Würzburg – "Das Amtsgericht bin ich!" (Presseerklärung zu einem aktuellen Prozess)

Politische Verfolgung hat Tradition

Uns bleibt keine Option als eine mediale Richtigstellung zu den Vorkommnissen an diesem Mittwoch. Am 9.12.2015 wurde ein junger Antirassist vor das Amtsgericht Würzburg gestellt. Ihm wird vorgeworfen, einen Bundespolizisten am 10.04.2015 in Bahnhofsnähe in Würzburg mit „Du Rassist!“ beleidigt zu haben.

 

Uns bleibt keine Option als eine mediale Richtigstellung zu den Vorkommnissen an diesem Mittwoch. Am 9.12.2015 wurde ein junger Antirassist vor das Amtsgericht Würzburg gestellt. Ihm wird vorgeworfen, einen Bundespolizisten am 10.04.2015 in Bahnhofsnähe in Würzburg mit „Du Rassist!“ beleidigt zu haben. Hintergrund war hierbei eine Polizeikontrolle gegen aus Somalia stammende Menschen, die sich im Zeitraum der europaweiten Polizeioperation „Amberlight“ abspielte und deshalb in diesem Kontext betrachtet werden muss. „Amberlight“ hatte die Intention, Menschen ohne Aufenthaltsgenehmigung an Verkehrsknotenpunkten aufzugreifen, um sie aus Deutschland/Europa abzuschieben. Bei solchen polizeilichen Maßnahmen gegen Geflüchtete kommt es immer zum sogenannten „Racial Profiling“, also der gezielten Kontrolle von Dunkelhäutigen. Dass dies gegen das Diskriminierungsverbot verstößt, wird dabei leider regelmäßig missachtet. Wird „Racial Profiling“ angewandt, so handelt es sich zweifelsohne um eine diskriminierende Maßnahme, deren einziger Verdachtsbeleg die Hautfarbe darstellt. Nachdem der engagierte Antirassist mit anderen eine Zeit lang der Polizeikontrolle zusah, mischte er sich ein, als die verunsicherten Somalier es nicht schafften –wie verlangt- einen Koffer zu öffnen, der Ton der Bundespolizei schroffer wurde und eine somalische Frau schließlich anfing zu weinen. Auch gab es nach Aussagen der Anwesenden Verständigungsprobleme zwischen Polizei und Kontrollierten, sowie die Forderung der Polizei, die Aufenthaltsgenehmigungen zu überprüfen. Nach der Aussage „Das ist eine rassistische Polizeikontrolle“ wurden Personalien des späteren Angeklagten verlangt und schon wenige Tage später erfuhr dieser, dass er wegen „Beleidigung“ angezeigt wurde. In dieser war allerdings nicht von der Tatsachenfeststellung („rassistische Kontrolle“), sondern auch von der angeblichen Bezeichnung „Du Rassist!“, die Rede.

 

Beim Prozess am 09.12. befanden sich viele Zuschauer im Gerichtssaal und bei der zeitgleich in der Nähe des Gerichtgebäudes stattfindenden Solidaritätskundgebung. Der Angeklagte betonte seinen Standpunkt und seine Intention des Einschreitens, wobei er sich als aktiven Antirassisten bekannte. Auch die Operation „Amberlight“ wurde hierbei erwähnt. Der Richter für diesen Prozess, Herr Behl, merkte dazu an, die Feststellung illegalen Aufenthalts sei Teil des polizeilichen Aufgabengebiets, und verglich die Fahndung nach illegalisierten Flüchtlingen mit der Fahndung nach Schwerkriminellen wie Einbrecherbanden. Ein durch und durch geschmackloser Vergleich, wie viele im Zuschauerraum fanden. Der recht autoritäre Richter profilierte sich anfangs noch in der Rolle des Unparteiischen und erklärte, man würde ja im Lauf der Verhandlung erkennen können, wie das im April am Bahnhof gewesen sei. Jedoch hatte es schon von Anfang an den Anschein, dass er den zwei Zeugen der Bundespolizei mehr glaubte als dem Angeklagten. Diese bestritten natürlich eine Polizeikontrolle nach „Racial Profiling“-Muster, genauso wie sie bestritten, überhaupt je etwas von der Operation „Amberlight“ gehört zu haben. Für Angehörige der Bundespolizei, die für Kontrollen an den Orten eben dieser Operation, nämlich u.a. Bahnhöfen, zuständig sind, erscheint dies als eine dreiste Lüge. Herr Richter Behl zweifelte natürlich nicht an dem Wahrheitsgehalt der zwei Staatsdiener und fand auch die Feststellung des Rechtsanwaltes irrelevant, dass die zwei Polizist*innen gegenseitig ihre schriftlichen Aussagen aufgenommen hatten. Auch die Sprachbarrieren und den psychisch labilen Zustand der kontrollierten Somalier*innen bestritten sie. Die Frau habe nicht geweint, wäre aber eventuell „aufgebracht“ gewesen, so die eine Zeugin; die Frau wäre ganz „ruhig“ gewesen, so der andere Zeuge. Recht widersprüchliche Schilderung dieses Details, was aber kein weiteres Interesse beim Richter weckte. Auch uninteressant fand er es, als durch intensives Nachfragen der Verteidigung herauskam, dass noch ein Polizeipraktikant vor Ort Zeuge war, der in keiner Aussage und Akte erwähnt wurde. Dass die Polizei diesen nicht als Zeugen in die Ermittlungen einschaltete, lässt genauso Interpretationsspielraum zu wie die Frage, warum die kontrollierten Somalier*innen nicht selbst als Zeug*innen eingebunden wurden. Nach Befragungen der zwei Beamt*innen hielt der Richter kurz inne und machte dem Rechtsanwalt ein groteskes Angebot. Eigentlich ständen jetzt die Aussagen der Entlastungszeugen an, nämlich der Gruppe, die auch vor Ort war. Er riet dem Rechtsanwalt, sich auf einen "Härteausgleich" einzulassen. Ohne einen einzigen der fünf Entlastungszeugen gehört zu haben, sagte er, ein Freispruch läge ja wohl "nicht in der Luft", und bei einer Aussage der Entlastungszeugen wären weitere Instanzen und Folgeprozesse, auch wegen eventueller Falschaussage, wohl unvermeidlich. Mit "dreißigjähriger Erfahrung" wisse er bereits jetzt, wo der "Prozess hinführen werde", da er ganz offensichtlich den Polizeibeamt*innen mehr Glauben schenkte. Wohl hoffte er durch die Androhung von Folgeverfahren auf einen vom Rechtsanwalt gebilligten Abbruch. Der Rechtsanwalt weigerte sich, auf dieses Angebot einzugehen und verwies auf ein Urteil des OLG Frankfurt, nach dem es zulässig sei, eine Polizeimaßnahme mit beleidigendem Vokabular zu beschreiben, solange die Polizeibeamt*innen nicht persönlich beleidigt würden. Genau das sei hier der Fall, weshalb der Ausgang des Prozesses nicht bereits vor den Aussagen der Entlastungszeugen vorwegzunehmen sei. Herr Behl lehnte diesen Vergleich mit dem Verweis darauf ab, dass hier "bayerisches Recht" gelte, und daher Entscheidungen des OLG Frankfurt "hier am Amtsgericht Würzburg" nicht relevant seien. Aufgrund des bundesweit einheitlich gültigen Strafgesetzbuches stellt dies eine äußerst gewagte Aussage dar. Allgemein verschärfte sich Herr Behls autoritärer und schroffer Ton, als er merkte, dass er den Anwalt nicht überzeugen konnte und der Angeklagte nun Entlastungsaussagen erhalten würde. Dass ihm das Frankfurter Urteil nicht interessiere unterstrich er mit der absurden Behauptung: „Das Amtsgericht bin ich!“

 

Es kam zu der Zeugenbefragung des ersten von fünf Entlastungszeugen. Die Befragung verlief erheblich aggressiver als die der Polizist*innen zuvor. So wurde der Zeuge mehrfach vom Richter aufgefordert, doch Teile des Gesprächs zwischen dem Angeklagten und dem vermeintlich beleidigten Polizisten nach mehreren Monaten wörtlich wiederzugeben. Sonst sei die Aussage nicht zu verwerten. Der Zeuge bestätigte, er sei sich absolut sicher, der Angeklagte habe den Polizisten nicht mit "Rassist" oder "Du Rassist" betitelt. Der Angeklagte sei im Gegenteil angesichts der Situation besonnen vorgegangen und habe seine Worte überlegt gewählt. Den erneuten Hinweis auf die Polizeiaktion Amberlight 2015 wurde von Herrn Behl mit der Begründung abgewiesen, der Zeuge habe von dieser durch die Presse erfahren, die auch über ihn (d.h. Herrn Behl) bereits viel Falsches geschrieben habe. Als Anmerkung sei hier zu nennen, dass gegen Herrn Behl 2014 ein dienstaufsichtsrechtliches Verfahren wegen des Verdachts auf Vetternwirtschaft eingeleitet wurde. Durch diesen persönlichen, anscheinend negativen Bezug zur Presse hielt er bereits die Existenz dieser Polizeiaktion für nicht gesichert, geschweige denn deren Inhalt. („Glauben sie nicht alles was in der Presse steht.“) Die Bemühungen des Zeugen, sich zur Sache zu äußern, wurden dann wieder durch Herrn Behl unterbrochen, der unvermittelt und lautstark bekannt gab, er sei der Überzeugung, dass die schriftliche Aussage des Zeugen nicht von diesem, sondern vom Angeklagten verfasst worden sei (O-Ton Behl: "Ich sag nämlich der Angeklagte hat das geschrieben!"). Schließlich sei sie "auf demselben Papier", gemeint ist gelbes Papier, und auch auf „derselben Schreibmaschine“, gemeint ist wahrscheinlich die ähnliche Schriftart, geschrieben worden. Als sowohl der Zeuge als auch der Angeklagte diesen wiederholten Versuch der Einschüchterung energisch zurückwiesen, und der Zeuge fragte, ob seine Aussage überhaupt ernst genommen werde, drohte Herr Behl beiden Ordnungsgelder an. („Wenn Sie sich weiter so ungebührlich verhalten, dann kriegen Sie ein Ordnungsgeld, dass es raucht.“) Er bezeichnete dabei den Zeugen fälschlicherweise mehrfach als "Angeklagten", was wohl Ausdruck eines sehr speziellen Gedankenganges war. Im Zuge der Unterstellungen und des äußerst strengen Auftretens des Richters verfiel der Gerichtssaal -neben Zeuge und Angeklagten auch das Publikum- in Unruhe und es kam zu entrüstenden Äußerungen, nach denen Herr Behl alle aus dem Saal verwies, bei denen er glaubte, dass sie solidarisch mit dem Angeklagten seien. Da fast alle Anwesenden dem nicht nachkamen, wurden Justizbeamt*innen zur Räumung herbeigezogen, wodurch sich das Publikum doch noch für einen freiwilligen Abzug entschloss. Die freundliche Frage eines Protokollanten, warum auch er gehen müsse, da er nicht zur Unruhe beigetragen habe, beantwortete Herr Behl: „Weil ich das sage!“ Bis auf drei Anwesende, die nicht zum jugendlichen Publikum gehörten, wurde der komplette Sitzungssaal geleert. Da Richter und Staatsanwalt wohl doch sehr überrascht vom Verlauf der Sitzung waren, rief Herr Behl kurz darauf alle restlichen Entlastungszeugen gleichzeitig in den Saal und verkündete, dass der Prozess auf weiteres aufgeschoben sei.

 

Was sich am 9.12. im Amtsgericht Würzburg abspielte, empfinden wir als so ungerecht und inakzeptabel, dass wir diesen Fall öffentlich machen wollen. Wir möchten auch hiermit eine Gegendarstellung zur bisherigen Berichterstattung liefern. Es scheint offensichtlich zu sein, wie voreingenommen der Richter von Beginn an war. Der Aussage von zwei Polizist*innen wird vor dem Würzburger Gericht mehr Qualität zugeschrieben als der Aussage von fünf Entlastungszeugen. Dass Aussage gegen Aussage „im Zweifel für den Angeklagten“ zu Freispruch führen kann, beziehungsweise sollte, interessiert einen bayerischen Richter nicht, auch nicht bei einer „kleinen Sache“ wie vermeintlicher Beleidigung. Höhepunkt der Dreistigkeit bildet wohl die Unterstellung, der Angeklagte habe für den oder die Zeugen die Aussagen geschrieben, da es hierfür keinen ernsthaften Anhaltspunkt gibt. Auch sind wir der Meinung, dass der strikt autoritäre Ton des Richters Behl eine Unzumutbarkeit darstellt und kritische Stimmen, vor allem wenn sie politisch motiviert sind, mundtot machen will. In diesem Sinne kann man den Fall wohl als gutes Beispiel eines „politischen Prozesses“ sehen, bei dem Zivilcourage als „Störung“ ausgelegt und die Feststellung, es handele sich um eine rassistische Kontrolle, als „Beleidigung“ umgedeutet wird.

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