Offizielles Weltoffenheitsblabla, verschärfter Konkurrenzkampf, institutionelle Abschiebepraxis: die Antwort der schwarzroten Koalition auf die jüngsten Krisen Europas ist zugleich die Alte – und Betriebsgrundlage der AfD. Die preist ihren deutschen Wähler*innen Rassismus und Nationalismus als Allheilmittel für das gesellschaftliche Übel an: was schlimm ist, soll noch schlimmer werden. Wer dagegen aufstehen will, darf aber von der sozialen Brutalisierung zum Wohle des deutschen Standorts und seiner rassistischen Abschottung nicht schweigen, die die Parteien von CSU bis Grüne betreiben. Wir rufen daher dazu auf, am 2. und 3. September auf den Straßen Berlins deutlich zu machen, dass ein Aufstehen gegen Rassismus ohne eine Kritik der Nation und ihrer Parteien nicht zu haben ist. Schon gar nicht zu Wahlkampfzeiten.
Die Befindlichkeit des Landes
Die
Bundesregierung hat die „Flüchtlingskrise“ offiziell für beendet
erklärt. Sie lobt die vielen Engagierten der „Willkommenskultur“ – und
verschärft das Asylrecht: Umwidmung von Folterstaaten zu „sicheren“
Herkunftsländern, Flüchtlings-Deals, Aufstockung des Frontex-Einsatzes,
Massenabschiebungen und Aufbau einer „inneren“ sozialpolitischen Mauer
gegen Flüchtlinge und „EU-Ausländer“ durch die Vorenthaltung von
Sozialleistungen. So soll verantwortungsvollen Staats- wie aus der Haut
fahrenden Wutbürger*innen gezeigt werden, dass der Gewaltmonopolist die
Zügel in der Hand hat. Doch beendet ist gar nichts. Denn in Wahrheit
sind die bürgerlichen Parteien selbst Getriebene – von der Rückkehr
einer krisenhaften Globalisierungsdynamik in die Zentren des
Kapitalismus wie vom Druck der Rechten auf den Straßen und an den
Wahlurnen. Mit ihrer Politik des pragmatischen Rechtsrucks holen die
Parteien der vermeintlichen Mitte ganz sicher keinen einzigen AfD-Wähler
zurück. Aber sie organisieren zum Zwecke staatlicher Machtdemonstration
eine Unmenschlichkeit, die sich antirassistisch aufführt, dabei jedoch
die Festung Europa ausbaut und stets das Wohlergehen des Standorts im
Auge hat – gern auch mithilfe von Recep Tayyip Erdoğan oder anderen
menschenliebenden Diktatoren. Willkommenskultur instrumentalisieren,
Flüchtlinge abwehren, soziale Rechte ethnisieren – so sieht es aus in
Sachen „Toleranz, Mitmenschlichkeit und Weltoffenheit“ in Deutschland im
Sommer 2016.
Time to act
Vom pragmatischen Antihumanismus von
SPD, GRÜNE und CDU zur authentischen Menschenfeindlichkeit einer Frauke
Petry und eines Björn Höcke ist es nur ein kleiner Schritt. Der
Unterschied ist vor allem, dass die Demokrat*innen jene grausigen
Effekte der Abschottung, die den Rechtspopulisten ganz offen Freude
bereiten, schulterzuckend in Kauf nehmen. Wenn SPD und GRÜNE am 3.
September in Berlin mit gegen die AfD demonstrieren und „Aufstehen gegen
Rassismus“ wollen, ist das im Grunde vor allem der Appell an die
Straßennazis, doch bitte keine Ausländer totzuschlagen – die könnten
schließlich morgen noch nützlich sein und übermorgen ordnungsgemäß
abgeschoben werden. Mit dem tausendfachen Tod im Mittelmeer wollen sie
beharrlich nichts zu tun haben – obwohl die SPD in der Großen Koalition
die Abschottung Deutschlands unmittelbar mitorganisiert und die Grünen
in Baden-Württemberg im Bundesrat die jüngsten Flüchtlingsdeals direkt
mitverantworten. Sie wollen nicht sehen, dass der kalte Rassismus in den
Institutionen mit seinem Tunnelblick auf die wirtschaftlichen
Interessen des deutschen Standorts nur die andere Seite des heißen
Wutbürgerrassismus mit seinem völkischen Schaum vor dem Mund ist.
Was
wir hierzulande brauchen, ist ein Angriff auf den nationalen Konsens,
der über Leichen geht, auf die rotgrüne Doppelmoral und auf die
Brutalität des „Weiter so“ von Menschenverwertung und Ausgrenzung. Denn
es ist die gesellschaftliche Mitte, die selbst die Grundlage für die
Brutalität des heraufziehenden Faschismus, von AfD, Front National und
FPÖ stellt. So gut das Engagement der vielen einzelnen in der
Geflüchtetenhilfe oder gegen Straßennazis ist: Erforderlich ist eine
öffentlich wahrnehmbare Absage an den neuen Nationalismus im Zentrum der
Festung Europa, der sich antirassistisch aufspielt und knallharte
menschenfeindliche Politik betreibt.
Beyond Europe statt zurück
Wer
stattdessen neidisch auf den Erfolg der Rechten schielt und behauptet,
die sozial Deklassierten könnten in ihrem Frust kaum anders, als Rechts
zu wählen, entschuldigt wie Sarah „Obergrenze“ Wagenknecht von der
Linkspartei den Rassismus. An der Zeit wäre es hingegen für
parlamentarische wie außerparlamentarische Linke, das „eigene Klientel“
und die eigene Verantwortung für dessen Rechtsdrift zu hinterfragen.
Denn Rassismus ist kein „Einstiegsprojekt“ für emanzipatorische
„Kämpfe“. Das Fuck you! etwa der Brexit-Wähler wird keine Emanzipation
zur Folge haben. Sie delegieren vielmehr ihren Protest an die
nationalistische Gegenelite, als Geste der konformistischen Revolte.
Denn auch der neue Faschismus verhilft den Massen nur zu ihrem Ausdruck,
nicht aber zu ihrem Recht. Für letzteres aber muss mensch kämpfen – und
nicht dagegen. Zumal es keinen Grund dafür gibt zu hoffen, dass der
Zerfall Europas, der inzwischen von Berlin aus verwaltet wird, die Welt
zu einem besseren Ort machen würde. Das Wenige, was an Europa gut (und
schwer erkämpft) war – ein bisschen mehr Grundrechte und
Gleichberechtigung für Minderheiten hier, ein wenig Bewegungsfreiheit
da, erste Ansätze grenzübergreifender sozialer Rechte – bereitwillig
dem neuen Faschismus der Le Pens, Petrys, Farages und Hofers zum Fraß
vorzuwerfen, ist keine linke Option. Europa war nie ein Friedensprojekt,
sondern immer ein kapitalistischer und damit auch immer neokolonialer
Versuch, politisch mit dem Stand der ökonomischen Vernetzung auf dem
Weltmarkt Schritt zu halten. Doch gerade deswegen wird Emanzipation nur
in seiner grenzübergreifenden Überschreitung, nicht im Rückfall dahinter
zu finden sein – als Freiheit, Gleichheit und Solidarität für alle.
Die neoliberale Brutalisierung des Sozialen…
Bisher
gibt es keine wirksame emanzipatorische Antwort auf die europäische
Krise. So sehr diese eine auf allen Ebenen ist – sozial, politisch,
ökonomisch – so sehr mangelt es meist schon an der Vorstellung, dass es
etwas Besseres geben kann als die exklusive Mauern-und-Zäune-Party der
westlichen Welt oder die Wiederbelebung der Vergangenheit durch AfD und
Pegida als falsche Antwort auf den kapitalistischen Irrsinn. Gerade
deswegen sollten wir jetzt dazwischen grätschen und dorthin gehen, wo
die europäische Politik der Menschenverwertung und Menschenausschließung
konfrontiert werden kann: in die deutsche Hauptstadt – und zu einer
ihrer zentralen Institutionen: dem deutschen Arbeitsministerium. Denn
dort wird ganz praktisch der Zugang zum nationalen Arbeitsmarkt qua
Gesetz und Weisung organisiert und damit auch jene vermeintlich
„weichen“ Formen der „Flüchtlings- und Bevölkerungspolitik“, die für den
deutschen Standort verwertbare Menschen von nichtverwertbaren und daher
abzuschiebenden bzw. zu sanktionierenden unterscheiden. So wird die
Umsetzung des neuen Integrationsgesetzes wesentlich vom
Arbeitsministerium betrieben, etwa durch den neuen Arbeitszwang für
Geflüchtete in Form von 80-Cent-Jobs – was ganz nebenbei auch die
Konkurrenz am unteren Ende der kapitalistischen Nahrungskette um Jobs
und Wohnungen anheizt. Und wer sich nicht den Arbeitsagenturen
unterwirft, wird eher heute als morgen abgeschoben.
…als Voraussetzung des AfD-Erfolgs
Das
„Ministerium für Arbeit und Soziales“ ist jedoch nicht nur eine erste
Adresse für Protest, weil hier die smarte Menschenverwaltung für die
objektive Schicksalsgemeinschaft der deutschen Wirtschaft organisiert
wird, meist unter kräftigem Zutun der deutschen Gewerkschaften. Das
Ministerium unter der ehemaligen Juso-Chefin Andrea Nahles ist ebenso
einer der wichtigen Produzenten staatlicher Ungleichheitsideologie. Das
Regime des „Fördern und Fordern“ der Hartz-Gesetze, der entfesselte
Wettbewerb aller gegen alle, die Vorstellung, dass nur wer hart
arbeitet, überhaupt ein Anrecht auf eine soziale Existenz hat, also all
die Instrumente aus dem Folterkeller einer wettbewerbstaatlichen
Sozialpolitik, die in Europa zum deutschen Exportschlager gemacht werden
sollen, haben hier einen ihrer wesentlichen Ausgangspunkte.
Es ist
zudem gerade diese Brutalisierung des Sozialen, für die das
Arbeitsministerium steht, die die Voraussetzung für die rassistischen
Ordnungsideen der AfD geschaffen hat. Denn die Einpeitscher von Rechts
ersetzen den Konkurrenzkampf nur durch eine andere Idee, die die
frustrierten und hasserfüllten Einzelnen mit deutscher
Staatsangehörigkeit anspricht: „Wenn es halt so ist, wie du mir sagst,
dass die Güter knapp sind, nicht jeder einen „guten“ Job haben kann, die
Zeiten hart sind, der Gürtel enger zu schnallen ist, warum sollte ich
dann mit Ausländern teilen und mich auch noch einer grenzenlosen
Konkurrenz aussetzen?“ – Das national-rassistische Angebot der AfD hat
seine Rationalität in der falschen Welt, in der wir leben. Die
schwarz-rot-grüne „Kritik“ der AfD ist daher in Wahrheit keine, denn sie
bleibt bei der empörten Identifikation des Rassismus stehen. Sie
blendet aus, dass der Rassismus ein materielles Deutungs- und
Handlungsangebot ist, das auf die verschärfte Konkurrenzsituation
reagiert. Ohnmacht und Frust können so lustvoll im Hass auf Schwächere
ausgelebt werden, von denen man eh nichts zu befürchten hat. Angebote
zum Ausagieren der eigenen Gemütslagen an Schwächeren haben auch noch
andere politische Richtungen im Angebot, etwa der politische Islam mit
seinem mörderischen Wahn gegen alles Ungläubige. Beim rasanten Aufstieg
der jugendlich-männlichen Gotteskrieger mit ihren Anschlägen in Paris,
Brüssel oder Nizza handelt es sich aber mitnichten um irgendeine
„rückständigen Kultur“ mit unerklärlicher Konjunktur, sondern ebenfalls
um ein reaktionäres Deutungsangebot dieser krisenhaften Gegenwart – das
gerade deswegen so erfolgreich ist. Kein Zufall, dass genau dieser
Sachverhalt im rassistischen Zerrbild „des“ Islam verschwindet, das die
AfD so gern kultiviert.
Antinationale Kritik & Praxis heute
Vor
dem Hintergrund der gegenwärtigen Gesamtscheiße ist es die erste
Pflicht antinationaler Kritik, sowohl gegen die praktische Verwaltung
der Menschen wie auch die Ideologie der Ungleichheit vorzugehen. Gegen
die Idee der Disziplinierung für den autoritären Wettbewerbsstaat setzen
wir das Begehren nach einem anderen, besseren Leben ohne nationale
Konkurrenz, ohne Rassismus und ohne Festung Europa. Denn der Bruch der
inneren und äußeren Grenzen des Standortes Deutschland ist keine
antirassistische Kür, für die dann irgendwann Zeit ist, wenn im
nationalen Rahmen wieder soziale Gerechtigkeit hergestellt wurde.
Vielmehr ist die Überschreitung nationaler Grenzen – im Innern, wie nach
Außen – endlich zum Ausgangspunkt allen politischen Handelns zu machen.
Nie war die Idee, dass es Fortschritt im nationalen Rahmen geben
könnte, eine größere Lüge. Befreiung ist nur noch grenzübergreifend zu
erreichen. Sie setzt die praktische Konfrontation mit den Apparaten von
Staat, Nation und Kapital voraus.
Wir rufen daher dazu auf, das
bundesweite Aktionswochenende gegen den Rechtsruck in der Hauptstadt des
deutschen Krisen- und Grenzregimes zu nutzen, um deutlich zu machen,
dass Antirassismus den Bruch mit dem staatlichen Rassismus und seiner
Sortierrerei von Menschen notwendigerweise miteinschließt. Denn wo wäre
eine bessere Gelegenheit, der Möglichkeit grenzübergreifender
Solidarität, die doch nur deswegen unrealistisch scheint, weil die große
Mehrheit hierzulande sie im Dienste der Funktionseliten eines längst
leerlaufenden Systems auf Teufel komm raus dafür halten will, Gehör zu
verschaffen?
An die Arbeit: Gegen die inneren und äußeren Grenzen – Die Festung Europa angreifen!
2. & 3. September 2016, Berlin Weekend of Actions against Austerity, Racism and Borders
Freitag, 2. September: Blockade des Arbeitsministeriums – Kommt zum NIKA-Finger
7.30 Uhr: Blockade des Bundesministeriums für Arbeit. Nachmittags: dezentrale Aktionen
Samstag, 3. September: No Border-Block auf der Großdemonstration gegen Rassismus
3. September – 14.00 Uhr Adenauerplatz.
bin dabei