Kommuniqué #01

Bild

Zum unglaublichen fünften Tag der Herner131 melden sich die Besetzer*innen und ihre Unterstützer*innen mit einem Einblick in den aktuellen Stand der Dinge.

Seit Freitag, den 19.05. um 21 Uhr ist das 100-jährige Haus in der Herner Straße 131 besetzt. Seitdem bemühen sich die Aktivist*innen ununterbrochen um den Erhalt der Besetzung, der ein umfangreiches Schutzkonzept mit Übernahme von Wachposten rund um die Uhr erfordert.

 

An dieser Stelle wollen wir uns bei den vielen Menschen aus dem Kreis der Unterstützer*innen bedanken, die immer wieder Schichten übernehmen, um uns zu entlasten. Ohne euch hätte uns der Schlafmangel schon aufgefressen! Ein weiterer herzlicher Dank geht für die vielen Sach- und Geldspenden raus, die ebenfalls täglich bei uns eingehen. Dass wir auf das Verständnis unserer Nachbar*innen angewiesen sind, dürfte sich wohl von selbst erklären. Auch an sie geht unser Dank für ihre großzügige nachbarschaftliche Solidarität.

 

Was in den letzten Tagen insgesamt zu kurz gekommen ist, ist die inhaltliche Diskussion. Nicht, dass wir im Haus selbst nicht schon einige Diskussionen hatten: sowohl zu der abstrakten politischen Kritik mit ihren Forderungen, mit denen wir durch die Besetzung an die Öffentlichkeit getreten sind, als auch zu ihrer Konkretisierung. Soll heißen:

 

Warum haben wir das verdammte Ding eigentlich besetzt? Was wollen wir jetzt damit?

Eins ist klar: Ungenutzt bleiben soll dieses schöne, alte Jugendstilhaus nicht. Mit der Besetzung haben wir die Vorzeichen für die ausstehende Diskussion um die Weitervewendung des Hauses gesetzt.

 

Wie ihr vermutlich gelesen habt, ist das Haus schon seit Längerem in keinem guten Zustand: die Bausubstanz ist veraltet, die Fenster morsch und spröde. Auf einer Hälfte des Hauses hat Feuchtigkeit und Schimmel zugeschlagen, wovon die andere Hälfte allerdings verschont erscheint. Auch die Elektrik im Haus, auf die wir für anstehende Arbeiten (noch) nicht zugreifen können, müsste laut Gutachten (aus dem Verfahren der Zwangsversteigerung) neu instand gesetzt werden. Ein*e zukünftige*r Besitzer*in könnte das Haus also nicht ohne weiteres für sich nutzen oder vermieten, sondern wird zunächst sehr viel investieren müssen (viel mehr, als der aktuelle Verkehrswert). Auch das ist vermutlich ein Punkt, der potentielle Käufer*innen abgeschreckt haben wird. Dass das Haus die letzten Jahre über ungenutzt blieb und dem Verfall ausgeliefert wurde, finden wir sehr bedauerlich, denn guter und günstiger Wohnraum in Bochum ist gefragter denn je. (Dazu später mehr)

 

Im folgenden ein paar Fakten, vor deren Hintergrund wir intensiv diskutieren und arbeiten:

- Das Haus gehört einer Bochumer Immobilienmarklerin, die sich offenbar hoch verschuldet hat.

- Mehrere Versuche, mit der Marklerin ins persönliche Gespräch zu kommen, scheiterten bisher.

- Die Marklerin hat Anzeige erstattet, weswegen wir jeden Tag mit einer Räumung rechnen müssen.

- Das Haus steht zur Zwangsversteigerung am 22. Juni.

- Gläubiger*in ist eine öffentliche Behörde (wahrscheinlich das Finanzamt oder die Stadtkasse)

- Es ist nicht der erste Termin zur Zwangsversteigerung. Im Grundbuch finden sich Einträge über die letzten 10 Jahre verteilt.

- Sowohl Anwohner*innen als auch ehemalige Mieter*innen (die letzte Wohnung wurde vor einem dreiviertel Jahr nach einem nicht behobenen Wasserschaden leergezogen) berichten uns einhellig von einer desaströsen Vernachlässigung der Bausubstanz und der Installation. Da einige Räume des Hauses schon seit 16 Jahren nicht genutzt wurden, hat sich vor uns lange niemand um den Erhalt des Hauses bemüht.

 

Eine Kritik und unsere Antwort auf sie

 

An uns wurde die Kritik herangetragen, dass es schlecht vertretbar sei, das Haus einer Schuldnerin zu besetzen, die in Bezug auf ihr Eigentum einfach nicht handlungsfähig sei. In ihrer Situation könne mensch nicht erwarten, dass sie sich sachgerecht um die Verwaltung kümmere. Es solle also der Klärung der Besitzverhältnisse durch die Zwangsversteigerung überlassen werden.

 

Dagegen halten wir zum jetzigen Stand unserer Informationen diese Ansicht für unbegründet. Völlig unabhängig von ihren Fähigkeiten zu wirtschaften hat die Marklerin das Haus verkommen lassen. Das Ladengeschäft z.B. steht schon seit mindestens 8 Jahren leer. Der Nutzwert der Immobilie scheint also abgesehen von den Mieten, die das Haus bis zu seinem Verfall abgeworfen hat, nicht weiter von Interesse gewesen zu sein. Was aber wird sich voraussichtlich durch die Zwangsversteigerung verbessern? Wir befürchten, dass die Immobilie zum Schrottpreis von einem Investor ersteigert wird, der nach einer teuren Sanierung seine zukünftigen Mieter noch teurer zur Kasse bieten wird.

 

... das kennen wir doch schon ...

 

Eine ähnliche Immobilie in unmittelbarer Nachbarschaft wurde ebenfalls vor ein paar Jahren auf die selbe Weise "entwickelt". Ein altes Mehrfamilienhaus mit acht Parteien in der Emscherstraße, das über mehrere Jahre leer stand, wurde kernsaniert, neu aufgeteilt und zu einem Appartmenthaus mit 24 Einzelzimmern zu je 360€ Warmmiete umgebaut. Eine solche oder ähnlich einschränkende Zurichtung von Wohnraum ist auch für die Herner131 nicht ausgeschlossen. Doch das ist nicht unsere Vorstellung von gutem Wohnen bzw. effektiver Wohnraumnutzung.

Hamme als buntes Viertel mit vielen jungen Familien, Studierenden, aber auch Älteren, die den Stadtteil seit Jahrzehnten als ihre Heimat betrachten, braucht keine teuren Appartments, sondern mehr soziale Wohnprojekte! Es kann weder im Interesse der Nachbarschaft sein, dass auch in der Herner Straße teure Luxuswohnungen entstehen, die sich die Menschen im Viertel nicht leisten können, noch dass das Haus bis zu einer eventuellen Zwangsversteigerung und folgenden Instandsetzung weiter leer steht. Für eine möglichst baldige Instandsetzung und Nutzung des Gebäudes - an der wir bereits arbeiten - sprechen aber auch folgende Dinge:

 

... vom Bochumer Wohnungsmarkt, sowieso!

 

Zum einen stehen in Bochum weit über 7000 Wohneinheiten leer. (Quelle: Mieterverein Bochum) Durch den erhöhten Zuzug von Menschen in den letzten Jahren ist die Nachfrage für bezahlbaren Wohnraum ebenfalls gestiegen. Diese Entwicklung bedeutet, dass es einen hohen Druck auf den Wohnungsmarkt gibt, worunter potentielle Mieter*innen gerade mit geringer oder nicht vorhandener Kaufkraft am meisten zu leiden haben. Skandalös ist dabei auch die Beschränkung für von Hartz-IV Betroffene auf den Teil der Wohnungen auf dem Markt, der ihnen durch das staatlich verordnete Existenzminimum zugestanden wird.

Zudem sah sich die Stadt Bochum genötigt, viel Geld in Sammelunterkünfte für Geflüchtete zu stecken. Manche provisorische Quartiere (Container- und Zeltdörfer) sind dabei über Jahre hinweg geleast worden, obwohl sie heute kaum oder gar nicht mehr benötigt werden.

 

Wir sagen „geflüchtete Menschen willkommen!“

 

Ein großer Teil der Zivilgesellschaft bemüht sich tagein, tagaus darum, dass Menschen wieder in Verhältnissen leben können, die eines Menschenlebens würdig sind. Eine gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben fängt grundsätzlich beim Wohnen an. Die staatlich verantworteten Wohnsitzauflagen des vergangenen Jahres haben dieses Begehren bewusst vereitelt. Nicht nur, dass geflüchtete Menschen, die für ihre Kinder bereits Schulplätze angemeldet haben, diese angestrebte Normalität in ihrem Leben widerum aufgeben mussten. Dieses Vorgehen ist nicht zuletzt ein Zugeständnis an den grassierenden Rassismus in der Mentalität eines nicht zu unterschätzenden Teils der Bevölkerung. Statt unsinniger Integrationskurse und zynischer Leitkulturforderungen wollen wir die Schaffung und Förderung von Wohnmöglichkeiten, wie es zum Beispiel die Initiative „Flüchtlinge willkommen“ aus Berlin vormacht. Hier werden Geflüchtete gezielt an Wohngemeinschaften vermittelt. Insbesondere für das Erlernen der Sprache ist diese Wohnform von eklatantem Vorteil und dient damit als wichtige Ergänzung zu Sprachkursen. Der Wohnraum in der Herner Str. bietet hierfür genügend Platz. Nachdem die Wohnungsbaugenossenschaften viele leerstehende Wohnungen an Geflüchtete vermitteln haben, stehen nun die Privateigentümer*innen in der Pflicht, ihren Leerstand freizugeben, damit dieser für die die Nutzung durch die ökonomisch Schlechtgestellten genutzt werden kann und Stigmatisierung durch Auseinanderhalten verhindert wird.

 

Instandbesetzen statt Kaputtbesitzen!

 

Daher wollen wir jetzt zusammen mit allen, die sich einbringen möchten, den Leerstand zum Anlass für ein größeres Anliegen zu machen. Ein Anliegen, das räumliche Gestalt annehmen kann. Dazu gehört, die Wohnungen als Wohnraum wieder nutzbar zu machen - so wie es aktuell bereits Schritt für Schritt passiert -, Keller und Dachboden auszubauen und gerade letzteren bspw. zu einem Veranstaltungsort umzubauen. Hinzu kommt das ungenutzte Ladenlokal im Erdgeschoss, das wieder hergerichtet werden soll. Hier könnte eine Trinkhalle als Nachbarschaftstreff entstehen, wo Menschen zusammenkommen, sich austauschen und gemeinsam zu Bier oder Kola schöne Abende verbringen könnten. Darüber hinaus haben wir viele Ideen, wie der Leerstand sonst genutzt werden könnte. Es hätten verschiedene soziale Projekte in der Herner Straße Platz. So könnte der Raum z.B. als

- Nachbarschaftstreff,

- Café und Leihladen,

- für generationenübergreifende gegenseitige Hilfsangebote

(z.B. Skillsharing/Workshops, Hausaufgabenbetreuung, Sprachcafé von und für Geflüchtete oder juristische Beratung),

- für politische Bildungsarbeit,

- als Raum für politische Initiativen

oder eben einfach als selbstverwalteter Wohnraum für ein selbstbestimmtes Lernen und Leben gestaltet werden.

 

Und auch der wunderschöne Innenhof soll nicht weiter zuwuchern. Hier könnte ein kleiner Grill- oder Lagerfeuerplatz hergerichtet und die Wiese zu einem Gemüse- und Kräutergarten umgegraben werden.

 

Unkommerzielle und selbstorganisierte Kultur, nicht nur Hofierung der Hochkultur

 

Dies alles sind Vorschläge und Ideen, die nicht zuletzt auch mit Forderungen nach kulturellen Freiräumen in Verbindung zu setzen sind: Die Kulturhauptstadt 2010 wurde durch das Stadtmarketing zum Anlass genommen, ungenutzte Gewerbeflächen von freischaffenden Künsterler*innen bespielen zu lassen. Doch diese Freiräume waren von kurzer Dauer. In den folgenden Jahren führte die Finanzkrise und damit die Krise der öffentlichen Kassen zu einer starken Beschneidung des Kulturetats durch fortlaufende Haushaltssperren. Auffällig war z.B., dass im Bahnhof Langendreer kaum noch kleinere Konzerte zu hören waren, was als unmittelbares Resultat der Sparzwanglogik gesehen werden kann. Leuchtturmprojekte, wie das Haus der Symphoniker*innen werden dagegen ohne Einschnitte durchgedrückt. Gleichzeitig ist - genau wie bei den Wohnungen - ein steigender Leerstand von Wohn- und Büroflächen zu beobachten. Freischaffene Kultur soll nicht unter der Sachzwanglogik des Marktes leiden. Wir sind für die Schaffung und den Erhalt unkommerzieller und selbstorganisierter Kulturprojekte.

 

Uns selbst und andere fragend: voran!

 

Es ist also einiges geplant. Ihr lest hier das Resultat intensiver Diskussionen der letzten Tage. Gleichwohl ist eben diese Diskussion für uns und viele andere nicht neu, sondern sie wird schon seit Jahren geführt. Das politische Geschehen in der Öffentlichkeit entwickelt sich dabei jedoch in eine Richtung, die ein solch unmittelbares Handeln wie eine Hausbesetzung unserer Meinung nach dringlich macht. Die dargebotenen Thesen und Forderungen sind Leitlinie unseres bisherigen Handelns und als solche wollen wir sie zum Nutzen vieler voran bringen. Jedoch nicht allein. Unsere erste öffentliche Versammlung am 23.5., zu der auch Menschen aus der Nachbarschaft kamen, verlief sehr befriedigend. Wir werden diese Treffen regelmäßig durchführen.

 

Wir stellen uns also der öffentlichen Diskussion und wehren uns gleichzeitig gegen die Herabwürdigung unseres Begehrens, nur weil wir zu einem drastischen Mittel gegriffen haben. Viele Gruppen und Einzelpersonen, die die Erklärung des Netzwerks "Stadt für alle" unterschrieben haben, verstehen uns glücklicherweise und teilen unser Anliegen für günstige und unkommerzielle Räume.

Um damit aber tatsächlich loslegen zu können, benötigen wir neben Material und fleißigen Helfer*innen auch die Freiheit, unsere Wünsche und Pläne in die Tat umzusetzen, ohne befürchten zu müssen, am nächsten Tag nicht mehr da zu sein.

 

Unsere Unterstützer*innen (auch aus direkter Nachbarschaft) verstehen, dass wir mit einer Anzeige am Hals nur schwer unsere Ideen artikulieren und umsetzen können. Deshalb appellieren wir an die Eigentümerin:

 

Bitte nehmen Sie die Anzeige zurück und reden Sie mit uns!

Zeige Kommentare: ausgeklappt | moderiert

Vielleicht haben Sie es mitbekommen, einige junge Menschen haben das vor sich hingammelnde Haus, die Herner Straße 131 besetzt. Auf der Front stehen Sprüche wie "Eigentum ist Diebstahl", eine Aussage die unsere Motivation ganz gut unterstreicht.

Falls Sie sich jetzt fragen, was in aller Welt wir da wollen und wieso wir glauben, dass man sich ein leerstehendes Haus einfach nehmen kann, laden wir Sie herzlich ein, diese und viele andere Fragen mit uns zu diskutieren.
Um verschiedene Perspektiven auf die Problematik des Leerstandes und der Stadtpolitik in Zeiten des überbordernden Immobilienmarktes zu geben, haben wir uns einige gut informierte Gäste eingeladen.

Mit dabei sind:
- Recht auf Stadt Ruhr
- Erich Eisel (Jurist, Schwerpunkt Mietrecht)
- Refugee Strike Bochum
- Stadt für Alle
- bodo e.V.
- Mieterverein Bochum
- Prof. Dr. Arian Schiffer-Nassiere (EfH BO)
 
26.05. - Freitag - 19 Uhr - Herner Straße 131 im Hinterhof
Bei Räumung - Bahnhof Langendreer - Studio 108

aber bisher nicht zu fragen wagtet:

https://linksunten.indymedia.org/de/node/213522

Die Bewohner*innen der Villa Kunterbunt

https://linksunten.indymedia.org/de/node/213524

solidarische grüße aus potsdam nach bochum!!

Die Besetzung ist ne Mega coole Sache, aber wofür setzt ihr Euch perspektivisch ein? Einen schöneren Kapitalismus mit mehr freier Kultur?

Das führt doch nur zu mehr Gentrifizierung... Die Integration von Geflüchteten in den deutschen Staat, damit niemensch die Grenzen in Frage stellt?

Gesamtgesellschaftliche Perspektiven fehlen in euren Text vollkommen, warum?

ja,. das ist hier leider in der gesamten region länger schon konzeptionell bedingt. man hält das für taktisch, strategisch listig.

 

die stylisch zur schau gestellte attitüde, von eingekreisten a´s bis hasskappen ist inhaltlich ohne fundament und es fließen lediglich überlegungen in die politische ausrichtung mit ein die sich grundsätzlich unter die prämisse des bewußten und absichtlichen kaschierens der eigenen standpunkte unterordnen um vermeintlich nicht realpolitisch hinderlich zu sein. nichtsdestotrotz ist die aktion wenn auch unausgegoren sehr gut und zu unterstützen.

 

der angriff auf den staat, den eine besetzung immer auch bedeutet, wird eigendeologisch begründet verschwiegen.

er verbleibt sich, als vage vorstellung davon, im hintersinn, ohne sich konfrontativ in einer selbst gewollten eskalativität, militant (sachlich), zu artikulieren.

 

solche haltung kommt der forderung nach "gleichberechtigung" eben das: gleich. eingemeindung, freiwillige unentgeldliche sozialarbeit.

ein "recht auf stadt" usw. das eingefordert wird, bedeutet immer auch den "verhandlungspartner" zu akzeptieren: ist kollaboration / defensive / niederlage.

 

baby I know you love the good old days ...

https://youtube.com/watch?v=2pucwZpFMrA

Was passieren kann mit Zwangsversteigerte Häuser zeigt z.B. die Marienstraße 41 in Wuppertal:

https://linksunten.indymedia.org/de/node/210928