Demmin: Proteste gegen jährliches Neonazi-Ritual zum 8. Mai

Demmin: Proteste gegen jährliches Neonazi-Ritual zum 8. Mai

Mit verschiedenen Veranstaltungen wurde am Sonntagabend in Demmin (Landkreis Mecklenburgische-Seenplatte) gegen einen jährlich zum 8. Mai stattfindenden Neonaziaufzug protestiert. An einer antifaschistischen Demonstration durch den Ort beteiligten sich ungefähr 300 Menschen, an Versammlungen der Parteien DIE.LINKE und der GRÜNEN, unmittelbar an der Route der Neonazis, zusätzlich jeweils 80-100 Personen.

 

Propagandistische Inszenierung

 

Der Neonaziaufzug bewegte sich einmal mehr vom üblichen Treffpunkt am Stadion bis zum Bollwerk an der Peene. An der Versammlung beteiligten sich schätzungsweise 200 Neonazis aus ganz Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg und Brandenburg. Der Aufzug ist als so genannter „Trauermarsch“ konzipiert. Die betont schwarz gekleideten Versammlungsteilnehmer_innen ziehen dann schweigend durch die Stadt. Zu diesem Ritus gehört es, analog ähnlicher Vorstellungen während der NS Diktatur, u.a. aber auch bei einsetzender Dunkelheit mit Brandfackeln zu marschieren. Höhepunkt der propagandistisch inszenierten Zeremonie ist der Abwurf eines mitgeführten Kranzes in die Peene. Dabei soll vorgeblich an den Massensuizid von ungefähr 500 Demminer_innen in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges erinnert werden. „8. Mai 1945 – Wir feiern nicht“ so das dementsprechende Motto. Die Verzweiflungstat im Kontext des Kampfes um die Stadt, wird dabei immer wieder, ähnlich wie bei der Debatte über die Bombardierung verschiedener deutscher Städte, die Vorkommnisse im Wincklerbad in Bad Nenndorf oder die Rheinwiesenlager, vom neonazistischen Milieu als Beleg für eine vermeintlich besondere Grausamkeit der siegreichen Alliierten des Zweiten Weltkrieges angeführt. Die rituellen Inszenierungen erscheinen somit einmal mehr als Rechtfertigung für die verbrecherische Politik der Nationalsozialist_innen. Ohnehin machen die bei derartigen Anlässen aufmarschierenden Neonazis aus ihrer mehr als klammheimlichen Sympathie für das NS Regime keinen Hehl, auch nicht in Demmin. Auf Kleidungsstücken wurden beispielsweise so stolze Namen, wie „Aryan Warrios Pommern“ (engl.: „Arische Kämpfer Pommern“) oder „NS Mecklenburg“ getragen. Eine breite Wirkung in der Bevölkerung Demmins konnte das neonazistische Milieu, seit ihrem ersten Aufmarsch am 8. Mai 2011 jedoch nicht erreichen. Die Neonazis blieben, im Gegensatz zu den so genannten „asylkritischen“ Aufzügen PEGIDA-ähnlicher Vereinigungen in Mecklenburg-Vorpommern, weitgehend unter sich. Die Aufmärsche haben so eher den Charakter eines überregionalen Szeneevents, dem die meisten Demminer_innen nur als „Zaungast“ an ihrer Fenstern, Balkonen oder Türaufgängen beiwohnen. Nur sehr vereinzelt waren am 8. Mai 2016 Trauerbekenntnisse an Wohnungen angebracht.


Breiter Protest

 

Trotz des eher provinziellen Charakters des Ortes sind die Gegner_innen des alljährlichen Neonazi-Rituales verhältnismäßig breit aufgestellt bzw. gelingt es eine große Anzahl von Menschen für ihren Protest zu mobilisieren
Allein an der Antifa-Demo am frühen Sonntagabend beteiligten sich ungefähr 300 Menschen aus dem gesamten nordostdeutschen Raum als auch aus Hamburg und Berlin. Die Strecke des antifaschistisches Aufzuges war zeitweise sogar identisch mit der späteren Route des Neonazi-Aufmarsches. Zu Blockadeaktionen oder Ausbruchsversuchen kam es jedoch zunächst nicht. Offenbar sollte die Demonstration bis zum angemeldeten Endpunkt durchgeführt werden. So blieb die Lage zu nächst entspannt. Lediglich ein Fotoreporter, der sich neben der Demonstration aufhielt, wurde mehrfach intensiv durch die Polizei kontrolliert. Die Polizeimaßnahme gegen den Fotografen führte zeitweise auch zu einer Unterbrechung der Antifa-Demo, weil sich die Versammlungsteilnehmer_innen mit dem Journalisten solidarisierten.
Zu weiteren Spannungen kam es dann nach der Beendigung der antifaschistischen Demonstration. Mehrere ehemalige Versammlungsteilnehmer_innen versuchten offenbar in die Nähe des Bahnhofes, auf die Neonazi-Route, zu gelangen, wurden jedoch von der Bereitschaftspolizei zurückgedrängt. Ähnlich Szenarien wiederholten sich auch an anderen Stellen im Streckenbereich des Neonaziaufmarsches.
Vereinzelt gelang es jedoch einigen Antifas lautstark  in Hör- und Sichtweite zu den Nazis zu protestieren.
Dieses Recht war den Teilnehmer_innen der Kundgebungen von LINKE und GRÜNEN übrigens von Anfang an gewährt worden. Deren Protest war allerdings von Anfang an auch eher auf Symbolik ausgerichtet.
Die GRÜNEN hatten sich beispielsweise eine Tanzchoreografie mit Swing-Liebhaber_innen ausgedacht, um so offenbar an die Verfolgung dieser Musik während des Dritten Reiches zu erinnern.
Die LINKE zeigte sich hingegen entschlossener und blockierte mit einer Menschenkette zeitweise die Neonazi-Route direkt. Doch auch hier ging es offenbar hauptsächlich um Symbolik. Nach einer Ansage der Polizei wurde die Blockade freiwillig geräumt. Lediglich ein paar Musiker_innen ließen sich nicht beirren und musizierten auf der Straße weiter. Der Neonazi-Aufmarsch wurde jedoch später an ihnen vorbeigeführt.

 

Fotos (271):

https://www.flickr.com/photos/presseservice_rathenow/albums/721576674930...

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In Demmin hat sich deutlich gezeigt, wie sehr der Widerstand gegen den Naziaufmarsch zersplittert ist, leider.

So war die Blockade der LINKEN nicht nur freiwillig geräumt, sie wurde zuvor auch freiwillig durch die Polizei zugelassen: Es gab einen Deal, dass die LINKEn für 10 Minuten auf die Route gelassen werden und danach freiwillig wieder beiseite gehen. Das wurde auch gleich zu Beginn der "Blockade" durch die Polizei angesagt: 10 Minuten, danach ist Schluss. Die Musiker_innen haben das gewusst und genutzt; andere leider nicht.

Wäre es so schwer gewesen, diese Info zu bekommen; war dieser Deal so geheim? An dieser Stelle wäre mehr Austausch zwischen diesem inszenierten Parteien"widerstand" und autonomen Antifaschist*innen wirklich wünschenswert gewesen: Dann wäre der Deal nicht nur von einer Hand voll Musiker*innen genutzt worden sondern vielleicht auch von anderen Bezugsgruppen.

Klar, vermutlich wäre der "Deal" von der Polizei nicht umgesetzt worden, wenn sich schon vorher der gesamte schwarze Block auf der Mahnwache der LINKEn versammelt hätte. Aber die eine oder andere (vielleicht auch nicht offensichtliche) autonome Bezugsgruppe hätte sich da schon reinmischen können.

Nunja, möglicherweise folgt dann für nächste Jahr daraus die Lektion, vorher mal in die anderen Mahnwachen-Pläne hineinzuhorchen.

(Auch wenn ein neuer Deal/eine solche Inszenierung nach dem "Wortbruch" der autonomen Musiker*innen für das nächste Jahr eher unwahrscheinlich ist.)