TAZ: Blendgranaten

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Erstveröffentlicht: 
01.04.2009

Drei Tage vor dem Nato-Gipfel in Straßburg ist es angeblich zu Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Nato-Gegnern gekommen. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich ein anderes Bild. VON INGO ARZT


Das einzige Camp der Nato-Gegner vor den Toren Straßburgs wächst. Auf Feldern rings um das Anwesen eines Landwirts kommen Nato-Gegner aus aller Herren Länder an, bauen ihre Zelte auf, hissen ihre Flaggen und informieren sich über geplante Demonstrationen und Trainings für die Blockaden.

 

Polizei ist rings um das Camp keine zu sehen, es scheint ruhig. Ziemlich laut geht es an der verbalen Front zu. Die Protestler und die Polizei werfen sich gegenseitig Eskalation vor. Am Morgen melden Nachrichtensendungen Ausschreitungen rund um das Camp in der Nacht. Die Einheit "Brigade anticriminalité" der französischen Polizei habe während eines Plenums am Dienstagabend CamperInnen "angegriffen", um Personalien festzustellen. Man konnte den "Angriff abwehren", schrieben die Protestorganisatoren von "Résistance des deux rives" in einer Pressemitteilung. "Schockgranaten" habe man nach den Sicherheitskräften des Camps geworfen. Die französische Polizei hält dagegen: Sie sei am Dienstagabend angegriffen worden, "vermummt und aggressiv" seien an die hundert AktivistInnen gewesen und hätten Steine auf Fahrzeuge und Hubschrauber geworfen.

Auf dem Camp hört sich die Geschichte wesentlich unspektakulärer an. Einen Angriff der Polizei jedenfalls hat niemand beobachtet. Es hatte in der Nacht zwei Explosionen auf einer Wiese vor dem Camp gegeben, wie Zeugen berichten. Währenddessen tagten Vertreter der Gruppen des Camps im sogenannten Plenum in einem großen Zirkuszelt, um etwa den Umgang mit der Presse zu besprechen.

 

Es seien zwei Granaten aus einem Auto der Polizei geworfen worden, Augenzeugen dafür lassen sich allerdings nicht finden. Es gibt nur Informationen aus zweiter Hand. Auf dem Camp sei die Polizei seit Tagen nicht mehr gewesen, sagt ein Presseverantwortlicher. Und auch die angeblichen Scheinwerfer aus mehreren Hubschraubern, mit denen das Camp nachts ausgeleuchtet worden sein soll, erweisen sich nach Berichten als ein einzelner Hubschrauber, der in der Nacht zuvor neben und nicht über dem Camp geflogen sei. Meist ist es schwer festzustellen, wie Dinge exakt verlaufen sind: Auf der Protestseite kann jeder, der gerade Lust hat, etwas der Presse mitteilen, mit dem Ergebnis, dass niemand wirklich einen Überblick hat. Bei der Polizei spricht absolut niemand mit Journalisten, außer die Pressestelle, die meist nicht vor Ort ist, um sich selbst ein Bild zu machen.

 

Sicher ist, dass einige AktivistInnen die deutsch-französische Grenze nicht überqueren dürfen, zum Teil mit seltsamen Begründungen (siehe Portrait). Es sei eine bekannte Taktik der Polizei, die Infrastruktur des Protest zu sabotieren, sagte der Polizeisprecher zu dem Einreiseverbot einer Kochtruppe zur Verpflegung des Camps. Vonseiten der Nato-Gegner heißt es, die deutsche Polizei hätte AktivistInnen wegen ihrer Kleidung an der Ausreise gehindert, manche wegen des Mitführens von Nato-kritischen Flugblättern. Ein Sprecher der Bundespolizeidirektion Stuttgart bestätigte, dass es Ausreiseverbote gibt, konnte aber bis Redaktionsschluss keine Zahlen nennen.

 

Offiziell dürfte nach dem deutschen Passgesetz die Ausreise nach den von Nato-Gegnern genannten Kriterien nicht verweigert werden. Man werde die Vorwürfe weiter prüfen. Auf dem Camp bereitet man sich weiter auf den Gipfel vor - mit einem Training für die geplanten Blockaden. In Baden-Baden wurden am Mittwoch die Sicherheitszonen für den Gipfel eingerichtet.

 

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Schwere Ausschreitungen in der Londoner Innenstadt - Zentrum der Randale ist das Bankenviertel. Tausende Demonstranten fordern vom G-20-Gipfel: "Bestraft die Plünderer". Es gab bereits mehrere Verletzte, eine Filiale der Royal Bank of Scotland wurde gestürmt.

 

Die Demonstrationen von Gipfelgegnern in der britischen Hauptstadt sind am Mittwoch in Gewalt umgeschlagen. Krawallmacher belagerten dabei das Bankenviertel und gerieten heftig mit der Polizei aneinander. Mehrere Beamte und Demonstranten wurden verletzt. Zunächst versuchten hunderte Protestierende, sich einen Weg in die Englische Notenbank zu bahnen. Anschließend stürmte eine Gruppe Randalierer eine Filiale der Royal Bank of Scotland, zerschlug Fenster, warf Gegenstände aus dem Gebäude und beschmierte die Wände. Der Polizei versuchte mit Schlagstöcken und Schutzschilden ausgerüstet, die Menge in Schach zu halten.

Insgesamt hatten sich nach offiziellen Angaben 4000 Demonstranten zu den lautstarken Protesten gegen Kapitalismus, Kriege und Umweltzerstörung zusammengefunden. Mit Sprüchen wie "Bestraft die Plünderer" und "Wir brauchen sauberen Kapitalismus" zogen sie zunächst zur Notenbank. Zahlreiche Straßen und Eingänge zu Bahnhöfen wurden gesperrt. "Stürmt die Bank" und "Schande über Euch", hieß es in Sprechchören. Die Protestierenden machten sowohl ihrem Unmut über das Finanzsystem als auch über Jobverluste Luft.

13 Menschen seien festgenommen worden, teilte Scotland Yard mit. Die Royal Bank of Scotland steht im Zentrum der Wut der Demonstranten. Das Institut hatte wegen der Finanzkrise einen Rekordverlust in der britischen Firmengeschichte verbucht und gleichzeitig seinem ehemaligen Chef eine Riesenpension zugestanden.

Hinter den Protesten in der Londoner City steht die Anarchisten-Gruppe G-20-Meltdown. Trotz der Ausschreitungen protestierte ein Großteil der Menschen friedlich. Unabhängig davon startete auch eine weitere Demonstration von Anti-Kriegs-Gegnern vor der US-Botschaft.

Die Polizei ist mit rund 5000 Beamten im Einsatz. Banken und Geschäfte wurden bereits an den Vortagen verbarrikadiert. Viele Mitarbeiter im Bankenviertel kamen am Mittwoch ohne Anzug und Krawatte sondern in unauffälliger Kleidung zur Arbeit. Andere kamen aus Angst vor Übergriffen erst gar nicht ins Büro. Am Donnerstag, dem eigentlichen Gipfeltag, sind mehrere Demonstrationen um den Tagungsort in den Londoner Docklands geplant. Dann kommen die 20 Staats- und Regierungschef der wichtigsten Industrienationen zu Beratungen über die Weltwirtschaftskrise zusammen. (kg/dpa)