Dokumente zeigen: Ein Rechtsextremer aus Kassel will einem Kameraden Neun-Millimeter-Pistolen verkaufen. Über weitere zukünftige Geschäfte werde nachgedacht. Für den NSU-Ausschuss dürfte der Waffenhandel von Bedeutung sein.
Von Martín Steinhagen und Hanning Voigts
Zwei Neonazis aus dem Umfeld des seit Herbst 2000 verbotenen rechten Netzwerks „Blood and Honour“ haben offenbar einen illegalen Waffenhandel geplant. Wie aus Dokumenten hervorgeht, die die Frankfurter Rundschau einsehen konnte, will der Neonazi G., der in der Nähe von Augsburg lebt, vom in Kassel wohnhaften F. mindestens zwei halbautomatische Pistolen vom Kaliber 9 Millimeter nebst dazugehöriger Parabellum-Munition kaufen.
Die Schusswaffen sollen demnach 1600 Euro pro Stück kosten, das Geld soll vorab gezahlt und die Ware bereits in den kommenden Tagen über einen Mittelsmann geliefert werden. Den Dokumenten ist außerdem zu entnehmen, dass über weitere Geschäfte für die Zukunft bereits nachgedacht wurde.
Besondere Brisanz erhält der mögliche Waffendeal durch die Tatsache, dass beide Geschäftspartner lange Karrieren in rechten Netzwerken hinter sich haben: F., der ursprünglich aus Thüringen stammt, galt lange Zeit als zentrale Figur in der Kasseler Neonazi-Szene. Der 30-Jährige war unter anderem Mitglied der militanten Kameradschaft „Sturm 18“, ist mehrfach einschlägig vorbestraft und zählte zum Umfeld der bekannten Rechtsrockband „Oidoxie“ aus Dortmund. Die Band verstand sich lange Zeit als Teil von „Combat 18“, also des bewaffneten Arms von „Blood and Honour“.
Mit der „Oidoxie Streetfighting Crew“ unterhielt die Band sogar eine Art eigener Security-Truppe, der Neonazis aus Kassel und Dortmund angehörten. Heute tritt der muskulöse und stark tätowierte F., der sich auch im Umfeld des Motorradclubs „Bandidos“ bewegt hatte, als Führungsfigur des Rockerclubs „Hardcore Crew Cassel“ auf und behauptet von sich, mit der rechten Szene gebrochen zu haben.
Der mutmaßliche Waffenkäufer, G., ist in der Vergangenheit ähnlich einschlägig in Erscheinung getreten: Er war Bassist von Oidoxie und trat mit der Band unter anderem 2011 beim Pressefest der „Deutschen Stimme“ auf, der Parteizeitung der extrem rechten NPD. Nach Recherchen von Szenebeobachtern soll G. außerdem im vergangenen Jahr ein Konzert von Blood and Honour im Elsass organisiert haben. Wie aus den gesichteten Dokumenten hervorgeht, wollte G. das Geld für die Schusswaffen per Post an F. nach Kassel schicken.
Nazi-Netzwerk zwischen Dortmund und Kassel
Auch für den Untersuchungsausschuss des Hessischen Landtages zur Mord- und Anschlagsserie der rechten Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) dürfte der geplante Waffenhandel von Bedeutung sein: Das Gremium untersucht vor allem den Mord an dem Internetcafé-Betreiber Halit Yozgat am 6. April 2006 in Kassel, der heute dem NSU zugeschrieben wird.
Szenekenner vermuten schon länger, dass das dichte Neonazi-Netzwerk zwischen Dortmund und Kassel mit der Tat zusammenhängen könnte. Der ehemalige Verfassungsschützer Andreas Temme, der sich in großer zeitlicher Nähe zu dem Mord am Tatort aufgehalten hatte, führte mit Benjamin G. einen V-Mann aus Kasseler Neonazi-Kreisen, der unter anderem auch über F. berichtete.
Anhaltspunkte für eine Verbindung der NSU-Morde in Dortmund und Kassel gibt es überhaupt einige: So wurde nur zwei Tage vor dem Mord an Yozgat, am 4. April 2006, der Dortmunder Kioskbesitzer Mehmet Kubasik erschossen, auch dieser Mord geht mutmaßlich auf das Konto der NSU-Terroristen. Zudem soll Zeugenaussagen zufolge wenige Wochen vor dem Mord an Halit Yozgat ein Konzert von Oidoxie in Kassel stattgefunden haben. F., der mutmaßliche Waffenverkäufer, hatte dazu einmal in einem Verhör angegeben, auch der NSU-Terrorist Uwe Mundlos könnte bei diesem Konzert gewesen sein.
Ein derzeit inhaftiertes früheres Mitglied der Oidoxie Streetfighting Crew, der Schlägertruppe der Dortmunder Rechtsrockband, ist außerdem ein Brieffreund der mutmaßlichen NSU-Terroristin Beate Zschäpe, die derzeit mit vier weiteren Angeklagten in München vor Gericht steht. Der geplante Waffendeal zwischen G. und F. wirft damit auch von neuem die Frage auf, wie verbreitet illegale Waffen über den NSU hinaus in der Neonazi-Szene und im Umfeld von Blood and Honour waren und sind – und ob diese Strukturen zumindest zum Teil auch heute noch existieren.
FR-Titelseite: "Kleiner Deal unter Kameraden"
Wie ein Neonazi aus Kassel versucht, Schusswaffen für die rechtsradikale Szene zu beschaffen