...wir müssen reden. Gedanken zur Perspektive linksradikaler Politik in Münster

Cover: Wir müssen reden

Die Revolution ist großartig, alles andere ist Quark!“ Rosa Luxemburg

Wir möchten die im Text skizzierten Handlungsoption der 3-Ebenen-Strategie gerne breit in Münster diskutieren. Daraus sollte sich eine umfangreiche und konstruktive Kritik an den eigenen Strukturen ergeben, worauf eine zukünftige Theorie und Praxis in Münster aufbauen kann. In diesem Zusammenhang müssen wir auch unsere Aktionsformen prüfen und unsere Organisationsstruktur hinterfragen, vielleicht sogar über eine Reorganisation nachdenken. Der Erfolg von diesem Diskurs hängt maßgeblich von einer breiten Beteiligung ab, sowie der Bereitschaft, sich Kritik zu stellen und sich von dem Bestehenden zu lösen. Überwinden wir gemeinsam die Isolation der radikalen Linken und verlassen unsere Defensivhaltung.

 

 

Vorwort

 

Man muss eine Weile nachdenken um zu erkennen dass man unglücklich ist, doch es lohnt sich“ Shirley Bassey

 

Unserer Meinung nach ist ein Diskurs über Perspektiven linksradikaler Politik in Münster längst überfällig. Diese Notwendigkeit resultiert aus dem derzeitigen Zustand der (radikalen) Linken in Münster, den wir hier vorsichtig als desorientiert, marginalisiert und zersplittert bezeichnen würden - was wir aber im Folgenden noch weiter ausführen werden. Dieser bedauerliche Zustand ist seit Jahren weitestgehend unverändert, ohne dass breitere Auseinandersetzungen hierüber stattfinden. Ein Ausweg kann nur mit einer Kritik der bisherigen Situation beginnen, um dann gemeinsam eine zukunftsfähige Perspektive zu entwickeln.

 

Uns ist bewusst, dass wir mit diesem Text nicht allen Akteur*innen, die sich der radikalen Linken in Münster zuordnen, gerecht werden. Mit Sicherheit wird es Kritik geben, die auf einige Einzelpersonen oder Gruppen nicht zutrifft. Uns geht es darum, einen allgemeinen Trend festzustellen und diesen zu kritisieren.

Auch sind wir der Meinung, dass Münster mit der Situation nicht alleine dasteht und dass es in vielen anderen Städten vermutlich ähnliche Prozesse gibt. Es soll nicht darum gehen, an Münster ein Exempel zu statuieren.

Dieser Text ist nur ein erster Schritt: Er soll als Anstoß für Diskurse und als erster Beitrag für diese verstanden werden. Wir wünschen uns, dass Gruppen, Freund*innenkreise, WG's, Projekte, Bezugsgruppen, Kollektive sowie alle weiteren Zusammenhänge diesen Text und die Problematik diskutieren, Stellungnahmen und Positionen verfassen und veröffentlichen.

 

 

Einleitung

 

Wir sehen es für eine Analyse als notwendig an, zunächst kurz einige unserer Positionen zu linksradikaler Politik zu erläutern. Die Basis dieser ist für uns eine antikapitalistische und herrschaftsfreie Grundhaltung. Ohne hier eine umfassende Analyse der aktuellen Verhältnisse zu liefern, gehen wir davon aus, dass Kapitalismus, mitsamt seiner Verwertungs- und Leistungslogik sämtliche Ebenen unseres Lebens durchdringt und Diskriminierungsmechanismen sowie Ausschlüsse (re-)produziert und begünstigt. Menschen werden materiellen Zwängen ausgesetzt und durch die Produktionsweise in Hierarchien und Abhängigkeitsstrukturen gedrängt. Wer daher eine herrschaftsfreie Gesellschaft als Ziel des politischen Handelns angibt, sollte sich nicht darauf

beschränken, systemimmanente Phänomene und regressive Kräfte zu bekämpfen, sondern sich gleichzeitig zu diesen Abwehrkämpfen auch in der Praxis immer mit einer Perspektive jenseits des Kapitalismus und weiteren Herrschaftstrukturen auseinandersetzen.

Weiterhin halten wir es für notwendig, linksradikale Politik fernab von parlamentarischen und staatlichen Strukturen zu organisieren, da Staaten dazu da sind, Herrschaft auszuüben und im kapitalistischen System als Grundlage und Werkzeuge von diesem funktionieren. Der Staat existiert nur in einem Netz gesellschaftlicher Verhältnissei, weswegen für eine Revolution ein Angriff sowohl auf Kapitalismus als auch den Staat erforderlich istii.

 

 

Für eine Sozialrevolutionäre Perspektive

 

Revolution ist nicht eine Sache von Tagen, wo geschossen wird und Auseinandersetzungen stattfinden. Revolution ist ein langer, langandauernder Marsch und Prozess um die Schaffung von neuen Menschen, die fähig sind, nicht eine Clique durch eine andere zu ersetzen nach der Revolution, sondern massenhaft demokratisierend von unten bewusste Produzentendemokratie entgegenzusetzen bürokratischer Herrschaft von oben“ - Rudi Dutschke

 

 

In Münster wird wenig über das Thema Revolution geredet. Es wird sich zwar mit revolutionären Bewegungen beschäftigt, Gedanken zu einer Perspektive in Münster selbst, finden sich jedoch nur sehr selten. Dabei sollte eine Überwindung der aktuellen Gesellschaftsordnung zwischen kapitalistischen Zwängen und einengenden staatlichen Strukturen ganz klar das Ziel linksradikaler Politik sein. Dies ist nicht ohne Revolution zu machen: Kapitalismus ist nicht reformierbar.

 

Der erste Schritt für eine revolutionäre Perspektive ist die Einsicht in die Notwendigkeit dieser. Wir verzichten an dieser Stelle darauf, über Hungersnöte, Umweltzerstörungen, sozialen Kahlschlag oder tote Flüchtlinge im Mittelmeer zu schreiben, da wir davon ausgehen, dass die Leser*innenschaft an die wir uns richten mit uns den Standpunkt teilt, dass ein Wandel der gesellschaftlichen Organisation dringend erforderlich ist. Die Unmöglichkeit, den Kapitalismus zu einer bedürfnisorientierten Struktur zu biegen, ergibt für uns ganz klar die Notwendigkeit einer radikalen [v. lat.: radix = „Wurzel“, „Ursprung“] Umgestaltung; einer Revolution.

 

Es gibt viele verschiedene Lesarten des mythischen Wortes Revolution, wie es auch verschiedene Revolutionen gab. Deswegen halten wir es für wichtig, unser Verständnis hier zu erklären:

Für uns ist Revolution ein langer Prozess, mit dem wir uns dem „schönen Leben“ in einer befreiten Gesellschaft nähern wollen - es ist keine Abkürzung mit der wir in wenigen Wochen im „Paradies“ landen werden. Da unser Bewusstsein vom Seiniii bestimmt wird, können wir nicht genau wissen, wie eine befreite Gesellschaft aussehen wird. Aus diesem Grund muss der Prozess der Revolution ständig reflektiert werden. Es kann deshalb auch kein Ende einer Revolution geben – wir wünschen uns vielmehr eine revolutionäre Gesellschaft. Die zapatistische Bewegung beschreibt dies mit dem Satz: „Fragend schreiten wir voran“.

 

 

Zur Situation der Linken in Münster

 

In Münster fehlt es - trotz einer verhältnismäßig personenstarken Linken - bisher an jeglicher revolutionärer Perspektive. Zwar gibt es in einigen Strukturen einen formulierten revolutionären Anspruch, doch auch jene, die ihn formulieren, werden diesem Anspruch in ihrer politischen Praxis selten gerecht. Anstatt Kämpfe zu führen, die die Überwindung aller Herrschaftsverhältnisse zum Ziel haben, arbeitet die radikale Linke dieser Stadt in Kleingruppen mit eigenen Themenschwerpunkten. Die Kämpfe in dem jeweiligen Themengebiet werden jedoch selten als gemeinsame Kämpfe gegen die bestehenden Gesamtverhältnisse praktiziert und finden daher oft isoliert voneinander statt. Dies hat zur Folge, dass unterschiedliche Strukturen meist nicht gemeinsam handeln, sondern weiterhin in kleinen Gruppen arbeiten, die größtenteils kaum handlungsfähig sind. Bei vielen dieser Themengebiete handelt es sich um Kämpfe, die reaktionäre Kräfte in Schach halten oder auf kleinere Reformen innerhalb des Systems hinarbeiten, ohne dass die Wurzeln der Problematiken angegangen werden. Das bedeutet, dass es oft an Radikalität fehlt, denn das Gesellschaftsmodell wird hierbei nicht angegriffen und eine Überwindung von eben diesem spielt - wenn überhaupt - eine untergeordnete bzw. rhetorische Rolle. Einige dieser Kämpfe sind zwar verhältnismäßig erfolgreich (z.B. Anti-Nazi Arbeit in Münster), dennoch bieten sie langfristig keine revolutionäre Perspektiveiv. Wird an dieser nicht aktiv gearbeitet und so der bürgerlichen Gesellschaft eine Alternative entgegengesetzt, die in der Lage ist, kapitalistische und staatliche Strukturen abzulösen, bleibt die Funktion dieses Engagements weiterhin nur die Funktion der Feuerwehr der bürgerlichen Gesellschaftv.

 

Darüber hinaus fehlt es meistens an der Beachtung der verschiedenen gesellschaftlichen Lebensrealitäten. Wenn Kämpfe revolutionär sein wollen, müssen sie lebensstrukturierende Bereiche betreffen, da sie ansonsten an unserem Alltag vorbeiführen. Somit ist es – wenn man unsere aktuellen Kämpfe betrachtet - auch kein Wunder, dass sich keine großen Massen für das interessieren, was wir tun und zu sagen haben.

Unser aller Alltag wird von unterschiedlichen Bedürfnissen und verschiedenen Privilegien oder Diskriminierungsmechanismen strukturiert. Für nahezu alle Menschen spielt Lohnarbeit eine unangenehm wichtige Rolle, da der Arbeitslohn für die Bedürfnisbefriedigung notwendig ist. Jedoch ist der Kapitalismus nicht das alleinige Problem. Ein Umbruch, der nur diese Struktur beseitigt ist nicht unser Ziel, da einige Statusgruppen mit weiteren Diskrimierungsmechanismen zu kämpfen haben - beispielweise aufgrund des Aufenthaltsstatus, des eigenen Geschlechts oder der Sexualität. Es ist zu beachten, dass Menschen auch von mehreren dieser Mechanismen gleichzeitig betroffen sein können und es deshalb auch innerhalb einer bestimmten Statusgruppe unterschiedliche Privilegien geben kann. Wenn wir für eine befreite Gesellschaft - und nicht nur für die Verbesserung der eigenen Lebensrealität - kämpfen, ist es also nötig, alle Kämpfe intersektional zu führen.

 

In der jüngeren Vergangenheit gab es auch in Münster durchaus relevante Kämpfe um die konkrete Veränderung von Lebensrealitäten, welche von einem Großteil der Linken aber ignoriert oder überhaupt nicht wahrgenommen wurden. Hier wurde die Möglichkeit verpasst, radikale Kritik zu äußern und diese in die Kämpfe und damit endlich einmal über den Dunstkreis der eigenen „Szene“ hinaus zu tragenvi.

Zumindest Teile dieser linksradikalen Dunstkreise zeichnen sich durch eine Verschlossenheit gegenüber Ihrer Umwelt aus und verbinden einen bestimmten Habitus mit politischer Arbeit. Diese homogene Struktur steht Vernetzungen und praktischer Zusammenarbeit oft im Weg. Dies wird deutlich, wenn es um Strukturen geht, die zwar ähnliche politische Vorstellungen teilen, die jedoch nicht miteinander vernetzt sind. So fehlt es beispielsweise zwischen vielen Teilen der „Szene“ an einer Verbindung mit der kurdischen Bewegung.

Dieses Verharren in den eigenen kleinen Strukturen und das fehlende Einbringen in aktuelle Kämpfe führt dazu, dass die meisten linken Gruppen in Münster, sowie ihre Positionen und Inhalte in der breiten Öffentlichkeit unsichtbar bleiben. Die Formen, die gewählt werden, um eine Außenwirkung zu erzielen, sind zur Zeit oft erfolglos. Statt eines breiten Diskurses darüber, wie und mit welchem Ziel wir eigentlich Politik machen und Inhalte in die Gesellschaft tragen, wird in der Regel unhinterfragt an alten Handlungsmustern festgehalten. Bei Aktionsformen fehlt es oft an der Frage, was oder wer damit erreicht werden soll. Viele Demonstrationen und andere Aktionen, wie sie zur Zeit durchgeführt werden, interessieren über ihre Dauer hinweg kaum jemanden mehr, da wir nicht in der Lage sind, praktisch eine Alternative zu dem Kritisierten anzubieten.

 

Viele dieser Aktionen sollen die Funktion erfüllen, Öffentlichkeit für ein Thema zu schaffen, allerdings werden dabei unsere Positionen nicht fundiert vermittelt. Wir sind weit davon entfernt, gesellschaftliche Diskurse mitzubestimmen oder anzustoßen. Oft scheint es lediglich darum zu gehen, die Fronten zwischen sich und den „Bürgerlichen“ zu klären, anstatt zu versuchen, unsere Positionen allen Menschen anschlussfähig zu vermitteln. Außerdem wenden wir uns mit den Orten, an denen wir Positionen oder Informationen veröffentlichen (v.a. Internetblogs und Linksunten), nicht an eine breite Öffentlichkeit, sondern nur an diejenigen, die bereits Anknüpfungspunkte zu linksradikaler Politik haben.

Auch die Sprache, die wir hierfür nutzen, führt an den Lebensrealitäten der meisten Menschen vorbei und schließt ganz direkt einige aus, da diese vor allem akademisch und von Szenejargon geprägt ist. Wir müssen Bildungshirarchien abbauen und ermöglichen, dass sich Alle an Diskursen beteiligen können, anstatt auf universitäre Bildung zu setzen. Wer kaum Zugänge zur staatlichen Bildung hat oder sich innerhalb dieser nicht zurechtfindet, muss sich momentan häufig die vielen verschiedenen Theorien und Diskurse selbst aneignen, ohne dass hierbei wirklich Unterstützung geboten wird. Für die jeweiligen betroffenen bedeutet dies meist, dass sie einen Kampf darum führen müssen, mit den jeweiligen Auseinandersetzungen mithalten zu können. Wir brauchen offenen und barrierefreien Raum für Bildung und Diskussionen.

Wenn wir weiterhin an diesen nicht bewährten Handlungsmustern festhalten, werden wir auch in Zukunft nicht an gesellschaftlicher Relevanz gewinnen, geschweige denn eine revolutionäre Perspektive erarbeiten können.

 

 

Kampf auf 3 Ebenen

 

Die Genoss*innen des Lower Class Magazine haben 2014 einen sehr lesenswerten Text mit dem Titel 'Wie die Welt verändern' veröffentlichtvii. Dort wird eine 3-Ebenen-Strategie vorgeschlagen, die folgendermaßen beschrieben wird: „Erstens: Antikapitalistische Agitation und das prozesshafte Herausarbeiten einer linken gesellschaftlichen Vision. Zweitens: Selbstorganisation und kollektive Organisierung, nicht als Nischenpolitik sondern als Breschen gegen den kapitalistischen Alltag. Drittens: Eine offensive Auseinandersetzung mit rechten Krisenakteuren und ihren gesellschaftlichen Ursachen.“

Diese Strategie wollen wir hier im Folgenden als Grundlage nehmen, um uns mit einer revolutionären Perspektive zu befassen.

 

 

Mit Träumen beginnt die Realität

 

Gesellschaftskritik wird heute nur so gut sein, wie sie in der Lage ist, konkret die Irrationalität der Verhältnisse und ihre Überwindbarkeit plausibel zu machen.”
― ...ums Ganze!viii

 

In Anbetracht der Vergangenheit und der aktuellen Situation der Linken in Münster muss der erste Schritt für diese Perspektive eine gründliche Kritik der eigenen Praxis sein. Diese muss gruppen- und szeneübergreifend in einem breiten Diskurs stattfinden. Desweiteren halten wir es für wichtig, an einer gemeinsamen Vision von einer herrschaftsfreien Gesellschaft zu arbeiten. Der Diskurs hierüber sollte nicht über Label geführt werden, sondern jene Vision mit konkreten Inhalten füllen. Hierfür ist es sinnvoll, sich mit Erfahrungen aus Alternativmodellen (wie sie in Chiapas oder Rojava gelebt werden) auseinanderzusetzen, ohne aber krampfhaft diese Strukturen auf unsere Gesellschaft übertragen zu wollen. Solch eine gemeinsame Vision kann auf der einen Seite nach innen Kraft geben, auf der anderen Seite können so die bestehenden Verhältnisse mit einer fundierten Alternative in der Hinterhand kritisiert werden. Eine ernsthafte Gesellschaftskritik muss dringend wieder auf die Agenda der Linken in Münster gesetzt werden. Hierbei reicht es nicht, die Kritik für sich selbst zu formulieren, sondern es müssen Mittel und Wege gefunden werden, diese in die breite Öffentlichkeit sowie in bestehende Kämpfe zu transportieren.

 

 

Schafft zwei, drei, viele Kollektive...

 

Das Fundament dieser Vision besteht für uns aus Selbstorganisation und Basisdemokratie. Es sollte darum gehen, eigene Strukturen aufzubauen, die nach diesen Prinzipien funktionieren. Dafür ist es nötig, sich derartige Strukturen in allen Lebensbereichen zu erkämpfen, diese zu vernetzen und je nach Möglichkeit zu unterstützen.

Eine wichtige Rolle hierbei spielt es, sich den Bereich der Arbeit wieder anzueignen. Durch Arbeitskollektive wird ganz direkt die kapitalistische Form der Arbeit abgelehnt und versucht, diese nicht profitorientiert, sondern bestmöglich nach den Interessen der Arbeitenden zu organisieren.

Soziale Zentren können offene Orte der Begegnung und des Austausches sein, in denen Menschen ohne Konsumzwang zusammenkommen und eigene Entscheidungs- und Organisationsstrukturen schaffen können, die ihren Bedürfnissen gerecht werden.

Durch das kollektive Aneignen von Wohnraum kann es möglich sein, diesen langfristig dem Markt zu entziehen, und – wie auch in den anderen Bereichen - Ressourcen gemeinsam zu nutzen sowie sich auch zwischenmenschlich zu unterstützen. Kollektive Strukturen können so Menschen langfristig sowohl Sicherheit als auch mehr Freiheiten gewährleisten.

Dies ist die einzige Möglichkeit, auch unseren eigenen Alltag als Teil eines politischen Kampfes zu verstehen und diesen mitsamt allen Schwierigkeiten, seien sie nun ökonomischer oder emotionaler Art, gemeinsam zu tragen – und nicht mehr nur einer Hobbypolitik nachzugehen.

Bei der Gründung von Kollektiven ist es jedoch wichtig, dass eine enge Vernetzung und Kooperation stattfindet. Das Lower Class Magazin spricht hier vom Einrichten von Institutionen. Solche Räte/Institutionen sind eine Instanz, in denen sich die jeweiligen Projekte organisieren, um gemeinsam zu diskutieren und Entscheidungen zu treffen. Es ergibt sich so die Möglichkeit der bedarfsorientierten Koordination sowie der gegenseitigen Unterstützung der verschiedenen Initiativen: Sollte z.B für ein Kollektiv, welches Aufstriche herstellt, eine Kinderbetreuung für die Kinder der Arbeitenden notwendig sein, so gibt es dort die Möglichkeit, diese Betreuung gemeinsam zu organisieren. Für den Fall, dass es in einem Kollektiv einen Konflikt zwischen Personen (oder auch Konflikte zwischen Kollektiven) gibt, bei dem eine Vermittlung benötigt wird, kann ein Rat diese einrichten. Es kann geschaut werden, wo es noch Bedarf nach einem Fahrradladen oder einem Stadtteilzentrum oder einer Kita gibt und bei der Realisierung dieser unterstützt werden. Auch bei ökonomischen Problemen kann ein gemeinsamer Umgang damit geschaffen werden.

Ohne solche Räte aber bleiben all diese Prozesse willkürlich und eine gemeinsame Handlungsstrategie unmöglich. Es braucht eine gemeinsame Vernetzung, um kapitalistische und staatliche Strukturen abzulösen und eine Alternative zu schaffen, die nicht nur für einige Wenige, sondern auch für den Großteil der Bevölkerung attraktiv erscheintix.

Gerade in Zeiten kapitalistischer Krisen und allgemeiner Unsicherheit kann so eine praktische und solidarische Alternative aufgezeigt werden, anstatt regressiven Kräften (wie AfD, Pegida und Co.) die Antworten auf die Krise zu überlassen.

 

Das klingt müßig? Die Alternative dazu wäre, die nächsten 30 Jahre Antifa-Politik zu betreiben und einmal im Jahr in Frankfurt die EZB zu blockieren oder zum 1. Mai die Weltrevolution auszurufen. Ohne Basisorganisierung und konkrete Schritte wird beides erfolglos bleiben.“ - lowerclassmag: Wie die Welt verändern?

 

 

Wer einen Nazi sieht, muss ihn boxen“x

 

Nichtsdestotrotz bleiben als letzte Ebene Abwehrkämpfe angesichts der aktuellen gesellschaftlichen Stimmung notwendig. Diese müssen aber auch als solche begriffen werden, um nicht die Illusion zu erzeugen, dass sich hieraus eine Revolution ergeben kann. Langfristig kann eine Agitation gegen rechte Krisenakteure nur erfolgreich sein, wenn diesen eine praktische Alternative entgegengesetzt wirdxi. Solche Akteure haben sich in Münster noch nicht gefestigt bzw. ist die Krise hier (noch) kaum spürbar. Daher wäre es gerade jetzt an der Zeit, sich dem Aufbau eigener Strukturen zu widmen, um im Falle eines Erstarkens regressiver Kräfte zuerst „da zu sein“ und ihnen von vornherein Raum zu nehmen.

 

 

Wie weiter?

 

Wir möchten diese Handlungsoption der 3-Ebenen-Strategie gerne breit in Münster diskutieren.

Daraus sollte sich eine umfangreiche und konstruktive Kritik an den eigenen Strukturen ergeben, worauf eine zukünftige Theorie und Praxis in Münster aufbauen kann. In diesem Zusammenhang müssen wir auch unsere Aktionsformen prüfen und unsere Organisationsstruktur hinterfragen, vielleicht sogar über eine Reorganisation nachdenken.

Der Erfolg von diesem Diskurs hängt maßgeblich von einer breiten Beteiligung ab, sowie der Bereitschaft, sich Kritik zu stellen und sich von dem Bestehenden zu lösen. Überwinden wir gemeinsam die Isolation der radikalen Linken und verlassen unsere Defensivhaltung.

 

Für die soziale Revolution.

Berxwedan Jiyane - Leben heißt Widerstand.

 

"Wir müssen die Welt nicht erobern, es reicht uns, sie neu zu erschaffen"

- Subcommandant Marcos

 

 

i Dass der "Staat nur als Knoten in einem Netz gesellschaftlicher Verhältnisse existiert", erklärt John Holloway in seinem Buch 'Die Welt verändern ohne die Macht zu übernehmen, 2002, Münster

 

ii Weitere Gründe und eine umfassende Kritik linker Parteipolitik liefert der Artikel „Wie die Welt verändern?“ im lower class magazine (s. Literaturverzeichnis)

 

iii "Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt", aus 'Zur Kritik der politischen Ökonomie', 1859, Karl Marx

 

iv Wir wollen diesen Abwehrkämpfen hier nicht ihre Berechtigung absprechen, und halten diese auch weiterhin für richtig und wichtig. Vor dem Hintergrund der Analyse auf eine revolutionäre Perspektive sollten diese Kämpfe aber auch als solche benannt und richtig eingeordnet werden, um nicht die Illusion zu erzeugen, dass diese „die Revolution“ herbeiführen.

 

v Dass die Arbeit der radikalen Linken (nicht nur in Münster) seit Jahren maßgeblich diese Funktion erfüllt, sehen wir, wenn aktuell wieder (wie bereits vor 24 Jahren) rassistische Mobs vor Flüchtlingsunterkünften zusammenkommen. Eine linke Intervention muss früher ansetzen und den Menschen eine ernstzunehmende Alternative anbieten.

 

vi z.B.: der Kita Streik + Großdemo im Mai 2015; der GDL Streik ab 2014; der Hungerstreik von Pascal Thüer vor dem Jobcenter für Bürokratieabbau im Jobcenter; das Recht-auf-Stadt-Bündnis, welches nicht komplett ignoriert wurde, bei dem es aber an einer breiten Beteiligung linksradikaler Gruppen fehlte und welches schließlich seine Arbeit einstellte; der Protest um die Abschiebungen aus der Wartburgschule, bei dem sich zwar auch linksradikale Gruppen beteiligten, es aber versäumt wurde, eine eigene radikale Kritik einzubringen

 

vii "Wie die Welt verändern?", Von John Mallory & Juan Miranda, 22.12.2014, Veröffentlicht im 'Lower Class Magazine' am 07.01.2015

 

viii Aus "M18: Nicht zynisch werden – Neues Jahrhundert, neuer Anlauf" von '...ums Ganze!' vom 18.7.2015

 

ix „So lange es nicht ganz unrealistisch scheint, dass es im Fall des Aufstandes keine Pizzen mehr in den Tiefkühltruhen geben wird, weil nicht nur die Logistik der Macht, sondern auch die der Tiefkühlpizzen zusammenbricht, wird die Mehrheit der Menschen aus durchaus nachvollziehbaren Gründen nicht mitmachen“ - umsGanze: Nicht zynisch werden

 

x So lautet die dritte Regel des Boxclubs aus dem Buch „Das Känguru-Manifest“ von Marc-Uwe Kling, August 2011

 

xiRechte Krisenakteure und -ideologien konfrontativ anzugehen, ist bitter nötig. Entscheidend ist aber das Wie. Die Antifa-Strategie des Aufklärens, Skandalisierens und Isolierens funktioniert nicht mehr. Nicht nur, weil die wenigsten unter das Klischee „gewaltbereiter Hitlerfan“ fallen. Zum Isolieren sind es auch einfach zu viele, denn rechte Denkweisen sind bis weit in die Mitte der Gesellschaft fest verankert. Auch klassische Bündnispolitik stößt bei PEGIDA und co. hier an ihre Grenzen. Wie soll glaubhaft mit den Grünen und der SPD im breiten Bündnis gegen Rassismus agiert werden, wenn diese gerade Gesetze zur Abschiebung von Sinti und Roma nach Ex-Jugoslawien durchgewunken haben? Wer den rechten das Wasser abgraben will, muss die nationalistischen, sozialchauvinistischen, rassistischen und sexistischen Ideen angreifen, auf denen ihre Gesellschaftsentwürfe fußen und ihnen eigene Ideen, wie es besser sein könnte, entgegen stellen.“ - lowerclassmagazine: Wie die Welt verändern?

 

 

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Sozialisieren -

Egalisieren -

Kooperieren.

 

Und alles Tun darauf ausrichten.

Solidarity4all.

kannste deinen kommentar mal erläutern?

a

Da sich im Text ja explizit für eine einfache Sprache eingesetzt wird:
Um tatsächlich etwas in der Gesellschaft zu verändern, muss mensch
* andere für die gute Sache rekrutieren & informieren (Den Slang, Organisationsformen, Demoverhalten beibringen).
* Dabei nicht in die Lehrerrolle verfallen - wir sind alle gleichberechtigt, jeder trägt seinen Teil bei
* mit anderen Gruppen zusammen arbeiten.
Auch wenn wir uns uneinig sind was das Hauptübel, das jetzt gerade wichtigste, die beste Aktionsform oder vielleicht sogar kleine Meinungsverschiedenheiten bei bestimmten Themen haben: Wir wollen doch im Endeffekt das gleicht - nur zusammen arbeiten wenn mensch 100% übereinstimmt ist unrealistisch.

In den meisten Punkten habt ihr meiner Meinung nach absolut Recht...

Ohne Organisation von unten (über den Szenesumpf hinaus) wird das nichts mit der Veränderung.

Kooperation ist das Stichwort...

 

[ich verallgemeinere]

Ich befürchte aber, dass das für viele aus der "Szene" nicht so einfach wird.

Schließlich wird untereinander ja schon genug bei kleinsten Meinungsverschiedenheiten genörgelt und minimales abweichen "bestraft".

In Sachen Toleranz besteht da sicherlich noch einiges an Nachholbedarf.

Leider finden es viele einfach bequemer und toller sich in den immergleichen "Zirkeln" zu bewegen.

Hat ja was exklusives... Abgrenzung gegen "die anderen" und sich als etwas besseres fühlen...

 

 

Ich bilde mir ein, dass die von euch angesprochenen Dinge in letzter Zeit vermehrt diskutiert werden.

Hoffentlich "versumpft" die Diskussion nicht übermorgen wieder.

...wäre es einfach hätten wir kein problem.

ich hab auch das gefühl das die themen vermehrt disskutiert werden, wird ja auch allerhöchste zeit.

grüße aus dem osten.

Die Massen machen eh keine Revolte solang sie im Wohlstand verharren.Von kollektiven halte ich überhaupt nichts.A habe ich kein Bock auf arschloecher und b zuviele Spitzel.

Ich verstehe nicht so recht den Gehalt deines Kommentares, hast du den Text gelesen?

Dein 'die Massen machen eh keine Revolte solange sie im Wohlstand verharren" & "kein Bock auf Arschlöcher" machen scherst den Eindruck das du einer

der Auserwählten sind, die die Weißheit mit Löffeln gefressen haben. Reflektiere doch einmal deinen eigenen Werdegang und stelle dich nicht einfach so über andere Menschen. Diese zwanghafte abgrenzung und isolation wird doch oben (wenn auch zu kurz meiner Meinung nach) kritisiert! 

Ausserdem zeigen sehr viele Beispiele von Revolutionär*innen, Theoretiker*inen und Bewegungen, das es nicht  zwingend eine Hungersnot braucht für eine 'Revolte'. Genauso führen die wenigsten Hungersnöte, oder Unterdrückungen zu 'Revolten'. Es braucht schon etwas mehr als das.

Zusätzlich würde ich nicht nur von Wohlstand sprechen; was ist mit Gesundheit und Würde? Guck dir doch dazu mal Statistiken an, da wäre nach deiner Logik eine Revolte wohl überfällig. Dennoch muss es um mehr als eine "Revolte" gehen, was finde ich oben im Text ganz gut begrüdet wird.

Ach nochwas; Spitzel in Kollektiv Betrieben? Warum zur Hölle? Das ist wirklich Blödsinn..  

(Sry; jetzt bin ich selbst ein bisschen der linksradikale besserwisser-manier verfallen, aber ich arbeite daran)

 

@Komitee, Viel Glück!