Seit Wochen blickt die internationale Weltöffentlichkeit auf die syrisch/kurdische Stadt Kobane an der Grenze zur Türkei. Die kurdischen VerteidigerInnen der YPG (Volksverteidigungseinheiten) und der YPJ (Volksverteidigungseinheiten der Frauen) wehren sich dort gegen eine Übermacht der islamistischen Miliz „Islamischer Staat“ (IS), die die Stadt von drei Seiten mit schweren Waffen beschießt. Sie verteidigen dabei nicht nur eine weitere syrische oder irakische Stadt die droht in die Hände der mörderischen Dschihadisten-Bande zu fallen, sondern gleichzeitig das basis-demokratische Projekt das im kurdischen Teil Syriens – in Rojava – in den letzten 2 Jahren aufgebaut wurde.
Während sich im Rest von Syrien - vom Westen und den reaktionären Golfstaaten finanzierte Rebellen auf der einen Seite, sowie das Assad-Regime auf der anderen Seite - ein grausamer Bürgerkrieg entwickelte, etablierte sich in Rojava seit 2011 unter maßgeblicher Beteiligung der linken kurdischen Partei PYD (Partei der demokratischen Union) ein gesellschaftliches Modell, das auf friedlicher Koexistenz der verschiedenen Ethnien und Religionen, solidarischem Wirtschaften und Frauenbefreiung beruht. Die politische Entscheidungsgewalt liegt dabei auf allen Ebenen bei basis-demokratisch gebildeten Räten. Rojava ist damit nicht nur den Dschihadisten des „Islamischen Staats“ ein Dorn im Auge, sondern auch dem NATO-Staat Türkei, weil sie fürchtet, dass das Projekt sich auf die kurdischen Gebiete in der Türkei ausweiten könnte.
Waffen aus der BRD?
In letzter Zeit sind aus verschiedenen Richtungen Forderungen erhoben worden, der Westen solle doch „die Kurden“ mit Waffen unterstützen. Selbst konservative CDU-Politiker, die vor nicht allzu langer Zeit das Wort „Kurden“ nur im Zusammenhang mit „Terror“ in den Mund nahmen, stimmten in diesen Chor mit ein. In den Hintergrund gerät dabei schnell die Tatsache, dass westliche Länder und auch Deutschland, schon seit Jahren fleißig Waffen in die Region liefern. Seit Beginn des Aufstandes gegen Assad, wurden die Einheiten der sogenannten „Freien Syrischen Armee“ (FSA) von westlichen Ländern – häufig über den Umweg über Saudi-Arabien oder Katar, manchmal auch direkt – mit Waffen und Geld ausgestattet. Den NATO-Ländern und den Golfmonarchien war dabei selbstverständlich nicht entgangen, dass ein Großteil der syrischen Aufständischen, auch der FSA, nicht für mehr Demokratie, sondern für einen Gottesstaat kämpft. Auch nachdem sich 2013 und 2014 dann große Teile der FSA und anderer Aufständischer dem „Islamischen Staat“ angeschlossen hatten, wurden die unterschiedlichen Unterstützungen nicht eingestellt. Erst als der IS im Verlauf seiner militärischen Erfolge im Irak mit Massakern, Massenvergewaltigungen, Enthauptungen von westlichen Geiseln und anderen Gräueltaten ins Licht der Weltöffentlichkeit drängte, begannen die USA und die mit ihnen verbündeten Golfstaaten, die dschihadistischen Banden in die Schranken zu weisen. Insbesondere die türkische Regierung machte aber auch noch in den letzten Wochen regelmäßig deutlich, dass ihr alle Mittel Recht sind, um einerseits Assad und andererseits das demokratisch-fortschrittliche Projekt in Rojava zu bekämpfen – westliche Waffen erreichten daher auch nachdem das US-Bombardement schon längst begonnen hatte, über die Türkei die Milizen des IS!
In Deutschland spielt die Diskussion um mögliche Waffenlieferungen eine besondere Rolle: Die BRD ist der drittgrößte Waffenexporteur der Welt. Waffenlieferungen sind seit Jahren ein florierender Zweig des deutschen Exportkapitals. Und so verwundert es auch nicht, dass sich deutsche Waffensysteme in den Arsenalen einiger der reaktionärsten Regime der Welt befinden. Auch der aktuelle Diskurs um „Waffenlieferungen an die Kurden“ innerhalb der bürgerlichen Medien folgt diesem Muster: Waffen sollen ausschließlich an die autonome kurdische Region im Nordirak geliefert werden. Die Regierung des dortigen Präsidenten Barzani ist eng verbündet mit den NATO-Staaten und besonders der Türkei und zudem bis aufs Mark korrupt. Bis vor wenigen Wochen hat sie sich sogar an dem von der Türkei begonnenen Wirtschaftsembargo gegen Rojava beteiligt und nicht mal dringend benötigte Lebensmittel über die Grenze gelassen.
Vereinzelte Forderungen bürgerlicher Politiker nach „Waffen für die PKK“ dienen wohl hauptsächlich dazu, den NATO-Partner Türkei unter Druck zu setzen, die offensichtliche Unterstützung des außer Kontrolle geratenen IS endlich einzustellen und auf die Linie der USA und der EU einzuschwenken. Gleichzeitig dient die aktuelle Debatte hierzulande außerdem der deutschen Rüstungsindustrie das ramponierte Image ihrer in den letzten Jahren immer wieder in die Kritik geratenen Geschäfte aufzupolieren und diese zu legitimieren.
Deutsche Waffenlieferungen haben seit jeher nur den reaktionären Kräften
geholfen und sich letztendlich immer gegen fortschrittliche und linke
Kräfte gerichtet!
Waffen für Rojava, sind Waffen gegen Dschihadismus und Imperialismus!
So gefährlich Forderungen nach Waffen an die imperialistischen Länder also auch sind, muss die Tatsache anerkannt werden, dass sich die Region Rojava militärisch in einer äußerst prekären Lage befindet: Fast ausschließlich mit leichten Waffen ausgerüstet, stehen die Einheiten der YPG und der YPJ im Süden den Angriffen des mit modernen Panzern und Artillerie ausgestatteten „Islamischen Staats“ gegenüber. Im Norden steht an der Grenze das türkische Militär bereit um eine sog. „Pufferzone“ in den kurdischen Gebieten zu errichten, die das Ende des demokratisch-fortschrittlichen Projekts bedeuten würde.
Es gilt daher den KämpferInnen in Rojava die Mittel zukommen zu lassen die sie für die Verteidigung und den Aufbau ihrer Region und ihrer Selbstverwaltung benötigen! Zwei Kampagnen sammeln daher in Europa Gelder, um sie an die GenossInnen vor Ort weiterzuleiten. Es liegt auch in unserer Hand die Verteidigung eines der fortschrittlichsten Gesellschaftsmodelle unserer Zeit zu unterstützen und Massaker und Vertreibung zu verhindern. Lasst internationale Solidarität praktisch werden und spendet für den bewaffneten Widerstand der YPG/YPJ!
Hoch die internationale Solidarität!
+++ Spenden für Rojava +++
Die Kampagne „Solidarität mit Rojava! Waffen für die YPG/YPJ!“ wurde von der Gruppe „Neue antikapitalistischen Organisation“ u.a. ins Leben gerufen und von weiteren linken Gruppen unterstützt. Informationen zur Kampagne unter: www.waffenfuerrojava.org
Spendenkonto:
Empfänger: MD
IBAN: DE98 5005 0201 1243 1674 49
BIC: HELADEF 1822
Auch die „Interventionistische Linke“ und der kurdische Studierenden Verband „YXK“ sammeln über ein eigenes Konto Gelder für den Widerstand in Rojava. Weitere Informationen unter: www.rojava-solidaritaet.net
Spendenkonto:
Empfänger: Initiative Rojava
IBAN: DE30 5905 0101 0610 5088 48
BIC: SAKS DE 55
Perspektive Kommunismus | www.perspektive-kommunismus.org
Gewiss ist
Rojava im Vergleich mit dem IS auf der einen Seite und den kurdischen Parteien im Irak nebst der iranisch gelenktenHizbo llah auf der anderen das kleinere Übel. Nur: Die PYG profitiert vom Bürgerkrieg in Syrien. Die PYG hat mit dem Assad-Regime kollaboriert, u.a. auch Anti-Assad Demonstrationen unterdrückt. Die PYG als Förderin autonomer Selbstverwaltungsorgane? - das kommt einer Quadratur des Kreises gleich. Die PYG ist eine zentralistische auf dem Führerprinzip basierende Organisation.
Das Problem bei Rojava ist, dass die Linken hier ihre Fantasien in Befreiungsbewegungen projezieren. So viel Erfahrungsresistenz verwundert.
Kommentar zur Demo in Frankfurt
Am 29.11.2014 fand in Frankfurt am Main die bundesweite Demonstration „Weg mit dem PKK-Verbot – Verteidigt die Revolution in Rojava“ statt. In dem Aufruf des internationalistischen Aktionsbündnisses Frankfurt (IAB) heißt es: „Inmitten des Chaos des syrischen Bürgerkriegs hat die Bevölkerung der im Norden Syriens liegenden mehrheitlich kurdisch bewohnten Regionen ein Gesellschaftsmodell der multinationalen, friedlichen Koexistenz aller Völker und Religionen, der demokratischen Selbstverwaltung, des Sozialismus und der Geschlechterbefreiung aufgebaut“. Das kann sein, das kann aber auch nicht sein. Die kurdischen Demonstrationen in Deutschland zeigen sich in erster Linie in einem offenen zur schau gestellten Nationalismus und Führerkult aus. Als „Antinationale Gruppe Frankfurt“ nehmen wir dies als Anlass für einen Kommentar:
Unser Vorschlag, auf der Demo insgesamt keine Nationalfahnen zuzulassen, konnte sich im Vorbereitungskreis nicht durchsetzen. Nicht zuletzt, weil ein Großteil der Linken in Deutschland, etwa weite Teile der Linkspartei, immer noch der (antiimperialistischen) Ideologie von Staat, Volk und „nationaler Befreiung“ anhängt. Wir rufen verschiedene linke Gruppen dazu auf, diesen Anlass zu nutzen um auch dieses Jahr das nationalistische Spektakel nicht unwidersprochen geschehen zu lassen. Schließlich ist man sich auch sonst nicht dafür zu schade mit allen möglichen Reformisten auf die Straße zu gehen. Zudem lässt sich an diesem Anlass gut verdeutlichen, wie ein Antinationalismus heute in Theorie und Praxis aussehen sollte – und wie nicht. Denn gequält von der alltäglichen Erfahrung ihrer Ohnmacht und Vereinzelung in der kapitalistischen Konkurrenz suchen sie nach Anhaltspunkten einer versicherten, unzweifelhaften und widerspruchsfreien Zusammengehörigkeit. Der Fehler der NationalistInnen ist dabei allerdings ein doppelter: Einerseits erwarten sie sich vom Fortkommen ihres Staates eine reale Veränderung ihrer Situation im Teufelskreislauf der kapitalistischen Konkurrenz. Dabei kann eben dieser Staat aber bestenfalls die Ausgangsvoraussetzungen (z. B. „Bildung“) seiner Staatsbürger in jenem Hauen und Stechen verbessern, das er als Ganzes jedoch stets aufs Neue antreiben muss. Wer aber aktuell dem Nationalismus im Standort Deutschland/Türkeri/Kurdistan an den Kragen will, der muss den dominanten nationalistischen Diskurs als das kritisieren, was er im globalen Maßstab inzwischen ist: Die Normalkatastrophe.
Die Geschichte der radikalen Linken ist eine Geschichte von Enttäuschungen und Ersatzhandlungen. Unser Vorschlag an die antifaschistische Linke ist daher denkbar einfach: Die Aufgabe der Emanzipation sieht eine bedingungslose Solidarität mit einem staatlichen Gewaltapparat nicht vor. Nach dem mit der Verstaatlichung der Arbeiterbewegung schon das vermeintlich revolutionäre Subjekt im falschen abhanden gekommen war, der Reformismus sich in unzähligen Kriegen und Krisen blamiert und die antiimperialistische Vorstellung „nationaler Befreiung“ sich bestenfalls (zuletzt in der Globalisierungsbewegung) als Ideologie der nachholenden Entwicklung abgehängter Staaten in der Weltmarktkonkurrenz entpuppt hat, haben jene Linken, die diese Entwicklung immerhin zur Kenntnis nehmen, tendenziell ein politisches Identitätsproblem. Wo weder ein Subjekt noch eine Strategie zur grundsätzlichen Veränderung der Gesellschaft realistisch erkennbar und der Alltag in den sozialen Zentren und Kleingruppen häufig frustrierend bis nervtötend ist, da ist die Suche nach einem Ort, der eine ungebrochene Identifikation anzubieten scheint, nachvollziehbar.
Die radikale Kritik von Staat, Nation und Kapital braucht sich allerdings auch nicht auf eine Frage der richtigen Gesinnung zurückzuziehen und der praktischen Auseinandersetzung zu enthalten: Es ist nicht radikal, wenn die Linke die gesellschaftliche Ohnmacht theoretisch verdoppelt. Anstatt sich auch noch mit der eignen Ohnmacht zu identifizieren, gilt es dagegen die antinationale Kritik, wo immer möglich, als Vaterlandsverrat praktisch zu machen.
Ob solch ein praktischer Antinationalismus eine Perspektive für die grundsätzliche Veränderung dieser Gesellschaft eröffnet, lässt sich zwar nicht mit Sicherheit behaupten, dass es ohne ihn allerdings bestimmt nichts werden, wird ist sicher. Jene nämlich, dass jede Sorge um die Nation und jeder Appell an den Staat letztlich eine Parteinahme gegen die Menschen ist – hier und erst recht anderswo.
So oder so – kein Grund zum Feiern. Denn die Feier der Nation ist ein Angriff auf das schöne Leben und ein Hohn gegenüber der Gesellschaft, wie wir sie uns vorstellen: Nationalismus ist keine Alternative!
Antinationale Gruppe Frankfurt