Linksextremismus in Berlin - „Besetzte Häuser sind Brutstätten autoritärer Gewalt“

Erstveröffentlicht: 
22.06.2017

Nach den jüngsten Gewaltexzessen gegen die Polizei im Berliner Autonomengebiet Rigaer Straße feiern Extremisten die „freudigen Eskalationen“. Der Senat hat keine Lösung, die Linkspartei distanziert sich von den Tätern.

 

Es waren Bilder aus der Kampfzone, die vergangenes Wochenende aus der berüchtigten Rigaer Straße im Berliner Bezirk Friedrichshain gesendet wurden. Linksextreme Randalierer warfen Flaschen, Steine und Böller auf Polizisten, Autos wurden zerstört, Müllcontainer in Brand gesetzt, Straßenlaternen ausgeschaltet, Feuer auf der Straße entfacht.

 

Erst eine Einsatzhundertschaft der Polizei konnte der Gewalt nach einer Stunde ein Ende machen – nachdem die Randalierer sogar den zur Ausleuchtung der Szene eingesetzten Polizeihubschrauber mit Laserpointern geblendet hatten. Eine Eskalation. Und ein Vorgeschmack darauf, was sich Anfang Juli beim G-20-Gipfel in Hamburg abspielen könnte.

 

„Diese Individuen vermummen sich, sie zünden Autos an und werfen Steine und Sprengkörper auf Menschen. Das sind keine Kiezromantiker, sie wollen Polizisten sterben sehen“, sagte ein Sprecher der Gewerkschaft der Polizei anschließend.

 

Jetzt muss der rot-rot-grüne Berliner Senat die Scherben der Nacht aufkehren – und sich eingestehen, angesichts der Gewalt in dem Kiez um das teilbesetzte Haus Rigaer Straße 94 auch nicht viel schlauer zu sein als der frühere Innensenator Frank Henkel (CDU). „Brutale Gangster“ seien hier am Werk gewesen, die die Rigaer Straße gezielt als Rückzugsort nutzten, sagte Innensenator Andreas Geisel (SPD). Er sprach von einer Art „Gewalttourismus“. Unbescholtene Anwohner würden von den Tätern massiv unter Druck gesetzt und bedroht, sagte Geisel, etwa so: „Wir wissen, in welchem Zimmer deine Kinder wohnen.“

 

Der Innensenator macht keinen Hehl daraus, dass er den Gewalttätern notfalls mit hartem Durchgreifen der Einsatzkräfte begegnen will. Dafür werde die Polizei jetzt auch aufgestockt, kündigte sein Sprecher Martin Pallgen an. „Wir lassen den Kiez nicht alleine.“ Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Henkel sei Geisel aber an einem rechtssicheren Handeln gelegen. „Wenn wir in den Konflikt hineingehen, wollen wir auch als Sieger vom Platz gehen.“ Eine Blamage wie die rechtswidrige Räumung der Anarcho-Kneipe „Kadterschmiede“ im vergangenen Jahr durch Henkel will der rot-rot-grüne Senat sich ersparen.

 

Stattdessen sollen die polizeilichen Maßnahmen jetzt durch einen vom Bezirk moderierten „Dialogprozess“ mit den Anwohnern über Themen wie Mietsteigerungen und Verdrängungsmechanismen flankiert werden. Geisel hat bereits seine Mitwirkung zugesagt. „Polizei alleine wird das Problem nicht lösen.“

 

„Denen ist egal, wer regiert“

 

Für die Opposition ist die wieder aufgeflammte linksextreme Gewalt in der Rigaer Straße ein gefundenes Fressen. Sie wirft dem Senat vor, auf dem linken Auge blind zu sein. Der Koalitionsvertrag von SPD, Linken und Grünen enthält zwar eine eineinhalb Seiten lange Passage zur Bekämpfung von Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus; das wachsende Problem des Linksextremismus aber war den Koalitionären gerade einmal diese Sätze wert: „Wer Gewalt ausübt, kann für die Politik niemals Verhandlungspartner*in sein. Das gilt völlig unabhängig davon, unter welchem Deckmantel einer politischen Ausrichtung – ob links, rechts oder religiös – sie ausgeübt wird.“

 

Die Opposition versuchte den Senat deshalb am Donnerstag im Abgeordnetenhaus einmal mehr mit einem Antrag vor sich herzutreiben, der schon im Titel eine Provokation enthielt: „Kein parlamentarischer Rückhalt für linke Gewalt“, hieß es da – ganz so, als würden die Regierungsfraktionen Sympathie für die Gewalttäter hegen. „Wenn Berlin in diesen Tagen wieder einmal Autobrände und Guerillaangriffe auf Polizisten verzeichnen muss, dann zeigt sich, wie man Toleranz auch falsch verstehen kann“, sagte FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja. „Besetzte Häuser sind keine urbanen Paradiese für linksideologische Träumer, sondern vor allem Brutstätten autoritärer Gewalt.“

 

In der Linksfraktion verwahrt man sich gegen die Unterstellung, Gewalttätern parlamentarischen Rückhalt zu bieten. „Gewalt ist kein Mittel der Politik, das haben wir oft genug betont“, sagt Niklas Schrader, verfassungspolitischer Sprecher der Fraktion. Für die Täter sei die Linkspartei auch gar kein Ansprechpartner. „Für die sind wir Teil des Systems. Denen ist egal, wer regiert.“ Viel wichtiger sei es, mit der nicht militanten Szene im Gespräch über steigende Mieten und Stadtentwicklung zu bleiben.

 

Für Tom Schreiber, verfassungspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion und Hassfigur der linksautonomen Szene, ist das zu wenig. Es räche sich eben, wenn man im Koalitionsvertrag negiere, dass die Stadt ein großes Problem mit dem Linksextremismus habe, meint Schreiber: „Jetzt hat man den Eindruck, dass eine gewisse Konzeptionslosigkeit herrscht und die Dinge genauso laufen wie vor einem Jahr. Die große Stärke der Autonomen ist es, dass die Parteien es nicht schaffen, einen Kompromiss zu finden, wie man mit der Rigaer Straße umgeht.“ Hier müsse man „die Scheuklappen einmal beiseiteschieben“ und gemeinsam ein Konzept eentwickeln.

 

Einen Zehn-Punkte-Plan hat Schreiber bereits entwickelt, eine Kombination aus Prävention und deeskalierendem Dialogprozess mit den Anwohnern auf der einen und „zupackender Repression“ auf der anderen Seite. Vor allem aber müsse es bei der Bekämpfung des politischen Extremismus zu einer überparteilichen Zusammenarbeit kommen, fordert Schreiber. „Wir kennen das aus dem Bereich der organisierten Kriminalität. Wenn man die Dinge erst mal wachsen lässt wie ein Geflecht, ist es ganz schwer, an das Grundübel heranzukommen.“

 

Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg habe den rechtsfreien Raum Rigaer Straße viel zu lange geduldet, kritisiert der Innenexperte. Das Ordnungsamt könne dort keine Knöllchen mehr verteilen; selbst die Feuerwehr könne inzwischen nicht mehr ohne Schutz durch die Polizei aktiv werden. „Für mich beginnt eine No-go-Area dann, wenn ein Funkstreifenwagen nicht mehr ausreicht, um für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Diese Zustände sind absolut inakzeptabel.“

 

Militante wollen „Gefahrengebiet aufleben“ lassen

 

Die linke Szene selbst tut sich schwer, die erneuten Gewaltausbrüche zu bewerten – eine Stellungnahme etwa des Hausbesetzerkollektivs selbst steht aus. Allerdings gibt es einen Text, der viel über das Selbstverständnis der militanten Linken aussagt. „Rigaer94 zu TagX und zur Solidarität mit der Friedel54“ heißt das Schreiben – ins Netz gestellt wenige Stunden vor den Ausschreitungen in der Nacht zu Samstag. Auf 49 Zeilen wird hier erläutert, warum es richtig ist, „Bullen“ zu jagen, Hauseigentümer zu vertreiben und Politiker zu verachten. Und warum eine „Zeit des Widerstands“ bevorsteht.

 

„Es wird Sommer im Nordkiez“, heißt es am Anfang lapidar. Und zu diesem Sommer gehört nach Ansicht der Verfasser offensichtlich die Auseinandersetzung mit der Polizei. Von „freudigen Eskalationen an den letzten Wochenenden“ ist die Rede, davon, dass Polizisten in der Vergangenheit „zur Belustigung des Publikums“ aus einem Hinterhof evakuiert werden mussten. Fast sehnsüchtig klingt die Erinnerung an das vergangene Jahr: „Für uns in der 94 kann jeder Tag wieder ein Tag X sein, der lange Belagerungskommandos mit sich bringen kann, wie wir es letzten Sommer erlebt haben.“

 

Am Rande thematisiert das Schreiben zwei angedrohte Räumungen: Zum einen sei das Lokal „Kadterschmiede“ in der Rigaer Straße 94 selbst bedroht; der Prozess darum musste gerade allerdings wegen des Todes des Geschäftsführers der Eigentümerfirma Lafone Investment vertagt werden. Zum anderen stehe der Kiezladen Friedel 54 im Berliner Ortsteil Neukölln vor dem Aus. „Wir können nicht ignorieren, dass die wichtigen Räume der Auseinandersetzung in dieser Stadt immer weniger und schwächer werden“, ist zu lesen. „Aber über diesen Wandel zu resignieren, ist keine Option.“

 

Stattdessen der Aufruf zum Kampf: Man müsse „das Gefahrengebiet aufleben“ lassen, ist in dem Schreiben zu lesen. Und auch davon, „konsequent alle Mittel einzufordern, um Senat, Bullen und Eigentümer des Kiezladens anzugreifen“. Was das konkret bedeutet, führt der Verfasser nicht aus. Nur so viel: Es gelte, „das weiter zu leben, was all jenen Angst macht, die sich in diesem System ein bequemes Plätzchen eingerichtet haben“.

 

Das finden allerdings selbst in der eigenen Szene nicht alle gut. „Statt einen Bullenfreien Sommeranfang genießen zu können, werden Einsatzkräfte auf den Dorfplatz gelockt, um sie mit Steinen einzudecken“, schreibt ein User unter den Blog-Eintrag. „So wird der Ausnahmezustand durch szenekiddies aufrechterhalten.“ Den Militanten wirft er vor: „Ihr seid mit der Berliner Polizei schon längst eine Symbiose eingegangen.“ Denn: „Die Bullen dienen euch als Begründung für jede noch so dämliche Aktion und helfen euch bei der Aufrechterhaltung eines Nimbus der radikalen Antiautorität.“ Im Umkehrschluss könnten Polizisten durch die Lage mehr Befugnisse einfordern und sich Politiker erst profilieren. Der Autor resümiert: „Es ist eklig.“

 

Immerhin zu einer unkonventionellen Maßnahme hat die Chaosnacht vom vergangenen Wochenende bereits geführt: Pflastersteine als Wurfgeschosse werden in der Rigaer Straße bald nicht mehr so schnell verfügbar sein. Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) will die Straße jetzt asphaltieren lassen.

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die partei "die linke" ist also gegen gewalt. aber sie ist für den staat und für den kapitalismus. ist staatsgewalt keine gewalt? die herrschende eigentumsordnung lässt auf einem planeten des überflusses die meisten menschen im elend leben, bzw zwingt uns mit gewalt, eben mit der staatsgewalt dazu.

wenn wir mit gewalt an einem freien und erfülltem leben gehindert werden, können wir nicht friedlich bleiben.