Stuttgart - Die SPD im Landtag zeigt sich besorgt über die rechtsextremistischen Umtriebe in Mühlacker (Enzkreis). Die StZ hatte berichtet, dass die rechtsextreme Kameradschaft Stallhaus Germania in Mühlacker ein Konzert mit drei Skinheadbands am Samstag vor Pfingsten veranstalten wollte. Nachdem diese Pläne öffentlich geworden waren und die Polizei auf den Plan gerufen hatte, haben die Skinheads das Konzert abgesagt.
In einer kleinen Anfrage verlangen die SPD-Abgeordneten Stefan Braun und Thomas Knapp detaillierte Auskunft von der Landesregierung über die Kameradschaft, deren Unterstützerkreis und die Konzerte und Veranstaltungen in den vergangenen zehn Jahren. Insbesondere interessiert die Abgeordneten, durch "welches Verhalten der Polizei" die Rechtsextremisten den Eindruck gewinnen konnten, "das geplante Konzert würde, bis auf Kontrollen im Vorfeld, von der Polizei weitgehend unbehindert stattfinden?"
Als Zugpferd des Open-Air-Konzerts sollte die Band Faustrecht auftreten, die zum verbotenen Nazimusiknetzwerk Blood & Honour gehört. Das hatten die Autonomen Antifaschisten in Freiburg aufgedeckt. Sie waren in einschlägigen Naziforen und Mailkontakten auf das geplante Konzert in Mühlacker gestoßen, mit dem die Neonazikameradschaft ihr zehnjähriges Bestehen feiern wollte. Das haben die Freiburger ins Internet gestellt mitsamt zahlreichen weiteren persönlichen Details über Mitglieder und deren Kontakte.
Das Konzert wird wohl andernorts stattfinden
Laut diesen Recherchen habe Thomas G., der Organisator des Pfingskonzerts, schon bei früheren Veranstaltungen angefragte Bands mit Hinweisen auf die bisher gute Kooperation mit der Polizei beruhigt, die einen reibungslosen Ablauf erwarten lasse. "Am Feldweg wird eine Polizeikontrolle sein. Lt. Polizei wollen sie nur Kontrolle machen... war die letzten Male auch." Der lokalen Naziband Devils's Project, die beim anstehenden Open-Air auf einem privaten Grundstück in Mühlacker auftreten wollte, schrieb der im Kreis Ludwigsburg wohnende Organisator: "Hoffentlich lassen es auch unsere Freunde in Grün durchgehen..." Der nordrhein-westfälischen Skinband Angry Boot Boys hatte er am 7. März noch versichert: "Aber wir veranstalten jedes Jahr ein Fest, und da ging auch immer alles glatt. Die Polizei ist hier noch etwas tolerant zu uns."
Die zuständige Pforzheimer Polizeidirektion lässt sich trotz des fatalen Eindrucks, die Polizei sei berechenbar für die Rechte, nicht aus der Ruhe bringen. Sie wollte bei den Organisatoren darauf dringen, das Konzert abzusagen. Das sei zwar nun überraschend schnell erfolgt, meint ein Polizeisprecher, verweist aber darauf, dass dies auch Taktik sein könnte und nun ein "Katz-und-Maus-Spiel" beginne. Die Polizei werde sich "nicht einlullen lassen", sondern die Szene weiter beobachten. Das Konzert werde wohl andernorts stattfinden. Bei bisherigen Veranstaltungen von Stallhaus sei die Polizei stets präsent gewesen - mit An- und Abfahrtskontrollen von Fahrzeugen, Personenkontrollen, der Durchsuchung nach Waffen, verbotenen Tonträgern und Symbolen. "Diese Leute haben hier keinen Schonraum", versichert ein Polizeisprecher.
Der Verfassungsschutz will sich aus "ermittlungstaktischen Gründen grundsätzlich nicht" äußern. Im Bericht von 2008 aber sehen die Verfassungsschützer die "Skinhead(musik)szene in der Krise". Die Hinweise aus den Vorjahren hätten sich verdichtet, dass vieles auf einen "schleichenden Marginalisierungs- oder gar Auflösungsprozess der rechtsextremistischen Skinhead(musik)szene hindeuteten.
Strafverfahren wegen Propagandadelikten wurde eingeleitet
Das können die beiden SPD-Abgeordneten aufgrund des aufgedeckten Pfingstkonzerts so nicht nachvollziehen. Braun und Knapp haken nach: "Wann, wodurch und durch wen haben Staats- und Verfassungsschutz von dem geplanten Konzert erfahren?" Bei welchen der früheren Veranstaltungen waren Polizei oder Verfassungsschutz vor Ort? Sie fragen nach den Verbindungen zwischen der rechtsextremen Kameradschaft Stallhaus Germania und dem verbotenen Netzwerk Blood & Honour.
Im vergangenen Jahr schon hatte der örtliche SPD-Abgeordnete Thomas Knapp wegen rechtsextremistischer Aktivitäten in Pforzheim und im Enzkreis nachgefragt. Nach Angaben des Innenministeriums hat demnach die Nazikameradschaft Stallhaus-Germania 2005 das letzte Konzert in Mühlacker-Lienzingen veranstaltet. Damals wurden Strafverfahren wegen Propagandadelikten eingeleitet, bei Zufahrtskontrollen stellte die Polizei Softair-Waffen und Kampfmesser sicher. Laut den Recherchen der Freiburger Antifaschisten hingegen soll es am 27. September 2008 ein von Stallhaus veranstaltetes Konzert gegeben haben, das die Polizei "bis zum Schluss vor der Öffentlichkeit geheim" hielt. Auch am 10. Oktober 2009 habe es ein Konzert gegeben. "Schlechtestes Konzert 2009: unser eigenes... Leider nur eine Band und irgendein Arsch hat mein Auto demoliert." Das schrieb Thomas G. in einer von der Antifa ausgespähten Mail.
Artikel der Stuttgarter Zeitung vom 17.03.2010
Überblick
Die rechte Musikszene
Skinheads
Die Zahl der Skinheads ist laut Verfassungsschutzbericht (2008) kontinuierlich rückläufig, von 1040 Personen im Jahr 2005 auf rund 700 in 2008. Das trifft demnach auch auf die als gewaltbereit eingeschätzten Rechtsextremisten zu. Deren Zahl ging von 1080 im Jahr 2005 auf 740 in 2008 zurück.
Skinheadbands
Rückläufig ist auch die Zahl der rechtsextremen Rockbands im Land: von 17 (2007) auf 14 im Jahr 2008.
Konzerte
Deutlich sank die Zahl der Skinheadkonzerte. 2005 listete der Verfassungsschutz 26 auf, 2008 waren es nur noch neun.