Szenekritik: Auf zu neuen Wegen!

queer it_up

Am 11. Oktober 2015 fand in Stuttgart die sechste „Demo für alle“ statt. Zwar waren diesmal mehr Menschen an den Gegenprotesten beteiligt als beim letzten Mal, trotzdem lag das Verhältnis von Beteiligten an der homophoben Demonstration zum Gegenprotest ungefähr bei 10:1. Die antifaschistsische Mobilisierung in Stuttgart als auch von außerhalb nach Stuttgart war offenbar nicht sonderlich erfolgreich. Wie mobilisiert wurde, mag hier auch eine Rolle gespielt haben.

Dass über eine gewissen linken Szene-Kern hinaus eher wenige Menschen mobilisiert werden konnten, hat sicherlich sehr unterschiedliche Gründe. Einer dieser Gründe soll im Folgenden an einem Beispiel einmal etwas verdeutlicht werden.

 

Kurz vor dem 11. Oktober wurde auf Indymedia Linksunten ein Mobilisierunsvideo beworben, was in seiner Aufmachung in gewisser Weise symptomatisch sein dürfte. Auf ihm sind mehrere Personen in 'autonomen battledress' zu sehen, die im Dunklen herumrennen und auf einer Brücke ein Transparent zeigen, Pyro-Technik abbrennen und kleine rote Handfahnen schwenken. Vermutlich soll das Mobi-Video 'militant', 'hip' und 'cool' wirken. Entlehnt ist es dem üblichen Antifamobivideo-Drehbuch gegen klassische Nazi-Aufmärsche. Derlei Videos existieren dutzendfach.

 

Sicher war das Mobi-Video gut gemeint, aber es ist fraglich, ob es irgendeinen positiven Effekt hatte. Wer sollte denn damit genau mobilisiert werden? Die linksradikale Szene? Die geht auch ohne solche Videos nach Stuttgart, wenn sie es wichtig findet. In der normalen Bevölkerung außerhalb der radikalen Linken wirken solche Videos dagegen ziemlich abschreckend. Es bleibt nur zu hoffen, dass es außerhalb der Indymedia-Leser*innenschaft kaum Verbreitung gefunden hat, was in Zeiten des Web 2.0 aber nicht sein muss. Durch Verlinkung können solche Videos auch schnell anderswo die Runde machen.

Es ist jedenfalls fraglich, ob solche Videos wirklich mehr Menschen mobilisieren als abschrecken. Gerade bei diesem Thema wäre etwas mehr Kreativität angebracht gewesen. Die Selbstinszenierung als eine Art Antifas im Stil von Fußball-UIltras wirkt – sorry, aber das muss einfach mal an dieser Stelle gesagt werden – eher peinlich und ziemlich selbstbezogen.

 

Wenn gegen die „Demo für alle“ wie gegen klassische nazi-Aufmärsche mobilisiert wird, dann offenbart das auch eine gewisse Hilflosigkeit. Denn hier kann offenbar nicht mehr zwischen genuinen Nazi-Aufmärschen und rechtspopulistischen oder christlich-fundamentalistischen Demonstrationen mit starker Normalbürger-Beteiligung unterschieden werden. Bei den „Demos für alle“ sind im Gegensatz zu reinen Neonazi-Aufmärschen weniger NS-Fans, weniger Schläger, stattdessen aber viele MigrantInnen und viele Familien mit Kindern zu finden. Das sind wichtige Unterschiede, die sowohl die Analyse als auch die Wahl der Mittel beeinflussen sollten. Schon die bei den letzten Malen gerufene Parolen wie „Nazis raus!“ zeugen weder von Kreativität noch von einer guten Analyse. Streng genommen sind nur eine Minderheit der Homophoben Neonazis. Daher solten auch mal andere Sprüche als „Nazis raus!“ gerufen werden. Hier eine Auswahl.

 

Das 1001. Mobi-Video mit Transpi, Hasskappen-Vermummung und Bengalos, sowie markigen Parolen erscheint nicht sonderlich kreativ. Es steht damit auch symptomatisch für das Abhandenkommen von Kreativität in großen Teilen der Antifa. Das Aktions-Repertoire beschränkt sich zumeist auf das 'traditionelle' Instrumentarium der Antifa, d.h. Demo, Kundgebung und vielleicht am Ende noch eine Sponti.

Es wird kaum noch der Sinn dieses beschränkten Repertoire hinterfragt. Was kann ich mit einer Kundgebung erreichen? Was nicht? Diese Fragen sollten aber vor einer Aktion unbedingt erörtert werden.

So dient das eigene Auftreten eher der eigenen Selbstvergewisserung und der Selbstbefriedigung im Sinne von „ich hab ja etwas getan“. Der ernst gemeinte Anspruch auf Intervention in der Gesellschaft verpufft so in der Realität.

Ziel muss es aber sein etwas zu erreichen und nicht sich ihre/seine Bestätigung abzuholen, dass die Polizei böse ist und gerne auch einmal den Knüppel einsetzt, indem am Ende noch eine Spontan-Demo ohne Ziel und Sinn veranstaltet wird.

 

Außerdem sollte einmal das eigene Aktions-Repertoire auf seinen Nutzen geprüft werden. Es ist zwar nur eine Vermutung, aber die Beschränkung des Repertoires könnte auch mit den Selbstinszenierungen und Szene-Identitäten zu tun haben. Wer sich selbst gerne als 'hip', 'cool' und militant inszeniert, die/der möchte dieses Image nicht durch Aktionsformen zerstören, die als 'zu Hippie' gelten. Wenn die schwarz Vermummten in dem Mobi-Video pinke Masken getragen hätten, mit Glitzer geworfen und statt Handfahnen Klobürsten geschwenkt hätten, dann wäre diese Selbstinszenierung wirkungsvoll durchbrochen worden.

 

Was ist zu tun? Ein Teil der Antifa sollte bei solchen Selbstinszenierungen einmal ihr Auftreten und Außenbild kritischer reflektieren.

Zwar werden durch die derzeit vorherrschende Selbstinszenierung immer wieder mehrheitlich junge, männlich-heterosexuell sozialisierte Personen angesprochen, aber viele nicht männlich-heterosexuell sozialisierte oder lebende Personen fühlen sich vom Militanz-Gehabe, nicht zwingend, aber doch häufig genug genervt und abgeschreckt.

Ursprünglich war z.B. der schwarze Kapuzen-Pulli einmal ein Mittel gegen Repression auf Demonstrationen, heute ist er Bestandteil einer festen Szene-Identität geworden. Deswegen müssen die eigenen Rollenbilder und Selbstinszenierungen mehr reflektiert und hinterfragt werden.

Der 'coole' Antifa sollte sich nicht zu schade sein, auch mal den Demo-Clown zu spielen. Ansonsten bleibt Antifa weitgehend nichts anderes als eine boygroup.

 

Es soll noch einmal auf ein anderes Mobi-Video als Positivbeispiel hingewiesen werden: "Kinder - und warum Liebe kein Grund zur Sorge ist".

Hier gibt es überhaupt keine Selbstinszenierung, sondern eine ästhetisch schön verpackte Botschaft. In der normalen Bevölkerung, deren progressiv eingestellten Teile gegen die „Demo für alle“, mobilisiert werden müssten, dürften solche Videos weitaus mehr Anklang finden. Wenn gezielter über den Szene-Tellerrand hinaus mobilisiert werden würde, dann steht auch zu hoffen, dass beim nächsten Mal mehr Menschen auf die Straße gehen um den homophoben Horden etwas entgegen zu setzen.

Wenn dann auch die Konzepte kreativer werden, bestehen bessere Chancen darauf die „Demo für alle“ effektiver zu stören.

 

Für eine Pinkifizierung des schwarzen Blocks!

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ob mensch mit pink mehr leute mobilisieren kann als mit schwarz wage ich zu bezweifeln. richtig jedoch ist, dass das männliche geschlecht oftmals überrepräsentiert  ist...

"Das 1001. Mobi-Video mit Transpi, Hasskappen-Vermummung und Bengalos, sowie markigen Parolen erscheint nicht sonderlich kreativ. Es steht damit auch symptomatisch für das Abhandenkommen von Kreativität in großen Teilen der Antifa. Das Aktions-Repertoire beschränkt sich zumeist auf das 'traditionelle' Instrumentarium der Antifa, d.h. Demo, Kundgebung und vielleicht am Ende noch eine Sponti."

Aha und wenn man andere , "witzigere" Parolen ruft ist das dann natürlich unglaublich kreativ und eine völlig neue Aktionsform? Grade bei der Demo für Alle ist es wichtig zu zeigen das es eben nicht "normal" ist reaktionären Hetzern zu folgen. Ideologisch haben die Demonstrienden der Demo für Alle eben sehr viel mit organisierten Faschos gemein, deshalb laufen diese ja auch mit. Nazis sind als Nazis zu behandeln , egal ob sie CDU , AfD oder NPD wählen. Deine Hoffnung , mit einer "kreativeren" Mobilisierung könne man die Demo für Alle beim nächsten mal effektiver stören teile ich nicht. Schon letztes mal ist einmal "kämpferisch" und einmal für die "progressiv eingstellten Teile der Normalbevölkerung" mobilisiert worden. Letztere haben sich damit begnügt irgendwo in der Stadt ein Kundgebung für Tolleranz abzuhalten anstatt sich den Nazis in den Weg zu stellen. Der Protest gegen die Demo für Alle muss so massiv werden, dass es sich CDU-Familienväter zwei Mal überlegen ob sie da wirklich noch hinwollen, sonst haben wir in Stuttgart bald Dresdner Zustände.

Mehr Militanz wagen!

die "CDU-Familienväter" können selbst gern mal ziemlich aggro werden, ob mit oder ohne Provokation.

 

Am Rande des letzten AfD-Kackhaufens in Berlin wollten uns einige Herren mittleren bis fortgeschrittenen Alters ans Leder. Und wir hatten in dem Fall tatsächlich nichts gemacht, außer ein paar Parolen zu rufen. So richtig aggro von null auf hundert.

 

Man sollte sich also durchaus bewusst sein, dass sich dort ein nicht zu unterschätzendes Gewaltpotential zusammenballt. Das wohlgemerkt von der sympathisierenden Staatsgewalt kaum gebändigt wird.

 

Es ist also in mehrerlei Hinsicht fraglich, ob man den Mob durch militante Aktionen anstacheln sollte. Wohlgemerkt - ich will nicht dem Appeasement das Wort reden. Aber man sollte sich schon überlegen, was man durch ein paar platt gehauene Nazibürger errreicht und was nicht.

 

Gerade in Dresden, auf das viele gern herabschauen, wurde anfangs versucht, Pegida wie einen normalen Naziaufmarsch zu behandeln. Was möglicherwiese auch dazu beitrug, dass dort massenweise rechtsoffene Hools hingingen, die normalerweise auf Szene-Demos von NPD und Co. nicht zu sehen waren.

 

Und man sollte auch nicht vergessen, wann es bei linken Großaktionen wie in Gorleben, Broxdorf usw. richtig abging - das war als sich dort zehntausende "Normalos" versammelten und die Bullen trotzdem reinknüppelten. Da entlud sich dann häufig ein Gewaltpotential, das das rein-linker (autonomer) Großdemonstrationen oftmals deutlich überstieg.

Du schreibst richtig das die"normalos" auf rechten demos im grunde genauso scheisse sind wie ihre organisierten geistesbrüder. Warum also sollte man sie anders behandeln, grade wenn sie antifaschisten unprovoziert angreifen. Jeder angriff auf faschisten ist immer vorallem selbstverteidigung. In stuttgart sind bei den DfA demos schon lange hools dabei , da müssen wir garnichts zu beitragen oder anstacheln. Linke Grossaktionen? Ja gerne aber dann auch mit einem ehrlichen und explizit nicht bürgerlichen ansatz , denn dem nazimob muss man sich entschlossen entgegenstellen sonst ist jeder protest sinnlos.

.....die kritik an den immer selben blackblock-videos teile ich. mensch sollte sich aber egal aus welcher ecke der radikalen linken man kommt, generell mehr gedanken um die aussenwirkung seines auftretens machen

wie man es schafft so einen langen text zu einem in der vielfältigkeit der aktionen gegen die "demo für alle" recht unbedeutenden mobivideo zu schreiben erschließt sich mir nicht. die anderen aktionen dagegen bleiben gänzlich unerwähnt, wie auch dass der einen organisatorin das auto des familienbetriebs sowie sogar ein gebäudeteil abgefackelt wurde.

 

auto von rechter demoanmelderin abgefackelt:

https://linksunten.indymedia.org/de/node/157746

genau das meinte Queer-Aktivist doch. Solche Aufrufe und Aktionen sorgen nicht dafür das Leute von außerhalb der Linksradikalen Szene bei Gegendemonstrationen mitmachen. Wer will schon mit Vermummten Gestalten und Brandstiftern gemeinsame Sache machen ?

 

Vor allem wenn dann die andere Seite als Familiendemo rüberkommt bei der ein hoher Frauenanteil, keine Vermumung, bunte Luftballons und viele Kinder/Rentner  rumlaufen. Mensch kann eine Demo die wie ein Familienspaziergang daherkommt natürlich auch wie ne Hogesa Demonstration behandeln. Dadurch stellt Mensch sich aber als ziehmliches Arschloch in der öffentlichen Meinung dar. Das hilft der Demo für alle dann eher noch..

"Zwar werden durch die derzeit vorherrschende Selbstinszenierung immer wieder mehrheitlich junge, männlich-heterosexuell sozialisierte Personen angesprochen, aber viele nicht männlich-heterosexuell sozialisierte oder lebende Personen fühlen sich vom Militanz-Gehabe, nicht zwingend, aber doch häufig genug genervt und abgeschreckt."

 

Was für ein Schubladendenken. Es waren vor mehr als 80 Jahren vorwiegend männlich-homosexuell oder weiblich-heterosexuell sozialisierte Personen, die so gar nicht vom Militanz-Gehabe der Nationalsozialisten abgeschreckt waren. Noch heute sind in der Schwulenszene NS- und Uniformfetische weit verbreitet und bis vor wenigen Jahren haben Fantifagruppen auch einen Militanzfetisch zelebriert. Die Gegenüberstellung von männlich-heterosexuell = Militanzgehabe vs. weiblich bzw. homosexuell = Blumenkinder trägt nicht. Zumal auch nicht ersichtlich ist, warum sich unter den Kapuzenpullis keine Schwulen befinden. Laut LSVD sind zwischen "2,7 und 1,1 %" der Männer homosexuell. In allen Antifagruppen, die ich kannte, waren es deutlich mehr.

In Antifagruppen sind meistens nur zwischen 20 % und 30 % der Mitglieder weiblich. Frauen engagieren sich dafür eher feministischen oder karitativen Gruppen, wo es entsprechend nur wenige Männer gibt. Das aber negativ mit der Militanz in Antifagruppen zu erklären und nicht positiv mit Gründen, die für dieses Engagement sprechen, ist weder plausibel, noch wird es den Frauen gerecht: Als wenn sie ihr Handeln nur von dem der Männer abhängig machen würden.

Word!!!

Guter Beitrag!

"Wenn die schwarz Vermummten in dem Mobi-Video pinke Masken getragen hätten, mit Glitzer geworfen und statt Handfahnen Klobürsten geschwenkt hätten, dann wäre diese Selbstinszenierung wirkungsvoll durchbrochen worden."

 

Geeeenaauuu, als wäre dieser peinliche Queer-Trip auf dem manche der sich serlbst als "linksradikal" verstehenden Leute gerade hängen geblieben sind, nicht gleichermaßen identitär. Und während ihr zwar Recht damit habt, dass das "Black Bloc"-gehabe für viele auch mehr Profilierungsaspekt ist, als alles andere, existiert hier halt wenigstens noch das pragmatische Moment.

 

Sorry, aber wer mit Einhornkostümen zu Naziaufmärschen geht, soll sich halt verpissen und die Zeit eventuell lieber nutzen, sich ein wenig in materialistische Gesellschaftskritik einzulesen - dann würde vielleicht mal auffallen, dass sich Queertheorie und kommunistische Kritik nicht vereinen lassen.

Kannst du die unvereinbarkeit vielleicht aufzeigen?

Die Theorie des Poststrukturalismus steht jeglicher materialistischen Kritischen Theorie insofern diametral entgegen, als dass sie das Sein als den Ausgangspunkt jeglichen Bewusstseins letztlich negiert. Ein sehr gängiges Beispiel dafür dürfte das Konzept des "Sprachhandelns" von Judith Butler sein, welches impliziert, dass sich das Materielle, also das Sein, dem Ideellen, dem Bewusstsein unterstellen ließe. Der Widerspruch lässt sich auch an der Negation jeglicher Natur durch Poststrukturalistische Theoretiker festmachen. "You were born naked and everything else is drag" wird durch mantraartiges wiederholen nicht wahrer, passend, der obligatorische Adorno: "Das Feste dem Chaotischen entgegenzusetzen und Natur zu beherrschen, wäre nie gelungen ohne ein Moment des Festen am beherrschten, das sonst ohne Unterlaß das Subjekt lügen strafte. Jenes Moment skeptisch ganz abzustreiten und es einzig im Subjekt zu lokalisieren, ist nicht minder dessen Hybris, als wenn es die Schemata begrifflicher Ordnung hypostasierte." Das Poststrukturalistische Konzept, alle objektive Wahrheit abzustreiten und auf Subjektivität herunterzubrechen, lässt sich damit ganz offensichtlich nicht vereinigen.

 

Für weitere Ausführungen (durch Leute, die auch weit tiefer in der Theorie stecken, das sage ich ganz ehrlich), emfpehle ich sehr diesen Vortrag: http://audioarchiv.blogsport.de/2009/07/19/kritische-theorie-postmoderne/

...ey, Alda, und jetzt nochmal auf verständlich!

Endlich mal ein bisschen theoretischer Tiefgang im indymedia-Kommenatbereich. Danke dafür.

...als nur eine theorie von vielen.

 

sicher nich die allgemeingültige wahrheit, auch wenn du das offensichtlich glaubst.