Brief von Tomas Elgorriaga Kunze / 424403 – H

Raus aus dem Knast!

Die Staatsanwaltschaft hat nach dem Urteil gegen Tomas Elgorriaga Kunze doch Einspruch eingelegt. Der ganze Prozess wird nun mit neuem Richter und Staatsanwalt vor der nächsten Instanz verhandelt. Tomas sitzt daher weiter in Paris in U-Haft und wartet auf den neuen Prozess.


Brief von Tomas Elgorriaga Kunze / 424403 – H
MAH Fleury-Mérogis / D3 – 2G – 42
7, av. des peupliers
F – 91705 St. Genevière des Bois – CÉDEX
Ankunft: 25.04.2016
Poststempel: 22-04-2016 (FRANCE)
Fleury, 20.04.2016
As-FO1

Hallo xxx,

es sind nun 5 Monate vergangen, seit dem ich in einer Morgen- und- Sonnenschein-Aktion aus der JVA- Mannheim verschleppt und an die französische Polizei übergeben wurde.

Am 16. November 2015 wurde ich um 8 Uhr morgens aus dem Bett geholt, im Pijama gefesselt, an den Knasteingang gebracht, wo mir gefesselt eine Trainerhose und Sweatshirt übergezogen wurden und ich von der staSchu an die Grenze in Offenburg gebracht wurde. Immerhin ”gut begleitet” in 2 dicken schwarzen Mercedes mit viel Tatü-tata. Seit dem sitze ich in Paris, im Massenknast Fleury (ca. 5000 Gefangene in 5 Gebäuden).

Da ich bei meiner Verschleppung aus Mannheim nicht meine Anwälte anrufen durfte, war ich 3 Tage lang “unauffindbar”, bis ich in Paris beim Gericht zufällig auf eine baskische Anwältin traf, die meine Familie benachrichtigte. Selbstverständlich durfte ich niregendwo telefonieren, und der soziale Dienst im Knast meldete mir nach 2 wochen, sie hätten unter der von mir angegebenen Telefonnummer (meiner Eltern) “niemand erreicht”.

Aus der JVA-Mannheim durfte ich NICHTS mitnehmen. Kein Geld, keine Kleidung, keine Briefe und Notizen, nicht einmal meine Brille, die ich unbedingt zum sehen brauche. Mein Hab und Gut aus dem mannheimer Knast ist niemals hier angekommen, das musste meine Anwältin später dort abholen. Also war ich in Paris fast 2 Monate ohne Geld, Wäsche, Bücher usw., und folglich hatte ich auch keine Einkaufsmöglichkeit.

Glücklicherweise waren auf meinem Stockwerk 2 weitere baskische politische Gefangenen die mich gleich mit allem Notwendigsten versorgt haben, also Putzmittel, ein Handtuch, Schreibmaterial, und ein paar Lebensmittelkonserven. Denn “größter Knast” heißt auch “größtes Chaos”, und als ich in meine Zelle gesteckt worden war hatte ich nicht einmal Bettzeug oder Geschirr bekommen. Erst nach vielem Klopfen und Rufen hat mir das ein Beamter besorgt.

Vor ein paar Wochen habe ich endlich über 100 Umwege meine Adressenliste aus Mannheim bekommen, weshalb ich mich endlich zurückmelden kann. Und nun zu den besseren Nachrichten.

Nach dem großen Tamtam, das bei meiner Festnahme Ende 2014 die spanische und deutsche Polizei medial und juristisch organisiert hatten (“wichtiger baskischer Terrorist”, usw.) bin ich nun vor 2 Monaten vor Gericht gestanden und vor 1 Monat wurde mein Urteil verkündet: 5 Jahre Strafe, davon aber 3 auf Bewährung (weil die Vorwürfe 15 Jahre zurückliegen), so dass ich bis Weihnachten 2016 frei komme. Der Prozess war für politische Verhandlungen typisch: obwohl keine Beweise existieren (nur 4 Passfotos von mir als Indizien), hat der Richter den Spekulationen vom Staatsanwalt zu 100% zugestimmt (dieser hatte die Hälfte seiner Rede nur über die Geschichte der Organsation ETA referiert), und die Folteraussagen der spanischen Polizei als Grundlage genommen, um mich wegen “krimineller Vereinigung” zu verurteilen.

Obwohl ich Einspruch dagegen einlegen wollte hat mir meine Anwältin dringends davon abgeraten, da ich in Frankreich bei der Revision eines politischen Verfahrens mit einer Verschärfung des Urteils zu rechnen hätte. Also zwingt mich der Richter sozusagen mit der Bewährungsklausel, das Urteil anzunehmen, auch wenn ich die Anklage weiterhin zurückweise. Aber mit der französischen Justiz ist zur Zeit wirklich nicht zu spaßen.

Was die Knastbedingungen angeht, sind die in Frankreich deutlich besser, besonders was soziale Kontakte und Bildung angeht. Um mit dem Negativen anzufangen, wird hier der Kontakt zwischen den Gefangenen stark einschränkt, Es gibt keinen “Umschluss” (mit anderen Gefangenen in einer Zelle sitzen), und jeder Austausch von Gegenständen zwischen den Gefangenen ist streng verboten. Vor jedem Hofgang werden wir gefilzt. Also trifft man sich nur im Hof (2 Stunden täglich), im Sport, oder in der Schule. Das heißt, 20 – 22 Stunden sitzt man auf der Zelle. Diese haben zwar Dusche und warmes Wasser, aber TV und Kühlschrank müssen gemietet werden. Inzwischen habe ich genug zu lesen und zu schreiben, so dass ich wrklich genug zu tun habe. Außerdem führt der Knastbetrieb einerseits zu einer Art Dauererschöpfung, die sich in Müdigkeit und Energielosigkeit ausdrückt., andererseits gehen täglich Stunden an sinnloser Warterei verloren. Bei jedem Austritt aus der Zelle muss man bereit stehen, weil es sonst einen Anschiss gibt oder einfach wieder abgeschlossen wird. Und einmal draussen, muss man oft 30-60 Minuten in Wartezellen ausharren bis man zum Sport, Arzt, oder Sozialarbeiter darf. Da dies jede Tätigkeit auf der Zelle stört oder unterbricht, bleibe ich manchmal lieber auf der Zelle, als genervt irgendwo herumzusitzen.

Als politische Gefangene sind wir automatisch als DPS (“gefährlich”) eingestuft und verschärften Kontrollmaßnahmen unterworfen. Neben Post-, Telefon-, und Zellenkontrolle und was wir sonst nicht mitbekommen, drückt sich das konkret in 2 unangenehmen Maßnahmen aus. Erstens, werden wir nach jedem Besuch (manchmal auch nach dem Anwaltsbesuch) nackt gefilzt. Das heißt, ausziehen, Wäsche betatschen lassen, vor dem Beamten Tanzübungen machen. Wer sich weigert kommt direkt in die Isolations-Strafzelle. Das ist öfters von der Menschenrechts-Kommission angeprangert worden, doch die Knastleitung in Fleury schert sich nicht darum.

Schlimmer sind, zweitens, die nächtlichen Kontrollen. Zwischen 19:30 Uhr und 5:30 Uhr werden unsere Zellen alle 2 Stunden visuell durch das Guckloch kontrolliert, wobei das Hauptlicht in der Zelle eingeschaltet wird und oft an die Zellentür geklopft und der Name der Gefangenen gerufen wird, bis diese sich bewegen. Inzwischen wache ich oft schon automatisch auf, bevor die Beamten mich wecken können. Ja, tagsüber Müdigkeit und Kraftlosigkeit. Das Anti-Folter-Komitée hat das auch schon lange angeprangert, erfolglos.

Drei Dinge sind hier besser als in Deutschland: die Besuche (3 pro Woche, statt 2 pro Monat), telefonieren so oft und so lang man will mit bis zu 20 Nummern, auch Handys (nach Genehmigung durch Richter oder Knastleitung), und jede Art von Zeitungen, Informationen und Bücher darf man problemlos in jeder Sprache bekommen. Und jeder Gefangene darf sich einen Computer kaufen und benutzen.

Ansonsten geht es mir relativ gut, besonders seit die stumpfe Warterei hier ein absehbares Ende hat.

Viele Grüße,

Tomas

In einem Brief vom 17.5.2016 (Poststempel 19.5.2016) schreibt er: “Meinen letzten Brief kannst du ruhig herumschicken, wenn du meinst, dass es jemanden interessiert.” Ausserdem schreibt er das der Staatsanwalt Einspruch gegen das Urteil eingelegt hat und er nich damit rechnet bis Jahresende rauszukommen.

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Nur so als Rückmeldung: mich interessieren solche Berichte immer. Hoffen wir, dass die Staatsanwaltschaft keinen Erfolg hat.

Liebe Grüße, viel Kraft und alles Gute!

Ja, bei mir und meinem politischen Umfeld besteht auch ein Interesse an Information/Einschätzungen/Schilderungen von und über Tomas, sowie über die unterschiedlichen Hafterfahrungen. Solidarische Grüße gehen raus!

Wie lautet die konkrete Adresse wenn man Tomas schreiben möchte? Ich sehe bei den ganze Buchstaben-Zahlen-Kombinationen nicht durch.

Ist das korrekt?

Tomas Elgorriaga Kunze / 424403 – H
MAH Fleury-Mérogis / D3 – 2G – 42
7, av. des peupliers
F – 91705 St. Genevière des Bois – CÉDEX

ja, dies ist die vollständige/richtige Adresse

 

Übrigens: Auch wenn die Besuchszeiten in Fleury häufiger sind, als im Mannheimer Knast, darf Tomas nur "Verwandte 1. Grades" sehen. Weder SchwägerIn, Neffen & Nichten noch seine FreundInnen und KollegInnen dürfen ihn zur Zeit besuchen.

 

Briefe sind Fenster, die Licht in den grauen Knastalltag lassen...

Tomas wurde innerhalb des Knasts - nach einem Protest für Zusammenlegung der baskischen politischen Gefangenen - verlegt. Die neue Adresse mit neuer Zellennummer lautet:

 

Tomas Elgorriaga Kunze / 424403 – H
MAH Fleury-Mérogis / D1 3D 06
7, av. des peupliers
F – 91705 St. Genevière des Bois – CÉDEX

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