Kurzes Resümee zum Ersten Mai in Bonn

Das Folgende gibt eine sehr einseitige und von (subjektiv) jungen Menschen geschriebene Wahrnehmung wieder, die zum Ersten Mai gemacht wurde. Wie es sich für durchaus hedonistisch und empathisch veranlagte Menschen fast schon zur guten „Tradition“ gehört, ist diese Wahrnehmung gestört durch den nur langsam schwindenden Kater und das dazugehörige Schwindelgefühl, die der Tanz in den Mai verursacht hat. Obgleich Mitglieder unserer Gruppe versucht haben, an allen vielen Events des Tages teilzunehmen, sei es Demo 1, Demo 2, Fest 1 oder Fest 2, sorgt dieses ganze Kuddelmuddel auch dafür, dass mensch die Revolution vor laute Kuchen nicht mehr sieht. Also kein Anspruch auf Vollständigkeit.

 

Während eine(r) der Verfasser*innen des Textes sich morgens um 9, nach gesunden vier Stunden Schlaf, an der Marienschule noch in gewohnt zynischer Weise mit Genossen/ Freunden (andere würden möglicherweise auch Antisemiten sagen, wir bleiben bei Genossen) darüber bespaßte, dass es nun ja in Bonn schon leider traurige Tatsache sei, das an diesem Tag, und es versprach ein gemütlicher, schöner zu werden, die kirschblütenrosane Altstadt in zwei Teile gespalten wäre. Diese unsichtbare, aber deutliche Linie, die später am Tag wieder einmal sämtlichen Austausch und jeden Hauch von Sympathie verhinderte, stellt quasi einen doppelseitigen „Antifaschistischen Schutzwall“ dar.

Aber um dem chronolgischen Ablauf Folge zu leisten, begann der Tag gewohnt entspannt mit der Gewerkschaftsdemonstration, mit größerem Lauti als letztes Jahr und gewohnt perfide mit Bürgermeister in der ersten Reihe. Nach einigen vernünftigen Reden und einigen unvernünftigen, die vermutlich viele Proletarier aus ihrem Feiertagsrauschauschlafens riss, kam mensch am Rathaus an. Neben dem traditionellen Hände-reichen von „Regierungs-“ und „Oppositions“parteien, die ganz furchtbar tolle Sprüche ihrer „Errungenschaften“ von sich gaben und farblich individuell abgestimmte Papiere mit überall gleichem Inhalt verteilten, freuten wir uns auch über eine zwar unpolitische aber dennoch sehenswerte Attraktion: Das Kinderkarrusell, das als Symbol der ewigen Wiederholung der Geschichte und der Wahlergebnisse, Teile unserer Gruppe zum Mitfahren animierte.

 

Und so verkürzt es auch sein mag (oder scheint), waren wir auch bei allem mit Fahne und so dabei. Denn es stimmt, dass wir die Meinung und Politik der Parteien und Gewerkschaften nicht teilen, aber wir werden unsere Kritik an ihnen auch weiterhin direkt und ohne diese drei Stunden nach hinten zu schieben, äußern. Das wird von einigen linken Gruppen ebenso wie den Machthabenden belächelt werden.

 

Auch schien es so, das auf der Gewerkschaftsdemo leider kein Arbeitender mitlief, der nicht bereits politisiert war und dem der Tag der Arbeit überhaupt noch ein Begriff wäre. Wahr ist aber auch, dass auf der Tanz in den Mai Party im Oscar-Romero-Haus mehr Menschen Bier und Cocktails tranken und zu guter Musik x zwei tanzten, als sich am nächsten Tag auf der libertären Demo für ein anderes System einsetzten. Vielleicht reicht es den meisten Menschen in einem System zu leben, in dem es Bier, Cocktails und gleich zwei Dancefloors gibt. Wir glauben, dass es uns und auch Euch nicht reicht.

 

Unser Stand war dann später am Fest an der Marienschule und wir haben dann auch fleißig Kuchen „verkauft“ und unsere Broschüren verteilt. Neben Büchern, Platten, vielen, vielen Texten, (Cuba, G7, Überwachung, Kurdistan, psst Kommunismus) eine große Bühne. Vor und auf dieser wurde mal schön Halay getanzt, aber auch sehr einseitig über Hamas und den nahen Osten gerappt. Einige von uns hielten das nicht aus und sind auf das Fest am Frankenbad gegangen. Hier gab es (Überraschung!) auch Reden, Musik (auch toll, aber kein Halay) und einen schönen, großen Stand der Tierbefreier mit lecker Essen. Die Antifa sorgte mit „Frisch gebrühter Kaffee“-Rufen für das nötige Marktplatzfeeling und die Punks trugen Ihre hoch philosophischen Beiträge bei.

 

Noch kurz zur „Eskalation“ an der Marienschule: Wir sind froh, dass adelante, eine so offene und auch kontroverse Gruppe ist, mit Menschen, die antideutsch, antiimps, vegan, Mörder, commies, anarchos, Hauptsache aber Zecken sind und - solidarisch.

Wir würden also gerne auch weiterhin mit allen Gruppen und Menschen diskutieren, streiten, feiern und Alles weitere erarbeiten, was mensch sonst noch für eine andere, bessere Welt braucht.

 

Trotz oben erwähnter Kritik sind wir zahlreich erschienen, um den 1.Mai als den Tag, als welcher er eingeführt wurde, zu feiern und zu nutzen. Der 1.Mai soll einer starken Arbeiter*innenbewegung gewidmet sein, die uns weiterhin viele Rechte erkämpft hat, die uns das Leben und Arbeiten heutzutage um einiges angenehmer machen. Fortschritt wird nur erreicht werden, wenn Menschen sich dafür einzusetzen, auf die Straße zu gehen und gehörigen Druck auf die Politiker*innen auszuüben oder am besten noch: sich selber zu organisieren und die Veränderungen selbst in die Hand zu nehmen, statt unser Vertrauen regelmäßig von Parteienbürokratie enttäuschen zu lassen. Ungerechtigkeiten sollten nicht ignoriert werden – Kapitalismus verursacht auch heute noch Armut und Umweltzerstörung, auch heute werden sich wieder Menschen auf den langen und gefährlichen Weg nach Europa machen, welches viele niemals erreichen werden, und auch heute sind Menschen gegen die Festung Europas machtlos, wenn sie eigentlich Hilfe brauchen, und auch heute werden Menschen abgeschoben.

Sowohl in Bonn als auch anderswo werden wichtige Sozialkürzungen gestrichen, Bibliotheken, Schwimmbäder, Sportvereine, Kinderbetreuungen usw. geschlossen. Und die Ungerechtigkeiten sind nicht nur außerhalb der europäischen Grenzen zu finden: Auch in Deutschland wächst die Ungleichheit zwischen armen und reichen Haushalten, Chancengleichheit ist für viele ein schlechter Witz und vermeintliche Gegenmaßnahmen greift längst nicht für Alle. Auch in Deutschland wird der Wert deiner Arbeitskraft nach dem gemessen, was du für ein Wirtschaftswachstum tust und nicht, wie viel Zeit und Körperkraft du investierst.

 

Rassismus existiert im 21. Jahrhundert wie er auch schon im 20. und 19. Jahrhundert existierte: Asylheime werden angezündet, Asylsuchende verprügelt und umgebracht und Menschen aufgrund ihrer Herkunft in prekären Verhältnissen festgehalten. Von Menschen wird erwartet, sich einer vermeintlich „deutschen“ Kultur anzupassen, statt als die wertgeschätzt zu werden, die sie sind. Frauen haben immer noch, statistisch gesehen, weniger Geld als Männer und übernehmen immer noch den meisten Teil der Hausarbeit, was in den meisten Fällen einfach als selbstverständlich wahrgenommen wird. Jede dritte transidentitäre Person hat schon mal einen Suizidversuch unternommen, weil die Gesellschaft und unsere staatlichen Strukturen es ihnen unheimlich erschweren, ein angenehmes Leben nach ihren Bedürfnissen zu führen. Das alles und noch so einiges mehr können wir natürlich nicht an einem 1.Mai und mit einer einzigen Demonstration verändern, aber wir sollten uns in Erinnerung rufen, welche Zustände uns empören sollten, für was es sich lohnt auch mit Kater lauthals die eigene Wut nach draußen zu schreien, statt sie einfach runterzuschlucken. Es gibt zahlreiche Gründe, um links zu sein und linke Politik zu machen und am 1. Mai sollten wir uns allen bewusst werden und gemeinsam zusammenhalten – wie auch an jedem anderen Tag im Jahr.

Die Welt ist nicht friedlich und gerecht und wird es auch niemals werden, wenn wir uns nicht für eine solche einsetzen.

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