Am Montag, den 19. Oktober soll im Leipziger „Conne Island“ via Podium über Sinn und Unsinn direkter Aktionen (nostalgisch auch als „Propaganda der Tat“ bekannt) debattiert werden. Hierzu darf den Worten von Jutta Ditfurth, Thomas Ebermann und Peter Nowak gelauscht werden. Es bleibt zu hoffen, dass es nicht zum nostalgischen Plauder einiger Alt-Autonomen verkommt und ohne sinnfreie Polemik bekannter Apostel, welche es sich bisweilen nicht nehmen lassen den Abstieg vom Elfenbeinturm (ob mit oder ohne Schießscharten) wahrzunehmen und wortgewaltig das eigene Fußvolk zu begeistern, auskommt.
Zurecht weist der Ankündigungstext auf die fehlende Auseinandersetzung über die Hintergründe militanter Taten hin und ist sich des interessierten Ausweichens dieser Frage bei herrschenden Repressionsstrukturen bewusst. Eben jene Strukturen sind vermutlich auch der Grund, warum gegenwärtig agierende Freunde der Tat den Platz auf einen öffentlichen Podium nicht wahrnehmen wollen bzw. können. Netterweise wurde trotz alledem ein Jabber-Account eingerichtet damit „im Vorfeld und am Abend selbst Positionen und Meinungen zum Thema in die Diskussion einfließen können“.
Um diesem Aufruf gerecht zu werden, sei auf einen Text des „Unsichtbaren Komitee“ aus deren letzten Pamphlet „An unsere Freunde“ hingewiesen. Darin wird sich unter der Überschrift „Pazifisten und Radikale – ein teuflisches Paar“ mit den ungewollten Parallelen selbsternannter Pazifisten und Radikalen auseinandergesetzt und der Versuch unternommen bruchstückhaft ein wahrhaft revolutionäres Handeln zu beschreiben. Wenn auch nicht alles richtig, bietet es ausreichend Zündstoff für allgemeinen Plauder und bestenfalls auch am Montag, den 19. Oktober.
Das gesamte Pamphlet findet sich hier: http://ill-will-editions.tumblr.com/post/117508667039/unsichtbares-komitee-an-unsere-freunde-full-book
Der benannte Abschnitt wiederum hier:
Vierzig Jahre Triumph der Konterrevolution im Westen hat uns ein Fehlerpaar beschert, das gleichermaßen verhängnisvoll ist und zusammen eine unbarmherzige Einheit bildet: Pazifismus und Radikalismus. Der Pazifismus lügt und lügt sich was vor, indem er die öffentliche Diskussion und die Versammlung zum vollendeten politischen Modell erhebt. Deshalb hat sich eine Bewegung wie die der Plätze als unfähig erwiesen, mehr zu werden als ein unüberschreitbarer Ausgangspunkt. Um zu begreifen, wie es um das Politische steht, bleibt nichts anderes übrig, als erneut einen Abstecher nach Griechenland zu machen, diesmal in die Antike. Immerhin wurde das Politische ja dort erfunden. Der Pazifist verabscheut diese Erinnerung, aber die alten Griechen haben das Politische von Anfang an als Fortsetzung des Kriegs mit anderen Mitteln erfunden. Die Praxis der Versammlung auf Stadtebene kommt direkt aus der Praxis der Versammlung der Krieger. Die Gleichheit in der Wortmeldung leitet sich aus der Gleichheit vor dem Tod ab. Die Demokratie Griechenlands ist eine Hopliten-Demokratie. Man ist Bürger, weil man Soldat ist; daher der Ausschluss der Frauen und Sklaven. In einer dermaßen agonistischen Kultur wie der des klassischen Griechenlands versteht sich die Debatte selbst als ein Moment kriegerischer Konfrontation, diesmal unter Bürgern im Bereich des Wortes, mit den Waffen der Überzeugungskunst. »Agon« bedeutet übrigens zugleich »Versammlung« und »Wettstreit«. Der vollkommene griechische Bürger ist einer, der in den Waffen wie in der Rede siegt. Vor allem aber haben die alten Griechen in einem Zug die Versammlungsdemokratie und den Krieg als organisiertes Gemetzel konzipiert – das eine als Garant des anderen. Im Übrigen gesteht man ihnen die Erfindung der Ersteren nur unter der Bedingung zu, ihren Zusammenhang mit der Erfindung einer ziemlich außergewöhnlichen Form von Massaker zu kaschieren, der Phalanx – einer linienförmigen Schlachtaufstellung, die Geschicklichkeit, Tapferkeit, Heldenmut, außergewöhnliche Kraft und jeglichen Genius ersetzt durch bloße Disziplin und absolute Unterordnung jedes Einzelnen unter die Gesamtheit. Als sich die Perser mit dieser so effizienten Art der Kriegsführung konfrontiert sahen, in der das Leben des Fußsoldaten einfach nichts zählt, beurteilten sie diese zu Recht als völlig barbarisch, wie nach ihnen so viele der von den westlichen Armeen aufgeriebenen Feinde. Der attische Bauer, der sich vor seinen Angehörigen in der ersten Reihe der Phalanx heldenhaft umbringen lässt, ist somit die andere Seite des aktiven Bürgers, der sich an der Bule, der Ratsversammlung, beteiligt. Die reglosen Arme der Leichname, von denen das antike Schlachtfeld übersät war, sind die strikte Bedingung für den Arm, der sich erhebt, um sich in den Beratungen der Volksversammlung einzuschalten. Dieses griechische Modell des Kriegs ist so stark in der westlichen Vorstellung verankert, dass man darüber fast vergisst, dass zum gleichen Zeitpunkt, als bei den Hopliten jene der beiden Phalangen für siegreich erklärt wurde, die in der entscheidenden Konfrontation lieber ein Höchstmaß an Toten in Kauf nahm als den Rückzug, die Chinesen eine andere Kriegsführung erfanden; diese bestand gerade darin, Verluste zu vermeiden, der Konfrontation so gut wie möglich auszuweichen und zu versuchen, die »Schlacht vor der Schlacht« zu gewinnen – auch wenn nach errungenem Sieg die unterlegene Armee ausgelöschtwürde. Die Gleichsetzung »Krieg = bewaffnete Konfrontation = Gemetzel« zieht sich vom antiken Griechenland bis ins 20. Jahrhundert: Im Grunde ist es seit zweieinhalbtausend Jahren die wahnwitzige westliche Definition des Kriegs. Ob man von »irregulärem Krieg«, »psychologischem Krieg«, »kleinem Krieg« oder »Guerilla« spricht, was übrigens die Norm des Kriegs ist, sind nur Aspekte in diesem Wahnwitz.
Der ernsthafte Pazifist, der mehr tut als nur seine eigene Feigheit zu rationalisieren, schafft es, sich über das Wesen des Phänomens, das er zu bekämpfen vorgibt, doppelt zu täuschen. Nicht nur lässt sich der Krieg nicht auf den bewaffneten Zusammenstoß oder das Gemetzel reduzieren, er ist vielmehr die Matrix der Versammlungspolitik schlechthin, die er predigt. »Ein wahrer Krieger ist nicht kampflustig; ein wahrer Kämpfer ist nicht gewalttätig; ein Sieger vermeidet den Kampf«, sagte Sunzi. Zwei Weltkriege und ein fürchterlicher weltweiter Krieg gegen den »Terrorismus« haben uns gelehrt, dass im Namen des Friedens die blutigsten Vernichtungsfeldzüge geführt werden. Die Ächtung des Krieges drückt im Grunde nur eine kindliche oder senile Weigerung aus, die Existenz der Unterschiedlichkeit zuzugeben. Der Krieg ist nicht Gemetzel, sondern die Logik, die den Kontakt zwischen heterogenen Mächten leitet. Er wird überall in unzähligen Formen, mehrheitlich mit friedlichen Mitteln ausgetragen. Wenn es eine Vielheit an Welten und eine nicht reduzierbare Pluralität der Lebensformen gibt, dann ist der Krieg das Gesetz ihrer Koexistenz auf dieser Erde. Denn nichts erlaubt vorherzusagen, wie ihre Begegnung ausgehen wird: Die Gegensätze bleiben nicht in getrennten Welten. Da wir keine vereinten, mit einer definitiven Identität ausgestatteten Individuen sind, wie es die gesellschaftliche Rollenpolizei will, sondern in
uns eine konfliktreiche Auseinandersetzung stattfindet, deren aufeinanderfolgende Konfigurationen nicht viel mehr als labile Gleichgewichte beschreiben, muss man letztlich einräumen, dass der Krieg in uns ist – der Heilige Krieg, wie René Daumal sagte. Der Frieden ist weder möglich noch wünschenswert. Der Konflikt ist der Stoff, aus dem ist, was ist. Bleibt nur, sich eine Kunst anzueignen, ihn zu führen, eine Kunst, Situationen leben zu können, was eher existenzielles Feingefühl und Mobilität voraussetzt als den Willen, zu überwältigen, was nicht wir ist.
Der Pazifismus zeugt also von enormer Dummheit oder tiefster Unredlichkeit. Selbst unser Immunsystem beruht auf der Unterscheidung zwischen Freund und Feind, ansonsten würden wir an Krebs oder an jeglicher Autoimmunkrankheit sterben. An Krebs und Autoimmunkrankheiten sterben wir übrigens. Die taktische Verweigerung der Konfrontation ist selbst nur eine Kriegslist. Es ist durchaus verständlich, warum sich beispielsweise die Kommune Oaxaca sofort als friedlich
bezeichnet hat. Dabei ging es nicht darum, den Krieg zurückzuweisen, sondern darum, sich nicht in einer militärischen Konfrontation mit dem mexikanischen Staat und seinen Handlangern besiegen zu lassen. Wie erklärten doch die Genossen aus Kairo: »Die Taktik, die wir verfolgen, wenn wir ›Gewaltlosigkeit‹ singen, ist nicht zu verwechseln mit einer Fetischisierung der Gewaltlosigkeit.« Im Übrigen bedarf es einiger Geschichtsklitterung, um präsentable Vorfahren des Pazifismus zu
finden! Etwa den armen Thoreau, der, kaum war er gestorben, zum Theoretiker des Zivilen Ungehorsams gemacht wurde, wobei der Titel seines Textes Resistance to the civil government entsprechend verkürzt wurde. Als hätte er nicht in seinem Plea for Captain John Brown deutlich gemacht: »Ich denke, dass die Sharp-Gewehre und Revolver einmal zugunsten einer guten Sache eingesetzt wurden. Die Werkzeuge waren in den Händen, die sie zu bedienen wussten. Derselbe
Zorn, der einst zur Vertreibung der Unerwünschten aus dem Tempel führte, wird ein zweites Mal seinen Dienst tun. Nicht auf die Wahl der Waffen kommt es an, sondern darauf, in welchem Geist sie eingesetzt werden.« Das Komischste an dieser trügerischen Genealogie ist zweifellos, Nelson Mandela, den Gründer der bewaffneten Organisation des ANC, zur weltweiten Ikone des Friedens gemacht zu haben. Er selbst erzählt: »Ich sagte, die Zeit des passiven Widerstands sei vorbei, Gewaltlosigkeit sei eine zwecklose Strategie, die niemals den Sturz eines weißen Minderheitenregimes herbeiführen könne, das fest entschlossen sei, um jeden Preis an der Macht zu bleiben. Am Ende des Tages, sagte ich, sei Gewalt die einzige Waffe, welche die Apartheid vernichten werde, und wir müssten bereit sein, in naher Zukunft diese Waffe zu ergreifen. Die Menge war erregt; vor allem die Jugendlichen klatschten und jubelten. Sie wollten sofort meineWorte in die Tat umsetzen. An diesem Punkt begann ich ein Freiheitslied zu singen, dessen Text lautet: ›Dort stehen die Feinde, lasst uns unsere Waffen nehmen und sie angreifen.‹ Ich sang dieses Lied, und die Menge fiel ein; und als das Lied zu Ende war, deutete ich auf die Polizei und sagte: ›Dort, dort stehen unsere Feinde!‹«
Jahrzehnte der Befriedung der Massen und der Massierung der Ängste haben den Pazifismus zum spontanen politischen Bewusstsein des Bürgers werden lassen. Bei jeder Bewegung muss man sich seither mit dieser traurigen Tatsache herumschlagen. Es gab Pazifisten, die schwarz gekleidete Aufständische an die Polizei auslieferten, wie 2011 zu sehen an der Plaça de Catalunya, oder in Genua 2001, als Leute des »Schwarzen Blocks« gelyncht wurden. Die revolutionären Kreise
brachten darauf als eine Art Antikörper den Radikalen hervor – die Figur, die in allem und jedem das Gegenteil des Bürgers tut. Auf die moralische Ächtung der Gewalt der einen antworten die anderen mit deren rein ideologischer Verherrlichung. Wo sich der Pazifist vom Lauf der Welt freisprechen und gut bleiben möchte, indem er nichts Böses tut, spricht sich der Radikale durch kleine illegale Aktionen, verziert mit unversöhnlichen »Stellungnahmen«, von jeder Beteiligung am
»Bestehenden« los. Beide sehnen sie sich nach Reinheit: der eine durch gewalttätige Aktion, der andere, indem er sich diese versagt. Jeder ist der Albtraum des anderen. Es ist zu bezweifeln, dass diese beiden Figuren lange bestehen könnten, wenn nicht jede die andere tief in sich tragen würde. Als würde der Radikale nur leben, um den Pazifisten in sich selbst erschauern zu lassen, und umgekehrt. Nicht zufällig ist die Bibel der amerikanischen Bürgerrechtskämpfe seit den 1970er
Jahren Saul Alinskis Rules for Radicals. Denn Pazifisten und Radikale teilen dieselbe Ablehnung der Welt. Sie genießen ihre Exteriorität gegenüber jeder Situation. Sie hängen in der Luft und leiten daraus das Gefühl einer irgendwie gearteten Besonderheit ab. Lieber leben sie als Außerirdische – das ist der Komfort, den das Leben der Metropolen, ihr bevorzugtes Biotop, noch einige Zeit lang zulässt.
Seit der Niederlage der 1970er Jahre ist an die Stelle der strategischen Frage der Revolution unmerklich die moralische Frage der Radikalität getreten. Die Revolution hat also dasselbe Schicksal erlitten wie alles in diesen Jahrzehnten: Sie wurde privatisiert. Sie ist zur Möglichkeit geworden, sich persönlich aufzuwerten, und das Bewertungskriterium ist die Radikalität. Die »revolutionären« Taten werden nicht mehr vor dem Hintergrund der Situation, der Möglichkeiten bewertet, die sie eröffnen oder verschließen. Vielmehr extrahiert man aus jeder von ihnen eine Form. Eine bestimmte Sabotage zu einem bestimmten Moment auf eine bestimmte Art aus einem bestimmten Grund wird schlicht eine Sabotage. Und die Sabotage als Gütesiegel revolutionärer Praxis reiht sich artig ein auf einer Skala, in der der Molotowcocktail über dem Steinewerfen, aber unter dem Schuss ins Bein steht, der wiederum unterhalb der Bombe angesiedelt ist. Das Drama liegt darin, dass keine Aktionsform per se revolutionär ist: Sabotage wurde von Reformisten ebenso betrieben wie von Nazis. Der Grad an »Gewalt« einer Bewegung sagt nichts über ihre revolutionäre Entschlossenheit aus. Die »Radikalität« einer Demonstration misst sich nicht an der Zahl der eingeschlagenen Schaufenster. Oder besser gesagt doch, aber dann muss man das Kriterium der »Radikalität« denen überlassen, denen es darum geht, politische Phänomene zu messen und sie auf ihre skelettartige Moralskala zu reduzieren.
Jeder, der in radikalen Kreisen zu verkehren beginnt, wundert sich über die Kluft zwischen ihrem Diskurs und ihrer Praxis, zwischen ihren Ambitionen und ihrer Isoliertheit. Sie scheinen verurteilt zu einer Art permanenter Selbstsabotage. Schon bald begreift man, dass sie nicht mit dem Aufbau einer wirklich revolutionären Kraft beschäftigt sind, sondern mit einem Wettlauf um eine sich selbst genügende Radikalität – die unterschiedslos auf dem Gebiet der direkten Aktion, des Feminismus oder der Ökologie ausgetragen werden kann. Der kleine Terror, der dort herrscht und alle so rigide werden lässt, ist nicht jener der bolschewistischen Partei. Es ist eher einer der Mode, dieser Terror, den niemand persönlich ausübt, dem aber alle unterliegen. Man fürchtet in diesen Kreisen, nicht mehr radikal zu sein, so wie man woanders fürchtet, nicht mehr in, cool oder hip zu sein. Ein kleiner Fehler, und schon verliert man seinen Ruf. Man vermeidet es, den Dingen auf den Grund zu gehen, und begnügt sich lieber mit einem oberflächlichen Konsum von Theorien, Demos undBeziehungen. Die unerbittliche Konkurrenz zwischen Gruppen wie auch innerhalb dieser Gruppen ist ausschlaggebend für ihr regelmäßiges Auseinanderbrechen. Es gibt immer wieder junges Frischfleisch, missbraucht, um den Abgang der Erschöpften, Verbrauchten, Angewiderten, Ausgepumpten auszugleichen. Im Nachhinein überkommt jene, die diese Kreise verlassen, ein
Schwindelgefühl: Wie konnte man sich nur einem so verheerenden Druck aussetzen, und das für so rätselhafte Ziele? Ungefähr diese Art von Schwindel dürfte jeden überarbeiteten Ex-Manager erfassen, der sich, zum Bäcker geworden, an sein voriges Leben zurückerinnert. Die Isoliertheit dieser Kreise ist strukturell. Zwischen sich und die Welt haben sie die Radikalität als Kriterium gestellt; statt der Phänomene nehmen sie nur noch deren Maß wahr. Ab einem gewissen Grad an Selbstzerfleischung rivalisiert man dann sogar um die Radikalität der Kritik an diesem Milieu selbst; was seine Struktur in keiner Weise erschüttern wird. »Uns scheint, dass es die machtlos machende Isoliertheit ist, die einem die Freiheit wirklich nimmt und es verunmöglicht, die Initiative zu ergreifen«, schrieb Malatesta. Dass sich ein Teil der Anarchisten selbst als »nihilistisch« bezeichnet, ist dann nur logisch. Der Nihilismus ist das Unvermögen zu glauben, an was man doch glaubt – die Revolution. Im Übrigen gibt es keine Nihilisten, es gibt nur Ohnmächtige. Da sich der Radikale als Produzent von radikalen Aktionen und Diskursen versteht, hat er sich schließlich eine rein quantitative Vorstellung von der Revolution gemacht – als einer Art Überproduktionskrise von Akten individueller Revolte. »Verlieren wir nicht aus dem Blick, dass die Revolution nur die Folge all dieser Teilrevolten sein wird«, schrieb schon Émile Henry. Die Geschichte ist da, um diese These Lügen zu strafen: Ob Französische, Russische oder tunesische Revolution, die Revolution ist immer Ergebnis des Aufeinanderprallens einer besonderen Handlung – eines Sturms auf ein Gefängnis, einer militärischen Niederlage, des Suizids eines Straßenverkäufers – und der allgemeinen Situation, und nicht die arithmetische Summe aus einzelnen Akten der Revolte. Einstweilen richtet diese absurde Definition von Revolution ihren absehbaren Schaden an: Man erschöpft sich in einem Aktivismus, der nichts in Gang setzt, man gibt sich einem tödlichen Performancekult hin, bei dem es darum geht, jederzeit, hier und jetzt seine radikale Identität auf den aktuellen Stand zu bringen – auf Demos, in der Liebe und in der Sprache. Das dauert eine Zeit – die Zeit des Burnout, der Depression oder der Repression. Und man hat nichts verändert. Eine Häufung von Taten ergibt deshalb noch keine Strategie, weil es die Tat im Absoluten nicht gibt. Eine Tat ist nicht durch ihren eigenen Inhalt revolutionär, sondern indem Wirkungen aus ihr folgen. Die Situation bestimmt den Sinn einer Handlung, nicht die Absicht der Urheber. Sunzi sagte: »Den Sieg fordert man der Situation ab.« Jede Situation ist komplex, durchzogen von Hauptsträngen, Spannungen und expliziten oder latenten Konflikten. Den Krieg, der da ist, zu akzeptieren und strategisch zu agieren, setzt voraus, von einer Öffnung der Situation auszugehen, sie in ihrer inneren Verfasstheit zu verstehen, zu begreifen, welche Kräfteverhältnisse sie ausmachen und welche Polaritäten sie beeinflussen. Eine Aktion wird revolutionär oder nicht durch die Richtung, die sie nimmt, wenn sie mit der Welt in Berührung kommt. Einen Stein zu werfen, ist nie nur »einen Stein zu werfen«. Es kann eine Situation erstarren lassen oder eine Intifada auslösen.
Die Vorstellung, man könne einen Kampf »radikalisieren«, indem man den ganzen Trödel vermeintlich radikaler Praxis und Diskurse hineinträgt, verleiht der Politik etwas Außerirdisches. Eine Bewegung lebt nur durch die Folge an Umstellungen, die sie im Lauf der Zeit vornimmt. Folglich besteht jederzeit eine gewisse Diskrepanz zwischen ihrem Zustand und ihrem Potenzial. Wenn sie nichts mehr umstellt und ihr Potenzial nicht realisiert, stirbt sie. Die entscheidende Tat ist jene, die dem Zustand der Bewegung eine Spur voraus ist und die ihr im Bruch mit dem Status quo den Zugang zu ihrem eigenen Potenzial eröffnet. Diese Tat kann sein, etwas zu besetzen, zu zerstören, zuzuschlagen oder auch nur die Wahrheit auszusprechen; darüber entscheidet der Zustand der Bewegung. Revolutionär ist, was tatsächlich Revolutionen auslöst. Auch wenn das erst im Nachhinein festgestellt werden kann, ist eine gewisse Sensibilität für die Situation, angereichert mit
historischen Kenntnissen, sehr hilfreich, um ein Gespür dafür zu bekommen. Überlassen wir die Sorge um die Radikalität also den Depressiven, den Jungen-Mädchen und denVersagern. Das wahre Problem für Revolutionäre ist, zur Stärkung der lebendigen Kräfte beizutragen, an denen sie teilnehmen, das Revolutionärwerden zuzulassen, um schließlich eine revolutionäre Situation herbeizuführen. Alle, die sich daran berauschen, »Radikale« und »Bürger«, »aktive Aufständische« und passive Bevölkerung dogmatisch einander gegenüberzustellen, sperren sich gegen solche möglichen Entwicklungen. In diesem Punkt nehmen sie die Arbeit der Polizei vorweg. Das Feingefühl ist in dieser Epoche als entscheidende revolutionäre Tugend zu betrachten und nicht die abstrakte Radikalität. Und unter »Feingefühl« verstehen wir hier die Kunst, das Revolutionärwerden zuzulassen.
Zu den vielen Wundern des Kampfs im Susatal zählt, dass es gelungen ist, so viele Radikale von ihrer Identität loszureißen, die sie sich so mühsam aufgebaut haben. Er hat sie auf den Erdboden zurückgebracht. Indem sie wieder Kontakt mit einer realen Situation aufgenommen haben, konnten sie einen guten Teil ihres ideologischen Raumanzugs ablegen, nicht ohne damit die unerschöpflichen Ressentiments derer auf sich zu ziehen, die in dieser interstellaren Radikalität steckengeblieben sind, in der man so schlecht Luft bekommt. Das liegt zweifellos an der besonderen Fähigkeit dieses Kampfes, sich nie in das Bild zwängen zu lassen, das die Macht ihm verpassen will, um ihn besser daran festzunageln – sei es das Bild einer legalistischen ökologischen Bürgerbewegung oder das einer Avantgarde der bewaffneten Gewalt. Familienfreundliche Demonstrationen wechselten ab mit Angriffen auf die TAV-Baustelle, man setzte das eine Mal auf
Sabotage und das andere Mal auf die Bürgermeister des Tals, und Anarchisten waren genauso einbezogen wie katholische Omas – so ist dieser Kampf mindestens insofern revolutionär, als es bislang gelungen ist, das teuflische Paar aus Pazifismus und Radikalismus zu entschärfen. »Sich politisch zu verhalten«, resümierte ein stalinistischer Dandy kurz vor seinem Tod, »heißt zu handeln, anstatt behandelt zu werden, Politik zu machen, anstatt von ihr gemacht und gelinkt zu werden. Es heißt, einen Kampf zu führen, eine Reihe von Kämpfen, einen Krieg zu führen, seinen eigenen Krieg mit Kriegszielen, kurz- und langfristigen Perspektiven, einer Strategie, einer Taktik.«
Podium
Na, glücklicherweise sitzt mit Jutta Ditfurth wenigstens eine Person auf dem Podium, die irgendetwas mit radikalem Politikverständnis zu tun hat. Wo bitte steht Ebermann für die "Politik der Tat"? Oder Nowak, der irgendwo zwischen Reformismus und antideutscher Nostalgie schwebt.
War es euch nicht möglich irgendjemanden mit autonomen, anarchistischem oder antiautoritärem Politikverständnis zu finden. Gibt es keine AG Grauwacke, Gironimo, B. Langer, Ex - 2. Juni oder wollen diese Menschen eher nicht in dieser Podiumsbesetzung diskutieren.
Auch spiegelt das Entwicklungen in Leipzig so garnicht wieder. Haarscharf ist halt auch vorbei.
Mir ist das Ziel der Veranstaltung in dieser Zusammensetzung schleierhaft. Aber das Conne Island war ja schon immer etwas eigen in seinem Politikverständnis.
Eine Diskussion mit Aktivisten und Aktivistinnen wäre sicher um einiges spannender. Aber wers braucht, "darüber zu reden", anstelle von "mit reden"...
pf
Nur weil Nowak mal was über Antisemitismus in der Linken geschrieben hat, ist er noch lange kein Antideutscher und ein Reformist definitiv auch nicht. Dieser Vorwurf ist einfach nur total schwach. Jedem sei empfohlen da einfach mal ein paar Texte zu googeln.
Keine linksradikale Veranstaltung
Veranstaltet von Linxxnet, also "die Linke", gefördert von der Rosa Luxemburg Stiftung.
Ein antideutscher Reformist, ein ex - grüner Salonkommunist und als Gegenpart die Ökolinxe Jutta D. erklären veranstaltet von der Linken und finanziert von der Linken unsere Politik. Das wird bestimmt unterhaltsam....
informier dich mal
In Leipzig ist es endlich mal gelungen, die verfluchte Partei für radikale Zwecke einzuspannen und dir fällt nix anderes als nörgeln ein.
Gespielte Empörung hier
Ja die Veranstaltung kann und muss kritisiert werden, aber was hier einige zum Podium sagen ist schon sehr komisch. Warum? Zwei Leute vom Podium saßen in diesem Jahr schon einmal auf einem in Wien zu einem sehr ähnlichen/gleichen Thema, habt ihr da auch so gepoltert? Ihr findet da auch einen Audiomitschnitt. Wer also hin geht, kann den beiden vielleicht schon mal sagen, was sie nicht nochmal wiederholen brauchen.
http://nowkr.at/veranstaltungsreihe/
29.01.2015 - Blockade oder Barrikade? – Über Sinn und Unsinn linker MilitanzNIG HS III | 19:00 Uhr
Podiumsdiskussion mit Thomas Ebermann, Katharina König, Jörn Schulz, Thomas Seibert, Jutta Ditfurth und Robert Foltin.
Die Diskussion über linke Militanz scheint innerhalb der Linken geprägt durch zwei sich gegenüberstehende Seiten, die beiderseits überladen und fetischisiert sind. Die eine Seite behauptet sinngemäß „Gäbe es keine Militanz, sei es keine revolutionäre Aktion“ und weist Militanz geradezu als revolutionsträchtigen Spezialfall des Aktivismus aus. Auf der anderen Seite sei Militanz „bloße Gewalt“ und es wird kolportiert, dass “wenn es Gewalt gäbe, wäre das unpolitischer anarchistischer Individualterrorismus.”
Selten stößt man auf Beiträge zur Militanzdebatte, welche versuchen aus diesen beiden polarisierten Standpunkten auszubrechen. Meistens wird gar nicht mehr um das politische Element im Militanzbegriff gestritten. Ließt man das linke Genre der Bekenner_innen-Schreiben, welches stilprägend für Beiträge aus Zeitschriften wie der Interim, radikal oder der Indymedia-Kommentarspalte ist, drängt sich der Verdacht auf, das Politische sei völlig abhanden gekommen oder es muss erst im Nachhinein die Verbindung zu linksradikaler Politik rekonstruiert werden.
Militanz als linksradikale politische Aktionsform ist aber nicht nur eine Frage von taktisch-strategischen Überlegungen und von Kräfteverhältnissen, sondern bedarf vor allem einer kritisch-reflektierten, theoretischen Begründung. Hierbei kann es nicht darum gehen Militanz per se als „richtig“ oder „falsch“ hinzustellen. Ein solches, meist moralisches, Werturteil wäre ja selbst unpolitisch. Vielmehr geht es um die Frage, welche Rolle Militanz als Konzept und linksradikale Aktionsform innerhalb sozialer Bewegungen hat und wie und warum sich das Ganze im staatsidealistischen, bürgerlichen Bewusstsein niederschlägt. Kurzum: es geht um die Frage nach Emanzipation und Subversion, nach „angemessenen“ Aktionsformen und den Maßstab linksradikaler Politik.
Blockade oder Barrikade? – Über Sinn und Unsinn linker Militanz. Diese Frage wollen wir am Vorabend der Proteste gegen den Wiener Akademikerball zur Diskussion stellen.
Jörn Schulz?
Der von der rechtsoffenen "Bahamas"? Da wird doch klar was hier läuft, das übliche Gebashe gegen Autonome, Antifa, Antiautoritäre.
Ebermann erzählt von seiner letzten Aktion, als er damals Aufkleber auf Autos klebte, die auf dem Fahrradweg parkten, Nowak von seinen Springer - gesponserten Freunden von der "Hipster Antifa Neukölln und ihren Pro - Gentrification - Actions. Und was will die Ditfurth eigentlich da?
Da sollten wir aber glücklich sein, dass da nicht noch Justus W. und Else Elsässer sitzen.
Conne Island hat wohl sein Faible für die Bahamas abgelegt, besser ist das aber keineswegs. Statt Bahamas jetzt "die Linke" und und andere Reformisten.
Mit der Realität in Leipzig (siehe Linksunten - Archiv) hat das alles nichts zu tun.
???
Nichts gegen den heiligen Nihilus... Alles kommt aus dem Nichts und könne ggf. wieder dahin zurück gehen... aber ihr habt zum Glück Glaubensfreiheit (solang es nicht zu politisch wird)
....
.. ja und hätten alle auf den heiigen Nihilus gehört gabe es jetzt keine Kriege und keine Hungernden... das wär nichts ... gar nichts
Conny Island. Fick dich !
Erst vor kurzem hat in der antideutschen Disco, dem "Island", eine Veranstaltung statt gefunden, in der thematisiert wurde ob es denn linke Freiräume überhaupt (noch) braucht ....
Als wenn das nich schon hirnrissig genug wäre, wurde mal wieder ein Schreiberling der Bahamas zum Thema eingeladen. Wenn Leute die sich selbst als "Abbruchunternehmen der Linken" begreifen über "Linke" (Freiräume) reden ist doch klar was dabei rauskommt. Schlecht. Echt mal wieder total schlecht was das Island da gebracht hat. Es ist auch noch nicht soooo lange her, das vom Island ausgehend Flyer geschrieben/verteilt wurden in denen Autonome Gruppen bzw. deren Aktionen öffentlich schlecht gemacht wurden.
Kampf gegen Gentrifizierung wurde als Selbsbespaßung* dargestellt und das die Autonomen NICHT gegen Nazis kämpfen wissen die Islander auch gaaaanz genau.
Conny Island. Fickt dich !
*ja, ich schreibe mit ß :-)
...
und was du bei der veranstaltung? dann hättest du gehört, dass alle für linke freiräume sind und sagen sie werden gebraucht. auch der bahamas-schreiberling.
Ohnehin sinnfrei...
das an einem Tag durchzuführen, wo wohl fast alle Leipziger Aktivist*innen, ob autonom oder nicht, schon andersweitig verplant sind. Ein interessantes Thema, aber was macht eine Diskussion zwischen Leuten her, die ohnehin nicht (mehr) auf die Straße gehen?
Hier kann die Diskusion nachgelesen werden:
https://hearthis.at/linxxnet/militanzva191015/