Es ist Oktober. Im Januar ist Zoe von Griechenland nach Berlin gezogen. Hier hat sie ein dreimonatiges unbezahltes Praktikum gemacht und arbeitet seitdem freiberuflich. Nur reichen die Aufträge zum Leben nicht, das Ersparte ist aufgebraucht und auch die familiäre Unterstützung läuft aus. Deshalb stellt sie beim Jobcenter einen Erstantrag auf SGB II-Leistungen. Im Warteraum zur Abgabe der restlichen Unterlagen ihres Antrages bin ich mit ihr zusammen als Beistand. Wir haben es geschafft. Alle Fragen sind beantwortet, alle Papiere organisiert. Endlich, alles ist da. Seit Anfang September verlangt das Jobcenter ständig neue Dokumente. Heute wird ein kurzer Termin, nur kurz rein, abgeben und wieder los, denken wir.
Die Sachbearbeiterin der Leistungsabteilung Frau B. sieht das offenbar anders. Gleich zu Beginn des Termins macht sie deutlich, dass sie Zoe am liebsten nach diesen 10 Monaten in Berlin wieder zurück nach Griechenland schicken würde. Sie hat kein Problem damit, ihre Feindseligkeit in Behördenlogik zu verpacken: Zoe sei hergekommen, um Sozialleistungen zu bekommen; bis jetzt reiche ihr Einkommen nicht aus, da könne sie nun nicht zum Jobcenter kommen, sondern eben zurück reisen. Wieder die selbe Leier wie so oft: „Da könnte ja jeder kommen.“ Doch genau das, was Zoe macht, ist möglich. Es gibt die Freiheit, innerhalb der EU seinen Wohn- und Arbeitsort zu wählen. Daran ändert auch das EuGH-Urteil vom 15.9. nichts. Frau B. schwelgt jedoch anscheinend schon in Zukunftsfantasien, wo nur noch Deutsch-MuttersprachlerInnen Sozialleistungen erhalten können und auch GriechInnen, SpanierInnen und ItalienerInnen wieder ausgewiesen werden, wenn sie nicht genug im Hamsterrad strampeln. Auf eine Diskussion über Migrationsgründe aus anderen europäischen Staaten und die Rolle Deutschlands darin lässt sie sich nicht ein. Vielmehr lenkt sie nun um: Ihr fehle der Hauptmietvertrag und die Anlage „VE“ (Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft*).
Den Hauptmietvertrag will Zoes Vermieter nicht raus rücken und das „VE“-Formular haben wir ausgefüllt. Ich lebe in einer WG. ist dort zu lesen und eine Unterschrift. „Das müssen wir prüfen. Sie müssen uns die Namen Ihrer MitbewohnerInnen geben.“, ist die Antwort der Sachbearbeiterin.
Wir müssen das nicht, denn die MitbewohnerInnen stehen in keinerlei Beziehung zum Jobcenter und wollen sicherlich nicht von ihrem Kontrollwahn belästigt werden. Frau B. insistiert, dass die Namen zu Prüfzwecken relevant wären. Wir bleiben dabei. Das Formular soll so eingereicht werden: Es handelt sich um eine WG – Punkt. „Vielleicht wohnen sie ja alle in einem Zimmer, dann müsste Ihre Miete gesenkt werden.“ Abgesehen davon, dass diese Unterstellung hanebüchen ist und das generelle Misstrauen unseren Aussagen gegenüber greifbar im Raum steht, bleibt unklar, inwiefern die Nennung von Namen zur Klärung der Zimmeraufteilung beitragen soll.
Jetzt wird es Frau B. zu bunt. Sie winkt mit ihrem Druckinstrument Hausbesuch. Da würden dann alle Zimmer der WG angeschaut, und dementsprechend müsste man prüfen, ob sich auch die Leute dort aufhalten, die sie angibt. Diese Aussage ist nichts als eine Drohung und Lüge. Bei einem Hausbesuch, sofern es überhaupt einen Anlass dafür gäbe, würde natürlich nicht die ganze Wohnung angesehen werden, sondern lediglich Zoes Bereich der Wohnung. Über soviel Besserwisserei ist Frau B. nun sichtlich genervt und empört und schlägt vor, dass, wenn wir uns so gut auskennen würden, wir auch über den Antrag entscheiden könnten.
BASTA! sagt „Ja sehr gern“ und auch auf all die von unseren abgelehnten Freund*innen wollen wir gern nochmal ein Auge werfen. Dann würde es ein sanktionsfreies Existenzminimum unabhängig von Herkunft, Wohn- und Arbeitsverhältnissen geben.
Ein Hausbesuch steht nun zwar nicht an, aber am Ende des Termins bekommen wir zum 3. Mal eine „Aufforderung zur Mitwirkung“ ausgehändigt, die binnen einer Woche beantwortet sein soll. Darin unter anderem: Eine Erklärung des ehemaligen Auftraggebers über die Zahlung des Entgelts (obwohl bereits Zoes Nachweise vorliegen); ein Darlehensvertrag über geliehenes Geld von der Familie und erneut die Formulare „VE“ mit dem freundlichen Satz, wir könnten uns ja nochmal überlegen ob es wirklich so schlimm sei, sie auszufüllen. Mit Blick auf mich kann sich Frau B. dann eine letzte Mutmaßung nicht verkneifen: Bisher sei ihr ja nicht bekannt, dass eine andere Frau in der WG wohne, wenn dies der Fall sei, wären es ja plötzlich 4 Personen und dann müsste geprüft werden, ob die Miethöhe in Ordnung sei oder ob wir beide eine Beziehung miteinander hätten, und mein Einkommen müsste geprüft werden, wenn sie sich mit mir das Zimmer teilt. So wird man von der morgendlichen Begleitung zur Übersetzung und Antragsabgabe mal schnell vom Jobcenter zur Mitbewohnerin und Partnerin erklärt. Dass ich als Beistand die Aussage darüber, wo ich denn wohne, verweigere, dient Frau B. sicher als Beleg für ihre gute Spürnase in puncto Sozialleistungsmissbrauch.
Wieder offenbart sich die Strategie der Jobcenter: Wenn es keinen ausreichenden Ablehnungsgrund gibt, dann schaffen sie sich halt einen. Durch derartige Fragen, ständiges Misstrauen und wiederholte Mitwirkungsschreiben wollen sie uns derartig mürbe machen, dass wir die Flinte ins Korn werfen.
Doch Zoe und BASTA! kämpfen weiter. Gemeinsam erwidern wir: die Mitwirkungspflicht ist nichts weiter als ein Instrument zur Leistungsverweigerung. Die Sachbearbeiterin denkt sich ein Dokument aus, das sie plötzlich als leistungerelevant ansieht. Sie schreibt es auf einen Zettel, über dem „Mitwirkungsschreiben“ steht, und gibt eine Woche Zeit. Und Hokuspokus, schon hat man einen Ablehnungsgrund. Schon nächste Woche kann sie ein Schreiben los senden, „Versagung von Leistungen wegen fehlender Mitwirkung“ wird darauf in fetten Buchstaben prangen und es wird ihr eine Genugtuung sein.
Wir geben so schnell nicht auf sondern rufen: BASTA statt Mitwirken!
Gegen das Eindringen von Behörden in unsere Wohnung und unser Leben.
Bleiberecht und soziale Sicherung für alle!
*VE – In diesem Formular vom Jobcenter gibt man an, ob man mit seinen MitbewohnerInnen verwandt ist oder eine Partnerschaft vorliegt.
BASTA! wird gemacht von Erwerbslosen, Beschäftigten mit geringem Einkommen und Studierenden mit wenig Geld. An drei Tagen die Woche bieten
wir eine solidarische und fünfsprachige Beratung zu ALGII an. Gemeinsam beraten wir über 1000 Menschen im Jahr in freundlicher Atmosphäre. Wir
begleiten zum Jobcenter und zum Sozialgericht. Wir setzen jährlich über 100.000€ an Rechtsansprüchen gegen das Jobcenter durch, verhindern
Zwangsräumungen, kämpfen für höhere Löhne und bieten Seminare zu aktuellen Themen an. Nur mit euch zusammen schaffen wir einen Ort, an
dem wir uns gegen die Zumutungen des Jobcenter-Alltags und des Arbeitsmarktes organisieren können. BASTA! ist in diesem Sinne ein
langfristiges politisches Projekt für eine bessere Welt!
Web: www.bastaberlin.de
Twitter: @bastaberlin
Einladung zur Kundgebung
10 Uhr Kundgebung „BASTA statt Mitwirken“. Ein neues Jobcenter im Wedding!
Jobcenter Berlin Mitte (Leopoldplatz – Müllerstraße 147)
BASTA und Freund*innen wollen es herzlich begrüßen und zeigen, dass sie uns so schnell nicht mehr loswerden.
Wer wie wir Ordner voll mit sinnlosen Jobcenterbriefen hat, kann hier die Stilblüten zum Besten geben und im Nachhinein entsorgen. Unsere Solidarität gegen ihre Bürokratie!
Gemeinsam Beraten, Gegenseitig Begleiten, Zusammen Streiken!
an welchem tag?
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Donnerstag 15.10. um 10 Uhr.
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