Am Samstag, 5.9.2015, ging in Freiburg eine Bedarfsorientierte Erstaufnahmestelle (BEA) für bis zu 900 Geflüchtete (derzeit: über 500) in Betrieb. Vom ersten Tag an ist das NoLagerFreiburg-Bündnis kontinuierlich vor Ort – zunächst durch zwei (nach 3 Tagen von der Polizei geräumte) Willkommenszelte auf einer Brache gegenüber, seit der Räumung durch einen Infostand auf einem Gehweg direkt neben dem BEA-Gelände. Dorthin kommen von Anfang an Geflüchtete mit ihren Fragen und Anliegen. Auf diese Weise erreichten uns Berichte von Missständen, die in Zahl und Ausmaß zutiefst beschämend, jedoch unserer Meinung nach in solchen Lagern strukturell angelegt sind.
Anlage, Betreiber und Sicherheitsdienst
Das Lager aus drei großen Zelthallen sowie Sanitär- und Sozialdienstcontainern und einer kleinen asphaltierten Fläche ist von einem Zaun mit Stacheldraht umgeben, es wird von dem an Gewinn orientierten Unternehmen „European Homecare“ (Gewinn 2013: 1,4 Mio. Euro) betrieben. Die Geflüchteten müssen zum Teil farbige Bändchen an den Handgelenken tragen, für die sie sich schämen. Externe Personen haben keinen Zugang zum Gelände. Die Securities öffnen für jede_n Refugee einzeln den Bauzaun und schließen ihn danach wieder. Viele wussten in den ersten Tagen nicht, dass sie das Gelände überhaupt verlassen dürfen.
Kein Bargeld – ein Rechtsbruch!
Die Geflüchteten in der BEA bekommen kein Bargeld, sondern lediglich Sachleistungen. Dies ist ein klarer Rechtsbruch. Nach dem AsylbLG steht Asylsuchenden eine Bargeldsumme von 143 Euro monatlich (für alleinstehende Erwachsene) zu, und zwar unabhängig von Asylantragstellung oder Anhörung und auch, wenn sie aufgrund der Überlastung von Behörden noch nicht formal registriert sind. Die einzige Möglichkeit, in der Freiburger BEA an Geld zu kommen, ist für 1,05 Euro/Stunde, also einen Bruchteil des gesetzlichen Mindestlohns, sogenannte „gemeinnützige Arbeit“ in der BEA zu verrichten, das heißt zu putzen. Für die Betreiberfirma ein echtes Schnäppchen.
Stagnierende Güterverteilung
Den Geflüchteten wurden nur die grundlegendsten Bestandteile eines Nachtlagers gestellt. Laut „Eincheckzettel“ sind diesKopfkissen, Kopfkissenbezug, Bettlaken, Decke und Bezug, Handtuch und eine Tasse. Von den umfangreichen Kleider- und sonstigen Sachspenden aus der Freiburger Stadtbevölkerung ist bei den Geflüchteten bislang nichts angekommen. Viele haben nach wie vor nur die Kleidung, die sie am Körper tragen, und frieren abends/nachts. Ein großer Mangel herrscht an Hygieneartikeln (Shampoo, Duschgel, Monatshygieneartikel für Frauen, Oropax, ...) sowie an Unterwäsche.
„Wohnen“ und Aufenthalt
Je 5-9 Personen schlafen in einer wenige Quadratmeter großen, mit Stellwänden abgegrenzten, so genannten „Zelle“. Mindestens in einer der beiden Zelthallen gibt es wohl auch einen weitaus größeren Bereich ohne Trennwände, in dem Stockbetten frei nebeneinander stehen. Jede_r hat einen Metallspind (nicht abschließbar). Es gibt somit kein Privatsphäre und keinen Ort um persönliche Gegenstände sicher aufzubewahren.
Es gibt offenbar nur acht Duschen. Teilweise wird berichtet, dass es kein warmes Wasser gibt, vereinzelt, dass sich die Menschen vor den schmutzigen Duschen ekeln.
Es gibt vereinzelt Plastikstühle im Schlafbereich sowie 170 Sitzplätze an Biergarnituren bei der Essensausgabe, also nicht einmal für jede Person eine Sitzgelegenheit. Auf einer kleinen asphaltierten Freifläche zur Straße hin wird gelegentlich Fußball gespielt. Es gibt keine weiteren Freiflächen für Aufenthalt und etwaige Freizeitgestaltung.
Angesichts der bedrückenden Situation der Betroffenen sehen wir in der drangvollen Enge, in der Menschen völlig unterschiedlicher sozialer Herkunft gezwungen sind zu leben, ein massives Konfliktpotential, dem mit ein paar mehr Sozialarbeitsstellen kaum beizukommen sein wird.
Versorgung mit Essen
Die Asylsuchenden können in der BEA kein eigenes Essen zubereiten, sie müssen essen, was die Großküche ihnen reicht. Die Essenszeiten sind wie folgt: Frühstück 8-10 Uhr, Mittagessen 12-14 Uhr, Abendessen 16-18 Uhr. Insbesondere abends, so die Betroffenen, würden sie bald wieder hungrig. Für manche reichen die Portionsgrößen nicht aus.
Medizinische Versorgung
In den ersten Tagen scheint kein Arzt in der BEA gewesen zu sein. Gerüchteweise war an einem Tag ein Arzt aus Heidelberg vor Ort. Asylsuchende berichteten uns von erkrankten/hustenden Kindern, die nicht medizinisch versorgt wurden. Wir gehen davon aus, dass es zumindest zeitweise etwa für medizinische Probleme keine anderen Ansprechpersonen als die (i.d.R. männlichen) Securities gibt.
Frauen, Kinder, Schwangere und stillende Frauen
Besonders dramatisch ist die Situation in der BEA, wie in anderen Lagern, für Frauen und Kinder. Es gibt keine Rückzugsräume zum Stillen und zum Schutz vor (sexualisierten) Übergriffen. Vor der Eröffnung hieß es von Seite des RP, „es kommen zu wenige Frauen, als dass wir auf sie gesondert Rücksicht nehmen könnten“. Die Bedeutung von Schutzräumen nimmt jedoch zu, je weniger Frauen da sind. Es gibt auch keinen Spielplatz/zum Spielen vorgesehenen Freiflächen für Kinder.
Es ist offenbar nicht erlaubt, in der BEA einen Wasserkocher anzuschließen und gibt somit keine Möglichkeit, Wasser zu erhitzen, um Dinge auszukochen oder um Milch oder Babynahrung zu erwärmen. Auch wurde bislang wohl keine Babynahrung ausgegeben. Eine unabhängige Hebamme bekam keinen Zutritt zur BEA, kam aber am NoLager-Infopunkt mit schwangeren und stillenden Frauen ins Gespräch. Eine schwangere Frau mit vorzeitigen Wehen bekam wohl von einem tageweise anwesenden Arzt Paracetamol gereicht und wurde weggeschickt.
Informationen
Die Menschen verfügen über praktisch keine Informationen bezüglich ihrer Situation, des Ortes an dem sie sich befinden, sowie ihrer Rechte und Pflichten im Asylverfahren. Ob das einer unzureichenden Übersetzung geschuldet ist oder Informationen tatsächlich nicht zur Verfügung gestellt werden, wissen wir nicht. Auch herrscht Unklarheit bezüglich des Gebietes, für das die Residenzpflicht gilt. Es gibt keinerlei Angebot zum Erwerb von Deutschkenntnissen. In den ersten Tagen gab es, obwohl im Vorfeld zugesichert, in der BEA kein Internet (das ist für die Geflüchteten wichtig um Kontakt mit Angehörigen zu halten). Aktivisten der Initiative FreiFunk, die auch in anderen Städten Lager mit kostenlosem W-Lan ausstatten, haben unbürokratisch Router aufgestellt, die aber anscheinend bereits wieder abmontiert wurden.
Das Lagersystem ist teuer, massive humanitäre Defizite sind strukturell bedingt. Es verursacht die massive Einschränkung von Bewegungsfreiheit und Persönlichkeitsrechten von Betroffenen. Es handelt sich um Menschen, die ein selbstbestimmtes Leben führen möchten und nun von einer auf Abschiebung ausgerichteten Bürokratie auf unbestimmte Zeit vollständig ausgebremst werden.
Wir fordern ein Ende der Kriminalisierung von Flüchtenden, die Schaffung sicherer Fluchtwege nach Europa sowie ein Benennen und Beheben bundesdeutscher/europäischer Verstrickungen in globale Fluchtursachen.
No Lager- nicht in Freiburg, nicht in Röszke und auch an keinem anderen Ort!
Das wird nicht reichen
Kein Vergleich zu geschätzt 400.000 Wohnungen, die jährlich gebaut werden müssen, um den Flüchtlingen eine würdige Bleibe zu schaffen. Auch wenn es profan wirken mag, der beste Weg, den Menschen in Lagern nun ernsthaft zu helfen, ist ein Engagement in Politik und Kommunen, um sozialen Wohnungsbau anzukurbeln, und sei es durch alternative Wohnprojekte, Genossenschaften, Wagenhöfe oder was auch immer.
http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/wohnraum-jedes-jahr-fehlen-400-000-neue-wohnungen-a-1053064.html
http://www.taz.de/Fluechtlinge-in-Deutschland/!5232196/
Masterplan
Architekt*innen und Stadtplaner*innen sind dran:
http://www.heute.de/stadtplaner-fordern-masterplan-fuer-wohnungsbau-zur-integration-von-fluechtlingen-40115220.html