Verschiedene Spektren, zwischen denen es wenig Überschneidungen gibt, brachen in den letzten Wochen den tristen Alltag politischer Ohnmacht auf, mit unterschiedlichem Erfolg:
Am 21. Juni stürmten tausende DemonstrantInnen die Wiese vor dem Reichstag, um Gräber für die auch von der deutschen Regierung ermordeten Flüchtlinge auszuheben. Der angemeldete Protest- „Marsch der Entschlossenen“ vom Zentrum für politische Schönheit, der kurzerhand Zäune einriss und sich die Menschenmenge über den Rasen hermachte, überraschte die Bullen. Die Gefahrenprognose des LKA für diesen Tag hatte sicher anders ausgesehen.
Sicherlich werden Leute, die bei Protesten in einer Zelle landen oder verletzt werden, den politischen Erfolg einer Aktion anders beurteilen, als die veranstaltenden Strukturen. Ebenso stellt sich die Frage, wer mit welcher Art von Mobi erreicht werden kann. Der Marsch der Entschlossenen zum Reichstag wurde offen und breit mobilisiert, er kann zu den Veranstaltungen gerechnet werden, die die Nutzung von Facebook und Twitter als akzeptiertes Kommunikationsmittel der angesprochenen Zielgruppe voraus setzt. Bei der Besetzung der Cuvry Brache am gleichen Tag wurde jedoch ausdrücklich auf eine Mobilisierung von Facebook verzichtet und erst im Moment der Zaunöffnung mit Twitter gearbeitet. Die Aktion wurde im Vorfeld nur über informelle Kanälen verbreitet.
Für zukünftige Interventionen mit einkalkuliertem Verstoß gegen Gesetze, wäre es nun wichtig genauer den Personenkreis zu bestimmen, der damit erreicht werden soll, unter gleichzeitiger Berücksichtigung seiner üblichen Kommunikationswege. Denn wie oft sind schon Spontis enttäuschend verlaufen, weil es schlicht an Masse fehlte? Das es in Berlin aber wesentlich mehr Leute gibt, als die üblichen 70 bei Spontis, haben die Gräber auf der Reichstagswiese bewiesen. Also muss auch das Level der Regelverletzung und die Sicherheitsstufe der Mobilisierung zur Not in einem offenen Streit ausgetragen werden, statt zu oft den faulen Kompromiss zu suchen.
Gedanken darüber hatten sich auch verschiedene Strukturen in Friedrichshain gemacht. Zwischen dem 6. und 12. Juli fand die Lange Woche der Rigaer Straße statt. Im Rückblick lässt sich wohl nicht bestreiten, dass ein Teil des Konzepts aufgegangen ist. Ohne Anmeldung wurde ein Kontakt zur Nachbarschaft und BesucherInnen interessanter Workshops und Veranstaltungen hergestellt. Entgegen einer Pressekampagne im Vorfeld, wurde der Konflikt mit den Bullen zwar erwartet aber nicht geplant, was sich später als Fehler herausstellte.
Als nämlich am Mittwoch der absehbare Angriff der Bullen auf den Umsonst Flohmarkt startete, hatten diese damit das Heft des Handelns in die Hand genommen. Zwar musste noch am gleichen Abend ein Observationsfahrzeug der PMS in der Rigaer Straße einen Steinhagel aufnehmen und in wilder Flucht den Kiez verlassen, den Strukturen und BesucherInnen blieb aber insgesamt nur noch die Reaktion übrig.
Genauso am Donnerstag. Erst nachdem Bullen erneut am Dorfplatz die Leute
angingen, wurde ein weiteres PMS Fahrzeug ausgeschaltet. Die folgenden
Auseinandersetzungen vor der Rigaer 78 und in der Silvio-Meier-Str.
begannen erst nach einer unglaublich brutalen Festnahme, über die sich
daraufhin Gäste des Freibeuter beschwerten. Zwei Wannenbesatzungen
griffen, nachdem sich alles beruhigt hatte, anscheinend ohne Absprache
mit der Einsatzleitung den Freibeuter an, die fliegenden Barhocker waren
schon fast Notwehr.
Die Anmeldung der Demonstration am Freitag wird von einigen als Fehler
betrachtet, weil die Bullen sich so eine statische Lage verschaffen
konnten und zusätzlich, nach einem längeren Weg von anmeldungsfreien,
selbstbestimmten Initiativen, ein politischer Rückschritt erfolgte.
Die
Frage, ob die Anmeldung tatsächlich mehr Menschen mobilisierte, wurde
leider nicht beantwortet. Das Bullenaufgebot war für diesen Anlass
jedenfalls gigantisch und entsprechend gering der Handlungsspielraum.
Für die Bullen verlief es bis zu jenem Moment gut, als sie nach der Demo
meinten einen Passanten in der Rigaer Str. zusammenschlagen zu müssen.
Erst jetzt flogen Steine aus der Menge am Dorfplatz, als dann noch ihre
Fahrzeuge in der Zelle Straße angegriffen wurden, waren sie für einen
kurzen Moment hin und her gerissen.
Am Samstag rückten die Bullen so
nah an die Projekte Liebig 34, Rigaer 94 und 78 heran, dass es
unvermeidbar war sie zu bewerfen.
Der Formulierung der Roten Hilfe,
dass dieses Auftreten der Bullen „toleriert“ wurde, muss widersprochen
werden. Den Leuten blieb nur die Wahl zwischen mühsamen Ertragen einer
ekelhaften Nähe von ekelhaften Schweinen oder der handgreifliche
Widerstand, der zu zahlreichen Festnahmen führte. Die Bullen behielten
zu jederzeit die Kontrolle über die Situation. Und auch am Sonntag
bestimmten sie den Grad der Auseinandersetzung, als sie in den Hof der
Rigaer 94 eindrangen, um der BSR Amtshilfe zu leisten, damit diese den
verbliebenen Müll vor der 94 zusammenkehren konnte.
Die Lange Woche der Rigaer Straße ist insgesamt trotz guter Ansätze nicht über das Reagieren auf Eskalationen der Bullen hinaus gekommen und es fühlten sich auch weniger Menschen als erwartet von der Mobilisierung angesprochen. Eigeninitiativen von anderen Zusammenhängen im Stadtgebiet, mit Bezug auf Angriffe der Bullen, wurden nicht bekannt. Vielleicht wirkte auch die Stigmatisierung der Rigaer Straße durch Medien- und VS Berichte abschreckend.
Dem gegenwärtigen Verfall von organisierungsfähigen Strukturen kann nur begegnet werden, wenn richtungsweisende Entscheidungen über den Kreis der kleinen, informellen Zellen und den der Label-Politik von Gruppen wie z.B. der IL hinaus diskutiert werden.
Offensichtlich gibt es gravierende Differenzen, was die Gestaltung von Eingriffen in den kapitalistischen Normalzustand betrifft. Wenn zum Beispiel Ums Ganze , den 18. März unter ähnlichen Fragestellungen auswerten und in die selbe Richtung wollen, dabei aber bei genau denen andocken, die das Gegenteil wollen und ihre „Beteiligung am Blockupy-Bündnis nach wie vor für strategisch richtig und politisch wichtig (halten)…
Gerade mit Blick auf die sozialen Kräfteverhältnisse in diesem Land. Denn eine großzügig ausgelegte Form des zivilen Ungehorsams erscheint uns derzeit eine geeignete Möglichkeit, sowohl eine Zuspitzung der Debatte über die örtlichen Zumutungsverhältnisse zu erreichen, wie auch die gesellschaftliche Isolation der Kritik zu beenden. Nicht damit wir „massentauglich“ werden, sondern damit wir mehr Menschen hier, im Herzen des Hamsterrades, zum Dagegensein ermutigen. (…) Der Versuch der Entwicklung einer breite(re)n Bewegung gegen die deutsche Politik setzt allerdings voraus, zugleich antagonistisch und anschlussfähig zu sein. Wer angesichts der aktuellen Situation in Europa ernsthaft meint, der entscheidende Punkt sei nun, die Zuspitzung in die linken Milieus statt in die Gesellschaft selbst zu tragen, folgt einem Ritual identitärer Selbstbespaßung, das sich für radikal halten mag, tatsächlich jedoch kaum Potential für gesellschaftliche Veränderung bietet. Stattdessen würde es darum gehen, im Wissen um die Unterschiede einen Zustand der praktischen Kooperationsfähigkeit herzustellen, und vor dieser Aufgabe werden wir alle – auch als radikale Linke – in Zukunft weiterhin stehen. Wir dürfen uns dafür nicht zu schade sein, mit anderen politischen Gruppen und gesellschaftlichen Milieus ins Gespräch zu kommen, im Gespräch zu bleiben und Zusagen verbindlich umzusetzen, ohne dabei an politischer Schärfe und Radikalität einzubüßen. Auch aus diesem Grund ist die für viele so anrüchige Bündnisarbeit wie bei Blockupy für uns wichtig und der dort stattfindende, so mühselige wie mitunter nervige Verständigungsprozess ein radikales Unterfangen – radikaler jedenfalls, als vom gefahrlosen Ort des Schreibtisches aus einsame Texte zu produzieren, die auf Geschichte warten. Oder zweimal im Jahr auf Auswärtsfahrt zu fahren und zwischendrin mit dem Mitmachen weiterzumachen.“
…werden Menschen und Zusammenschlüsse mitgenommen, die ausdrücklich den gesetzlichen Rahmen nicht verlassen wollen oder lediglich verbalradikal sind. Wie mit diesen Personenkreisen eine Veränderung in irgendeinem gesellschaftlichen Bereich erreicht werden soll, ist rätselhaft, zumal die Bewegungsgeschichte kein einziges positives Beispiel dafür aufweist. Typisch für diese Sichtweise ist auch die Bezeichnung im besagten Auswertungstext von Fede als Genossen und die Darstellung von unreflektierten Krawalltouristen als TrägerInnen von Auseinandersetzungen.
Denn Fede wurde mitgenommen zu einer Aktion, die den Rahmen verlassen hat und er hat sich danach vor Gericht davon distanziert. Und genau solche Leute wollen wir doch eigentlich mit unseren Mobilisierungen nicht erreichen, oder?
Wenn wir Handlungsfähiger werden wollen, müssen wir uns mehr austauschen und vernetzen, aber auch mit Kritik nicht nur umgehen lernen, sondern diese auch selbst formulieren. Mehr Erkenntnisse über die Bereitschaft zu Aktionen des zivilen Ungehorsams und handgreifliches Einmischen könnten Vollversammlungen zu speziellen Situationen bringen, die sicher eine größere Relevanz erlangen würden, als die gegenwärtige Berliner AVV; ebenso offene oder halboffene Nachbereitungstreffen. Vielleicht würden dabei Ideen eingebracht, die es uns ersparen zum Objekt einer polizeilichen Maßnahme degradiert zu werden, sobald wir das Versammlungsgesetz missachten.
Es stellt sich auch die Frage, wie wir uns gegenseitig erreichen, wenn zurecht von einigen Mobilisierungswegen Abstand gehalten wird, wir aber nicht nur über linksunten oder informelle Wege in Kontakt treten wollen. Wieso nutzen immer weniger Leute die schon vorhandenen “sozialen Zentren”, statt nach neuen zu betteln? Es gibt unzählige Hausprojekte in Berlin, die dieses Jahr ihr 25 und 35 jähriges Jubiläum feiern, viele sind den meisten unbekannt, was nicht unbedingt die Schuld der Projekte sein muss. Wir könnten einfach mehr Veranstaltungen dort organisieren, Plätze und Straßenecken zurückerobern, statt uns in teil/kommerziellen Großraumdiskos zu verlaufen.
Nicht nur Repression schränkt die Masse in ihrer Handlungsfähigkeit ein, auch Vereinzelung schreckt davor ab überhaupt raus zugehen.
Übernommen von urbanresistance.noblogs.org
Zentrum für politische Schönheit
Die Antworten des Senats auf die Fragen zu der Aktion vom Zentrum für politische Schönheit.
http://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/17/SchrAnfr/s17-...
http://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/17/SchrAnfr/s17-...
Zitat: " weil es schlicht an Masse fehlte?"
70 Leute wären mehr als ausreichend, WENN die Leute sich nur bewegen. Und das schnell und praktisch sofort ab dem Zeitpunkt, wo man sich trifft. Jede "Sponti" ist sinnlos, wo Menschen über einen Zeitraum von einer halben Stunde gemütlich angelatscht kommen, denn da sind die Bullen längst in ausreichender Anzahl da und haben die Lage auf Bullendeutsch statisch gemacht. Von diesem Zeitpunkt an ist auch mit tausend Leuten nichts mehr zu reißen und um es auch noch mal zu sagen, man ist in der Masse nicht sicherer und viele kleine sich bewegende Gruppen sind auch viel schwerer zu kesseln.