Die Linke und der Islam - Teil 2

Eine politische Idee gegen den Islamischen Staat: Kämpferin der Volksverteidigungseinheiten YPG

Über Projektionsflächen, Demokratischen Konföderalismus, internationale Solidarität und den Hauptfeind im eigenen Land (Teil II)

Im ersten Teil haben wir festgestellt, dass es „den Islam“ als homogenen Block nicht gibt und erkannt, dass der Islam sich in unterschiedlichen realen Situationen unterschiedlich entfaltet, weil er, wie jede Ideologie, eine Form ist, in der sich Menschen ihre reale gesellschaftliche Praxis weltanschaulich begreiflich machen. Für den Irak und Syrien, sowie für andere Failed States der Region haben wir festgestellt, dass der derzeit in Gestalt des IS oder Al Qaidas auftretende politische salafistische Islam dort die Funktion einnimmt, brutale Staats(neu)bildungsprozesse in zerfallenen Staaten durchzusetzen. Das „Kalifat“ macht einen Deal mit den Menschen in seinem Herrschaftsgebiet: Ihr unterwerft euch voll und ganz unserer ideologischen, ökonomischen und politischen Herrschaft, und wir garantieren euch dann Sicherheit und Ordnung. Der “Preis” dieser Ordnung ist uns allen bekannt. Der Staatswerdungsprozess vollzieht sich in der für derlei Prozesse charakteristischen Brutalität. Der Nachsatz des Versprechens des IS ist: „Wenn ihr euch nicht unterwerft, bringen wir euch um.“ Soweit waren wir in Teil 1 gekommen. Wie aber nun damit umgehen?


Keine Projektionsflächen

 

Bleiben wir zunächst in Syrien, im Irak und den anderen Failed States. Die Bilder, die wir von vor Ort bekommen, schüren in jedem von uns das Bedürfnis das, was dort geschieht zu unterbinden. Massenhafte Erschießungen von Gefangenen, Enthauptungen, der Verkauf gefangener Frauen in die Sklaverei, ein Strafsystem, das drakonische Strafen wie das Abhacken von Gliedmaßen vorsieht. Hunderttausende Menschen aus ihren Häusern und aus ihrer Heimat vertrieben, auf der Flucht vor einer Miliz, die offenkundig kaum Grenzen bei der Drangsalierung der Zivilbevölkerung kennt.

 

Nun entsteht folgendes Problem: Der eigentliche Kampf gegen diese Miliz passiert nicht in Deutschland. Wir können Erklärungen schreiben, hin und wieder eine Demonstration machen, aber wir fühlen, dass das nicht genug ist. Aus der Differenz zwischen de Bedürfnis die Gewalt der Islamisten zu beenden und der eigenen Machtlosigkeit entsteht der Wunsch, einen Stellvertreter zu finden, der´s denen da mal so richtig zeigt. Man sucht sich Projektionsflächen, unterstützt alles und jeden, solange es gegen die Dschihadisten geht und freut sich nun über die Luftschläge der internationalen Koalition oder deutsche Waffenlieferungen an die Peschmerga im Nordirak.

 

Die Suche nach einer Projektionsfläche, einen starken Stellvertreter, an den man das eigene Bedürfnis, etwas zu tun, auslagern kann, führt schnell in den politischen Abgrund. Denn es ist keine Schrulle der alten Friedensbewegung, zu meinen, dass die regionalen Feldzüge westlicher imperialistischer Staaten nicht unmaßgeblich zum Entstehen des heutigen Dschihadismus beigetragen haben, es ist eine simple Tatsache – und das auf vielen Ebenen.

 

Mit dem Imperialismus gegen Barbarei?

 

Wie entsteht eine Radikalisierung, die so weit führt, dass am Ende jemand steht, der sich einer so offenkundig inhumanen Miliz wie dem Islamischen Staat anschließt? Macht doch mal den Selbstversuch. Seht euch den Film „5 Jahre Leben“ an, in dem es um die Folterung des von BND und CIA entführten Murat Kurnaz in Guantanamo geht. Er wird psychisch erniedrigt, physisch verletzt, gedemütigt, immer und immer wieder, von einem Feind, der ihn in eine Situation gebracht hat, in der er sich überhaupt nicht mehr wehren kann. Seht euch den „Verhörspezialisten“ an, wie er mit dem gefangenen Opfer spielt, ihn immer und immer wieder zu brechen versucht.

 

Der Film ist keine Fiktion. Er beruht auf Tatsachen. Genauso wie das jüngst erschienene Guantanamo-Tagebuch des dort immer noch einsitzenden Mohamedou Ould Slahi. Die Bilder aus Abu Ghraib, sie sind keine Fiktion, CIA-Geheimgefängnisse sind keine Fiktion.

 

Dazu kommt: Die ideologischen Wurzeln des neueren Dschihadismus gehen auf eine Zeit zurück, in der der Westen den sunnitischen Dschihadismus, vor allem über seinen Partner Saudi-Arabien förderte und unterstützte, und zwar in Afghanistan, weil damals waren ja noch die bösen Sowjets der Hauptfeind, gegen den man alles andere zu unterstützen hatte. Säkulare Regierungen in Afghanistan, aber auch zuvor im Iran wurden gewaltsam beseitigt, weil sie sich gegen US-Interessen in der Region stellten. Kriege im Irak oder Libyen schufen die Basis, auf der der Dschihadismus wachsen konnte.

 

Wer sich hinter fortgesetzte Militärinterventionen des Westens stellt, egal wie sie begründet werden, will im Grunde die Fortsetzung der Spirale der Barbarisierung. Denn jeder Luftschlag, jede Drohnenattacke reproduziert mehr Dschihadisten, als dadurch ausgeschaltet werden. Auch die jüngsten Luftanngriffe führen, wie immer, eine Anzahl an Kollateralschäden herbei, sie festigen in den betroffenen Gebieten den Rückhalt des IS in der Bevölkerung anstatt ihn zu schwächen.

 

Kalifat oder Demokratischer Konföderalismus

 

Zu meinen, eine der diversen Milizen – von Peschmerga über Badr-Milizen, irakische Regierung oder FSA – oder die westliche Wertegemeinschaft seien das Pferd, auf das man zu setzen habe, will man den IS schlagen, ist also Blödsinn. Anders ist das nur bei einer der rivalisierenden Gruppen. Augenscheinlich ist – trotz aller Schwierigkeiten – die Fraktion, die da für die deutsche Linke am ehesten in Frage kommt, die der Kurdinnen und Kurden. Die in PKK, PYD, YPG und YPJ organisierten AktivistInnen sind die einzigen, die zumindest in der Theorie ein politisches Konzept auweisen können, das für die gesamte Region, nicht nur für sie selbst, einen Lösungsansatz darstellen könnte: Der demokratische Konföderalismus.

 

Diese in der PKK entwickelte Theorie gibt auf dieselbe soziale Situation der Failed States, auf die der IS mit seinem Kalifat antwortet (siehe Teil 1), eine völlig andere Antwort. „Das Selbstbestimmungsrecht der Völker beinhaltet das Recht auf einen eigenen Staat. Jedoch vergrößert die Gründung eines Staates nicht das Maß der Freiheit eines Volkes. Das auf Nationalstaaten basierende System der Vereinten Nationen ist ineffizient geblieben. Mittlerweile sind Nationalstaaten zu ernsthaften Hindernissen für jegliche gesellschaftliche Entwicklung geworden. Der Demokratische Konföderalismus ist das Gegenparadigma des unterdrückten Volkes. Der Demokratische Konföderalismus ist ein nichtstaatliches gesellschaftliches Paradigma. Er wird nicht staatlich kontrolliert. Zugleich ist er der kulturell-organisatorische Entwurf einer demokratischen Nation. Demokratischer Konföderalismus basiert auf der Mitwirkung der Basis. Seine Entscheidungsfindungsprozesse liegen bei den Gemeinschaften. Höhere Ebenen dienen nur der Koordination und Umsetzung des Willens der Gemeinschaften, die ihre Delegierten zu den Vollversammlungen schicken. Für einen begrenzten Zeitraum sind sie sowohl Sprachrohr als auch ausführendes Organ. Jedoch liegt die grundlegende Entscheidungsgewalt bei den lokalen Basisorganisationen“, umreißt Abdullah Öcalan dieses Konzept.

 

Und weiter: „Die widersprüchliche Zusammensetzung der Gesellschaft erfordert politische Gruppen mit vertikalen wie auch horizontalen Formationen. Zentrale, regionale und lokale Gruppen sind auf diese Weise auszubalancieren. Nur sie sind, jede für sich selbst, in der Lage, sich mit ihrer besonderen konkreten Situation zu befassen und angemessene Lösungen für schwerwiegende gesellschaftliche Probleme zu entwickeln.“

 

Es ist unschwer zu sehen, dass dieser Vorschlag auf die gleiche gesellschaftliche Situation antwortet, auf die auch der Islamische Staat antwortet – nur eben auf fundamental andere Art und Weise. An die Stelle des brutalen Vereinheitlichungsprozesses des zukünftigen Staatsvolks auf der Grundlage einer salafistischen Auslegung des Islam, tritt der Vorschlag eines kulturelle, ethnische und religiöse Unterschiede in einem Willensbildungsprozess zusammenfassenden „nichtstaatlichen“ Gebildes.

 

Exkurs: Solidarität und Kritik

 

Hat man diese Einschätzung, dann stellt sich die Frage, wie die Solidarität aus Deutschland aussehen könnte, die wir der kurdischen Befreiungsbewegung entgegenbringen wollen. Da sind in den vergangenen Wochen und Monaten schon viele Schritte getan worden, die nicht schlecht sind. Verschiedene Initiativen haben tatsächlich nicht bloß symbolische Geldsummen gesammelt und an die FreundInnen in Rojava überwiesen. Auch ideologisch ist einiges an Aufklräungsarbeit geschehen und eine früher gängige Aversion gegen die PKK in Teilen der deutschen Linken aufgebrochen worden. Es gab gute Reportagen, Leute waren vor Ort und haben die Situation hierzulande bekannt gemacht, eine nicht zu unterschätzende Leistung.

 

Was wir noch nicht zustande gebracht haben, ist die nächste Stufe der Unterstützung, die – soweit bekannt – nur die türkische Linke (in Zusammenarbeit mit Einzelpersonen aus anderen Ländern) erklommen hat: Das Aufstellen einer internationalen Kampfformation. Sicherlich, das erscheint aus der hiesigen Perspektive als zu krass, die Anzahl der dafür trainierten und dazu willigen Leute dürfte nicht allzu groß sein. Nichtsdestotrotz: Jede Reise beginnt mit dem ersten Schritt und man muss nicht allzu viel Phantasie haben, um sich vorstellen zu können, dass das in den nächsten Jahren und Jahrzehnten sicher immer wichtiger werden wird. Auch in Deutschland kann man hier auf eine Tradition von wenigen, aber dafür äußerst couragierten AktivistInnen zurückschauen, man erinnere sich nur an Andrea Wolf.

 

Gleichzeitig mit dem Ausbau materieller Solidarität muss etwas anderes bedacht werden: Solidarität ist kein Kadavergehorsam, sie schliesst Kritik notwendig mit ein, da, wo sie nötig ist. Und das heißt auch, dass wir Tendenzen innerhalb der kurdischen Bewegung kritisieren müssen, die uns als falsch erscheinen. Dafür gibt es eine Reihe an Beispielen, etwa die immer wieder auftauchende Verkürzung des eigenen politischen Projekts des Demokratischen Konföderalismus auf ein krudes „Wir sind Kurden, Araber und Türken sind scheisse“, wie es in nicht allzu kleinen Teilen der Basis der Bewegung zu finden ist. Hier gilt es, die Bewegung an ihr eigenes theoretisches Konzept zu erinnern.

 

Solidarität muss auch wissen, womit sie es zu tun hat. Die kurdische Bewegung ist in großem Ausmaß in sich widersprüchlich. Sie vereint sozialistische, anarchistische und antiimperialistische genauso wie nationalistische und bürgerlich-demokratische Elemente. Es ist deshalb umso wichtiger, in Publikationen, in Gesprächen mit den GenossInnen, in der praktischen Solidaritätsarbeit hier die eigenen linken Standpunkte einzubringen und auch mal zu sagen, wenn einem nicht passt, was der Chef in Imrali verkündet. Das bedeutet nicht den Abbruch der Solidarität, sondern den Beginn wirklicher, kritischer Solidarität.*

 

Exkurs zum Exkurs: Unterstützung vom Feind

 

Einige mögen einwenden: Widersprecht ihr euch da nicht? Einerseits Ablehnung der US-Intervention, andererseits Unterstützung der Kurden, die ja genau diese US-Intervention begrüßten? Nun, nein, eigentlich nicht. Die USA (und die anderen versammelten Regionalmächte von Jordanien über Saudi-Arabien bis zu den Vereinigten Arabischen Emiraten) intervenieren nicht „für die Kurden“. Sie intervenieren, wie jeder Staat zu jeder Zeit, für ihre eigenen materiellen Interessen. Das kann, gleichsam als Nebenwirkung, zeitweise dem kurdischen Kampf nutzen, und warum sollte man nicht die Widersprüche des Imperialismus ausnutzen. Kein geringerer als Lenin hat den Grundstein für diese politische Strategie gelegt, insofern wird das schon ok sein so.

 

Dazu hat der Popstar des Marxismus-Leninismus, Dietmar Dath, eigentlich alles, was zu sagen ist, kürzlich anläßlich des 90. Todestags von Lenin in der jungen Welt aufgeschrieben: „Drittens ist Lenin bis heute unübertroffen in der schwierigen, aber wertvollen Kunst, Widersprüche im feindlichen Lager zu erkennen und sofort zu nutzen. Hat er wirklich Geld vom deutschen Kaiser genommen, vermittelt über Parvus? Vielleicht nicht, es riecht nach Propaganda. Logistisch aber war zumindest eine wichtige Eisenbahnfahrt ein deutsches Geschenk. Den ewigen Freunden der Reinheit zuliebe, die es in umstürzlerischen Bewegungen immer wieder gibt, hätte er das eigentlich nicht annehmen dürfen. Wenn aber Putin ein paar Nüßchen springen ließe, um Obama Ungelegenheiten zu bereiten, soll das kommunistische Eichhörnchen die nicht nehmen? Und wenn Obama ein Forum – nicht nur einen Horchposten – spendieren würde, um einige unter Merkel ausgeheckte Europasauereien öffentlich zu machen, soll man das verschmähen? Weshalb? Weil solche Hilfe von außen bei Spiegel online ausgeschlachtet würde und man in nationalen Verruf käme? Drauf gepfiffen. Nein, ernsthaft, man soll nicht mit der antiimperialistischen Sammelbüchse in der Hand iranische Gegenden bereisen, das überlasse man dem verrückten Herrn Elsässer.

 

Aber was Lenin mit dem angeblichen deutschen Wohlwollen schließlich anstellte, hat ihm und dem Staat, den er mit schuf, jede deutsche Zuneigung rasch so gründlich verscherzt, daß der deutsche Imperialismus gut 15 Jahre nach Lenins Tod die grauenhafteste Militärmacht der jüngeren Geschichte nach Osten schickte, die dort dann so gründlich verdroschen wurde, daß man den Lärm noch heute hören kann, wenn man sich nicht gerade von Guido Knopp die Ohren hat zuschmieren lassen.

 

Unterstützung von Feinden gegen Feinde annehmen? Warum nicht, aber die schöne Leninsche Regel dazu nie vergessen: Tu mit den Mitteln, die du dir verschaffen kannst, das, was du gesagt hast, und sage dabei deutlich, was du tust.“ Die kurdische Bewegung bekommt derzeit unzweifelhaft Unterstützung vom Feind, von ihrem und von unserem. Messen werden wir sie und sie sich daran müssen, was sie mit dieser Unterstützung anfängt.

 

Der Hauptfeind im eigenen Land

 

Zurück zum Thema. Neben der Unterstützung für die kurdische Bewegung in Rojava können wir uns ob der geographischen Distanz daran erinnern, dass unser Land und seine westlichen Verbündeten nicht unmaßgeblich zu der Situation im Irak, Syrien, Libyen und anderen Regionen beitragen, auf die der Dschihadismus reagiert.

 

Das betrifft zunächst die Frage von Waffenexporten. Es ist ein altes Thema der Linken, das aber nach wie vor aktuell ist. Deutschland liegt weltweit an dritter Stelle bei Waffenexporten. Dazu kommen Lizenzfertigungen von Rüstungsgütern, wie etwa die von Heckler&Koch in Saudi-Arabien. Neben den Waffenexporten gilt es die politische, militärische und polizeiliche Unterstützung von terrorfördernden Staaten wie Saudi-Arabien und der Türkei generell anzugreifen. Die Beziehungen, die Deutschland zum NATO-Partner Türkei unterhält sind vielschichtig und tief, auch zu Saudi-Arabien bestehen „freundschaftliche und spannungsfreie“ Beziehungen, wie das Außenamt formuliert. Saudi-Arabien ist der Hauptexporteur genau jener Ideologie, die den Islamischen Staat und Al Qaida antreibt, und greift selbst gerne auf Strafen wie Enthauptungen und Auspeitschungen zurück.

 

Hier gibt es einiges zu tun. Es gilt ein öffentliches Bewusstsein für diese Kooperationen zu schaffen und sie auf allen möglichen Ebenen anzugreifen. Das alte Wort Karl Liebknechts vom „Hauptfeind im eigenen Land“ ist hier immer noch gültig, auch wenn es heute wahrscheinlich ausgeweitet muss, auf die BündnispartnerInnen des eigenen Landes, vor allem die USA, Großbritannien und Frankreich sowie die NATO in ihrer Gesamtheit.

 

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Eine weitere Dimension des Feldes „Die Linke und der Islam“ besteht in dem Umgang mit dem Zuwachs an Anhang, den die dschihadistischen Organisationen in Deutschland selbst haben. Diesem Problem wird sich der bald erscheinende dritte Teil der Artikelserie widmen.

 


 

- Von Peter Schaber / lowerclassmag.com

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... wäre Kobanê jetzt wohl nicht frei und der IS hätte einen weiteren (Anziehung entfaltenden) Sieg errungen. Die generalisierende Beurteilung solcher Interventionskriege ist daher nicht wiklich sinvoll. Allerdings stimme ich zu, dass sie meist zu einer Verschlechterung der Gesamtsituation geführt haben. Ich denke der wesentliche Unterschied bei den Luftschlägen war, dass sich für diese eben auch wegen öffentlichen Drucks entschieden wurde.

Der Text sagt ja recht lang, mit dieser Dath-Passage, dass man Widersprüche, in denen sich zwei oder mehrere Gegner befinden, nutzen kann und muss. Ich glaube auch, dass ohne die US-Luftschläge (und andere Hilfsdienste) Kobane gefallen wäre. Insofern wird ja wohl keiner von den KurdInnen verlangen, die US-Bomber abzuschiessen, wenn die über Kobane fliegen, das wär ja relativ dumm. Es ist nur wichtig zu berücksichtigen, dass der Umstand, dass die Bombardements in dem Moment der kurdischen Bewegung nützen, nicht dazu führt, dass sich die Rolle der USA (samt Verbündeten) in irgendeiner Weise ändert. Kapitalistische Staaten setzen ihre eigenen Interessen durch, nicht unsere oder die der KurdInnen. Sie bleiben der Feind, auch wenn sich in einer bestimmten Situation Überschneidungen von unseren und ihren Interessen ergeben mögen.

klar in Form und Inhalt und wieder einmal, wo man fast Angst bekommen muss, mit wirklichem Niveau und fehlender Einseitigkeit ;)

gerade gesehen: eine reportage auf arte. http://www.arte.tv/guide/de/030273-503/arte-reportage?autoplay=1

 

im ersten teil geht es um die verschwundenen studenten in mexiko und den protest der einwohner vieler gemeinden, die die massaker und korruption satt haben. immer öfter nehmen sie staatliche aufgaben selbst in die hand, organisieren z.b. schulen, polizei und justiz. damit haben sie vielerorts die gewalt erfolgreich bekämpft, wo der staat zuvor versagte. am ende des beitrags sieht man eine gruppe, die massengräber in den bergen sucht. sie geben zu, sich der vergangenheit zu stellen, denn alle, die früher geschwiegen haben - und das waren auch sie selbst - haben passiv mitgemordet.

im zweiten teil geht es um den is als staatliches gebilde. ein blogger aus syrien bringt zwei, meiner meinung nach, sehr interessante punkte ein:

 

erstens hat der is in den gebieten, die - wie im text gut analysiert - failed states waren, eine ordnung etabliert. die menschen müssen sich einem grausamen system unterwerfen, leben dafür aber in sicherheit, wo früher bürgerkrieg war. natürlich ist diese ordnung nicht nur aus linker sicht abzulehnen. aber die bedürfnisse der menschen nach ordnung und sicherheit müssen ernst genommen werden, weil es der hauptgrund ist, warum sich große bevölkerungsteile mehr oder weniger widerstandslos in dieses system einfügen und der dschihadismus zulauf erhält. die frage muss also lauten: wie lässt sich sicherheit und frieden dauerhaft erreichen, ohne eine terrorherrschaft zu errichten?

zweitens merkt er an, dass der is mit seiner brutalität die muslime spaltet. das bietet die chance, die individuelle beziehung zur religion infrage zu stellen, und eine säkularisierung in den arabischen staaten und im irak zu etablieren. 

 

auf den ersten blick haben mexiko und der nahe osten nicht viel gemeinsam. auf den zweiten blick könnte die eine gesellschaft auch ein vorbild für die andere sein, mit der gewalt, der geschichte und den gräueltaten umzugehen.

 

erinnern wir uns: der is ist nicht nur ein kind des irakkrieges und der innermuslimischen spannungen - die eine so enorme verwirrung und so unmenschliche ausmaße haben, wie wir sie in europa nur aus dem dreißigjährigen krieg, den jugoslawienkriegen oder dem nordirlandkonflikt kennen. der is ist vor allem auch ein kind des arabischen frühlings, in dem auf der suche nach mehr individueller freiheit und sozialer gerechtigkeit viele die wege der radikaleren ausrichtungen des islam betreten haben. etwas anderes hat sich kaum angeboten, denn die religion ist das einzige, das die menschen in dieser region eint. aber viele, die diesen weg beschritten haben, sind heute desillusioniert, denn der is bietet weder freiheit noch gerechtigkeit. das bietet die chance für neue emanzipative bewegungen, die weder das fegefeuer des religiösen terrorismus noch die hölle eines staatlichen terrorismus, gegen den sie noch 2011 demonstriert haben, nochmal durchlaufen möchten.