Tausende Gegendemonstranten haben am Samstagnachmittag in Marzahn die Teilnehmer des Neonazi-Aufmarschs blockiert. Als es dann doch losging, wurde die Lage rasch chaotisch und geriet der Polizei außer Kontrolle. Entgegen ihrem ursprünglichen Marschplan gaben die Rechtsradikalen bald auf. Um kurz vor 18 Uhr war die Demonstration beendet.
Rund 2500 Gegendemonstranten haben am Samstagnachmittag den pünktlichen Abmarsch eines Aufzugs gegen Asylbewerber und Flüchtlingsheime durch Marzahn-Hellersdorf verhindert. Gegen 15 Uhr war mit dem Start in der Raoul-Wallenberg-Straße gerechnet worden, etwa 800 Neonazis und Anwohner waren am Sammelpunkt zusammengekommen. Doch alle möglichen Routen waren weitgehend blockiert. Anfangs kam es nur zu kleineren Zwischenfällen. Erst gegen 17 Uhr ging es dann doch los, aber der schon auf die Hälfte zusammengeschmolzene Zug kehrte nach einer kurzen Strecke angesichts des weiteren starken Widerstandes bald wieder um.
Gewaltbereite Gegendemonstranten ergriffen die Gelegenheit und stießen auf der Raoul-Wallenberg-Straße nach, durchbrachen dabei die Polizeikette. Die Lage wurde zunehmend verworren, geriet der Polizei zeitweise außer Kontrolle. Flaschen und Böller flogen in Richtung Rechtsradikale. Diese wurden von Autonomen verfolgt, sahen sich schon nach wenigen 100 Meter dem nächsten gegnerischen Block gegenüber und waren von allen Seiten eingekesselt. Schließlich erreichte der Zug der Neonazis den nahen S-Bahnhof Raoul-Wallenberg-Straße und löste sich dort auf, bevor es zu weiteren Gewalttätigkeiten kommen konnte. Punkt 17.58 Uhr erklärte die Polizei die Demonstration für beendet, auch die Gegendemonstranten gingen oder fuhren langsam nach Hause.
Die Anwohner unter den Demonstranten waren bemüht, durch Transparente klarzustellen, dass sie „keine Neonazis“, sondern normale Anwohner seien, die nur „Nein zum Heim“ sagten. Ohnehin waren nur Deutschland- oder Bezirksfahnen zu sehen, keine NPD-Embleme. Auch Sebastian Schmitdke, Landeschef der NPD, ließ sich, anders als sonst bei vergleichbaren Anlässen, nicht blicken.
Die Gegner der Demonstranten waren eine bunte Mischung aus Grünen, Sozialdemokraten, Autonomen und Antifa-Mitgliedern. Auch SPD-Landeschef Jan Stöß war gekommen. Die Polizei, der am Abend noch die linke „Silvio-Meier-Demo“ von Kreuzberg nach Friedrichshain bevorstand, war mit 1700 Beamten im Einsatz. Eher ruhig und gelassen hatte der Nachmittag begonnen. So hätte beispielsweise eine aus dem Brandenburgischen angereiste, schon erheblich bezechte Gruppe von Neonazis erst an der S-Bahn-Station Raoul-Wallenberg-Straße in Marzahn aussteigen müssen, um von dort aus zu Fuß den Sammelpunkt ihrer Demonstration gegen Asylbewerber zu erreichen. Aber einer aus dem Zehnertrupp, offenbar eine Art Anführer und noch klarer im Kopf, ließ sie schon in Springpfuhl, drei Stationen vorher, aussteigen und bereits dort in die Tram wechseln. So konnten sie hoffen, die erste Konfrontation mit den bereits am S-Bahnhof Raoul-Wallenberg-Straße wartenden Gegendemonstranten zu umgehen. Der Wortführer der Gruppe hatte einige Mühe, diese halbwegs ruhig zu halten. Man möge sich zurückhalten, man sei hier in der S-Bahn, mahnte er sie mehrfach: „Nachher auf der Demo könnt ihr machen, was ihr wollt.“
Das versprach am frühen Samstagnachmittag nichts Gutes für den Demonstrationszug der Rechten, die von der Wallenberg-Straße über mehrere Kilometer bis zum Alice-Salomon-Platz nahe dem U-Bahnhof Hellersdorf marschieren wollten. Eine erste Gegenkundgebung wurde kurz nach 14 Uhr für beendet erklärt, und die – zahlenmäßig noch überschaubaren – Teilnehmer versuchten in die Nähe der Neonazi-Demo zu gelangen – das bei solchen Gelegenheiten übliche Katz- und Maus-Spiel mit der Polizei, die erfolgreich die zwei verfeindeten Parteien auf Abstand hielt. So versuchten etwa 100 Autonome, die Polizeisperren zu umlaufen – ein Anlass für die Beamten, ihre Helme aufzusetzen. Auch ein Hubschrauber war im Einsatz. Und an der Kreuzung Landsberger Allee waren zwei Wasserwerfer aufgefahren – Vorbereitungen auf den zunächst für 15 Uhr erwarteten Start.
Der ließ aber lange auf sich warten, ob der Zug dann wie geplant über 7,5 Kilometer gehen würde, war aber ungewiss und sollte es bleiben. Gegen 14.30 Uhr hatten sich bei der Anti-Asylbewerber-Demo etwa 250 Personen eingefunden, Neonazis, aber auch Anwohner, darunter Familien. Sie wurden erst nach einer Durchsuchung, etwa auf Flaschen, zum Sammelplatz durchgelassen. Es war eine zwar nicht übergroße, aber doch zusammen auftretende Menge, während die Gegendemonstranten anfangs eher zersplittert auftraten, einige Dutzend an dieser, andere an der nächsten Absperrung.
Aber offenbar täuschte das Bild, denn die Polizei sprach gegen 15 Uhr bereits von 2500 Gegendemonstranten, die offenbar im Umkreis auf ihren Auftritt warteten. Zum selben Zeitpunkt schien sich ein Umschwung bei den Flüchtlingsgegnern abzuzeichnen. Der Demonstrationszug formierte sich, allerdings schien er nun in entgegengesetzte Richtung ziehen zu wollen, Richtung S-Bahnhof Raoul-Wallenberg-Straße. Eine Ansammlung von 400 bis 500 Personen war es bereits, die dann auf rund 800 anwuchs und deren Mitglieder sich teilweise sehr selbstbewusst gaben, auch erste Auseinandersetzungen mit der Antifa suchten. Auch rund 30 Hooligans waren darunter.
Gegen 15.15 Uhr kam von der Leitung der Demonstration die Durchsage, dass es losgehe, sobald die Polizei bereit sei. Auch hieß es, ein „Kamerad“ sei von Linken zusammengeschlagen worden und befinde sich im Krankenhaus. Wohin die Demonstranten sich aber wenden könnten, blieb unklar: In beiden möglichen Abmarschrichtungen war die Straße durch zahlreiche Demonstranten blockiert.
Wenig später kam es aus den Reihen der Demo-Gegner zum Wurf von Böllern in Richtung des Aufzugs. Einer detonierte in der Nähe eines Polizisten, der vermutlich ein Knalltrauma erlitt und von Kollegen weggeführt wurde, auch ein Gegendemonstrant, vielleicht der Werfer, wurde von Beamten abgeführt.
Gegen 15.30 Uhr räumte die Polizei eine Fahrbahn Richtung S-Bahnhof frei, drängte die Gegendemonstranten unter Einsatz von Reizgas sehr energisch ab. Wenig später entschlossen sich die Gegendemonstranten zu einer Sitzblockade, allerdings auf der Straßenseite, auf der sich ihre Gegner ohnehin nicht versammelt hatten. Der Abmarsch Richtung S-Bahnhof schien also möglich, und wie um mögliche Blockierer abzuschrecken, drehte die Polizei einen ihrer Wasserwerfer um.
Gegen 16.15 Uhr brachen die Demonstranten plötzlich auf, in die ursprüngliche Richtung, wurden aber von der Polizei bald gestoppt. Es war ungewiss, wie es weitergehen würde. Allerdings schmolz die Zahl der Demonstranten auf beiden Seiten massiv zusammen: Nur noch rund 400 Heimgegner und 1000 Gegendemonstranten waren es nun, als die Situation zu kippen schien.
Bilder
Bilder vom 22. November
Marzahn:
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Silvio-Meier-Demonstration:
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