Arnstadt: „Wir wollen die hier nicht haben!“

Arnstadt: „Wir wollen die hier nicht haben!“ 1
Bürgerversammlungen, in denen Anwohnern die Unterbringung von Flüchtlingen in ihrer Nachbarschaft nahegebracht werden soll, sind immer denkwürdige Veranstaltungen. Warum sollte das ausgerechnet in Arnstadt, das jahrzehntelang von einem gewählten Protofaschisten regiert wurde, anders sein?
Die Linke-Landrätin Petra Enders und Arnstadts parteiloser linksliberaler Bürgermeister Alexander Dill wollten alles richtig machen. Sie haben sich die geballte Kompetenz am 12. Februar in die Aula des ehemaligen Neideck-Gymnasiums am Schlossplatz eingeladen: Der Sozialamtsleiter, der Ordnungsamtsleiter, der Ober-Bulle und einer von Arnstadts wohl bekanntesten Zivilgesellschaftern standen vor ca. 200 Menschen und erstatteten Bericht über die derzeitige Flüchtlingssituation im Ilm-Kreis. Hinzu kamen bei Bedarf eine Schul- und eine Kindergartenleiterin, die davon berichteten, dass es mit Flüchtlingskindern keinerlei Probleme gebe, die man nicht mit deutschen Kindern auch habe.

Die Aula war krachend voll. Ca. 200 Menschen waren gekommen, viele auch aus den Stadtratsparteien und der Arnstädter Zivilgesellschaft. Die Hälfte der Anwesenden, das ließ sich aus den Reaktionen ableiten, waren offenkundige Rassisten, darunter ca. 20 Neonazis. Petra Enders eröffnete den Abend, gab einige grundlegende Infos zur Situation und stellte mit warmen Worten die versammelte Kompetenz vor, die den Anwesenden Rede und Antwort stehen wollte. Alle Redner warben unisono um Verständnis für die Flüchtlinge, legten die Fakten auf den Tisch und ernteten aus den hinteren Reihen, wo sich die Rassisten sammelten, i.d.R. Hohn und Spott. Am übelsten war der Umgang mit Pfarrer Mikel Damm, seit vielen Jahren einer der engagiertesten und konsequentesten Nazigegner der Arnstädter Zivilgesellschaft. Er hatte die Aufgabe, über Fluchtwege und Fluchtgründe zu berichten. Damit stand er bei den anwesenden Rassisten freilich auf verlorenem Posten. Nach wenigen Minuten wurde Damm zum Abbruch seiner Ausführungen niedergebrüllt von Leuten, die sich nicht für Fluchtwege und Fluchtgründe interessieren, weil ihnen die Menschen, die nicht zur eigenen Sippschaft gehören, egal sind. Die ganze Veranstaltung fußte auf einem Irrtum. Doch dazu später. Zunächst zu den Fakten.

142 Flüchtlinge sollen auf dem Rabenhold untergebracht werden

Das Wohngebiet Rabenhold ist geprägt von einer Mischung aus Plattenbauten und Reihenhäusern. Die Stadt ist schon seit Jahren dabei, einige der Blocks leer zu ziehen, um sie abzureißen und den Wohnraum zu verknappen. Zwei Eingänge solcher leer gezogener unsanierter Abrissblocks sollen nun für die Flüchtlinge hergerichtet werden. Insgesamt sollen ca. 20 Wohnungen für 142 Flüchtlinge hergerichtet werden. Diese sollen, laut Sozialamtsleiter Habermann, spartanisch eingerichtet werden. Außerdem sollen die Geflüchteten intensiv betreut werden. Die Unterbringung ist, laut Alexander Dill, auf fünf Jahre angelegt. Derzeit leben im Ilm-Kreis 357 Flüchtlinge in 80 Wohnungen in Arnstadt, der Gemeinschaftsunterkunft in der Ichtershäuser Straße und in 25 Wohnungen in Ilmenau. Im Jahr 2015 erwartet der Ilm-Kreis weitere 400 Flüchtlinge. Die meisten bleiben nicht lange und ziehen weiter. Immer wieder enden die Ausführungen der Funktionäre auf dem Podium im lautem Getöse aus den hinteren Reihen. Die Stimmung ist von Beginn an gereizt bis aggressiv.

Willkommen in Deutschland

„Haben wir nicht selber genug Fachkräfte?“; „Frau Enders, ich bin Deutsche, kümmern Sie sich mal um meinen Fall, mich verfolgt die IKK.“; „Was ist mit der Sicherheit unserer Kinder?“ „Alles Lügner!“; „Ich habe ja nichts gegen die Menschen, aber wo ist mein Arbeitsplatz?“; „Der Rabenhold wird zum Ghetto.“; „Unsere Immobilien verlieren an Wert.“; „Der Islam integriert sich nicht.“; „Die haben doch ganz andere Mentalitäten.“; „In Berlin-Neukölln kann man als Deutscher nicht mehr U-Bahn fahren.“; „Ich habe nichts gegen diese Leute, aber ich will nicht, dass mein Kind gestört wird.“; „Nehmt die doch bei euch zu Hause auf.“; „Diese Leute befassen sich wegen ihrer Religion nur mit sich selbst.“; „Wir wollen die hier nicht haben!“; „Schickt sie zurück!“ – all das sind einige der Aussagen, die die „besorgten Bürger“ am Mikro oder durch Zwischenruf von sich gaben. Immer wieder ertönte der Schlachtruf des notorischen Rassisten: „Ich habe ja nichts gegen Flüchtlinge, aber...“

Mit den Tatsachen konfrontiert, reagieren die Rassisten gereizt. Keiner ist in der Lage, eine Frage zu stellen, die die Verantwortlichen der IK-Verwaltung vor Erklärungsnöte stellen würde. Die meisten lassen am Mikro bloß Dampf ab. Die Nazis selber trauen sich nur vereinzelt nach vorn, beschränken sich aufs Grölen und Jubeln. Dabei kommt es nicht drauf an, ob die Mittelschichten-Mutti gerade über die Unterschicht aus den Plattenbauten und die durch Flüchtlinge angeblich fallenden Immobilienpreise lamentiert. Die Unterschichten-Nazis aus den Plattenbauten jubeln trotzdem mit, weil sie nichts verstehen als „dafür“ oder „dagegen“. Ein Axel Geyersbach regte an, die Flüchtlinge in einem kürzlich leergezogenen Komplex in Ichtershausen mit Einzelzimmern unterzubringen. Der Gag ging etwas unter, weil die Rassisten aus den letzten Reihen nicht kapierten, dass der Mann die alte Jugendvollzugsanstalt meinte.

Teile der Veranstaltung wurden vom Erfurter NPD-Stadtrat Enrico Biczysko gefilmt. Unter den Teilnehmern waren auch zahlreiche Protofaschisten von „Pro Arnstadt“ bzw., was in Arnstadt so ziemlich dasselbe ist, der AfD, wie Rüdiger Schmitt, Marcus Bühl oder Thomas Buchtzik. Der AfD-Landtagsabgeordnete Olaf Kießling ging sogar zweimal ans Mikrofon, blieb in seinen Ausführungen aber hinter den Erwartungen des Publikums zurück, triumphierte nur mit der Aussage, dass es derzeit noch keinen Landeshaushalt gäbe, was er wüsste, weil er im entsprechenden Landtagsausschuss sitze. Brillant gekontert übrigens von Petra Enders, die ihn einfach aufforderte, dann doch mal etwas Druck im Ausschuss zu machen.

Das Problem mit dem Rassismus

Der ganze Abend beruhte auf einem Irrtum. Landrätin Petra Enders dachte, wenn sie die Leute nur gut genug informiert, würden sich deren Ängste schon auflösen. Das Problem des Rassismus besteht aber nicht in einem Mangel an Information, deswegen war all das gute Zureden, der Versuch des Widerlegens der „Ängste“ vom Verlust des Kindergartenplatzes bis zur steigenden Kriminalitätsrate verlorene Liebesmühe. Die Rassisten wollten keine Informationen oder diverse Wissenslücken schließen, sondern empathielos und aufklärungsresistent bis ins Mark zum Ausdruck bringen, dass man Flüchtlinge hier nicht haben will, dass einem die Fluchtgründe scheißegal sind und dass Menschen überall krepieren können, bloß nicht zu nah am eigenen Gartenzaun.

Rassismus ist ein gesellschaftliches Verhältnis, eine Strategie, mit der die bürgerlichen Subjekte sich die bestehenden Verhältnisse rechtfertigen, ohne sich ihre eigene Überflüssigkeit in diesen Verhältnissen eingestehen zu müssen. [1] Mit Angst vor der ausländischen Konkurrenz klammern diese Leute sich an die Versprechungen des nationalen Kollektivs, das Fremde von der Fürsorge der Gemeinschaft ausschließen soll und ihnen Identität und Halt verschafft. Sie wollen das Elend und die Armut nicht in der eigenen Nachbarschaft sehen, weil sie insgeheim wissen, dass nur die Gnade der deutschen Herkunft sie derzeit noch vor dem Schicksal bewahrt, das andere längst getroffen hat. Und anstatt sich mit den hier gestrandeten Verdammten dieser Erde zusammenzuschließen und gemeinsam für eine solidarische Gesellschaft zu streiten, in der keiner mehr ein entrechtetes, verlassenes und verächtliches Wesen ist, rechtfertigen sie diese Ordnung und pochen auf ihr qua Geburt vermachtes Privileg. Mit solchen Leuten ist keine andere Gesellschaft möglich, sondern nur gegen sie.

Fazit

Alles in allem kann man dem relativ neuen Establishment in Arnstadt kaum Vorwürfe machen. Sie haben es gut gemeint, beantworteten jede noch so dumme, geschmacklose, boshafte oder zynische Frage mit Geduld und Ausdauer. Warben ohne Unterlass um Verständnis, Mitgefühl und Toleranz. Am Ende waren sie selber sichtlich darüber erschrocken, welchen Sturm des Hasses die geplante Unterbringung von 142 Flüchtlingen in zwei Eingängen von Abrissplattenbauten nach sich gezogen hatte. Immer wieder rang Enders um Fassung, ob der ihr entgegenschlagenden Bosheit. Sie wurde nicht müde zu wiederholen, dass es doch um Menschen „wie sie und mich“ ginge und sie die Reaktionen von großen Teilen der Zuhörer nicht verstehen konnte, bot hilflos Gespräche an. Doch ums Reden ging es den Rassisten einfach nicht. Daran werden die in Aussicht gestellten zukünftigen Veranstaltungen nichts ändern.

[1] Wer verstehen will, was wir meinen, wenn wir sagen, dass man Rassismus nicht durch gutes Zureden und Menschenrechtsbildung aus der Welt schafft, den verweisen wir auf einen Beitrag von uns aus dem Jahr 2012: http://agst.afaction.info/index.php?menu=news&aid=539

Antifa-Infos aus Arnstadt und der Region: www.agst.afaction.info
Zeige Kommentare: ausgeklappt | moderiert

also, dass man durch "gutes Zureden" keinen vom Antirassismus, Antikapitalismus oder so überzeugen kann, verwundert hoffentlich nicht ernsthaft. Also, mit Nazis braucht man natürlich gar nicht erst zu sprechen. Verstehe nicht, warum die überhaupt rein gelassen wurden. Und unsere Aufgabe als Linke ist es, den bürgerlichen Antirassismus ebenso zu enttarnen, wie die Wirkweisen des Rassismus an sich. "Die Gesellschaft" hat sich den Rassismus nicht einfach selbst erfunden. Seit jeher diente er den Herrschenden zum Führen von Kriegen, Identifikation mit den "natioanlen" Interessen, machte den Menschen vor, dass sie mit ihren Herrschern mehr gemein hätten, als mit den bösen unheimlichen Fremden. Im Kapitalismus funktioniert das auch nicht anders. Ich hatte schon einige Diskussionen mit Menschen, die erst mal mit platter rassistischer Scheiße kamen und wir nicht über Empathie, sondern mit Antikapitalismus, Kriegsablehnung und Spaltung wesentlich weiter kamen.

 

Und auch wenn das müßig ist: genauso wie wenig sich die meisten Menschen heute vorstellen können, kollektiv zu produzieren, zu reproduzieren und zu leben, genausowenig, wie sie sich vorstellen können, Lohnarbeit abzuschaffen, so haben sie rassistische, sexistische etc. Denkmuster drin. Gegen all jene wollt ihr ne echte Veränderung hinbekommen?! Nein, das wird nix. Wir müssen aufklären, diskutieren, Kämpfe selbst organiseren, in bestehende rein wirken und das mit verdammt viel Atem.

 

Also, immer schön dran bleiben...

Was soll das diskutieren? Jeder hat seine Meinung und die ist bis jemand von selbst eine Änderung daran vornimmt undiskutabel. Also schreibe ich keinem meine Meinung vor, noch beschimpfe ich jemanden als dumm der meine Sichtweise der Dinge nicht teilt. Lieber wittme ich die Zeit die ein Streitgespräch braucht dem Leben und zwar meinem Leben. Ich mach was mir gefällt und verschwende keine Zeit andere zu ändern oder zu bevormunden. 

Meinung sagen, umdrehen, weggehen und Spass haben.

...nicht mit Nazis reden aber einen gemeinsamen Diskurs finden und daran anknüpfen?!

Schön, sowas auch noch mit "(...)Und unsere Aufgabe als Linke ist es,(...)" zu titulieren;

gemäß meiner Definition ist das Querfront...

 

Diese dummen, dummen Deutschen!