Teeranschlag: Gentrifizierungs-Kritik im Leipziger Osten geht nach hinten los

Teeranschlag in Leipzig
Erstveröffentlicht: 
10.06.2015

Mit Teer haben Unbekannte ein nahezu fertig saniertes Gründerzeithaus in der Hermann-Liebmann-Straße in Leipzig beschmiert. Die Kritik gegen steigende Mieten im Osten der Messestadt ging jedoch nach hinten los. In dem Gebäude sollen günstige Wohnungen entstehen.

 

Leipzig. Die schwarze Flüssigkeit klebt an der Fassade, an Fenstern und Regenrinnen. Auf zehn Metern Breite, bis hinauf zur zweiten Etage ist die frisch gestrichene Hauswand in der Hermann-Liebmann-Straße 85 mit Teer besudelt. Am frühen Montagmorgen wurde auf das fast fertig sanierte Mehrfamilienhaus in Neustadt-Neuschönefeld ein Anschlag verübt. Die Täter konnten flüchten.

 

Vermutlich hätten zwei Personen zwischen 6 und 7 Uhr die wasserunlösliche schwarze Flüssigkeit an die Fassade geworfen, so die Polizei. „Offenbar hat die ‚Gentrifizierungsdebatte’ auch den Leipziger Osten erreicht“, meint Behördensprecher Uwe Voigt. Doch die Tat ging nach hinten los: In dem jahrelang leerstehenden Haus an der Ecke zur Ludwigstraße, das eine Investorin vor dem Verfall rettete, sollen keine teuren Luxusappartements entstehen. Stattdessen sind günstige Wohnungen geplant.

 

Offener Brief prangert „Pauschalisierung“ an


Nach dem Anschlag wurde ein Brief an die Fassade geklebt. Darin machen die in dem Rekohaus beschäftigten Handwerker ihrem Ärger über den Vandalismus Luft. „Wir bitten euch nicht zu pauschalisieren und jede Sanierung als Versuch zu werten, dass hier unsozialer und unfairer Wohnraum entsteht“, heißt auf dem A4-Zettel, der mit „Sanierung = Gentrifizierung = Verdrängung?“ überschrieben ist. Die Eigentümerin habe alles andere als „Wuchermieten“ im Sinn, sondern „erschwinglichen Wohnraum für alle“, zu marktüblichen Preisen entsprechend des Mietspiegels.

 

Für die Polizei sind solche Attacken in Leipzig nichts Neues. Mit Teer wurden in der Vergangenheit bereits diverse frisch renovierte Häuser in Connewitz und Plagwitz beschmiert. Weitere Luxussanierungen in den Szene-Vierteln sollen damit verhindert, Investoren abgeschreckt, die rasante Aufwertung der Viertel und steigende Mieten angeprangert werden – so mutmaßlich die Logik der Täter. Im Leipziger Osten, wo sich in den vergangenen Jahren eine eigene Subkultur mit Haus- und Kneipenprojekten gebildet hat, ist man von Gentrifizierung bislang allerdings weit entfernt. Die Mieten in Volkmarsdorf und Neustadt-Neuschönefeld gehören seit Jahren zu den günstigsten in Leipzig. Viele Häuser stehen nach wie vor leer.

 

Ehemaliges „Achtern Strom“ war dem Verfall geweiht


Auch das abrissreife Haus in der Hermann-Liebmann-Straße 85 fand sich im März 2014 noch auf einer Liste der Stadt, die Dutzende Immobilien zur Gebäudesicherung aufführte. Vielen älteren Einwohnern aus dem Viertel dürfte das Eckhaus gut bekannt sein. Im Erdgeschoss wurde vor der Wende eine Bar unter dem Namen „Achtern Strom“ betrieben. Später gab es dort einen Imbiss, der irgendwann verschwand – ebenso wie die anderen Bewohner des Hauses.

 

„Hier stand ein unbewohntes Haus mit zerstörtem Dach, wodurch der nicht genutzte Wohnraum immer mehr verfiel“, ärgern sich die Sanierer nun, dass ihre Bemühungen zur Rettung des Gebäudes von Randalieren mit Füßen getreten werden. Die aufwändige Renovierung der Außenfassade sei aufgrund von Auflagen des Denkmalamtes notwendig gewesen, argumentieren sie fast schon entschuldigend. Keiner von ihnen wolle an einem „Strukturwandel“ beteiligt sein, der Mietpreise in die Höhe treibe und zur Verdrängung beitrage. Mit der „berechtigten Kritik an Bausanierungen in sogenannten Brennpunktvierteln“ würden sie sich gern offen auseinandersetzen, schreiben sie.

 

Mit den Teerspritzern haben die Randalierer nun jedoch genau das Gegenteil von dem erreicht, was sie wollten. Die Fassade muss kostspielig gereinigt werden, laut Polizei entstand durch den Anschlag ein Schaden von rund 20.000 Euro. Den, so schreiben die Handwerker, müssen die künftigen Bewohner nun wohl oder übel mittragen – durch höhere Mieten.

 

Robert Nößler

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