig dauern. Außerdem wurde nur gegen den ermittelt, der mich getreten hat. Dabei wurden bei dem Überfall auch andere verletzt. Aber das wird bagatellisiert.
Interview: Hannah Eitel
Dass es sich bei den Nazis um
Dass es sich bei den Nazis um den Bus aus der Rhein-Neckar-Region bzw. Rheinland-Pfalz handelt, wird selten erwähnt (im Gegensatz zu den tatverdächtigen Ausländern, also Schweden).