#2112 Hamburg- fast ein Jahr danach / Der Kontext politischen Handelns

Diese Zeilen sollen als Grundlage für eine längerfristige Diskussion betrachtet und benutzt werden.Sie sind als Ergänzend zu sehen,bezugnehmend auf die letzten Monate,als das hier bei Linksunten,Indymedia,der Szenezeitung aus Berlin "Interim"und dem autonomen Sprachrohr aus Hamburg "Zeck" bereits Papiere kursieren,die sich als eine Art "aktuelle Bestandsaufnahme"der autonomen Szene in Deutschland verstehen.


Wir wünschen uns eine offene,ehrliche ,langfristige Auseinandersetzung, mit dem Ziel von "der Theorie zu einer Praxis" zu gelangen,die im Jahr 2015 und darüber hinaus Bestand haben kann bzw. muß!


Wir schlagen als Diskussionsplattform folgende Wege vor:Linksunten, Interim e.V./Gneisenaustrasse 2a/10999 Berlin, Zeck c/o Buchladen Schwarzmarkt/Kleiner Schäferkamp 46, 20357 Hamburg vor. (Bei der Zeck aus Hamburg ist zu beachten, das die Beiträge oder Artikel bereits am 20ten des Vormonates der Redaktion vorliegen müßen.Diesbezüglich wird gewünscht, daß alles als CD oder Textdatei mit dazugehörigem Ausdruck vorzuliegen hat.


Eine subversive, kämpferische Winterzeit wünscht "Gruppe Theorie zur Praxis:


Der Kontext politischen Handelns

 

Wenn wir im vorliegenden Text auf die politikdeterminierenden aktuellen Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik blicken, dann geschieht dies vor dem Hintergrund des gescheiterten Versuchs einer szeneinternen Diskussion derselben im Anschluss an 2112.


Die Ereignisse im Dezember letzten Jahres wollten wir zum Anlass nehmen, um mit verschiedenen Gruppen und Einzelpersonen die Verfasstheit der autonomen Bewegung maßgeblich unter dem Aspekt der Zusammenarbeit jüngerer und älterer Politikgenerationen und viel mehr noch des Nichwissens umeinander zu analysieren.


Vielleicht haben wir die falschen Fragen aufgeworfen, vielleicht bestand kein Interesse. Wir wissen es nicht.


Was bei den wenigen Treffen, und das finden wir einer Untersuchung wert, immer wieder thematisiert wurde, waren die Lebensverhältnisse unter denen sich autonome Politik heutzutage entwickeln kann. Als hemmende Faktoren wurden u.a. fordernde Studien- und Arbeitsbedingungen, Abbau von Standards in der sozialstaatlichen (Grund)versorgung und eine fortschreitende repressive innenpolitische Formierung, die ihren Ausdruck z.B.in Gefahrengebieten und Strafverfolgung findet, benannt.


Diskussionslinien dieser Art finden sich oftmals in verschiedenen Kontexten wiederkehrend als zumindest dominierende, wenn nicht sogar alleinige, Variante zur Erklärung sich verändernder Handlungsspielräume.


Dies erscheint aus mindestens zwei Gründen problematisch: Zum einen wird dabei, willentlich oder nicht, die eigene Rolle in diesem Prozess, also die in fast allen vorstellbaren und tatsächlichen Fällen vorhandene Verantwortung für das eigene Handeln verschwiegen, zum anderen die gesellschaftliche Verhältnisse in einer Art und Weise analysiert, die mehr über die soziale und politische Strukturiertheit der Analyse und vor allen Dingen der Analysierenden aussagt, als über den Analysegegenstand. Will meinen, eine Reflexion über den eigenen Standpunkt findet nur insofern statt, als diese ebensolchen lediglich benennt, anstatt ihn zu problematisieren.


Das Verständnis der herrschenden Verhältnisse bleibt dadurch auf einer theoretisch unzureichenden Ebene und führt in der Praxis zur Bedeutungslosigkeit.


Das Sich-ins-Verhältnis-setzen zur eigenen Position in einem der reichsten Länder der Erde, zur Bedingtheit des eigenen Denkens und Handelns ist allerdings alternativlos und der Schlüssel zu einem wirklich umfassenden Politikverständnis.


Historisch bertrachtet geht es den Menschen in den westlichen Ländern ökonomisch, sozial und politisch so gut wie nie.


Wir können nicht erkennen, dass, obwohl gängige linke Analysen etwas anderes behaupten, es den Menschen schlechter geht als vor zwanzig, dreißig oder hundert Jahren. Dadurch erscheint es geradezu vermessen, die eigene Lethargie an vorgeblich sich verschlechternden Lebensbedingungen festzumachen.


Um nicht missverstanden zu werden: Uns geht es nicht darum zu behaupten, den Menschen müsste es schlechter gehen, damit sie im emanzipatorischen Sinne politisch aktiv werden. Gerade in Deutschland, das zeigt nicht nur die Geschichte, lohnt es sich nicht, darauf zu hoffen. Vielmehr geht es darum, uns zum Ausgangspunkt der Erklärung unseres Handelns zu  machen.


Dass Menschen, die mit einem autonomen Politikverständnis aktiv sind, oftmals aus einem privilegierten Kontext heraus handeln, ist eine Binsenweisheit. Dort, wo (politische) Bildung durch die soziale Herkunft vorgezeichnet ist, dort, wo szeneinterne Codes wie Style und Kultur  gekauft, d.h. aufgrund einer vorhandenen finanziellen Basis konsumiert werden können, dort, wo die individuelle Zukunft durch die Elterngeneration und privatwirtschaftliche und/oder staatliche Vorsorge abgesichert ist, dort ergibt sich keine Notwendigkeit politischer Teilhabe.


So ergeben sich für linkradikalen Aktivismus eine Vielzahl von Stellverter_innen-Kämpfen.

Solche sind moralisch hoch anzuerkennen, politisch fußen sie hingegen auf gravierende Fehleinschätzungen.

Es ist eben etwas anderes, ob mensch politisch handeln muss oder ob sie_er politisch handeln kann.


Wir können es uns, nicht nur in ökonomischer Hinsicht, leisten, politisch aktiv zu sein. Demzufolge macht es auf persönlicher Ebene keinen Unterschied, ob mensch tatsächlich aktiv ist oder nicht. Die nächste Demo, die nächste Soliparty verkommt so schnell zu einem Ort sozialer und kultureller Selbstvergewisserung, steht aber politisch unvermittelt im gesellschaftlichen Raum, der wiederum von Fragen dominiert wird, auf die wir keine Antworten haben. Zumindest keine Antworten, die außerhalb unserer Strukturen irgendjemanden interessieren.


Die Benennung der eigenen priviligierten Position sowohl in Bezug auf die hiesigen gesellschaftlichen Verhälnisse als auch im internationalen Kontext bleibt so lange auf allen Ebenen wirkungslos, die nicht der eigenen Identitätssicherung dienen, wie sie den formelhaften Charakter einer Veränderbarkeit propagierenden, im politischen wie sozialen Alltag aber nicht gelebten Utopie beibehält.


Dabei wäre diese Benennung, so sie denn kritisch eben mit uns selbst erfolgt, der erste Schritt zu einer linksradikalen Theoriebildung mit der Chance zumindest in autonomen Strukturen auf Widerhall zu stoßen.


Nur, was ist, wenn wir uns Veränderung als irgendwann gelebte Realität selbst nicht vorstellen können oder eine solche Veränderung gar nicht wollen, da sie zu Verhältnissen führen kann, die unkomfortabler sind als die herrschenden?


Die Kritik an den bestehenden Verhältnissen kann um so radikaler ausfallen, je unwahrscheinlicher die Überwindung des Systems erscheint. Wir wollen hier nicht behaupten, dass eine besitzstandswahrende Strategie dahinter steht, die in einem linksradikalen Gewand daherkommt, möchten aber dazu anregen, die Konsequenzen der eigenen Positionen mitzudenken. Wie sieht die befreite Gesellschaft konkret aus, was bedeutet das für unser Zusammenleben im Vergleich zur jetzigen Situation? Für uns ist die Bereitschaft zur bewussten, zumindest temporären, Aufgabe gewohnter individueller Privilegien, die zwar nicht lebensnotwendig sind, an deren Existenz wir uns jedoch so schön gewöhnt haben, eine zwar notwendige Voraussetzung zu linksradikaler Praxis, wissen aber gleichzeitig, dass dies jeder_jedem Einzelnen viel abverlangt.


Die soziale Positionierung autonomer Aktivist_innen hat zu einem verqueren Leistungsverständnis geführt, wird doch Leistungsverweigerung im Kapitalismus als politischer Akt verklärt, ohne sich gewahr zu werden, dass ein selbstbestimmtes, herrschaftsfreies Leben ohne strukturierende (Herrschafts-)Strukturen eine viel höhere Leistungsbereitschaft verlangt als das Leben in einer von Verantwortungsdelegation geprägten Gesellschaft.


Die Grenzen zwischen Arbeit, die dann keine Lohnarbeit mehr ist, und Nicht-Arbeit werden verschwimmen, müssen aber in der Hinsicht klarer gezogen werden, dass gesellschaftlich notwendige Arbeit ein bestimmender Teil des Alltags sein wird. Arbeit, die evtl. mehr Disziplin verlangt als jene, die heutzutage unter kapitalistisch geprägten Bedingungen geleistet wird.


Die fehlende Leistungsbereitschaft geht einher mit Beliebigkeit und Verantwortungslosigkeit. Gruppen kommen, Gruppen gehen, Kampagnen verschwinden im politischen Niemandsland und hektischer Aktivismus bei schnell wechselnden Themen verebbt bei der nächsten Sturmflut im persönlichen Wasserglas.


Niemand, außer uns selbst, kann uns daran hindern, für unsere politischen Ideale einzustehen. Linksradikaler Aktivismus muss auf sich stetig verändernde soziale und politische Bedingungen reagieren. Und zwar nicht nur mit begleitender Analyse und Perspektiventwicklung, sondern ebenso in einer aktiven, nach Veränderung strebenden Art und Weise, die eine angemessene Antwort auf die gesellschaftlichen Verhältnisse liefert und gleichzzeitig unserem Selbstverständnis entspricht.


Genau an dieser Stelle besteht wohl die größte Herausforderung, da dieses Selbstverständnis zu großen Teilen zeitlos ist, also für eine Utopie steht, die unabhängig von dem, was gerade abgeht, ihre Berechtigung hat.


Hier zeigt sich dann im politischen Alltag das größte Konfliktpotential mit denen, die an der Stabilisierung und Aufrechterhaltung von Unterdrückungsverhältnissen arbeiten.


Die Konsequenz daraus sollte nicht Resignation oder Integration sein, sondern eine deutliche Positionierung in Theorie und Praxis. Freiräume sind auch für uns vorhanden. Sicher nicht so, wie wir sie uns im Idealfall vorstellen, aber immerhin in einer Form, die politische Arbeit möglich macht. Menschen in anderen Ländern müssen nicht nur in katastrophalen Verhältnissen leben, sondern stehen oftmals unter einem enormen repressiven Druck.


Im Vergleich dazu erscheint unsere Situation äußerst komfortabel. Wir leiten daraus auch eine Verantwortung gegenüber diesen Menschen ab.


Alles, was uns fehlt, ist nicht allein die Solidarität, wie eine manchmal auf Demos sogar noch gespielte Politband in den 1970er Jahren sang, sondern Kontinuität als beharrliches Arbeiten an unseren Zielen.

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sehr guter artikel/denkanstoß

ihr sprecht mir zu einem großen teil aus der seele.

wir müssen das vorleben was wie wollen und zwar mit allen konsequenzen, dann sind wir glaubwürdig.

 "Historisch bertrachtet geht es DEN MENSCHEN in DEN westlichen Ländern ökonomisch, sozial und politisch so gut wie nie."

 

aha? dann ist doch alles töfte. Dann geniesse ich jetzt meinen wohlstand und stoße mit nem Champagner an und erfreue mich mit all den anderen Wohlhabenden in meiner Nachbarschaft des Lebens und lasse das mal mit diesem Politwirrwarr.

 

Und zur Beseitigung des Hungers und sonstigen Übels in der nichtwestlichen Welt haben NGOs und Entwicklungsdienste doch wesentlich mehr beigetragen als "Autonome"

 

viel spass noch bei eurer "Diskussion"

Aber ihr könntet mit diesem Ansatz wirklich etwas historisches vollbringen: das ohnehin schon erbärmliche theoretische Niveau der "autonomen" Diskussionen in interim usw. NOCH mehr absenken.

 

Zum Glück ist eine radikale (Bewegungs)Linke auf so etwas nicht (mehr) angewiesen.

einfach den nächsten satz lesen:

"Wir können nicht erkennen, dass, obwohl gängige linke Analysen etwas anderes behaupten, es den Menschen schlechter geht als vor zwanzig, dreißig oder hundert Jahren."

-findet du diese aussage etwa falsch? wann ging es den menschen in den westlichen ländern denn besser als heute? sag mir eine zeit

 

zum text:
was wollt ihr denn jetzt aussagen? dass wir uns mit uns selbst beschäftigen sollen? wie oft soll ich das noch hören? was soll das bringen? wird dadurch auf der straße mehr passieren? haben sich die aktivisten früher mehr mit sich selbst beschäftigt als wir heute? das bezweifle ich stark wenn ich mir die vielen diskussionen in der szene heute ansehe

"die westlichen Länder"  sind eben nicht Deutschland ist. Fährst du eigentlich mal in Europa herum abseits der Touri-Sightseeing Orte? Du wirst kalte Städte erleben mit extremen Unterschieden zwischen arm und reich und Problemen institutioneller und struktiureller Art.

Es ist so einiges schlechter oder besser gesagt extremer geworden. Vorallem in größeren Städten. Gerade die selbstbestimmtheit der Menschen und selbstversorgung der Menschen inklusive menschlicher Zusammenhalt hat abgenommen. Viele Städte in Frankreich und Italien sind gute Beispiele für totale Überwachung. Dort sind die gesamten Innenstädte mit Kameras überwacht mit Verdrängung usw.

 Wie ihr lebt und unter welchen Umständen sollte nicht der alleinige Maßstab für solche Aussagen sein.

Erweitert euren Horizont (A)!

ich verstehe den text als eine art grundlage, um auch wieder mehr im "kollektiv" zu denken und letztlich auch so zu handeln.und wenn ich meine politische geschichte reflektiere, dann ist es "früher" in der tat strukturierter,organisierter und mit viel mehr verlässlicher gruppenzugehörigkeit abgelaufen.das setzt aber eine ständige reflektion und austausch /diskussion voraus,die ich heute in diesem maße nicht mehr erlebe.

es ist gerade für jüngere genossInnen auch nicht mehr vorstellbar,das man früher noch bullen bei auseinandersetzungen verletzen konnte.heute sind es ja regelrechte maschinen, die da aufgefahren werden,um einen übelst zu vermöbeln oder zu haften.

die auseinandersetzungen der letzten jahre haben gezeigt, das dem schwer beizukommen ist.

das wir nicht mehr,sondern stetig weniger werden (abgesehen von den 2-3 großevents im jahr...)sollte uns nachdenklich stimmen und so einen text nicht zerreissen,sondern ihn mit bedacht lesen und kollektiv/gruppen bereden und diskutieren.ich finde es lobenswert, das sich leute heute immer noch (in einem der reichsten länder europas)hinsetzen und sowas zu papier bringen,mit der zielsetzung (wie es ja auch von den verfasserInnen wohl gewünscht wird)sich am ende in einem politischem,praktischem Ansatz wiederzufinden.und zwar mit möglichst vielen, um dem wort bewegung wieder einen sinn zu geben.