Bundestag sagt Ja zur Ehe für alle

Erstveröffentlicht: 
30.06.2017

Die Ehe für alle kann kommen. SPD, Linke und Grüne machen den Weg für die vollständige rechtliche Gleichstellung von Schwulen und Lesben frei - gegen den Willen der Kanzlerin.

 

Berlin. Der jahrzehntelange Streit um Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare ist beendet - die Ehe für alle wird nun Gesetz. Mit der Stimmenmehrheit von SPD, Grünen und Linken sowie zahlreichen Stimmen aus der Union beschloss der Bundestag am Freitagmorgen, dass fortan gleichgeschlechtliche Paare heiraten und damit dieselben Rechte und Pflichten wie heterosexuelle Paare eingehen dürfen, darunter auch das Recht zur Adoption von Kindern. Bisher duften sich Homosexuelle in Deutschland nur „verpartnern“, worin Kritiker eine Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung sahen. Was die Ehe für alle in der Praxis bedeutet, lesen Sie hier.

 

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„Lassen Sie uns Geschichte schreiben!“, rief die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt ins Plenum. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann ging auf den vonseiten der Union gegenüber der SPD erhobenen Vorwurf des Koalitionsbruchs ein: „Dass wir heute darüber entscheiden, ist vielleicht nicht gut für die Koalition, aber es ist gut für die Menschen - und es ist gut für das Parlament“, sagte Oppermann. Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch spöttelte in Richtung Oppermanns: „Ich habe Sie selten so gelöst erlebt wie heute - das hätten sie die ganzen vier Jahre haben können.“

 

Kanzlerin Angela Merkel hatte zu Wochenbeginn die Ehe für alle als Gewissensentscheidung bezeichnet und eine Öffnung der Abstimmung, losgelöst vom Fraktionszwang, in Aussicht gestellt. SPD, Grüne und Linke reagierten umgehend und setzten ein seit Langem im Rechtsausschuss festhängenden, beschlussfertigen Gesetzesentwurf des Bundesrates auf die Tagesordnung. Merkel selbst stimmte am Freitagmorgen gegen die Öffnung der Ehe.

 

Angela Merkels Gewissen ist gegen die #Ehefueralle. #Bundestag

— Marina Kormbaki (@m_kormbaki) June 30, 2017

Dass die Kanzlerin mit ihrem Schritt die Unionsfraktion überrumpelt und in eine schwierige Situation gebracht hat, ließ sich der Rede von Unionsfraktionschef Volker Kauder entnehmen. „In meiner Fraktion gibt es unterschiedliche Auffassungen.

 

Als Vorsitzender dieser Fraktion habe ich Respekt vor beiden Seiten“, sagte Kauder. Er selbst sei nach intensivem Nachdenken zu der Erkenntnis gelangt, dass die Ehe die Verbinding von Mann und Frau ist. Er werde „nie etwas unterschieben, auf dem Ehe für alle draufsteht - aus Gewissensgründen“. Der Zeitpunkt für die Öffnung der Ehe sei heute da, konterte hingegen der CDU-Abgeordnete Jan-Marco Luczak. „Gerade weil ich Christdemokrat bin, bin ich für die Öffnung der Ehe.“

 

In namentlicher Abstimmung stimmten 393 Abgeordnete dem vom Bundesrat eingebrachte Gesetzentwurf zu - und damit deutlich mehr als die 320 Abgeordneten von SPD, Linken und Grünen. Es gab 226 Gegenstimmen und vier Enthaltungen. Der Jubel in den Reihen der Grünen war groß, als Bundestagspräsident Norbert Lammert das Ergebnis verkündete.

 

Zwei Abgeordnete ließen über Volker Beck, den langjährigen Vorkämpfer für die Rechte von Schwulen und Lesben, zwei Konfettikanonen knallen, was Lammert "unangemessen" fand. Zuvor, bei seiner Rede im Plenum, hatte der scheidende Grünen-Abgeordnete Beck unter Verweis auf den Dichter Goethe gesagt: "Die Phase der Toleranz ist beendet, die Epoche der Akzeptanz kann beginnen."

 

Von RND/Marina Kormbaki

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Die katholische Aberglaubensgemeinschaft warnt vor Ehe für alle. Die "Weitergabe von Leben" sei gefährdet.

Kardinal Reinhard Marx: "Wir bedauern, wenn dieser Ehebegriff aufgelöst werden soll und damit die christliche Auffassung von Ehe und das staatliche Konzept weiter auseinander gehen." Es sei "völlig unangemessen, eine solche gesellschaftspolitische Grundentscheidung in diesem überstürzten Verfahren zu fällen".

Radio Vatikan:

In einem Schreiben an alle Bundestagsabgeordnete bat der Leiter des Kommissariats der Bischöfe in Berlin, Karl Jüsten, dem Gesetzesentwurf über die Gleichstellung nicht zuzustimmen. „Kirche, Staat und Gesellschaft teilen die Erfahrung, dass in der Ehe die Aspekte einer verlässlichen Paarbeziehung und der Weitergabe des Lebens der leiblichen Eltern an ihre Kinder in besonderer Weise verbunden sind“, zitiert die Katholische Nachrichten-Agentur aus dem Brief.

Mit seiner Argumentation in einen Brief an alle Abgeordneten wollte Karl Jüsten mit Papst Franziskus überzeugen: „Er hat festgehalten, dass die katholische Kirche die große Vielfalt familiärer Situationen anerkennt, die Menschen einen Halt bieten, aber Partnerschaften zwischen Personen gleichen Geschlechts nicht mit der Ehe gleichgestellt werden können, da diesen Paaren die Weitergabe des Lebens verschlossen ist.“

 

Die Ehe als Berufung und Versorgungsanstalt!

 

Frei und modifiziert zitiert nach August Bebel, der von der SPD vor etwa hundert Jahren schon über Bord geworfen wurde!

"Ehe und Familie sind die Grundlagen des Staates; wer daher Ehe und Familie angreift, greift die Gesellschaft und den Staat an und untergräbt beide", rufen die Verteidiger der heutigen Ordnung.

Wie viele Ehen von ganz anderen Anschauungen aus als den dargelegten geschlossen werden, lässt sich nicht beweisen. Die Beteiligten sind interessiert, ihre Ehe vor der Welt anders erscheinen zu lassen, als sie in Wirklichkeit ist. Es besteht hier ein Zustand der Heuchelei, wie ihn keine frühere Gesellschaftsperiode in ähnlichem Maße kannte.

Die Ehe ist in hohem Grade Gegenstand materieller Spekulation geworden. Die Frau, die heiraten will, trachtet danach, mit dem Mann auch Eigentum zu erheiraten [bei Bebel: Der Mann, ...].

Es gibt zahlreiche wohlorganisierte Heiratsbüros und Kuppler und Kupplerinnen aller Art, die auf Beute ausgehen und die Kandidaten und Kandidatinnen für den "heiligen Stand der Ehe" suchen.

Doch wozu in die Ferne schweifen, liegt das Gute doch so nahe. Man werfe nur einen Blick in die zahlreichen Heiratsannoncen der größeren bürgerlichen Zeitungen, und man findet oft Ehegesuche, die nur einer total verlotterten Gesinnung entsprungen sein können. --

Die Straßendirne, die aus bitterer Not ihr Gewerbe betreibt, ist zuweilen ein Ausbund von Anstand und Tugend gegen diese Ehesucher.

Vgl. August Bebel: Die Ehe als Beruf + Die Geldehe und die Ehebörse.

Nachtrag, zitiert

 

»Kommentar Öffnung der Ehe. Ehe für alle, Ehe für keinen. In einem konservativen Club mitmachen zu dürfen, ist nicht nur Grund für ausgelassenen Jubel. Es gibt genug Kritik am Institut der Ehe.« –

»Erst seit dem 19. Jahrhundert gibt es die bürgerliche Ehe jenseits der Kirche. Ohne sie wäre die Durchsetzung des Kapitalismus nicht denkbar gewesen, sie schrieb die Ausbeutung der Frau durch unbezahlte Arbeit zu Hause fest. Bis in die siebziger Jahre durften Männer für ihre Frauen entscheiden, ob sie arbeiten dürfen, bis in die Neunziger war die Vergewaltigung im Ehebett erlaubt. Das ist kein historischer Fehler, sondern Wesenskern der Ehe.« -

 

Vgl. Tageszeitung, taz.de am 30.06.2017: Kommentar Öffnung der Ehe. Ehe für alle, Ehe für keinen. Kommentar von Kersten Augustin. »Kettenglieder, auf ihren Einsatz wartend.«

»Die Vision von Progressiven ist der freie Mensch, oder, pathetisch und mit Marx gesprochen, „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“. Erniedrigt, geknechtet, verlassen, das dürfte vielen Verheirateten bekannt vorkommen.«

 

www.taz.de/!5422452/#bb_message_3500990