Klingenthal und der Sexualtäter

Erstveröffentlicht: 
09.12.2016

Ein Mann hat seine Haftstrafe verbüßt, ein Gericht hält ihn jedoch für rückfallgefährdet. Nun stehen seine Fotos und seine Adresse im Internet - und der Bürgermeister sagt: So ein Individuum will ich nicht im Ort.

 

Von Oliver Hach

 

Klingenthal/Zwota. Woher der Mann stammt, ist nicht bekannt. Die Öffentlichkeit weiß nicht, was er genau getan hat und wie hoch seine Strafe war. Aber es gibt dieses Bildschirmfoto aus einem Polizeicomputer, das vor zwei Tagen in Klingenthal auftauchte.

 

Das interne Dokument trägt die Überschrift "Neuer ISIS-Proband". ISIS steht für "Informationssystem zur Intensivüberwachung besonders rückfallgefährdeter Sexualstraftäter". In der Mitteilung heißt es, der Mann sei am 26. August 2016 aus der Haft in Waldheim entlassen und in ISIS aufgenommen worden. Es folgen seine Wohnanschrift im Klingenthaler Ortsteil Zwota, drei Fotos aus der erkennungsdienstlichen Behandlung und der Satz: "Ausgangsstraftat ist der sexuelle Missbrauch eines elfjährigen Mädchens und eines elfjährigen Jungen."

 

Wie ein Lauffeuer verbreitet sich das im Ort. Am Mittwochmorgen gehen gegen 6 Uhr die ersten Nachrichten mit dem Foto aus dem Polizeicomputer auf dem Smartphone des Bürgermeisters ein. Sie stammen aus einer Whatsapp-Gruppe. Besorgte Eltern melden sich bei Stadtoberhaupt Thomas Hennig von der CDU. Am Ende werden es etwa 100 Nachrichten sein, dazu findet Hennig das Dokument auch auf Facebook- Seiten, versehen mit dem Hinweis: "Passt auf eure Kinder auf!" Hennig sagt, er sei ein Kümmerer, nah am Bürger. "Ich habe erst mal versucht, die Leute zu beruhigen."

 

Der Bürgermeister ließ den Namen des Mannes im Einwohnermeldeamt checken: Tatsächlich ist er in der angegebenen Straße gemeldet. Versehen ist sein Eintrag mit dem Hinweis: "nicht wählbar". In Deutschland gilt: Wer durch ein inländisches Gericht wegen eines Verbrechens zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt wurde, verliert automatisch das passive Wahlrecht für fünf Jahre.

 

Erbost rief Hennig die Polizei an: Warum wurden wir nicht informiert? Seit Jahren pflege seine Stadt ein enges, kooperatives Verhältnis zur Polizei. "Ich weiß, wo jeder Zivilfahnder unterwegs ist", sagt der Bürgermeister. Über die Grenzkriminalität, den Kampf gegen Crystal sei er bestens im Bild. Und jetzt das. "Das ärgert mich extrem." Die Zusammenarbeit mit der Polizei in der Arbeitsgruppe "Sichere sächsische Städte" will er aufkündigen.

 

Hennig fühlt sich verantwortlich für seine Bürger. Er müsse informiert werden, wenn ein rückfallgefährdeter Sexualstraftäter in seinen Ort ziehe, sagt er. "Wenn ich das Gefahrenpotenzial kenne, reagiere ich schneller." Dass für die Überwachung die Polizei zuständig ist, lässt er allein nicht gelten. Als Bürgermeister sei er laut Gemeindeordnung oberster Ortspolizist. "Ich könnte es mir nicht verzeihen, wenn dort was passiert."

 

Die Polizeidirektion Zwickau bestätigt: Ja, das Bildschirmfoto stammt aus ihrem internen Netz. Die Daten des Mannes, der unter Beobachtung des Polizeireviers Auerbach steht, sind authentisch. "Wir ermitteln intern wegen der Verletzung des Dienstgeheimnisses", sagt Sprecherin Anett Münster. Über den Fall des Mannes wisse sie nicht viel mehr als das, was nun öffentlich wurde. Die Justiz habe eine polizeiliche Überwachung des Mannes angeordnet - weil Gutachten dem Verurteilten Rückfallgefahr bescheinigten. Zu den Maßnahmen gehören etwa Kontrollen von Auflagen wie Termine bei Behörden oder der Kontakt mit dem Bewährungshelfer.

 

Aber der Mann habe eben auch seine Haftstrafe verbüßt, das Strafverfahren sei abgeschlossen. "In dem Moment ist er ein unbescholtener Bürger", sagt die Polizeisprecherin, "da werden seine Daten nicht überall verteilt." Auch nicht an die Stadtverwaltung. Das Landgericht Chemnitz hatte den Mann verurteilt. Dort heißt es, man prüfe die Anfrage zum Hintergrund der Taten - das werde mehrere Tage dauern.

 

Ein Mehrfamilienhaus im Ortsteil Zwota. "Keine Werbung", steht am Briefkasten des ehemaligen Häftlings aus Waldheim. Beim Klingeln öffnet niemand an diesem Donnerstagvormittag. Die Kripo war am Vortag da, der Bürgermeister hatte berichtet, der Mann sei zu Bekannten gezogen - vorerst.

 

Von seiner Vorgeschichte weiß die Nachbarin noch nichts. Sie habe ihn nur ein-, zweimal gesehen, sagt sie. Freundlich sei der Mann gewesen - und unauffällig. Ein jüngerer Mieter erklärt durch die Wechselsprechanlage: "Wir leben hier nicht in den USA!" Dort sind verurteilte Sexualstraftäter im Internet registriert: Adresse, Tat und ein Foto sind für jedermann einsehbar - für immer. Sein Nachbar, bekräftigt der Zwotaer, sei ein normaler Mensch. Er habe seine Strafe verbüßt und eine zweite Chance verdient.

 

Eine zweite Chance? Bürgermeister Hennig sieht das etwas anders. Er sagt: Ja, aber nicht hier, das Risiko sei ihm zu groß. "Ich möchte so ein Individuum nicht in meinem Ort haben. Der soll weg aus Klingenthal."

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Thomas Hennig der Moralapostel..... Hier ueberspannt er den Bogen wohl ein wenig, er ist BM einer Kleinstadt und die Entscheidung wer da wohnen darf duerfte ihm nicht zustehen...