Geht das Versagen sächsischer Sicherheitsbehörden in die nächste Runde? Nach dem Angriff auf die Wohnung von Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) verortete die Polizei aber insbesondere der Verfassungsschutz Sachsen und der sächsische Innenminister Markus Ulbig die Täter schnell im linken Spektrum. Offenbar ein Trugschluss. Wie ein Gerichtssprecher gegenüber der L-IZ.de bestätigte, ist mindestens einer der Tatverdächtigen seit Jahren der rechtsextremen Szene zugehörig. Der Leipziger Hooligan ist schon in der Vergangenheit durch politisch motivierte Gewalt in Erscheinung getreten.
Unbekannte hatten am 24. November 2015 mit Granitsteinen Fensterscheiben der Wohnung durchschlagen und Buttersäure verschüttet. Die Steine hatten knapp das Schlafzimmer verfehlt, in dem die Ehefrau des Ministers und seine beiden kleinen Kinder schliefen. Die Chemikalie richtete große Schäden an. Die Familie zog noch in der Nacht aus der Wohnung aus.
Wenngleich die Angreifer kein Bekennerschreiben veröffentlichten, ging die Polizei von einer politisch motivierten Tat aus. Das Operative Abwehrzentrum (OAZ) übernahm die Ermittlungen. Die Staatsschützer zählten sowohl Rechts- als auch Linksextremisten zum Kreis der Verdächtigen. Die Polizei schweigt beharrlich zu dem Fall. Auch nach Abschluss der Ermittlungen und Erhebung der Anklagen unterließ es auch die Staatsanwaltschaft, die Öffentlichkeit zu informieren.
Die Anklageerhebung wurde erst Ende November durch einen Medienbericht der „Sächsischen Zeitung“ bekannt. Das Motiv sei demnach unklar. Beide Beschuldigten würden die Vorwürfe bestreiten. Ein Beschuldigter sei deutscher, der zweite kirgisischer Staatsbürger. Die Männer seien anhand von DNA-Spuren überführt worden. Die Staatsanwaltschaft gehe davon aus, dass sich weitere Täter an dem Angriff beteiligt hätten.
Bei dem Deutschen handelt es sich nach Informationen der Leipziger Internet Zeitung um Thomas K.. Der Leipziger hält sich seit vielen Jahren in der rechtsextremen Szene der Messestadt auf und gehört auch der Hooligan-Szene an. In der Nacht zum 1. Mai 2008 beteiligte sich K. an dem Überfall auf Besucher eines Anti-Rechts-Konzerts in einem Nachtbus. Die 15 bis 20 Schläger stürmten an der Haltestelle Friedrichshafener/Essener Straße. Ein Fahrgast wurde verprügelt. Thomas K. erhielt für seine Beteiligung an dem Angriff eine mehrjährige Haftstrafe. Nach seiner Entlassung bewegte sich K. im Umfeld des 1. FC Lokomotive Leipzig. Als die Blau-Gelben am 3. August 2013 beim SV Babelsberg gastierten, beteiligte sich der Neonazi an den schweren Ausschreitungen zu Beginn der 2. Halbzeit. Fotos zeigen, wie Thomas K. in einen Pufferblock stürmt.
Der Angriff auf die Minister-Wohnung ist nicht das einzige Strafverfahren, das im Moment gegen den Hooligan anhängig ist. Vor dem Amtsgericht muss sich Thomas K. gemeinsam mit seinem Bruder, der ebenfalls dem Hooligan-Milieu angehört, wegen einer Kneipenschlägerei verantworten. Die Staatsanwaltschaft ermittelt außerdem wegen schweren Landfriedensbruchs. Beide Brüder sollen sich an den schweren Krawallen am 11. Januar in Leipzig-Connewitz beteiligt haben, bei denen über 200 Rechte zahllose Geschäfte und Kneipen in der Wolfgang-Heinze-Straße angegriffen hatten.
Wann Thomas K. sich wegen des Angriffs auf die Minister-Wohnung vor Gericht verantworten muss, steht noch nicht fest. „Vor Februar ist nicht mit einem Termin zu rechnen“, teilte Gerichtssprecher Stefan Blaschke am Freitag mit. Nachdem der Angriff auf Gemkows Wohnung zumindest in Teilen aufgeklärt ist, steht vor allem die Frage im Raum, warum die Ermittler den Angriff voreilig der linken Szene zurechneten. Nach dem Anschlag war kein Bekennerschreiben aufgetaucht. Dennoch erklärte ein Sprecher des Landesamts für Verfassungsschutz am 8. Januar, also wenige Wochen nach dem Anschlag, die Tat gehe auf das Konto von Linksextremisten.
„Die Vorgehensweise und das Zielobjekt des Anschlags sprechen für einen linksextremistischen Hintergrund der Tat“, sagte Behördensprecher Falk Kämpf seinerzeit gegenüber einer Leipziger Tageszeitung. „Zum einen sehen Linksextremisten in dem Sächsischen Staatsminister der Justiz einen Repräsentanten des verhassten ‚Repressionsapparates‘. Darüber hinaus ist er Mitglied der CDU.“ Der sächsische Inlandsgeheimdienst war sich nicht zu schade, der Leipziger Antifa eine neue Qualität ihrer Gewalt zu attestieren.
Innenminister Markus Ulbig (CDU) legte am 9. Februar 2016 bei der Beantwortung einer Kleinen Anfrage gegenüber dem Sächsischen Landtag nach. „Die Vorgehensweise bei der Tat entspricht früheren ähnlichen Straftaten, zu denen Linksextremisten sich bekannt haben. Zwar verfasste die linksextremistische Szene anders als in anderen Fällen hinsichtlich dieses Anschlags bislang kein Selbstbezichtigungsschreiben o. Ä. Dennoch sprachen nach dem Vorgenannten alle Anhaltspunkte für einen linksextremistischen Hintergrund der Tat.“ Wie sich jetzt herausstellt, haben Minister und Nachrichtendienst die Öffentlichkeit dreist belogen, oder, was wahrscheinlicher ist, seinerzeit überhaupt keine Erkenntnisse zu möglichen Tatverdächtigen und Tatmotiven gehabt.
Vorboten der Radikalisierung hartnäckig übersehen
Offensichtlich war Ulbigs Nachrichtendienst außerstande zu erkennen, dass sich die hiesige Neonaziszene ab Anfang 2015 zunehmend radikalisierte. Insbesondere im Zusammenhang mit den zeitweise wöchentlich stattfindenden Legida-Demonstrationen ereigneten sich in steter Regelmäßigkeit Angriffe auf Gegendemonstranten, teils auch auf Journalisten. Nur drei Tage nach dem Statement des Verfassungsschutzsprechers Falk Kämpf fielen die über 200 Rechten in den Connewitzer Szenekiez ein. Auch diesen Angriff hatte seine Behörde nicht vorhergesehen, die Polizei konnte nur durch eine rasche Verlagerung von bestehenden Bereitschaftseinheiten nach einem Notruf von der Legida-Demonstration im Leipziger Zentrum nach Connewitz 215 Tatverdächtige direkt vor Ort stellen.
Abgesehen davon hatten Pegida-Anhänger in den Wochen vor dem Angriff Morddrohungen gegen einen Dresdner Staatsanwalt ausgesprochen, der gegen Anhänger der rechtsextremen Bewegung wegen Zurschaustellens einer Galgen-Attrappe zu ermitteln hatte. Gemkow hatte die Drohungen öffentlich verurteilt. Zudem hatte sich der sächsische Justizminister als eines der wenigen CDU-Mitglieder an einer Leipziger Gegenveranstaltung anläßlich eines Legida-Montages beteiligt. An den Gida-Aufmärschen selbst waren in Dresden und Leipzig regelmäßig rechte Hooligans beteiligt, bereits bei der ersten Leipziger Demonstration am 12. Januar 2015 war das Auftreten massiv gewesen.
Der sächsische Verfassungsschutz stuft bis heute weder Pegida noch Legida als rechtsextreme Organisationen ein. Außerdem missachtete die Behörde den Umstand, dass zumindest in Leipzig kein einziger linksradikaler Akteur den Versuch unternahm, aus dem Angriff politisches Kapital zu schlagen, während Neonazis ihre politischen Gegner seit Jahr und Tag mit roher Gewalt einszuschüchtern versuchen.
Das alles wäre schon skandalträchtig genug, doch in Behördenkreisen kursiert anscheinend die These, der Minister könne Opfer einer peinlichen Verwechslung gewesen sein. Wie L-IZ.de von einem Insider erfahren hat, soll Gemkow in Nachbarschaft mit einem linken Aktivisten gewohnt haben. Dass die Rechten sich auch noch schlicht an der Haustür geirrt haben, wäre demnach nicht ganz auszuschließen. Auskunft zu ihrem Motiv können nur die beiden Verdächtigen geben.