Zur Dialektik der Rettung des Abendlandes: Jede Katze hasst die Polizei!

Katze

„Ob man so das Abendland retten kann, steht noch infrage.“ (1) Damit meinte am 26. März 2015 Richter Grönke-Reimann das Insistieren auf das von der Angeklagten-Seite grundgesetzliche Recht der Meinungsfreiheit. Zur Debatte stand der Vorwurf, der Angeklagte habe auf einer Gegendemonstration die dort anwesende Polizei mit einem Jutebeutel, der die Aufschrift „ACAB – All Cats Are Beautiful“ trägt, beleidigt. Für das Urteil war demnach abzuwägen, ob das in Artikel 5 des Grundgesetzes garantierte „Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern“, dessen „Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze […] in dem Recht der persönlichen Ehre“ fand. Dass das Urteil im Vorn-hinein absehbar war; dass also das persönliche Recht des Angeklagten, seine Meinung frei zu äußern, vor der individuellen Meinung eines Polizisten zurücktreten muss, ist mit Notwendigkeit behaftet.

Um dies Verhältnis klären zu können, muss das Wirrwarr des Rechtsgespräches entflochten werden. Hierbei kann zunächst festgehalten werden, dass subjektive und objektive Wahrheit kollidieren: während der o.g. Jutebeutel zwar die tradierte Form des endlich zu verwerfenden Spruchs „ACAB“ (2) enthielt, der jedoch offenbar umkonnotiert wurde, so trug der beleidigte Polizist die Macht seine subjektive Empfindung oder Wahrnehmung in Form des gerichtlichen Urteils zu objektivieren, d.h. zu Recht zu gießen, notwendigerweise an sich. (3) Schon hier hätte sich der Vorwurf der Beleidigung eigentlich erledigt. Denn zwar muss die Parole ihren objektiven Gehalt der Beleidigung besitzen, aber dies auch notwendig zur Umdeutung derselben und ebenso so zu ihrer Kritik. Der Witz an der Sache ist ja gerade, dass der Beutel „die Parole 'acab' in ironischer Weise aufgreift und abwandelt“ (4). Für das Abwandeln muss sie aber eben erst einmal aufgegriffen werden. Wenn nun Polizei und Richter postulieren, dass der Angeklagte dies erstere nicht tat, dann ist das eine Unterstellung, bei der zu prüfen ist, ob sie den Strafbestand nach den §§186 oder 187 StGB erfüllen. Denn offensichtlich ist doch – die Ausschreibung des Spruches, das Katzenbild letztlich sogar die knallpinke Farbe des Beutels –, dass hier eine Umdeutung stattfinden sollte. Auf solch logische und der Wirklichkeit entsprechende Argumentation kann aber Richter und Staatsanwältin keine Acht geben.

 

Warum das so ist, kann man ersehen, sofern man sich in vernünftiger, d.h. materialistischer, Kritik der Gesellschaft übt:

 

Der Gegenstand der Arbeit ist daher die Vergegenständlichung des Gattungslebens des Menschen: indem er sich nicht nur wie im Bewußtsein intellektuell, sondern werktätig, wirklich verdoppelt und sich selbst daher in einer von ihm geschaffnen Welt anschaut.“ (5)

 

Wie verdoppelt sich ein Polizist, d.h. was produziert er? Man muss nicht lange nachdenken: gebrochene Nasen, Angstneurosen und Paranoia sowie Strafanzeigen. Und so erfährt er sich daher bewusst als eine Sache, die die staatliche Gewalt, die notwendig jeden Staat konstituiert, exekutiert. Erfährt sich aber der subjektive Polizist als diese objektiv legitimierte Gewalt, so schwindet der schizoide Charakter, der die Orthonormal-Subjekte kapitalistischer Vergesellschaftung auszeichnet, weil sie zwischen bourgeois und citoyen, zwischen Es und Ich auf der einen und Über-Ich auf der anderen Seiten oszillieren. Der Polizist entfaltet sich als Wesen eben nicht mehr im Widerstreit der beiden Seiten kapitalistischer Charakter, sondern in der falschen Identität von Subjekt und Objekt: er hat diese um den Preis derselben. Als Person, die sich durch diesen Sachverhalt in ihrer Ehre gekränkt fühlen kann, muss er sich schließlich ganz mit seiner Arbeit identifizieren. Würde er dies nicht, so träfe die Beleidigung eine Institution und nicht ein Individuum. Der Vorwurf wäre dann nichtig – es sei denn, das Recht auf Meinungsfreiheit gelte nur dann, wenn sie nicht staatliche Gewalt versucht zu denunzieren (wenn man davon ausgeht, dass der Spruch tatsächlich keine Umdeutung erfahren sollte). (6) Das ganze Geheule der Polizei, sie seien auch Menschen und sie hätten neben ihrem Beruf ein Privatleben, ist daher schlechte Heuchelei; oder mindestens genauso schlimm: Sie sind Deutsche, d.h. Menschen, die keine Lüge aussprechen können ohne sie selbst zu glauben. (7)

 

Nun folgt daraus, erstens, dass Polizisten als Exekutive der Staatsgewalt im o.g. Sinne notwendigerweise im Recht sind, weil dies nur der verschriftlichte Ausdruck derselben ist – anders gesagt: die Meinung oder das, was man bei einem Polizisten vorsichtig als Empfindung bezeichnen darf, ist staatlich legitimiert und dadurch schon objektiv. Davon darf auch Staatsanwältin (8) und Richter nicht absehen, weil sie es nicht können. Denn sie sind dazu verurteilt im Sinne eben der staatlichen Gewalt zu richten. Dass zwischen „Staatsanwaltschaft und Gericht [...] in der Frage der Ehrhaftigkeit der deutschen Polizei kein Blatt“ (9) passt, ist deshalb keine konjunktivistische Aussage, wie die Rote Hilfe Erfurt formuliert, sondern notwendig der Fall.

 

Das Fazit, was Theodor Adorno und Max Horkheimer in der Dialektik der Aufklärung ziehen, ist, dass eben jenes Abendland (10) die Bedingung seiner eigenen Vernichtung enthält. Polizisten, Richter und Staatsanwaltschaft sind diesen Schritt schon gegangen. Als nur-Objekte versetzen sie das, was objektiv ist, die Denunziation der Polizei, mit dem Schein der Subjektivität, durch den Verweis also auf die Verletzung des Ehrgefühls der einzelnen Person. Mit diesem ideologischen Mantel bekleidet, wird staatliche Gewalt nicht nur petrifiziert, sie wendet sich damit explizit gegen alles Denken, das nicht positiv sich auf sie beziehen will. Ob man also das Abendland mit dem Insistieren auf die Meinungsfreiheit zu retten vermag, kann ich nicht aufweisen. Was aber ersichtlich geworden sein dürfte, ist, dass man dies nicht tut, indem man ebenso inkonsistente wie fragwürdige Vorwürfe zu allgemeinen Recht erhebt. So war der Prozess hierum – und das gilt es festzuhalten – ein Schauprozess, in dem ein Exempel statuiert wurde. So sei dem Angeklagten und seinen Unterstützern klar zu machen, das ließ die Staatsanwältin verlautbaren, dass es nicht „gehen kann, die Polizei zu beleidigen“ und dass dies „der Angeklagte und die anderen Anwesenden verstehen müssen“.

 

Fußnoten

     

  1. Die Zitate von Richter und Staatsanwältin zeigen nicht den selben, aber gleichen Wortlaut dieser auf.

  2. Nicht nur katholische Moralisten, sondern auch für die Nazis war und ist der Terminus „Bastard“ eine Beleidigung. Für erstere sind es uneheliche, für letztere „gemischtrassige“ Kinder. Ob es zur Beleidigung der Polizisten Bedingung sein muss, dass diese Nazis oder Katholiken sind, sei dahingestellt.

  3. Hier sei analogisch an das linke Konzept der Definitionsmacht erinnert.

  4. http://rotehilfeerfurt.blogsport.de/2015/03/27/139/#more-139.

  5. MEW 42, 517.

  6. Wieso er dies und auch der Richter nicht bewusst zu erfassen vermag, muss ausführlicher an anderer Stelle geklärt werden.

  7. Vgl. Adorno, Theodor W.: Minima Moralia.

  8. Okay, geschenkt.

  9. http://rotehilfeerfurt.blogsport.de/2015/03/27/139/#more-139.

  10. Auf die Fragwürdigkeit des Begriffes an sich sowie die recht eigenartige Assoziation desselben durch den Richter mit den communistischen Unterstützern will ich hier nicht eingehen.

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Musste der Text notwendigerweise das Wort notwendig so oft enthalten?

War es notwendig ihn am 1. April zu veröffentlichen?

Aus welcher Notwendigkeit heraus musste er überhaupt geschrieben werden?

Ist die rhetorisch geschickte verkleidung der eigenen makulatur-Produktion notwendig mit dem Charakter der sie verfassenden verbunden?

 

Fragen über (notwendige) Fragen!

Es sei hier auch noch einmal auf das Flugblatt "Warum ACAB scheiße ist..." hingewiesen. Nicht, dass es im Artikel nicht zur Genüge deutlich gemacht wurde, das zur Parole ACAB eine ausreichende Distanz aufrechterhalten wird, sondern der Möglichkeit entsprechend, sich einen umfassenden Überblick zur Thematik zu verschaffen, denn die Parole wird ja leider immer noch viel zu häufig unreflektiert verwendet...

http://rotehilfegreifswald.blogsport.de/2012/12/13/warum-a-c-a-b-scheiss...

Das böse böse Wort "Bastard"...
aber solange es ihr nicht hinkriegt aus "Alle Bullen sind neofaschistische Arschgeigen" einen ähnlich guten Spruch zu zimmern wird niemand damit aufhören, dazu is die Wut und der Hass auf die Bullen zu groß.

Bastard ist eine negativ konotierte Bezeichnung für uneheliche Kinder.

Warum sollte eine Distanzierung von Bastard vorgenommen werden, wenn mensch nichts gegen "uneheliche Kinder" hat und die negative Konotierung von der gesellschaftlichen Wirklichkeit eingeholt wurde (weil es [fast] niemanden mehr interessiert, ob Kinder unehelich geboren werden oder nicht)? Übrig bleibt nur eine leere Hülle, die als Schimpfwort genutzt wird, weil sie schon immer ein Schimpfwort war. Die negative Konotation konstruiert sich aus der Geschichte / Entwicklung des Begriffes. Die negative Hülle ist geblieben: Niemand benutzt den Begriff "Bastard", weil er auf den Fakt der unehelichen Geburt hinweisen will. Vielmehr wird der Begriff benutzt, weil ACAB schlicht bedeutet, dass alle Bullen scheiße sind.

 

Können Beschimpfungen / kollektive Beleidigungen überhaupt ohne diese begrifflichen Schwierigkeiten auskommen und wie sinnvoll (zielsicher) können diese Beleidigungen überhaupt sein?

 

Es gibt idealtypische Feindbilder, weil es Feinde gibt, die zumindestens in ihrer Rolle (beispielsweise) als Berufspolizisten, idealtypische Charaktermasken zum Schutze des Staates und seiner Ordnung sind. Deshalb: ACAB!

Wenn man mit Aussprechen eines Wortes, das gesellschaftlich anerkannter Weise Abscheu artikuliert, immer notwenig dessen ursprüngliche Bedeutung (mit-)meinen würde, dann wären die anatomischen Kenntnisse so ziemlich aller Fluchenden verheerend gering: Oder wie könnte mensch sonst den Charakter/das Tun eines Menschen mit dem zwischen zwei Fettpolstern hervorlugenden Enddarm (aka. Arschloch) verwechseln? Das ist doch Unfug!

 

Es ist schon erfreulich, dass hier immerhin nicht rumdiskutiert wird, ob nicht schon mal wer von wem gehört hat, dass es nicht auch vor 50 Jahren mal den einen Bullen gab, der irgendwann schon mal zu irgendwem gewesen sein soll.

 

Und auch wenn wir das A.C.A.B.-ist-böse-Genörgel angreifen, ist A.C.A.T. sowohl inhaltlich als auch strategisch weitaus richtiger und wünschenswerter. Soll sich also das durchsetzen.

 

Dennoch: Solch müßige Zwergdebatten um die elendige 'political correctness' bis ins letzte Loch sind albern und ignorieren häufig auch richtige Gegenargumente (s. oben).

 

Andererseits sollten auch alle Verteidiger*innen von A.C.A.B. reflektieren, dass kein irgendwie korrekter Mensch andere, gesellschatlich durchaus ebenfalls übliche Beschimpfungen (,,Neger'' / ,,Zigeuner'' / ,,Penner'' / ,,Juden'' ...) verwenden würde. – Zu einfach darf mensch es sich auch nicht machen!...

 habtse ja nicht alle.

 

Küsst die Polizisten wo ihr sie trefft.