Das Elend der Studierenden-Proteste - Zur Kritik am Bildungsstreik

La Banda Vaga

I. Prolog

Ein Onlineartikel der „Bild“-Zeitung widmet sich der Frage, „ob die Proteste (der Studierenden) berechtigt sind.“ Anhand eines kurzen und oberflächlichen Frage-Antwortkataloges werden in dem Artikel die zentralen Forderungen der Studierenden erläutert und die Gründe für und gegen die Reformen abgewogen. Der Duktus des Artikels ist bildtypisch der eines deutschen Spießbürgers und passt sich dadurch dem Gebärden seiner Leserschaft an. Die „Bild“ ist dafür bekannt, gegen „Sozialschmarotzer“, „Chaoten“ und sonstige „Asoziale“ zu hetzen. Wie gewohnt wägt die „Bild“ auch diesmal stellvertretend für ihre Leserschaft ab, ob sie ihr ressentimentgeladenes und enges Weltbild mit den Studienprotesten vereinbaren kann, oder den Studierenden mit der geballten Wut des Spießers gegen „Unruhestifter“ antworten soll. Diese Abwägungen untersuchen, ob bei den Protesten „alles seine Ordnung hat“, der Protest wird auf seine Konformität hin geprüft. Eine Kernfrage der Überlegung, ob die Proteste der Studierenden legitim seien, ist die Folgende – mit entsprechender Antwort: „Sind die Studenten von heute so radikal wie die 68er? Nein. Damals gingen die Studenten auf die Straße, weil sie mit den politischen Verhältnissen im Allgemeinen unzufrieden waren – etwa mit der mangelnden Aufarbeitung des Nazi-Regimes. Die heutigen Proteste richten sich nicht gegen die Gesellschaft insgesamt. Die Forderungen der Studenten beschränken sich auf die Bildungspolitik.“ Eine solche mediale Reaktion sollte Verdacht erregen. Die „Bild“ kann Entwarnung geben: alles geht seinen gewohnten Gang und nichts weicht von seiner vorhergesehenen Funktion ab. Die

Proteste rufen keine Irritationen oder Wut bei denen hervor, die Hass gegen jegliche Abweichung von der Normalität verspüren und auch unumwunden ausdrücken. Vielmehr braucht sich niemand wegen der Proteste aufzuregen. Der konstruktive Charakter ihrer Forderungen drückt die prinzipielle Übereinstimmung mit den Bildungseinrichtungen aus. Die Forderungen der Protestierenden sind bloße Angelegenheit von Bildungspolitik und erklären ihr Einverständnis mit dem tagespolitischen Verhandlungsprocedere. Die Grundlagen auf denen ein konstruktives Miteinander von Studierenden und Land oder Hochschulleitung, das – bei allem Verbalradikalismus – letztlich von fast allen Protestierenden gewünscht wird, gelten unhinterfragt; die Studierenden stellen keine Unvereinbarkeit von ihren Interessen mit den bildungspolitischen Reformbemühungen der letzten Jahre fest – sie versuchen sie größtenteils bloß zu verbessern. In der Angst vor jeglicher Konfrontation legen sich die Studierenden in fast vorauseilendem Gehorsam die Mäßigung und Beschränkung auf Bildungspolitik auf. Sie anerkennen damit die realpolitischen Grenzen und die normative Kraft des Faktischen. Deshalb bleibt eine Zeitung wie die „Bild“ auch so entspannt angesichts von Großdemonstrationen und Besetzungen: hinter allem aktionistischen Bedeutungswirbel steckt der prinzipielle Wille zu Übereinstimmung und Konformität. Damit sind die Studienproteste bedeutungslos, ein bloßer Tagesordungspunkt auf der Liste politischen Geschehens.

 

II. Die Bedeutung der Besetzung: die gesellschaftliche Artikulation des Unmuts


Die Audimax Besetzung zeugt davon, dass wir uns mit den Ergebnissen der Restrukturierung des universitären Bildungswesens nicht abfinden wollen. Wir widersetzen uns einer Rationalisierung der Universität, die an ökonomischen Maßstäben orientiert ist. Stärker denn je sind die Studierenden in einen bürokratischen Kontrollapparat eingebunden, der uns dazu zwingt unsere individuellen Erkenntnisinteressen an Vorgaben, Fristen, Ordnungen anzupassen. Eine selbstbestimmte Auswahl von Themen, die uns interessieren und sich aus unserem Lernprozess für uns sinnvoll ergeben wird verhindert. Dazu passt auch die offensichtliche Warenwerdung von Bildung. Bildung ist nicht das Ergebnis eines gemeinschaftlichen Lernens, sondern deutlich wie noch nie ein marktfähiges Produkt für das nun auch die entsprechende Bezahlung – 500€ pro Semester – fällig wird. Es ist richtig, wenn wir uns dieser drastischen Beschneidung eines bisher noch relativ freien Bildungsbetriebs wiedersetzen. Endlich verpufft der Ärger über die Zumutungen nicht mehr im alltäglichen Smalltalk - in dem ohnehin die Härten des Unialltags als individuelle Verfehlungen und Schwächen des und der Einzelnen erschienen: wer nicht gut mit den neuen Verordnungen und Festlegungen zurechtkommt ist eben selbst schuld. Diese brutale Ausrede wird den Sachverwaltern der Bildungsbeschneidung nun vermiest, denn der Unmut artikuliert sich seit der Besetzung politisch. Anstatt die Ursachen für unseren Unmut in uns selbst zu suchen, wird durch die Besetzung auch einer breiteren Öffentlichkeit die Problematik der universitären Strukturreformen vorgestellt. Durch die Ummodellierung des Studiums wird vielen Studierenden durch überfüllte Stundenpläne soviel Stress bereitet, dass sie kaum Zeit finden, sich in einem gesellschaftlich-politischen Raum kritisch mit ebendieser Überfüllung ihrer Zeit mit Veranstaltungen, dem gesteigerten Leistungs- und Konkurrenzdruck und den Studiengebühren zu widmen. Der Alltagszwang ist also mit Entpolitisierung verbunden, weil aus der isolierten Einzelperspektive nur noch die Hürden des eigenen Fortkommens registriert werden – die Sicht auf eine strukturelle und damit alle betreffende Dimension geht dadurch aber verloren und damit auch der Blick für gesellschaftliche Zusammenhänge. Die Besetzung repolitisiert teilweise und zerstört dadurch den blinden Fatalismus, zu dem jede/r neigt, deren/dessen Horizont sich in den engen Grenzen der eigenen Laufbahn, in der Reproduktion des ohnehin Bestehenden erschöpft. Es wird nun durch die Besetzung gesellschaftlich kommuniziert, dass das Problem nicht wir, sondern die Reformen sind, die uns Stress bereiten, Geld kosten und Bildung radikal in die Welt bloßer Marktvernunft entlassen.

 

III. Die falsche Beschränkung der Kritik auf den bildungspolitischen Rahmen


Wenn wir zu der Frage nach den Gründen von Uni-Reform und Studiengebühren nicht bloß ein instrumentelles Verhältnis einnehmen wollen, dann müssen wir auch unsere gesellschaftliche Position als Studierende hinterfragen. In den Protesten drückt sich häufig eine Kritik an den Uni-Restrukturierungen aus, die nur noch aus der Einzelperspektive des besseren Fortkommens im Uni-Alltag heraus gestellt ist. Diese Perspektive ist freilich völlig legitim. Wir alle wollen studieren, ohne dabei von beengenden Abgabefristen, Anwesenheitspflichten usw. diszipliniert zu werden. Eine Kritik, die sich auch auf dieser alltagspraktischen Ebene bewegt ist unproblematisch. Problematisch wird diese Kritik allerdings dann, wenn sie neben dieser Alltagsperspektive keine weitere mehr kennt. Wenn neben der nötigen Kritik der konkreten Missstände der Grund für diese Missstände nicht begriffen und hinterfragt wird, dann nimmt sich auch die konkrete Kritik, die etwas Erreichbares anstrebt, ihre Kraft. Die Gründe für die Restrukturierung des universitären Alltags sind nicht aus ihm selbst, sondern nur aus einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive heraus erklärbar. Wenn die derzeitigen Proteste sich einer solchen Perspektive verweigern, verlaufen sie im Sand. Es sollte zu denken geben, wenn Politik und Hochschule, die die Bildungsreformen erst lanciert haben, in den Protest einzustimmen scheinen. An ihrem Applaus lässt sich Wichtiges ablesen. Es lässt sich ablesen, dass viele Forderungen der Studierenden verhältnismäßig gut mit der Vorstellung von Universität übereinstimmen, wie sie vom politischen Establishment gehegt werden. Das sollte zu denken geben. Keineswegs haben die Befürworter der Bildungsreformen ein vergessenes Bildungsideal wiederentdeckt. Vielmehr überschreiten viele Forderungen der Studierenden den grundlegenden Geist der Reformen nicht und können ihn daher auch nicht wirksam bekämpfen. Das liegt zum einen an Forderungen, die letztlich nur dann Sinn machen, wenn mensch akzeptiert, dass die Bildungsreformen alternativlos sind – etwa die Forderung nach gerechter Anerkennung von Studienleistungen oder die Forderung bezüglich eines besseren Lehramtsstudienganges. Zum anderen bleiben alle etwas weiterführenden Forderungen hilfloser Idealismus, wenn die Protestierenden nicht erkennen, dass es strukturelle Gründe für die Reformen gibt, die in der kapitalistischen Funktionslogik der herrschenden Ökonomie liegen.

 

IV. Die Bildungsreformen haben ihren Grund in der kapitalistischen Struktur dieser Gesellschaft


Die Bildungsreformen sind kein Irrweg des politischen Establishments, der sich durch gutes Zureden und beeindruckende und pressewirksame Forderungen seitens der Studierenden korrigieren ließe. Die Reformen verfolgen vielmehr den Weg, den der Kapitalismus aus innerer Notwendigkeit heraus vorgibt. Innerhalb des bestehenden Systems ist dieser Weg – von leichten Nuancen abgesehen – alternativlos und die frommen Wünsche nach Besserung der Uni innerhalb des Systems hoffnungslos. Es ist an der Zeit zu begreifen, dass die Reformen der inneren Notwendigkeit des Kapitalismus entsprechen, immer billiger, rationaler, schneller, besser zu arbeiten, zu lernen, zu konkurrieren – und zwar nicht mit dem Ergebnis weitreichender Bedürfnisbefriedigung, sondern zum Zwecke der Selbsterhaltung im anarchischen Marktkampf aller gegen alle. Eine solche Perspektive, die die Bildungsreformen im Kontext des Kapitalismus begreift und kritisiert scheint aber vielen zu weit zu führen. Es gehe ja schließlich um konkrete Forderungen an das Land und Rektorat, damit endlich etwas erreicht und geändert wird. Allerdings ist die Verwandlung von Bildung in die Warenform kein bloß baden-württembergisches Phänomen, nichteinmal ein rein bundesrepublikanisches. Die Bologna-Reform zielt vielmehr darauf ab, die EU in den weltweit größten wissensgestützten Markt zu verwandeln. Sie ist ein Instrument europäischer Selbstbehauptung in der internationalen Konkurrenz. Der Handel mit Wissenswaren ist schließlich seit dem „allgemeinen Übereinkommen über den Handeln mit Dienstleistungen“ (GATS) ein globales Phänomen. Der Welthandel bedeutet globale Konkurrenz gemäß der nichtrationalen Marktlogik. Im globalen Konkurrenzkampf reproduziert sich grade nicht ein ständig und allgemein steigendes Wohlstandsniveau, sondern Unternehmen, Branchen und ganze Länder werden dauerhaft von der Produktion und Konsumtion ausgeschlossen, wenn sie in der globalen Konkurrenz nicht mehr mithalten können. Bedürfnisse werden dauerhaft von ihrer Befriedigung abgeschnitten – und das, obwohl die technischen Produktionsmöglichkeiten reif sind wie noch nie (was nicht zuletzt daran merklich wird, dass beispielsweise in Deutschland unzählige Menschen ohne Arbeit sind, dennoch versorgt werden können, ja zusätzlich Branchen mit Absatzproblemen und Überproduktion zu kämpfen haben, durch Pleiten Produktionspotentiale brach liegen und die Kapazitäten im verarbeitenden Gewerbe nur zu 80% ausgelastet sind). Die Erfordernisse des Marktes verlangen nun von den Menschen absolute Anpassung und vorauseilenden Gehorsam um im Hauen und Stechen der Konkurrenz möglichst weit vorne zu stehen. Die industrielle Wertschöpfung ist angesichts des enormen Niveaus von Technisierung und Maschineneinsatzes heute kaum mehr lohnenswert; zumindest nach Maßstäben des kapitalistischen Profitmotivs – im Jargon der Volkswirtschaftslehre: der „Grenzgewinn“ ist zu gering. Außerdem ist Deutschland in vielen Bereichen nicht mehr – wie es der mediale Kauderwelsch ausdrückt – „konkurrenzfähig“: im Ausland wird eben vieles billiger produziert. Daher konzentriert sich beispielsweise grade Deutschland (und neben Deutschland alle strukturähnlichen Inseln des Wohlstandes) auf das Wissen – eine Ware mit der noch ordentliche Gewinne eingefahren werden können. Damit die Wissensträger – nämlich die Studierenden mit Abschluss – nicht Deutschlands Wettbewerbsvorteil im Dauerstudium vertrödeln, sollen ihnen die Studiengebühren Beine machen. Die harte Strukturierung des Lehr- und Lernbetriebs soll die „Produktion“ der Ware Wissen zudem marktrationaler gestalten. Alle (Lern-)Bedürfnisse, die nicht den Anforderungen des Marktes entsprechen, werden systematisch ausgegrenzt – daher die Marginalisierung der geisteswissenschaftlichen Fächer. Es wird Selbstverstümmelung betrieben, um nicht vollständig verstümmelt zu werden.

 

V. Die einzige Chance der Studienproteste liegt in einer gesellschaftskritischen Perspektive


Angesichts dieser Bedeutung, die die Produktion von Wissen im kapitalistischen Globalsystem hat ist es also keineswegs naiv diese Bedeutung in den Studienprotesten hervorzuheben und ein Bruch mit dem System zu fordern, dass dazu zwingt Wissen – und alles andere auch – zum bloßen Mittel in der Konkurrenz werden zu lassen. Vielmehr ist es naiv zu meinen, durch kleine Schritte – also durch bescheidenere Forderungen – etwas erreichen zu können. Sie berühren die Säulen der bestehenden Ordnung nicht einmal im Ansatz – und sollten sie es doch tun, haben sie gegen den Konkurrenzdruck der kapitalistischen Wirtschaft keine Chance. Im Kapitalismus gibt es nämlich nur die Alternative zwischen devoter Anpassung an die Anforderungen des Marktes oder dem Untergang. Wenn also die polit-ökonomischen Gründe für Rationalisierung und Ökonomisierung der Bildung nicht betont werden, ist jede Chance auf Änderung der herrschenden Tendenzen im Bildungswesen, in deren Kritik sich viele Studierende einig sind, vertan. Bleibt es aus, zu erkennen, dass innerhalb des bestehenden Wirtschaftssystems Bildung niemals etwas anderes sein kann als Mittel zur Konkurrenz, dann wird mit den Forderungen der Studierenden folgendes passieren: Forderungen die mit dem herrschenden System nicht kompatibel sind – etwa die Forderung nach selbstbestimmten und konkurrenzfreien Lernen – bleiben bestenfalls als „gutes Gewissen“ der Studierenden im Hinterkopf, aber werden niemals Wirklichkeit. Und die Forderungen, die ganz gut zum Charakter dieses Wirtschaftssystems passen werden von den Agenten dieser Ordnung dankbar als Ausdruck „konstruktiver“ Betätigung der Studierenden integriert und der Protest erstickt – in etwa so wie es der Prorektor vergangene Woche im Audimax vorgemacht hat. Dass er jeglichem Widerstand der Studierenden mit wenigen Worten die Zähne nehmen konnte ist nicht nur Verdienst seines polit-phraseologischen Geschicks, sondern auch eines Studierendenprotestes, der völlig bewusstlos idealistische Forderungen stellt und Blind für die Zwänge des kapitalistischen Normalbetriebes dieser Gesellschaft ist. Eine Änderung der Universität, die Chance auf Verwirklichung hätte, müsste die Einbettung von Uni und Bildung in die Gesamtheit der kapitalistischen Wirtschaftsordnung begreifen. Das bedeutet, dass wir uns nicht nur aus unserer Rolle als Studierende heraus mit den Bildungsreformen kritisch beschäftigen sollten, sondern grade diese studentische Beengung des Blickes aufsprengen müssen. Denn erst dann lässt sich der Blick – neben Unialltag und mit diesem zusammenhängende Forderungen – auf eine gesamtgesellschaftliche Dimension richten, durch die die Bildungsreformen erst verständlich werden. Das würde auch bedeuten, dass nicht mehr hilflos das Humboldtsche Bildungsideal gegen die Realverfasstheit der Bildung beschworen wird. Vielmehr müsste begriffen werden, dass das Humboldtsche Bildungsideal heute eine Ideologie ist, die darüber hinwegtäuscht, dass ein emphatischer Bildungsbegriff nicht mit der bestehenden Gesellschaft vereinbar ist.

 

VI. Konkrete Forderungen flankieren den Protest nicht, sondern sind ein Instrument seiner Normierung


Die Beschränkung des Protestes auf Forderungen, die bloß auf den Uni- oder Bildungsbereich bezogen sind, affirmiert die gesellschaftliche Konstruktion eines solchen angeblich isolierten Bereichs. Der Blick auf gesellschaftliche Zusammenhänge wird politisch-praktisch ohnehin schon unterlaufen. Durch die Aufspaltung des gesellschaftlichen Gesamtzusammenhanges in verschiedene „Politikfelder“ mit eigenen „Problembereichen“ wird die Illusion erzeugt, die Gesellschaft lasse sich in Spezialgebiete mit eigener Dynamik und Logik aufteilen. Diese Bereiche seien unabhängig von einer Grundtendenz – nämlich der des ökonomischen globalen Wettbewerbs und seinen verschiedenen Erscheinungsformen. Die reale Interdependenz dieser Segmente und ihr unbedingter Zusammenhang werden verneint, wenn sich die Protestierenden in ihrem Protest auf „bildungspolitische“ Forderungen und Fragen beschränken und dadurch die gesellschaftliche Parzellierung affirmativ nachzeichnen, anstatt eben solche Grenzziehungen zu hinterfragen. Durch eine solche Selbstbeschränkung sind die Studierenden in ihrem Protest hilflos auf das im Sonderbereich Bildung Machbare eingeschränkt. Dadurch werden aber die basalen Strukturen des Bildungsbereich, der Status von Bildung in dieser Gesellschaft überhaupt und die gesellschaftliche Rolle der Studentin/des Studenten einer kritischen Grundlagenreflexion entzogen. Die bloße Entscheidung zur Formulierung spezieller und realpolitischer Forderungen trägt also auch implizit eine Entscheidung über die inhaltliche Grundausrichtung des Protestes in sich. In den konkreten Forderungen steckt weiterhin eine Bejahung der verwalteten Kommunikationsmechanismen, die subversives Potential auf das Machbare und Realpolitische festlegen. Ein wichtiges Argument für die Formulierung konkreter Forderungen war nicht zuletzt die Erwartung der Medien, des Rektorats und des Landes. Wenn sich Protest aber unter dem Vorzeichnen gesellschaftlicher Erwartungen entwickelt, dann verliert er ein wesentliches Moment des Aufbegehrens. Er ist nämlich durch die Erwartungen präformiert und schneidet sich, um breit akzeptiert zu werden, auf die Bedingungen seiner Akzeptanz zu. Der Protest reproduziert dann das Erlaubte – mit der Illusion eigener Wirkmächtigkeit. Die Absurdität der Forderungen besteht auch darin, dass sie einen unmittelbaren Einfluss auf die Politik suggerieren. Viel eher ist es aber plausibel, dass allgemein und grundlegende gehaltende Forderungen oder Gedanken zum wirklichen Gegenstand politischer aber auch gesellschaftlicher Debatten werden. Sie wären mit den Regeln politischer Artikulation nicht direkt vereinbar und widersetzten sich daher aus sich heraus den standardisierten und standardisierenden Regeln politischen Protests, sie böten eine tatsächliche Möglichkeit der Resistenz. Wie es derzeit aber ist, erscheinen die Forderungen eher wie an die gängigen Erwartungen und Regeln angepasste Bitten, die im besten Falle bloß eine erneute Verwaltungsreform von oben zur Folge haben, die aus der kapitalistischen Logik dieser Gesellschaft heraus keineswegs die Konkurrenz- und Anpassungsmechanismen unterlaufen wird. Selbstbestimmung und freie Bildung für alle sind auf einer solchen Ebene aber eine Sache der Unmöglichkeit.

 

VII. Zum Begriff der Bildung: von Bildung zu reden ist gegen die Bildung. Eine radikale und revolutionäre Perspektive


Kritik ihrem Namen gerecht wird und nicht in ein vorauseilendes Einverständnis mit den politischen Eliten verläuft, müsste die Einbettung des universitären Raumes in den kapitalistischen Zusammenhang dieser Gesellschaft reflektieren. Zudem sollte auch der Begriff der Bildung überdacht werden. Schon die Vorstellung universitärer Bildung ist gegen Bildung. Bildung, die in einem exklusiven Raum zum Besitztum weniger wird – nämlich derer, die als GymnasiastInnen Zugang zu diesem universitären Raum haben – schneidet sich von der Gestaltung der realen Lebensbedingungen ab. In einer Gesellschaft, in der jeder Mensch durch Verkauf seiner Arbeitskraft überleben muss, wird Bildung notwendigerweise zum Eigentum, zur Ware. Als Mittel zum beruflichen Zweck wird Bildung immer zum Eigentum – egal wie sich die/der BildungsträgerInn diesen Zweck schönzureden vermag. Wirkliche Bildung, die Aufklärung ist, vermieft nicht in der geschlossenen Diskursgemeinschaft der Universität, sondern wird unmittelbar öffentlich und dialogisch: sie lebt von der Beteiligung aller und erstickt, wenn sie von wenigen ausgeübt wird. Sie hebt also Bildung als isolierten Sonderbereich auf und verwirklicht sie gesellschaftlich. Die Beschwörung von Bildung und ihren Idealen zeigt, dass das gesellschaftliche Leben – von dem sich die Bildung als exklusive abschneidet – von realer Unfreiheit, Ungleichheit und Unaufgeklärtheit geprägt ist. Da wo die Bildung und Selbstaufklärung des Einzelnen als Ziel vor Augen steht, geht es nicht mehr um die Bildung und Selbstaufklärung der Gesellschaft – also aller. Bildung als Bereich abseits von gesellschaftlicher Praxis, ist Resultat einer elenden Gesellschaft, in der Freiheit und Gleichheit nur noch als Ideale der Bildung und nicht mehr als Ziele der Gesellschaft existieren können und somit der Praxis entzogen werden. Es gilt, diesen Bildungsbegriff zu zerstören, indem er gesellschaftlich verwirklicht wird und nicht mehr seine fade Existenz als Eigentum weniger Gebildeter führt. Es gilt insbesondere einen studentischen Elitarismus zu kritisieren; wenn sich einzelne Studierende noch etwas darauf einbilden, zu der gebildeten Elite zu gehören und womöglich auf die herabschauen, die nicht dazugehören, dann ist damit der progressive Gehalt der Bildung endgültig verloren. Sie ist in der Ideologie der Eliten ein Vorrecht der Intelligenz gegenüber der arbeitenden Klasse und nicht mehr potentiell eine Idee der Befreiung aller Menschen. Wirkliche Bildung hieße nämlich nicht, dass Bildung unbekümmert um das von ihr Getrennte sich selbst atmet, sondern bedeutete vielmehr die vernünftige Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens, der Lebensumstände aller. Sie richtet sich nämlich aufklärerisch gegen die Vormacht unbekannter Mächte und hat das Ziel, die Menschen von Herrschaft zu befreien. In Zeiten der Herrschaft des ökonomischen Profitmotivs, demgemäß alle Bereiche – auch die Uni –, strukturiert werden, und die Bedürfnisse der Menschen dieser Profitlogik angepasst werden, bedeutet Aufklärung Kritik dieser Gesellschaft. Sie bedeutet Erkenntnis des Ganzen, und damit Kritik eines uneinsehbaren irrationalen Motivs, das als „invisible hand“ ohne bewusste Beteiligung der gesellschaftlichen Akteure diese, gleichsam hinter ihrem Rücken, vor vollendete Tatsachen und unter anonyme Marktzwänge setzt. Bildung ist als Aufklärung Selbstzweck. Heute bedeutet Aufklärung aber nicht ein auswendiges Lernen von Fakten, das Pauken von Theorie. Gegen die Vorherrschaft der Marktmacht ist theoretisches Wissen machtlos und wird als Mittel – nicht mehr Zweck – in die Marktmechanismen integriert. Aufklärung bedeutet Kritik dieser Verhältnisse – nicht nur theoretische, sondern auch praktische Kritik: „Die Waffe der Kritik kann allerdings die Kritik der Waffen nicht ersetzen, die materielle Gewalt muß gestürzt werden durch materielle Gewalt, allein auch die Theorie wird zur materiellen Gewalt, sobald sie die Massen ergreift.“ (Marx) Wird Bildung nicht mehr als Aufklärung der Gesellschaft verstanden, sondern demgegenüber expliziet die Selbstbeschränkung der Proteste auf Unipolitik gefordert, dann ist Bildung zurechtgestutzt auf die Perspektive der/s vereinzelten Studierende/n und ihrem/seinem Fortkommen im Wettbewerb. Sie harmoniert dann – trotz der relativ harmlosen Einsprüche der Protestierenden – mit den Zielen der Bologna Reform, die auch in diversen EU-Verträgen festgelegt sind: die Deregulierung sämtlicher Lebensbereiche – eben auch aller Bildungseinrichtungen, in denen alle Studierende zu Marktsubjekten werden, die als Faktoren der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands Position innerhalb der internationalen Staatenkonkurrenz verbessern sollen. Bildung ist dann ein partikularer Besitz von Wenigen, mit dem diese Wenigen sich elitär besser fühlen können als der „ungebildete Rest“ und mit dem diese „gebildeten“ Wenigen ihren Marktwert verbessern. Dieses Schicksal der Bildung im Kapitalismus ist prinzipieller Natur, von der Bologna & Co bloß Radikalisierungen sind. Bestehen die Protestierenden auf die Beschränkung des Protests auf die Universität verewigen sie den Zustand der Bildung, Mittel von Konkurrenzsubjekten auf dem Marktkampfplatz zu sein. Die Aufhebung dieses Zustandes bedeutet die Aufhebung von Bildung durch ihre Verwirklichung, sie bedeutet radikale Gesellschaftskritik – theoretisch wie praktisch.

 

La Banda Vaga, Dezember 2009

www.labandavaga.de

 

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Sehr gelungen und äußerst scharfsinnig. Wie wärs, Diskussionsveranstaltung in der KTS oder dem Audimax, damit die Marktssubjekte ihre empfundene Freiheit verteidigen können? Mich täts interessieren.