Seit dem Morgen des 1. April dringen Kämpfer des IS in das palästinensiche Flüchtlingslager Yarmouk am Rande von Damaskus ein. Die Lage im Lager ist unübersichtlich. Der IS hat auf jeden Fall die zentrale Krankenstation des Lagers eingenommen und die Ärzte und das medizinische Personal festgesetzt.
In Yarmouk lebten vor Beginn des
Aufstandes in Syrien über 150.000 Menschen. Nachdem es Ende 2012 zu
wochenlangen Kämpfen zwischen der PFLP/ Generalkommando, die loyal zum
Assad Regime steht und anderen palästinenischen und syrischen Kämpfern,
die der FSA nahe standen, gekommen war, griff auch die syrische Armee in
die Kämpfe ein. Ab Mitte 2013 wurde das Lager von der syrischen Armee
komplett abgeriegelt. Über ein Jahr lang gelangten Lebensmittel und
medizinische Güter nur noch über informelle Kanäle ins Lager. Infolge
der Hungersnot starben über 150 Menschen. Wem es nicht gelang zu
fliehen, war von Erschöpfung und Unterernährung gekennzeichnet. Nachdem
auch die Islamische Front und die Al-Nusra-Front in die
Auseinandersetzungen intervenierten, spitzte sich die Lage erneut zu.
Trotzdem gelang es Aktivisten Anfang 2104 ein Abkommen zu verhandeln,
dass den Abzug aller nichtpalästinensischen Milizen und der syrischen
Armee aus dem weitgehend zerstörten Lager beinhaltete. Mittlerweile
leben nur noch knapp 20.000 Menschen in dem Lager, der grösste Teil ist
völlig mittellos und hat keine Möglichkeiten, woanders unterzukommen.
Der Einmarsch des IS hat aktuell die Verteilung der Lebensmittel
unmöglich gemacht, die Verwundeten werden in Notlazaretten behandelt.
Medico hat mit einem palästinensichen Journalisten, der sich in Yarmouk aufhält, ein Interview zur aktuellen Situation geführt, das wir an dieser Stelle dokumentieren:
Was passierte in Yarmouk?
Der
„Islamische Staat" betrat am 1. April über das südliche Viertel Hajr
al-Aswad das Yarmouk Camp. Sofort begannen Kämpfe mit einer
palästinesischen Miliz, während die syrische Armee unterdessen mit
Granaten den Kriegsschauplatz beschoss.
Wer sind die IS-Kämpfer in Yarmouk? Sind es Ausländer?
Nein,
die meisten Kämpfer sind keine Ausländer und deie Söhne des südlichen
Damaskus. Der IS kommt nicht aus dem Nichts, sondern er wurde unter der
Belagerung geboren. Als im letzten Jahr das Wasser zurt Neige ging, als
es keine Nahrungsmittel und keinen Strom mehr gab, da nahm auch die
Unterstützung für den IS zu. Als der IS im Juli 2014 im südlichen
Damaskus auftauchte, empfand es die Bevölkerung sogar als Verbesserung
ihrer Lage. Die Korruption wurde beendet und der IS sorgte dafür, dass
Trinkwasser und Nahrungsmittel wieder für alle verfügbar wurde. Aber das
war nur der Anfang, den relativ schnell begann der IS seine brutale und
extrem gewalttätige Seite zu zeigen. Sie begannen ihre eigenen Gesetze
zu erlassen und zwangen die Bevölkerung ihren Willen auf.
Wie kam der IS nach Damaskus und später nach Yarmouk?
Der
IS tauchte zuerst Anfang 2014 in Hejirah auf, einem Stadtviertel im
Südosten von Damaskus, wo ein heiliger schiitischer Schrein in der
Zainab-Moschee liegt. Nach heftigen Kämpfen mit schiitischen Milizen,
vor allem der libanesischen Hisbollah, konnte der IS mit Hilfe der
syrischen Armee aus dem Viertel vertrieben werden. Dann ging der IS nach
Yalda, wo er begann die dort aktive „Freie Syrische Armee" zu
bekämpfen. Seine letzte Enklave war die Nachbarschaft Hajr al-Aswad in
unmittelbarer Nähe zu Yarmouk. Seit einem Jahr versucht der IS aus
nord-östlicher Richtung in das Zentrum von Damaskus vorzudringen.
Aber große Gebiete des südlichen Damaskus werden von der syrischen Armee belagert. Wie kann der IS sich dort trotzdem bewegen?
Der
Süden von Damaskus liegt unter der Kontrolle der Armee, aber trotzdem
gibt es hier sechs oder sieben Ortschaften, die untereinander eine
Verbindung haben. Es ist daher möglich sich von Ort zu Ort zu bewegen,
quasi wie von einer Insel zur nächsten. Das heißt es gibt eine
Belagerung von außen, aber im Innern gibt es ein unkontrollierbaren
Archipel, in dem sich der IS immer wieder bewegen kann. Heute hat der IS
Yarmouk erreicht, morgen kann er mit einer Gruppe von Kämpfern woanders
auftauchen.
Es scheint, dass der IS sich immer wieder gezielte Gefechte mit anderen Rebellengruppen liefert. Warum?
Wir
wissen, dass die al-Nusra-Front, die mit Al Qaida verbunden ist, in
Opposition zum IS steht. Aber immer dann, wenn sich zwei Gruppen
bekämpfen, wie zuletzt al-Nusra und eine FSA-Miliz, versucht eine dritte
Gruppe daraus ihr Kapital zu schlagen. Die eigentlichen Prioritäten in
Yarmouk und im gesamten Osten von Damaskus würden darin bestehen dem
Regime zu widerstehen, die Bevölkerung zu schützen und die Belagerung
der Region aufzuheben. Aber immer mehr Gruppen beginnen untereinander zu
kämpfen. Die ersten Opfer sind dann immer die Zivilisten. Vor einigen
Wochen starb ein Kollege von mir und heute wurde die Straße vor meinem
Haus mit Granaten beschossen.
Wie sind die aktuellen Lebensbedingungen in Yarmouk?
Die
Rebellengruppen bekämpfen sich gegenseitig und das Regime bombardiert
uns täglich mit Mörsergranaten. Wir haben keinen Strom mehr, keine
Nahrung und keinen Mobilfunkempfang. Meine Küche ist völlig leer. Ich
kann nichts einkaufen, weil es in den Geschäften meiner Nachbarschaft
nichts zu kaufen gibt. Dabei habe ich noch bessere Lebensbedingungen als
viele andere. Viele Einwohner von Yarmouk haben in den letzten Wochen
die Suppenkuchen besucht, aber seit es wieder eine Ausgangssperre gibt,
traut sich kaum noch jemand aus dem Haus. Die Situation ist wirklich
katastrophal. Unser Wasser kommt aus Quellen, die drohen zu verschmutzen
und zu versiegen. Wir können unsere Autos nicht mehr benutzen, als
laufen wir zu Fuß. Damit aber werden wir zu Zielscheiben der
Scharfschützen, die auf den Dächern sitzen. Wir können den Verwundeten
nicht mehr helfen. Wir wissen nicht mehr, was das eigentliche Ziel der
Rebellen in Yarmouk ist. Wollen sie das Camp kontrollieren, oder wollen
sie gegen das Regime kämpfen? Oder wollen sie am Ende nur eine andere
Rebellengruppe besiegen?
Artikel Ergänzung
z.B. hier? http://electronicintifada.net/blogs/maureen-clare-murphy/catastrophe-yar...
Humanitäre Katastrophe
IS kontrolliert Flüchtlingslager in Damaskus
IS-Kämpfer marschieren in dieser Woche in Damaskus ein und besetzen ein Flüchtlingslager. Die Rückeroberung des Stadtteils scheitert. 19.000 Bewohner erhalten seither keine Hilfslieferungen mehr und sind der Willkür der Dschihadisten ausgeliefert.
http://www.n-tv.de/politik/IS-kontrolliert-Fluechtlingslager-in-Damaskus...