Während die Zahlen der Ankünfte und der Toten im Mittelmeer und an den sizilianischen Küsten stetig wachsen (ungefähr 1200 allein in der vergangenen Nacht, mehr als 5000 in den letzten vier Tagen) ist heute Morgen in Palermo im Viertel Ballarò – Albergheria etwas Emblematisches vorgefallen, das uns nur zum Nachdenken anregen kann. In einem Viertel mit sehr hoher Bevölkerungsdichte und regelmäßigen Polizeirazzien und Blitzaktionen gegen ambulante Verkäufer und Händler des historischen Marktes im Viertel hat das Vorbeifahren eines Busses mit somalischen und eritreischen Migranten an Bord, die in der Nacht angekommen waren, eine spontane und aufrichtige Solidaritätsdemonstration ausgelöst.
Unbekümmert von der eben durchgeführten Räumungen der Marktstände haben viele
der selbst „unbefugten und illegalen" Verkäufer und Bewohner der Gegend Nahrung,
Wasser und Kleidung an die im Bus eingeschlossenen und von der Polizei
geleiteten Migranten verteilt.
Uns kommt spontan dabei der Gedanke, dass
vielleicht gerade die proletarischen „Unbefugten und Illegalen", die
Arbeiterschichten, die von der heftigsten (ethischen und oft sogar
anthropologischen) Kriminalisierung heimgesucht und mit einer Stigmatisierung
der menschlichen Rückwärtsgewandtheit behaftet werden, diejenigen sind, die
wahre und ehrliche Werte der Solidarität, Menschlichkeit und Gastfreundschaft
vertreten. Jene Werte, die als Aushängeschild genutzt werden aber faktisch in
ihrer Ganzheit nicht nur in der Debatte und im politisch-institutionellen
Einsatz (der auf Rückführungen auf See und Abschiebehaft beruht) abwesend sind,
sondern auch in dem was sich (selbst) als „Zivilgesellschaft" definiert. Dies
ist eine Antwort an solche wie Salvini, der in den letzten Tagen infolge des
Zusammenbruchs eines Teils der Palermo-Catania-Autobahn die Sizilianer dazu
aufgefordert hatte, sich gegen die Migranten zu widersetzen, die daran Schuld
trügen und der Lokalbevölkerung Ressourcen, soziale Einrichtungen und
Infrastrukturen der Insel entzögen. Die heutige Episode zeigt ganz anderen Sinn
und Substanz auf, entgegen des politischen Willens (nicht nur salvinischer
Natur) und mediatorisch im Sinne der Schaffung einer kollektiven Phantasie des
„Kriegs unter Armen". Eine nützliche Vorstellungswelt, nicht jedoch in diesem
Fall, zur Fragmentierung des unendlichen Panoramas der Ausgebeuteten; ganz
gleich, ob diese Migranten oder Proletarier sind.
Im Folgenden geben wir die
Zeugenschaft eines heute Morgen in Ballarò anwesenden Bürgers wieder, der sich
auf diese Art öffentlich auf Facebook äußern wollte:
„Als der Streifenwagen
heute Morgen in den Markt der „alten Sachen" von Ballarò angekommen ist, haben
sich einige Verkäufer zurückgezogen, seit geraumer Zeit patrouilliert die
Polizei in der Gegend und konfisziert die Ware von den Verkäufern, die es
wiederum bevorzugen die Ware unbeaufsichtigt stehen zu lassen und sich
zurückzuziehen um eine Anzeige zu umgehen. Es sind nur die Ärmsten geblieben,
diejenigen, die arme Gegenstände verkaufen, wie benutzte Schuhe und alte
Kleidung, alte Stofftiere, kaputtes Spielzeug, gebrauchte Comics und Bücher.
Gleich nach der Streife kam ein Bus an, dann noch ein Streifenwagen, um die
Straße zu blockieren. Der Bus ist in der Mitte stehengeblieben. Die
Jugendlichen, vielleicht Somalier oder Eritreer, haben angefangen, ihre Köpfe
den Fenstern zu nähern. Manche Gebrauchtwarenverkäufer haben sich ebenso
neugierig genähert, dann kamen noch weitere um die müden Gesichter dieser
afrikanischen Jugendlichen zu sehen. Es ist auch eine wunderschöne Frau mit
einem 7- oder maximal 8-monatigen Kind dabei. Das Kleinkind lacht und winkt mit
seinem Händchen, durch die Schreibe, den neugierigen Gesichtern...er winkt und
lacht. Und da geschieht es. Ein alter Mann mit schlohweißem Haar nähert sich
seinem Verkaufsstand, nimmt ein Paar alte Pantoffeln und gibt sie der Frau;
andere Hände reichen aus den Fenstern hinaus und der alte Mann nimmt seine ganze
Ware und beginnt sie an die Buspassagiere zu verteilen: Schuhe, Pullover,
Handtücher...und alle machen es ihm nach, alle Verzweifelten, die ihren
Lebensunterhalt damit bestreiten, alte Sachen für wenige Euros zu verkaufen,
beginnen ihre Waren an anderen Migranten zu verschenken. Die, die Comics und
alte Bücher verkaufen, laufen los, um Wasserkästen, Säfte und Brötchen zu
kaufen, und der Kleine hinter der Fensterscheibe hat jetzt Brot und beißt in
einen Laib und lacht und winkt weiter, einen alten Stoffpanda mit nur einem Auge
im Arm.
Ich schaue zu und mache ein Paar Fotos...der Alte mit den weißen
Haaren, der als Erster seine Ware verschenkt hat, nähert sich mir und bittet
mich um eine Zigarette: „Ich habe es nicht geschafft welche zu kaufen", er hat
feuchte Augen, ich geben ihm die Zigarette und sage ihm, dass er etwas
Wundervolles getan hat...er lächelt und antwortet nicht, auf dem Teppich am
Boden sind ihm nur manch alte Zeitung und ein paar zerrissene Tex-Comics
geblieben.
Trotz der mit Müll überbordenden Container, ist alles um mich
herum so schön, fantastisch, sauber ...ich entferne mich, laufe vor den
Bus,...schaue meine Mitbürger an und tatsächlich (im palermitanischen Dialekt:
"ci criu ca puasto megghiu o munnu pi nasciri un cinnè") glaube ich, dass es
keinen besseren Ort gibt, um auf die Welt zu kommen."
Giovanni Basile
Übersetzung aus dem Italienischen von Alina Maggiore: Siciliamigrants.blogspot.it
Positive Pauschalisierung
"Uns kommt spontan dabei der Gedanke, dass vielleicht gerade die proletarischen „Unbefugten und Illegalen", die Arbeiterschichten, die von der heftigsten (ethischen und oft sogar anthropologischen) Kriminalisierung heimgesucht und mit einer Stigmatisierung der menschlichen Rückwärtsgewandtheit behaftet werden, diejenigen sind, die wahre und ehrliche Werte der Solidarität, Menschlichkeit und Gastfreundschaft vertreten."
Sehr gewagt, zu gewagt. Das Gold liegt in der Mitte, es gibt "solche und solche".