Mit nationalem Sozialismus gegen die AfD?

Erstveröffentlicht: 
17.03.2016

Nach dem Durchmarsch AfD bei dem "Super-Wahlsonntag" wittern die national-sozialen Kräfte in der Linken Morgenluft

Das ging ja schnell. Schon am Wahlwochenende brachte sich die Co-Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Bundestag, Sahra Wagenknecht, in Stellung, um die Parteidebatte über die Konsequenzen aus den sich abzeichnenden erdrutschartigen Wahlsiegen der extremen Rechten zu prägen. Die Wahlerfolge der AfD in Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz gingen mit Niederlagen der Linkspartei einher, die kein einziges Wahlziel erreichen konnte.

 

Wagenknecht empfiehlt der Linkspartei schlicht, doch einfach etwas nach rechts zu rutschen und die Ressentiments zu übernehmen, die der AfD zu ihren Wahlsiegen verholfen haben. Es gebe "Kapazitätsgrenzen und Grenzen der Aufnahmebereitschaft der Bevölkerung", erklärte die Co-Fraktionsvorsitzende der Linkspartei, weshalb nun das Boot aber auch wirklich voll sei: "Es können nicht alle Flüchtlinge nach Deutschland kommen." Damit begab sich diese Führungsfigur der "Linken" ungefähr auf das Niveau derjenigen, die die Grenzen deswegen dichtmachen wollen, weil es auf der Welt zu viele Flüchtlinge gebe.

 

Wenige Tage später legte Wagenknecht noch mal nach. Merkels Flüchtlingspolitik habe in Deutschland ein Klima geschaffen, dass der AfD zum Wahlsieg verhalf, da hierdurch "Verunsicherung und Ängste" geschaffen wurden. Die Linkspartei habe sich hierbei von Merkels "mitverhaften" lassen, es gab "zu wenig Protest" seitens der Linken, da sich überdies eine "immer größere soziale Kluft" in Deutschland auftue. Die AfD habe es hingegen verstanden, sich als Protestpartei zu profilieren. Hier müsse ihre Partei "Konsequenzen ziehen" und "deutlich nachschärfen".

Offensichtlich will Wagenknecht die Linkspartei dazu bringen, ein schärferes national-soziales "Profil" zu entwickeln. Wieso aber die "Proteste" gegen die "immer größere soziale Kluft" in Deutschland die Form von Fremdenhass, Brandstiftungen und Rassismus annehmen, das konnte die Co-Fraktionsvorsitzende leider nicht mehr erläutern. Diese rechten Umtriebe ihrer Führungsfiguren bildeten ein offenes Geheimnis innerhalb der Linkspartei, das im Parteiumfeld kaum offen thematisiert werden kann. Das Ganze wurde bis vor kurzem einfach unter den Teppich gekehrt. Offenbar in der trügerischen Hoffnung, dass es sich an der Wahlurne schon auszahlen wird.

Rechts- und Linkspopulismus sind anschlussfähig

Denn neu sind die rechten Ausfälle der "linken" Spitzenpolitikerin nun wirklich nicht - sie haben den AfD-Chef von Brandenburg, Alexander Gauland, schon Ende 2014 dazu verleitet, Wagenknecht den Parteiübertritt zur AfD nahezulegen. Und tatsächlich scheint der nationale Sozialismus hier eine Art Familienprojekt zu sein. Wagenknecht verschärft mit diesen Bemerkungen den bereits vor Monaten gemeinsam mit ihrem Gatten Oskar Lafontaine eingeleiteten politischen Kurswechsel, bei dem das Führungsduo am braunen rechten Rand des politischen Spektrums im Trüben zu fischen versucht.

Mittels dieser sogenannten Querfrontstrategie, bei der rechtsextreme Ressentiments bedient und mit national-sozialer Rhetorik angereichert werden, wollen die "Linkspopulisten" (Tagesanzeiger) offensichtlich der extremen Rechten das Wasser abgraben, indem sie selber reaktionäre Positionen übernehmen. Die tragische Geschichte scheint sich hier tatsächlich als Komödie zu wiederholen: Die KPD hat in der Endphase der Weimarer Republik ebenfalls eine nationale Linie verfolgt, um der NSDAP Wähler streitig zu machen - mit dem bekannten Ergebnis.

 

Gegenüber dem Schweizer Tagesanzeiger machte Wagenknecht schon im Hebst 2015 klar, dass sie sich an ihrer Nähe zu "Rechtspopulisten" nun wirklich nicht störe. Ungefähr zu selber Zeit nahm Oskar Lafontaine gemeinsam mit Christoph Blocher von der rechten Schweizer Volkspartei in einem noblen Züricher Tagungszentrum an einer Diskussionsveranstaltung zum Thema "Soziale Gerechtigkeit" teil. Selbstverständlich waren diese querfrontlerischen Umtriebe des "linken" Führungsduos der Parteipresse der Linkspartei keine Meldung wert - sie wurden, solange es noch ging, unter den Teppich gekehrt.

Auch bei Oskar Lafontaine haben rechte Ausfälle durchaus Tradition, wie es nicht nur an seiner berüchtigten "Fremdarbeiterrede" deutlich wird. Wie anschlussfähig Rechts- und Linkspopulismus aufgrund derselben Prämissen sind, hat Oskar Lafontaine zusammen mit dem CSU-Renegaten Peter Gauweiler bei einer gemeinsamen kameradschaftlichen Veranstaltung im Sommer 2009 unter Beweis gestellt. Bei einem "skurrilen Wahlkampfauftritt" hätten sich Lafontaine und Gauweiler die Bälle zugespielt und links und rechts durcheinandergewirbelt, resümierte Spiegel Online.

Ihre ersten großen Vorstoß haben die nationalen Sozialisten in der Linkspartei Anfang 2016 unternommen, als Wagenknecht im Gefolge der massenhaften sexistischen Übergriffe in Köln Flüchtlingen das "Gastrecht" verweigern wollte. Erst nach diesem offenen Vorstoß Wagenknechts sahen sich Teile der Linkspartei - hier vor allem die Parteivorsitzende Katja Kipping - genötigt, diese offen zu kritisieren.

 

Viel Lob für diesen Vorstoß gab es hingegen von der AfD. Er freue sich, erklärte etwa Alexander Gauland, "dass die Linke dies nun genauso wie die AfD sieht". Doch schon damals erhielt Wagenknecht auch Unterstützung von etlichen national gesinnten Genossen:

 

Partei für Wagenknecht ergriffen in der Runde der Erzürnten gerade mal sechs Parlamentarier. Der nordrhein-westfälische Linksaußen Alexander Neu. Der verlässlich gegen den Strom schwimmende Musikproduzent Diether Dehm. Der hemdsärmlige Gewerkschafter Klaus Ernst. Der Ex-Kommunist Wolfgang Gehrcke. Der einstige Verdi-Funktionär Michael Schlecht. Und der sächsische Realo Michael Leutert.

Vor allem Dieter Dehm hat sich um den nationalen Sozialismus bereits sehr verdient gemacht, etwa als er öffentlich die berüchtigten "Montagsdemos" und Mahnwachen unterstützte, die neben einer verschwommenen Friedensbotschaft die Überwindung des politischen Denkens in den Kategorien von "Rechts" und "Links" propagieren (Gemeinsam gegen Rothschild?). Bei den Montagsdemos trafen sich im Sommer 2014 wirre Verschwörungstheoretiker, rechte "Reichsbürger" und orthodoxe Linke, um mit taktischer Unterstützung von Teilen der Linken die Querfront gegen Krieg, Finanzkapital und Sozialabbau zu üben.

Diese "Montagsdemos" und Mahnwachen bildeten dabei den organisatorisch-praktischen Durchlauferhitzer, aus dem dann PEGIDA und die offen faschistische deutsche Rechte hervorgehen sollte. Die Querfrontstrategie der "Mahnwachen-Bewegung" bildete die Initialzündung für eine offen faschistische Massenbewegung auf Deutschlands Straßen, anstatt der Rechten das Wasser abzugraben. Mitunter sind diese beiden ressentimentgeladenen Protestbewegungen in etlichen Städten tatsächlich ineinander übergegangen, oder die Anhängerschaft der Montagsdemos ist zu PEGIDA und Co. übergelaufen. Die an den Montagsdemos beteiligten "Linken" fungierten als Geburtshelfer der extremistischen Rechten.

Dies gilt nicht nur auf der praktischen, sondern auch auf der ideologischen Ebene. Die einseitige Finanzmarktkritik von Wagenknecht/Lafontaine, bei der die gierigen Banker zu den Schuldigen für die gegenwärtige Systemkrise erklärt werden, ist genauso verheerend wie der Antiamerikanismus, der in diesen Kreisen gepflegt wird - und der Deutschland zu einem Opfer der USA imaginiert.

Die deutsche Krisenideologie

Damit diente dieses Spektrum der Linkspartei letztendlich als Stichwortgeber für den nun aufkommenden Neo-Nationalsozialismus, der evident eine dezidiert deutsche Form der Krisenideologie bildet. So wie im arabischen Raum der Islamismus krisenbedingt um sich greift und in den USA irre Milliardäre einen Massenzulauf verzeichnen, so scheinen große Teile der "Mitte" in der Bundesrepublik zu Nazis zu werden, sobald die Krise sich in dem Land offen manifestiert - bislang ja nur in der Form von Flüchtlingen (Nicht auszudenken, was hierzulande los sein wird, wenn der nächste Krisenschub einen Wirtschaftseinbruch wie in Südeuropa auslöst). Der Nationalsozialismus, das illusorische Bündnis zwischen Mob und Elite, bei dem umfassende soziale Absicherung nur den "Volksgenossen" zukommen soll, ist die deutsche Form kapitalistischer Krisenideologie (als Praxis ist dies natürlich ein Hirngespinst wie alle Krisenideologien. Hier ist der Begriff des "Nationalsozialismus" ein Oxymoron, wie es ja auch das Programm der AfD offenbart).

Das heißt natürlich nicht, dass nun Lafontaine, Wagenknecht oder Dehm verkappte "Nazis" wären. Sie sind es nicht. Sie sind aber auf einer schiefen, nach rechts abfallenden Ebene, die sie im weiteren Krisenverlauf noch weiter in ideologische Verblendung treiben könnte. Und sie haben - dies ist ihre historische Verantwortung - dem neuen deutschen Rechtsextremismus durch ihre Ideologie und Praxis bei seinem abermaligen gesellschaftlichen Durchbruch unwissentlich Schützenhilfe geleistet. Dabei ist dieser nationale Flügel der Linkspartei nur Avantgarde einer neuen extremistischen "Normalität" in der BRD, denn offensichtlich existieren im öffentlichen Diskurs der Bundesrepublik längst keine Nazis mehr, sondern nur noch besorgte Bürger und Asylkritiker - die höchstens mal Frauen und Kinder an den Landesgrenzen erschießen wollen.

 

Dieses totale Desaster hätte eigentlich zu kritischen Reflexionen bei den verantwortlichen Linksparteipolitikern führen müssen, doch stattdessen ist jetzt die Tendenz zu beobachten, den eingeschlagenen Kurs noch zu verschärfen. Und bislang wurden diese evidenten, von "Linken" betriebenen Querfronttendenzen kaum innerhalb der Linkspartei thematisiert. Wenn Mensch das Stichwort "Querfront" im Archiv des Parteiblattes "Neues Deutschland" eintippt, dann fördert diese Suche nicht einen selbstkritischen Text zutage. Stattdessen ist dort ein Artikel des Querfrontlers Dieter Dehm zu finden, der seine desaströse politische Linie mit dem Verweis darauf verteidigen darf, dass er "die Ängste kleiner Leute ernst" nehme.

 

Und genau das tut der pseudolinke Populismus innerhalb der Linkspartei gerade nicht. Er bestätigt die Ressentiments der "kleinen Leute", die im Angesicht der unverstandenen, sich mit aller Kraft entfaltenden Systemkrise allen Grund haben, ängstlich zu sein. Ein Idiot oder Soziopath, der angesichts der kommenden Umbrüche keine Angst hat. Die nationale Linke innerhalb der Linkspartei wiegt aber die "kleinen Leute" gerade in der Illusion, als ob alles beim Alten bleiben könne, als ob man die Grenzen wieder schließen und zur kapitalistischen Nachkriegsprosperität zurückkehren könne, anstatt sie mit der offensichtlichen Wahrheit zu konfrontieren: dass nichts so bleiben wird, wie es ist. Was sich nun mit aller systemischen Gewalt stellt, ist somit nicht die "nationale Frage", es ist auch nicht "soziale Frage", die in der gegenwärtigen Systemkrise ohnehin nicht gelöst werden kann, sondern die Systemfrage.

Zeige Kommentare: ausgeklappt | moderiert