Die Inszenierung des Elends. Ein Kommentar

Diskussion

Bei der ganzen Berichterstattung über die Geflüchteten, die momentan in München ankommen, wird mensch fast! schon rührselig. Freiwillige Helfer*innen, die Kindern Teddybären in die Hand drücken und stundenlang an der Essensausgabe stehen, um die immense Menge an gespendeten Nahrungsmitteln zu verteilen. Alles schön und gut, wenn da aber nicht doch ein bitterer Beigeschmack wäre. Der Beigeschmack der Heuchelei.

Die Heuchelei über das „tolle“ Verhalten der Polizei, die sonst aber allzu gerne Menschen aus dem Schlaf weckt, um sie abzuschieben oder Züge nach Schwarzen Menschen absucht, um sie zu kontrollieren. „God bless Germany“ würde ein*e Amerikaner*in rufen, denn es fühlt sich ungewohnt amerikanisch an, wie die „deutschen“ Helfer*innen gelobt werden. Dazu Videobeiträge, die Kinder mit großen Augen zeigen oder Bilder, in denen die Haare des „dreckigen“ Geflüchteten von einer lächelnden Weißen Frau durchgesehen werden. Die Geflüchteten sind natürlich dankbar, denn hier ist es wirklich besser. Sie müssen hier zum Beispiel nicht unter Zäune (facebook.com/ajplusenglish/videos/610978739043637/) durchkriechen, um weiterzukommen.

 

Aber gut ist das Asylsystem trotzdem nicht. Seit 1993 hat sich hier gar nichts strukturell verbessert. Im Gegenteil, dieses Jahr, über 20 Jahre später hat die BRD ein Gesetzespaket verabschiedet. Es sind die härtesten Verschärfungen für Asylbewerber*innen seit damals. Ein Jahr nachdem die Länder Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Serbien als sichere Herkunftsstaaten eingestuft wurden. Damit Menschengruppen wie die Roma leichter abgeschoben werden können. In Bayern gibt es seit jetzt dem 1.September auch das erste „Sonder“abschiebelager, offiziell „Aufnahmelager für Asylbewerber ohne Bleibeperspektive“ genannt. Dabei ist es doch diese Politik, die ihnen die Perspektive zu bleiben, vehement verwehrt. Durch CDU/CSU, aber auch SPD Politiker*innen, die kein Hehl daraus machen, dass Menschen schneller abgeschoben werden sollen, wenn sie nicht schon frühzeitig daran gehindert werden, überhaupt einzureisen. Denn nur so könne diese „Überbelastung“ des deutschen Staates mit den angestiegenen Geflüchtetenzahlen reduziert werden. Nach dem Motto: aus den Augen, aus dem Sinn.

Doch eins wird immer und einmal wieder bewiesen, kein Zaun und kein Lager der Welt lässt Menschen davor „zurückschrecken“, ihre Rechte auf Bewegungsfreiheit und einem guten Leben einzufordern.

 

Deutschland schafft es den Migrationsdiskurs so zu lenken, dass im Grunde genommen Menschen weiterhin nach ihrem wirtschaftlichen Nutzen betrachtet werden.Wir erleben eine Inszenierung des Elends, die in „gute“ und „schlechte“ Flüchtlinge unterscheidet. Also in „Kriegsflüchtlinge“ und „Wirtschaftsflüchtlinge“. Beziehungsweise gerade aktuell in syrische Flüchtlinge und Roma. Eine konstruierte Logik, die nicht existieren müsste. Die aber noch mal bestärkt wird, in dem ein „Abschiebestopp“ nur für Geflüchtete aus Syrien verhängt wird. Die aufzunehmen sind die „Deutschen“ gerne bereit, die müsse mensch ja aufnehmen, denn Deutschland hat ja eine „traurige“ Kriegsvergangenheit. Die „armen“ Deutschen mussten auch mal fliehen. Wer dafür verantwortlich war, das wissen wir nur zu gut. Neben der Inszenierung dieses Elends wird auch noch die Nazi-Vergangenheit mit der heutigen Situation in Syrien verglichen.

 

„It's a german problem“ (facebook.com/Channel4News/videos/10153192961141939/?pnref=story)?!

Das Gutmenschengetue wäre im Falle Münchens gar nicht notwendig, wenn die zuständigen Behörden, sich um eine angemessene Versorgung gekümmert hätten. Ich verurteile nicht die Menschen, die aus Mitleid an den Bahnhof eilten, um nach der ganzen PEGIDA und Heidenau Hetze etwas Gutes zu tun. Etwas, das doch eigentlich selbstverständlich ist, nämlich Menschen aufzufangen, die eine qualvolle Reise durch halb Europa hinter sich haben. Eine Reise, die viel einfacher hätte ausfallen können. Ohne Zäune und prügelnde Polizei. Ohne Übernachtung im Freien. Ist Ungarn daran schuld? Ja und Nein. Ungarn hat eine offen rechts gerichtete Regierung, die Roma und Geflüchtete diskriminiert. Das ist sehr zu verurteilen. Jeder Staat dieser Erde ist dafür verantwortlich sich angebracht um die Menschen zu kümmern, die sich in seinem Land aufhalten. Vergessen wir aber mal trotzdem nicht, wer am längeren Hebel sitzt. Die Aussage des Oberbürgermeisters von München, bezüglich der Züge, die von Ungarn unkonformerweise durchgelassen wurden, machte das allzu deutlich. Ungarns Verhalten sei unsolidarisch und Frau Merkel müsse da was dagegen tun. In Anbetracht der fehlenden „Solidarität“ von Seiten Deutschlands im Rahmen des Griechenlandspardiktats klingt das wie eine Parodie. Was meint er, solle Frau Merkel denn sagen? „Hättet ihr die Zäune nicht früher fertig stellen können?“

 

Der politische Kampf bleibt der um die Bewegungsfreiheit aller Menschen. Um das Leben ohne Grenzen, denn kein Mensch ist illegal. Kein Passprivilegium soll entscheiden, wer ein gutes Leben führen darf. Vergessen wir nicht, wen wir wirklich anklagen müssen, wenn Menschen fliehen. Ein Land wie Deutschland hat kein Recht, überhaupt annäherungsweise , Menschen zu verweigern, hier zu sein.

Zeige Kommentare: ausgeklappt | moderiert

Denn nur so könne diese „Überbelastung“ des deutschen Staates mit den angestiegenen Geflüchtetenzahlen reduziert werden.

Es ist weniger "der Staat", der abgesehen von wie immer schleppender Bearbeitung und überbordender Bürokratie ernsthaft überlastet ist, es sind reale Dinge wie Wohnungs- und Arbeitsmarkt, und irreale Dinge wie das Gefühl der "einheimischen" Menschen, mit zu viel Fremden, deren Kultur und Religion überfordert zu sein. Egal wie irreal das auch sein mag, und anscheinend ist das je nach Dorf sehr verschieden, ignorieren darf mensch das nicht, sonst knallt es, und dann ist grosses Wundern und Entsetzen, wo der Mob nur herkam.

 

Ein Land wie Deutschland hat kein Recht, überhaupt annäherungsweise , Menschen zu verweigern, hier zu sein.

In dieser Frage ausgerechnet mit "Recht" zu argumentieren ist komisch, denn ausgerechnet "das Recht" stellt der Migration Hürden in den Weg.

die verantwortlichen für rassistische deportationen angreifen: https://linksunten.indymedia.org/en/node/151639

Ich war selbst die letzten Tage helfend am Hbf. Was du in deinem Artikel im Bezug auf München schilderst ist zum Teil schlicht und einfach falsch. Es ist so, dass die Polizei versucht, die Helfenden so weit wie möglich einzuschränken und ihnen jede Möglichkeit auf Autonomie zu nehmen. So wird nur einer sehr geringen Anzahl Helfern Zugang zur Registrierungshalle gegeben, die Zahl der Helfer von der Polizei kontrolliert und Aufbewahrungsräume für Spenden verweigert, sodass diese durch die ganze Stadt gefahren werden müssen. Leider ist es so, das einzelne Personen, wie die Grünenpolitikerinnen Vaniessa Rashid und Katharina Schulze, lieber auf eine Querfront mit der Polizei setzen und so erreichen wollen, dass die freiwilligen Helfer zu Laufburschen der Polizei werden. Dennoch versucht sich die Mehrheit der Helfer, viele davon aus dem linksradikalen Lager, unabhängig von der Polizei zu helfen, was einigermaße erträglich auch funktioniert. 

Querfront mit der Polizei, so ein Blödsinn. Wie wäre es mit: "mit denen kooperieren, die den Job bei der Polizei nicht aus dem Motiv der Gewaltausübung heraus ausüben. Du rufst die wahrscheinlich zuerst an, wenn Du Dich von vermeintlichen "Gegnern" belästigt fühlst... Dass im nächsten Satz Helfer als "linksradikal" charakterisiert werden, zeigt, woher dieser Post kommt, nämlich aus der eigentlichen Querfront, die alles umstürzen und überall Krawall machen will, sogar da, wo schlicht Hilfe nötig ist. Diese Leute, die nichts besseres zu tun haben, als Linke zu kriminalisieren, indem sie ihren freiflottierenden Hass überall hin versprühen, wo konstruktiv agiert und gearbeitet wird. Das Helfen an sich ist unpolitisch. Wer daraus politischen Nutzen ziehen will, indem da Leute diffamiert werden, sollte sich im Interesse aller Beteiligten besser aus der Diskussion raushalten.

Gutmenschengetue

dis Nazivokabular kannste dir auch mal sparen

Da ich nicht aus München stamme, kann ich zu den Vorgängen am Hauptbahnhof nichts sagen. Ich vermute (aus eigenen Erfahrungen) dass die Polizei das Kommando haben will und die Freiwilligen behindert.

Verkauft wird das ganze Szenario via Medien als "die guten Deutschen", die nicht so barbarisch wie die östlichen Nachbarn sind. (Und das obwohl Deutschland die treibende Kraft in der Selektionsmaschinerie des Fortress Europe ist.)

 

Das Wort "Gutmensch" ist sehr heikel. Eigentlich stammt es aus dem Gedicht "Das Göttliche" von Johann Wolfgang von Goethe:
"Edel sei der Mensch,
hilfreich und gut!
Denn das allein
unterscheidet ihn
von allen Wesen,
die wir kennen."

Das Gedicht steht für die Zeit der Aufklärung und für die aufklärerischen Ideale von Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit. "Gutmensch" ist eine Verhöhnung. Ich kann die Wut angesichts der eklatanten Widersprüchlichkeit am Münchner Hauptbahnhof gut verstehen. Das Wort "Gutmensch" sollte man aber besser nicht benutzen.

 

Ich finde den Text sehr gut. Was mir aber fehlt ist der Bezug auf Kapitalismus. Dieser wird völlig raus gelassen. Dabei geht es, wie schon 1993 bei der Asylgesetzgebung, genau darum. Der Kapitalismus schafft zum großen Anteil die Fluchtursachen und will die entstehenden Flucht- und Migrationsströme wirtschaftlich für sich nutzen. Die Verworfenen dieser Welt zählen dabei nicht. Schon vor 20 Jahren wurde bei vielen AntirassistInnen der Kapitalismus aus den Diskurs genommen. Daraus entwickelte sich alleine eine hilflose moralische Haltung und auf Dauer eine Appell-Politik der Symbole und Gesten. Das materielle und administrative Räderwerk  konnte sich so ungestört in den letzten 20 Jahren in Deutschland und Europa ausbauen und fit machen - fit für die nächsten Aufgaben in der Fluchtregulation.

Großteile der Medien spielen wieder einmal die Rolle, dass sie einerseits eine Katastrophenstimmung erzeugen und damit rassistische Ressentiments fördern, andererseits das Image Deutschlands via der Präsentation von Initiativen antirassistischer Menschen aufpolieren. Die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Gründe fallen allen halbens zurück. Und das ist gewollt so.

 

Hier ein Text, der die Diskussion in einen historischen Kontext stellt und vielleicht jemanden interessieren könnte:

The Times They Are a-Changin’ ? - von der Kontinuität rassistischer Bilder

https://linksunten.indymedia.org/de/node/98797

Nein, es ist echte Menschlichkeit, nicht Gutmenschengetue.

Seien wir so ehrlich: linke Gruppen können zwar immer wieder öffentliche Diskussionen anregen, aber sie sind oft marginal, marginalisiert.

 

Tatsächlich war die Empörung über das massenhafte Ertrinken im Mittelmeer seit April sehr groß, es kamen in mehreren Städten zu Kundgebungen unerwartet viele Menschen.

Das ist doch schön.

 

Es ist allen klar: in Syrien ist es grausam, in den Lagern rund um Syrien nicht auszuhalten.

Es gibt dann doch noch ein paar tausend Menschen, die einfach praktisch ihre Erste Hilfe anbieten. In München, per Spendensammlung, mit einer Plattform für Arbeitsplätze, workeer.

Und es sind ja immer noch diese scheiß Zelte, in die es reinregnet und windet.

 

Ich freue mich über diese Initiativen, und sehe keinen Grund die Motivation zu kritisieren.

Wenn wir eine viel weitergehende antirassistische Veränderung und soziale Umwälzung der Gesellschaft wollen, dann müssen wir genau bei diesen Aktivitäten anknüpfen.

"Das Gutmenschengetue wäre im Falle Münchens gar nicht notwendig, wenn die zuständigen Behörden, sich um eine angemessene Versorgung gekümmert hätten."

Wenn der Staat, wenn die Stadt ___?

Warum nicht weiter Forderungen stellen?

Warum außerdem so staatsfixiert? Es ist doch schön, wenn einiges ohne Behörden geht. Schlimm, wenn die überhaupt dominieren.

 

sozialisieren - egalisieren - kooperieren.