Bericht: Sitzung der “Enquete-Kommission” in Stuttgart am 13. Oktober 2014

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Dritte öffentliche Sitzung der Enquete-Kommission „Konsequenzen aus der Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU)/ Entwicklung des Rechtsextremismus in Baden-Württemberg – Handlungsempfehlungen für den Landtag und die Zivilgesellschaft“ am 13. Oktober 2014

Am 13. Oktober 2014 beschäftigte sich die Kommission in einem öffentlichen Teil mit Strukturen und der Vernetzung der rechtsextremen Szene und der Arbeit des baden-württembergischen Aussteigerprogramms für Rechtsextreme namens „Beratungs- und Interventionsstelle gegen Rechtsextremismus (BIG Rex)“.  

 

In einem nichtöffentlichen Teil am Nachmittag beschäftigten sich die Kommissionsmitglieder noch einmal mit dem Bericht des Innenministeriums „Bestandsaufnahme zu den Strukturen des Rechtsextremismus in Baden-Württemberg und den Auswirkungen auf die Sicherheitsbehörden und die Zivilgesellschaft in Baden-Württemberg“. Anschließend folgte ein Bericht zum Thema „Informationsbeschaffung durch das Landesamt für Verfassungsschutz, insbesondere Führung von V-Leuten“

Beginn der Sitzung 10.15 Uhr

Der Vorsitzende Wilhelm Halder (Bündnis 90/Die Grünen) hält eine kurze Begrüßungsansprache. Bezugnehmend auf einen Presseartikel sagt er, dass er das Lob bezüglich seiner Person gerne annehme, aber die Kritik er habe das Gutachten zurück gehalten weise er von sich.
Er gibt bekannt, dass geplant sei im Anschluss an den öffentlichen Teil der Sitzung einen nicht- öffentlichen Teil durchzuführen.

Hartfrid Wolff (ehemaliges Mitglied des Bundestags für die FDP; ehemaliges Mitglied des NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestags, Rechtsanwalt) beginnt mit seinen Ausführungen zum Thema „Strukturen des Rechtsextremismus und Vernetzung der rechtsextremen Szene“.

Einleitende Worte

Wolff begrüßt es, dass in Baden-Württemberg die Auseinandersetzung mit dem Thema statt findet.
Die Aufklärung sei wichtig für die Angehörigen. Der NSU habe gravierende Mängel offenbart:

- Versagen der Sicherheitsbehörden
- Mangelndes Ziehen von Konsequenzen aus diesem Umstand
- Unerlässlichkeit von verlässlichem Aktenmanagement
- Keine einheitlichen Standards für die Arbeit der Sicherheitsbehörden
- Kein Vertrauen der Verfassungsschutzämter untereinander aufgrund von unterschiedlichen Standards im Umgang mit Informationen.

Wolff lobt die Rolle der Justiz am Oberlandesgericht in München. Dort werde wichtiges aufgearbeitet.

Deutschland habe einen hohen Presse-Standard. Die Presse mache wichtige Arbeit und habe im Bezug zum NSU wichtige Erkenntnisse zu Tage gefördert.
Aber auch sie habe im Zusammenhang mit der Einschätzung der Tathintergründe der Morde und des Anschlags in der Keupstraße versagt. Stichwort „Dönermorde“.

Die parlamentarische Aufklärung des „NSU-Komplex“ müsse stattfinden. Der Untersuchungsausschuss des Bundestages sei diesbezüglich wichtig gewesen und hätte weitergeführt werden müssen. Viele Fragen seien ungeklärt, beispielsweise im Bezug auf die Finanzierung des NSU und die Frage wie es zum Untergrund kommen konnte.
Die Internationalität des Problems sei nur bedingt aufgearbeitet worden. Viele Bereiche seien stecken geblieben.
Wolff plädiert dafür einen neuen Bundestags-Untersuchungsausschuss zum Thema einzusetzen.
Jeder Landtag solle sich mit dem Thema auseinandersetzen wie er es für richtig halte.
Die Landtagsausschüsse könnten das Thema zwar nur partiell beleuchten, hätten aber trotzdem einiges zu Tage gefördert. Der Untersuchungsausschuss sei das schärfste Schwert des Parlaments und man solle sich überlegen ob das nicht angemessen wäre.

Vernetzung der rechtsextremen Szene in Deutschland

Die rechtsextreme Szene sei in Deutschland sehr gut vernetzt, antisemitisches und rechtsextremes Gedankengut sei tief verankert. Die internationale rechtsextreme Szene verfüge über eine sehr gute Vernetzung, Geldmittel und das Know-How für terroristische Anschläge. Die rechtsextreme Musikszene sei weiterhin Anlaufpunkt und Fundament der rechtsterroristischen Szene.
Die rechtsextreme Band „Landser“ habe sich selbst als „Terroristen mit E-Gitarre“ bezeichnet. Der ideologische und gewalttätige Hintergrund der Texte sei hier offensichtlich.
Beispielhaft seien hier auch Bands wie „Noie Werte“.
Das rechtsextremistische Musiknetzwerk „Blood & Honour“ (B&H) sei bis jetzt nur in Deutschland verboten.

Zwischenruf: „Blood & Honour“ sei auch in Rußland und Ungarn verboten.

In der Nachfolge von „Blood & Honour“ seien die Hammerskins entstanden. Auch „Combat 18“ aus Großbritannien, die den bewaffneten Kampf gegen das System proklamierten, seien aus dem Netzwerk hervorgegangen. Das Internet und digitale Kommunikationswege eröffneten solchen Gruppierungen neue Möglichkeiten.

Die „Turner-Tagebücher“ seien weit verbreitet und dienten als theoretische Grundlage für die Notwendigkeit von Rassenkriegen. In rechtsextremen Kreisen werde der führerlose Widerstand beziehungsweise der bewaffnete Kampf in vernetzten Kleingruppen propagiert.
In einem „Handbuch der braunen Armee-Fraktion“ das vor allem in Niedersachsen kursiere seien detaillierte Anleitungen zum bewaffneten Kampf enthalten. Eventuell habe der „NSU“ darauf aufgebaut.

In Deutschland bestehe nach wie vor eine große Anzahl an rechtsextremen Terroristen, nur ein kleiner Teil ist momentan im Fokus der Sicherheitsbehörden.
Ein Schwerpunkt des verbotenen „Blood & Honour“-Netzwerks sei Baden-Württemberg. Nach wie vor seien in diesen Strukturen Finanzmittel vorhanden. Die lokalen Schwerpunkte von „B&H“ seien übereinstimmend mit den Handlungsregionen des „NSU“.
Dessen Verbindungen nach Baden-Württemberg seien klar belegt.

Rechtsextreme Kader mit Kontakten zum „NSU“ wie Jan Werner oder Carsten Szczepanski seien heute zum Teil Angeklagte im Münchner Prozess, viele aber auch nicht.
Nach wie vor seien führende deutsche Nazis europaweit aktiv.
Durch die umsatzstarken „movement records“ seien in diesen Kreisen auch Finanzmittel vorhanden.
Eine internationale Vernetzung liege vor.

Die Einzeltätertheorie der Generalbundesanwaltschaft sei seiner Meinung nach nicht haltbar. Noch immer liege ein großes Netzwerk von Rechtsterroristen vor. Die tägliche Unterstützung für den „NSU“, die Organisation von Wohnwagen, Bahn-Cards oder die Logik der Verteilung der Bekennervideos sei so nicht erklärbar.
Er betont die Aufarbeitung sei noch nicht am Ende.

Die „Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige“ (HNG) sei Gott sei Dank inzwischen verboten, aber ihre Netzwerke bestünden weiterhin. Über den „HNG“-Kader Manfred Roeder seien Kontakte zum „NSU“ vorhanden.
Mundlos, Böhnhardt, Kapke und Wohlleben seien bei einem Prozess gegen Roeder anwesend gewesen.

Internationale rechtsextreme Vernetzung

Wolff zitiert eine Veröffentlichung des Bundesnachrichtendienstes (BND) nach der es seit Jahren Warnungen von Beobachtern vor einer europaweiten rechtsextremen Vernetzung, einer braunen Internationalen gebe.

Wachsende Besorgnis bereiteten ihm dabei vor allem die „Hammerskins“ und „Blood & Honour“
Beide seien inzwischen weltweit mit Sektionen vertreten. Damit einher gingen rechtsterroristische Mordserien in diversen Ländern. Ausgeübt würden diese nach dem „lone wolf“-Konzept beziehungsweise in vernetzten Kleingruppen.

Deutsche Rechtsterroristen lernten ihr Handwerk im Ausland in der Vergangenheit beispielsweise als Söldner im Jugoslawienkrieg. Aktuell gebe es Terrorcamps von Rechtsextremisten in Tschechien und Ungarn. Das Netzwerk des „NSU“ habe von Dänemark über Schweden und die Schweiz bis nach Südafrika gereicht. Es sei bekannt, dass das Netzwerk des „NSU“ im nahen Ausland gebildet worden sei.

Vorgehen der Sicherheitsbehörden
Die Sicherheitsbehörden seien Gefangene ihres eigenen routinemäßigen Wissens gewesen. Sie seien schablonenhafte vorgegangen. Es sei ihnen schwer gefallen zu erkennen, dass Rechtsextreme nicht nur „Trunkenbolde und Schreihälse“ seien.
Gleichzeitig habe der „NSU“ im Schatten der Bekämpfung des islamistischen Extremismus unentdeckt bleiben können.
Keinerlei Verständnis habe er für die Halbierung von Sicherheitsbehörden. Im Gegenteil brauche es dringend einheitliche Standards in der Zusammenarbeit zwischen den Ländern und auch die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern müsse verbessert werden.

Vorschläge für Konsequenzen

- Opferschutz:
Der Opferschutz brauche Verstärkung und Unterstützung.
Die Diskussion, ob Bund oder Länder die Kosten der Opferangehörigen im Prozess vor dem Münchner Oberlandesgericht übernehmen sollten, sei beschämend.
Opfer seien in die Organisation von Gedenkveranstaltungen einzubeziehen.
Der Opferschutz müsse verstetigt werden, das Land Baden-Württemberg sei dabei Vorreiter.
Gleichzeitig sei der Migrantenanteil in den Behörden zu vergrößern.
Wolff weist darauf hin es sei nicht hinnehmbar, dass von Seiten der Sicherheitsbehörden falsche Legenden als zeugnisverweigerungsberechtigte Berufsgruppen (beispielsweise Anwalt oder Geistlicher) zum Einsatz kommen.
- Präventionsprogramme zur Bekämpfung von politischem Extremismus seien aufeinander abzustimmen.

- Die parlamentarische Kontrolle über die Sicherheitsbehörden müsse gestärkt werden.
Dienstvorschriften müssten eine parlamentarische Verknüpfung bekommen.
Das Parlament müsse alles einsehen und nachvollziehen können.

- Der Einsatz von V-Personen und das Aktenmanagement müsse klar geregelt werden.
Dazu solle der baden-württembergische Landtag bestmöglich beitragen.

- Europäische, gemeinsame Standards zur Bekämpfung von Rechtsterrorismus seien zu schaffen.

- Die rechtsextremistischen Geld- und Waffennetzwerke seien aufzuklären

- Auf Bundesebene müsse ein neuer Untersuchungsausschuss zum NSU-Komplex eingerichtet werden.

Im Anschluss an den Vortrag folgt eine Fragerunde durch die Mitglieder der Enquete-Kommission.

Matthias Pröfrock (CDU) fragt bezüglich des Punktes „Versagen der Sicherheitsbehörden“, welche strukturellen Probleme im Bezug auf Polizei und Verfassungsschutz Wolff in Baden-Württemberg habe ausmachen können, die die Aufklärung verhinderten oder verzögerten.
Hartfrid Wolff antwortet, es habe sowohl strukturelle als auch individuelle Probleme gegeben. Ein individuelles Problem sei beispielsweise dass der Beamte Mögelin damals der dritte Sachbearbeiter zum Heilbronner Polizistenmord in kurzer Zeit gewesen sei. Es habe keine Konstanz und gravierende individuelle Fehler in den Ermittlungen gegeben. Wesentliche Ermittlungsansätze wie zum Beispiel Videoaufnahmen seien nicht ausgewertet worden, Kiesewetters persönliches Umfeld sei nicht ausgewertet worden. Ihr E-Mail-Account sei beispielsweise erst 2012/2013 von Interesse gewesen.
Auf struktureller Ebene müsse man sich in Baden-Württemberg Gedanken machen ob man wirklich Polizeibeamte abbauen wolle. Man müsse zudem dringend über die länderübergreifende Zusammenarbeit nachdenken. Das Trennungsgebot von Geheimdiensten und Polizei sei wichtig ,deswegen sei die Auflösung des Verfassungsschutzes nicht der richtige Weg. Man müsse allerdings Sicherheit schaffen was die Aufgabenbereiche von Verfassungsschutz und Polizei angehe und wie die Kommunikation zwischen ihnen auszusehen habe. Da brauche es rechtliche Regelungen.
Matthias Pröfrock (CDU) fragt, ob Wolffs Äußerungen, es gebe die Gefahr einer weiteren Generation von Rechtsterroristen und ein rechtsterroristisches Netzwerk in Deutschland, subjektive Einschätzungen oder objektiv belegbar seien.
Hartfrid Wolff antwortet, man müsse nur schauen welche Personen von „B&H“ in München angeklagt seien und welche nicht. Es gebe Informationen, dass es noch sehr viele Personen gebe, die bereit dazu seien bewaffnet zu kämpfen. Der Abschlussbericht des Bundestagsuntersuchungsausschusses nenne da Namen, aber viele seien nicht vor dem Oberlandesgericht angeklagt.
Matthias Pröfrock (CDU) fragt, ob die Aussage bezüglich der Ausbildungscamps in Ungarn und Tschechien auf einzelne Personen spezifiziert werden oder kann eine Anzahl genannt werden könne.
Hartfrid Wolff stellt einen Bezug zur „Wehrsportgruppe Hoffmann“ her. Er erinnert an die Debatte um Rechtsextremismus in der Bundeswehr. Damals seien Konsequenzen gezogen worden. Das müsse man auch heute tun.
Matthias Pröfrock (CDU) stellt fest die Aufklärung extremistischer Bestrebungen sei notwendig und fragt wie Wolff es einschätze, dass eine Fraktion des baden-württembergischen Landtags substantielle Kürzungen beim Verfassungsschutz fordere.
Hartfrid Wolff antwortet, er halte es für falsch den Verfassungsschutz in Baden-Württemberg um die Hälfte zu kürzen. Das sei ein Schlag ins Gesicht der Opfer

Daniel Andreas Lede Abal (Bündnis 90/Die Grünen) fragt ob Wolff auch im Bezug auf Baden-Württemberg heute noch die Funktionsfähigkeit von Strukturen wie „B&H“ oder der „HNG“ erkenne.
Hartfrid Wolff antwortet, regelmäßig wenn eine rechtsextreme Struktur verboten werde, komme eine neue hinzu. Die Vorgängerorganisation der „HNG“ sei die „Stille Route“ gewesen, sie werde auch eine Nachfolgeorganisation bekommen. Das sei die Erfahrung in allen extremistischen Milieus vor allem aber im rechtsextremen.
Seine subjektive Einschätzung sei, dass es eine Gefährdung durch Rechtsterrorismus gebe. Für konkrete Angaben solle sich der Landtag an die „G10-Kommission“ wenden, er dürfe dazu keine Auskunft geben. Diese Analysen kämen von den Verfassungsschutzämtern.
Daniel Andreas Lede Abal (Bündnis 90/Die Grünen) fragt bezüglich der Aussage, der Kampf gegen den Islamismus habe den Blick auf den Rechtsterrorismus verstellt, wie Wolff rückblickend die Analysefähigkeit der Verfassungsschutzämter auch mit Blick auf Turner-Tagebücher und das „lonely wolf“-Konzept bewerte?
Hartfrid Wolff antwortet, es gebe Qualitätsunterschiede zwischen den einzelnen Ämtern.
Der Verfassungsschutz habe viele Informationen, aber zum Teil leider zu wenig Verankerung. Es sei nicht ganz klar was nach außen dürfe und was nicht. Ihm gefalle nicht, dass man in der Vergangenheit sehr zurückhaltend agiert habe, Bedrohungslagen seien klar zu kommunizieren.
Dienste müssten transparenter an die Öffentlichkeit gehen und diese aufklären. Ein Kulturwandel müsse her. Die 10-20 Prozent der Informationen, die nicht öffentlich seien, seien einem parlamentarischen Kontrollgremium mitzuteilen. Dabei solle nicht nur die „G10-Kommission“ kontrollieren sondern auch die einzelnen Landesparlamente eigenständig.
Daniel Andreas Lede Abal (Bündnis 90/Die Grünen) möchte bezüglich der Aussage, die rechtsextreme Musikszene sei das Fundament für Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus wissen, ob diese heute noch existent sei und ob eine Bedrohungslage existiere. Er fragt nach konkreten Strukturen und Fragestellungen für Baden-Württemberg.
Hartfrid Wolff antwortet, die Netzwerke seien weiterhin existent, es gebe auch öffentliche Aktivitäten.
Daniel Andreas Lede Abal (Bündnis 90/Die Grünen) möchte Konkreteres zu rechtsextremen Strukturen in Baden-Württemberg wissen, auch mit Hinblick auf Wolffs Tätigkeit im Bundestags-Untersuchungsausschuss.
Hartfrid Wolff antwortet, nördlich von Stuttgart habe es bei den Sicherheitsbehörden lange weiße Flecken bezüglich Rechtsextremismus gegeben.
Die Vorkommnisse in Heilbronn seien nach wie vor nicht aufgearbeitet. Gerade im Bezug auf „Corelli“, Tino Brandt und andere die in Heilbronn gewesen seien. Auch die Rolle von Jan Werner in Baden-Württemberg sei weiterhin ungeklärt. Die Waffendepots der Spätzles über die Mundlos schreibe seien nicht ermittelt.
Genaueres könne er hier nicht darstellen aber in Rheinfelden habe es einen großen Waffenfund mit Bezug zu einem NPD-Funktionär gegeben. Es gebe eine rechtsextreme Logistikkette für Waffen und er könne sich nicht vorstellen dass da in Baden-Württemberg nichts sei. Gerade der Kreis Lörrach sei diesbezüglich interessant.

Wilhelm Halder (Bündnis 90/Die Grünen) unterbricht Wolff mit Verweis auf den engen Zeitplan.

Hartfrid Wolff sagt, er sage nur noch ein Stichwort: „KKK“

Nikolaos Sakellariou (SPD) führt aus, dass ein Untersuchungsausschuss im Landtag nur Bruchteile klar machen könne.
Wilhelm Halder (Bündnis 90/Die Grünen) unterbricht ihn, das sei nicht ihr Thema.
Nikolaos Sakellariou (SPD) fragt, ob nicht der eigentliche Fehler sei, dass der Untersuchungsausschuss im Bundestag nicht weitergeführt werde, weil viele Fehler ja den Bundesämter angelastet würden.
Hartfrid Wolff antwortet, kritisiert würden sowohl Bundesbehörden wie auch Landesbehörden. Viele individuelle Fehler seien hier passiert, zum Teil auf Grund der fehlenden Zusammenarbeit untereinander. Der ehemalige Leiter der „SoKo Bosporus“ habe gesagt für eine länderübergreifende Zusammenarbeit habe die politische Rückendeckung gefehlt.
Der damalige bayrische Innenminister Beckstein habe keine Notwendigkeit gesehen.
Letztendlich sei es jedem Land selbst überlassen wie es aufklären wolle, der Untersuchungsausschuss sei allerdings das schärfste Schwert. Er verstehe allerdings nicht warum von einer bestimmten Partei über einen Landtagsuntersuchungsausschuss philosophiert werde, es aber keine Unterstützung für einen neuen Bundestags-Untersuchungsausschuss gebe.
Nikolaos Sakellariou (SPD) fragt, wie sich der Migrantenanteil in Behörden in Baden-Württemberg entwickelt habe.
Hartfrid Wolff antwortet Genaues wisse er nicht, aber er denke der Migrantenanteil in der baden-württembergischen Polizei und den Behörden habe sich verbessert.
Nikolaos Sakellariou (SPD) fragt bezüglich des Vorwurfs der Verwendung falscher Legenden durch die Sicherheitsbehörden, wo Wolff das verorte.
Hartfrid Wolff antwortet, in Bayern habe sich ein Sicherheitsbeamter gegenüber einem Opferangehörigen als Geistlicher ausgegeben um an Informationen zu kommen.
Nikolaos Sakellariou (SPD) freut sich darüber dass Wolff Baden-Württemberg in einer Vorreiterrolle sieht und möchte wissen ob Baden-Württemberg nicht auch hinsichtlich der
länderübergreifenden Zusammenarbeit Vorreiter sei.
Hartfrid Wolff antwortet, da müsse etwas passieren, beispielsweise hätten Standards zum einheitlichen Einsatz von V-Personen gefehlt.

Dr. Ulrich Goll (FDP) bedankt sich für den Vortrag, es seien Aspekte dabei gewesen die zum Nachdenken anregen. Er fragt, was Wolff aus baden-württembergischer Sicht als nächstes „ins Werk setzen“ würde.
Hartfrid Wolff antwortet, es gebe da viele Punkte.
Die Sicherheitsbehörden seien durch ein eigenes Kontrollgremium besser ans Parlament anzubinden. Die Aufarbeitung bezüglich Heilbronn sei noch viel deutlicher voranzutreiben, auch im Bezug auf Stengels Aussage zu „Erbse“ und zum „Heilbronner Keller“. Er kenne zwar den EG-Umfeld-Bericht nicht, aber seine Einschätzung sei, dort müsse noch viel mehr gemacht werden. Vor allem in Heilbronn zeige sich, dass die Einzeltäterthese der Generalbundesanwaltschaft nicht haltbar sei.
Man müsse sich parlamentarisch Gedanken machen wie man die Zusammenarbeit zwischen Polizei und Verfassungsschutz und den Einsatz von V-Personen vernünftig regeln könne.
Die Ausbildungsstandards im Verfassungsschutz seien teilweise schlecht. In Hessen habe beispielsweise Temme, ein ehemaliger Schalterbeamter der Post nach kurzer Weiterbildung V-Männer geführt. In Baden-Württemberg und Bayern dagegen seien die Standards relativ gut, man solle sich Überlegen wie man dieses Niveau auch in andere Länder bringen könne.
Bei der „Operation Rennsteig“ habe es keine klare Regelung gegeben welche Kontrollinstanz mit einbezogen werde. Da gebe es einen Zwiespalt zwischen verstärkter länderübergreifender Zusammenarbeit und den Zuständigkeitsbereichen der Kontrollinstanzen.

Karl Zimmermann (CDU) bittet Wolff konkret zu sagen, wie viele Landesämter für Verfassungsschutz für Deutschland genügen würden, welche Landesämter er auflösen und welche er gerne stärken würde?
Hartfrid Wolff antwortet, er wolle darauf eigentlich nicht so konkret antworten, aber wenn in Bremen ein oder zwei Mitarbeiter im Urlaub seien gebe es z.B. keine Verfassungsschutzarbeit mehr zum Thema Rechtsextremismus.
Zur Frage der Fusion antwortet er, er halte Schwerpunktbildung für hilfreich. Seiner Meinung nach würden 8 Landesämter für Verfassungsschutz ausreichen.
Ihm seien allerdings klare Standards zum Thema V-Personen und Aktenmanagement wichtiger.

Petra Häffner (Bündnis 90/Die Grünen) fragt nach rechtsextremen Strukturen direkt in Baden-Württemberg unter dem Aspekt der regionalen Schwerpunkte und ihrer Rolle auf Bundesebene.
Hartfrid Wolff antwortet, Einzelpersonen aus Baden-Württemberg spielten eine große Rolle und ließen sich auch nachverfolgen. Für den „NSU“ spiele das Land eine große Rolle. Es gebe viele Beispiele dass dieser vor Ort gewesen sei. Unter anderem zeigten dies die Bilder die Beate Zschäpe vor dem Ludwigsburger Schloss zeigen und der Umstand, dass sich einige Adressen auf der Garagenliste in Baden-Württemberg befänden. Tino Brandt sei auch in Baden-Württemberg sehr aktiv gewesen, unter anderem habe er ein Haus in der Nähe von Heilbronn gekauft.
„Corelli“ sei durchaus stark verbunden mit dem „Ku-Klux-Klan“ in Schwäbisch Hall gewesen.
Achim S. sei nicht nur in Schwäbisch Hall sondern bundesweit aktiv gewesen. Auch die „E.'s“ hätten Kontakte nach Ludwigsburg gehabt. Die Band „Noie Werte“ habe den Soundtrack für das Bekennervideo des „NSU“ geliefert, viele ihrer Mitglieder lebten noch hier. Es gebe auch Indizien für „B&H“-Kontakte der Band. Auch die Rolle von Andreas G. sei noch ungeklärt. Die Netzwerke in Baden-Württemberg seien nicht ausreichend transparent, da sei noch vieles aufzuarbeiten.

Dr. Rudolf van Hüllen (externes Mitglied) stellt fest beim Thema „NSU“ sei die historische und internationale Dimension aus dem Blick geraten, beispielsweise im Blick auf den 11. September in den USA. Er fragt, ob Wolff mit den Netzwerken die 300 „NSU“-Unterstützer meine. Es habe früher Demonstrationen von „RAF“-Unterstützern mit mehr als 3000 Teilnehmern gegeben, eine Generation des Linksterrorimus sei auf die nächste gefolgt, es habe viel mehr Tote als durch den „NSU“ gegeben. Die Welt der Neonazis sei doch eine sehr kleine, er wolle da aber nichts runterreden. Der letzte Mord sei ja der an Kiesewetter 2007 gewesen. Er möchte wissen wie stark die Aktivitäten zu bewerten seien und gibt zu bedenken man müsse sich Gedanken machen wie stark die Gewichtung sein soll.
Hartfrid Wolff antwortet, es sei falsch „NSU“ und „RAF“ zu vergleichen. Er führt aus, dass das Problem des Rechtsterrorismus ein internationales sei und verweist auf die Bombenanschläge von „Combat 18“ in London. Europäisch gesehen sei der „NSU“ noch nicht zu Ende, nur weil man seit Kiesewetter nichts mehr gehört habe, heiße das nicht dass es keinen Rechtsterrorismus mehr gebe.
Alle Fachleute, auch der BfV-Präsident, hätten damals die Zusammenlegung der Abteilungen für Links- und Rechtsextremismus in den Verfassungsschutzämtern unter dem damaligen Innenminister Schäuble abgelehnt. Inhaltlich sei das nicht nachzuvollziehen.
Er warne davor den Rechtsterrorismus zu unterschätzen und wolle das nicht mit anderen Phänomenen vergleichen.

Daniel Andreas Lede Abal (Bündnis 90/Die Grünen) möchte gerne mehr über die Funktionsfähigkeit der Verfassungsschutzämter wissen, die Ausführungen hierzu seien widersprüchlich gewesen.
Hartfrid Wolff antwortet auch die „guten“ Ämter hätten sehr viele Fehler gemacht, bei den Mitarbeitern gebe es allerdings Unterschiede. In Baden-Württemberg hätten sie immerhin eine Ausbildung, im Vergleich zu Herrn Temme der eine falsche Ausbildung gehabt habe.
Es benötige bessere Ausbildung zum Beispiel arabisch ausgebildete Personen, aber auch die besten könnten mal Fehler machen.

Cristoph Bayer (SPD) möchte gerne mehr über die angesprochenen Geldnetzwerke wissen und fragt, wie diese zu bekämpfen seien.
Hartfrid Wolff antwortet, es seien beispielsweise Geldbotendienste von Mundlos von Südtirol nach Deutschland nachgewiesen. Den Berechnungen aus den bekannten Einnahmen des „NSU“ zufolge habe jedes Mitglied von unter Hartz-4-Niveau gelebt. Es stelle sich die Frage wie sich das Trio längerfristig habe halten können und wie es sich finanziert habe.
Es sei außerdem wichtig für die Zukunft klare Regelungen für die Finanzierung von V-Personen zu schaffen.

Nikolaos Sakellariou (SPD) möchte, dass Wolff ihm bestätigt, dass er das Ergebnis der Ermittlungsgruppe „Umfeld“ nicht kenne. Viele der von ihm thematisierten Punkte seien dort angesprochen.
Hartfrid Wolff antwortet, das sei richtig, er hätte aber gerne auch den nichtöffentlichen Bericht gelesen.

Prof. Dr. Thomas Grumke (externes Mitglied) fragt, ob Wolff bekannt sei, dass nach dem Bekanntwerden des „NSU“ irgendjemand mit Fachkenntnissen in Verfassungsschutzämtern eingestellt worden sei und wenn nein wieso nicht?
Hartfrid Wolff antwortet, es stelle sich die Frage wie man Personalstandards in den Ämtern im Bezug auf die Frage der Analysefähigkeit aufstelle.

Anton Maegerle (externes Mitglied) stellt mit Blick auf Rudolf van Hüllen fest, er habe auch bei einer Demonstration gegen die Wehrmachtsausstellung 5500 Neonazis gesehen und darüber hinaus seien 200 Todesopfer von Neonazis seit der Wiedervereinigung nicht mit der RAF zu vergleichen.
Er führt aus der Mord in Heilbronn sei der einzige bei der nicht die Céska 83 zum Einsatz gekommen sei und fragt, ob es Erkenntnisse gebe warum hier eine andere Waffe verwendet worden sei. Er fragt, warum niemand auf die Idee gekommen sei, dass es sich bei den Tätern um Neonazis handelte, wo es doch nicht der erste Mord an Polizeibeamten durch Neonazis gewesen sei. Auch der Neonazi Kay Diesner habe einen Polizisten auf der Flucht erschossen.
Hartfrid Wolff antwortet, warum andere Waffen zum Einsatz gekommen seien könne nur Beate Zschäpe oder jemand involviertes sagen. In Heilbronn seien die Strukturen eingefahren und die Ermittlungen sehr fokussiert gewesen. Zwei Wochen nach der Tat habe der Onkel von Kiesewetter gesagt es könne eine Verbindung zu den „Dönermorden“ bestehen.

Nach 7 Minuten Pause beginnen die Polizeibeamten Ulrich Bäuchle und Karl-Heinz Ortenreiter vom Landeskriminalamt (LKA) mit der Vorstellung ihrer Präsentation zur Arbeit der „Beratungs- und Interventionsstelle gegen Rechtsextremismus (BIG Rex)“.
Ulrich Bäuchle (LKA) beginnt mit den Ausführungen.

Historie von „BIG Rex“:

In den letzten Jahren des 20. Jahrhunderts habe es einen Anstieg von politisch rechter Kriminalität in Baden-Württemberg gegeben. Der Landtag habe sich damals verantwortlich gesehen etwas gegen rechts zu unternehmen und daher das Innenministerium mit der Gründung eines Aussteigerprogramms beauftragt. Dieses sei dann ans LKA herangetreten.

Organisatorische Anbindung:

- Angesiedelt bei Abteilung 6 (Staatsschutzabteilung), allerdings nicht beim Bereich für Rechts-und Linksterrorismus sondern bei der „Inspektion 630“ da die Beamten nicht in die tägliche Arbeit mit einbezogen werden.
- Nach 2001 Erlass zur personellen Besetzung: 2 Mitarbeiter vom Staatsschutz, 2 von der Bereitschaftspolizei, 1 Diplompädagoge (beteiligt an verschiedenen Forschungsprojekten), 1 Verwaltungsangestellter
- Nach November 2011: Einleitung einer Offensive zur Bekämpfung des Rechtsextremismus
- Ab September 2012 verstärken zusätzliche 4 Beamte der Landespolizei die Einheit
- Aktuell besteht „BIG Rex“ aus 10 Mitarbeiter: 8 Polizeibeamte, 1 Pädagogin und 1 Angestellter

Zielgruppen der Ausstiegshilfe und der Prävention:

- Zielgruppe 1: Sympathisanten und Mitläufer (noch nicht tief in der Szene)
- Zielgruppe 2: Personen aus der rechtsextremistischen Szene, die bisher eine Straftat begangen haben
- Zielgruppe 3: Intensiv- und Widerholungstäter
- Zielgruppe 4: Angehörige loser regionaler Verbindungen im rechtsextremen Spektrum unterhalb der Ebene formeller Vereinigung

Säulen der Prävention:

1. Aktiv:

Aussteiger gewinnen und betreuen mittels einer weit verbreiteten Hotline, E-Mail-Erreichbarkeit, plakativer Facebook-Account und Internetpräsenz.
Durch die lokalen Staatsschutzstellen bestehe ein relativ großer Bekanntheitsgrad.
Melden können sich: Der Betroffene selbst, die Eltern des Betroffenen, die Freundin des Betroffenen, der Arbeitgeber des Betroffenen, der Bildungsträger des Betroffenen
Die Alterspanne der Aussteiger sei nicht begrenzt, bewege sich aber meist zwischen Anfang und Mitte 20, auch aussteigewillige Häftlinge würden betreut.

Methodik:

- Prävention vor Repression: Es gehe ihnen „um die individuelle Person“ und darum diese zum Ausstieg zu bewegen. Deshalb werde nicht selbst ermittelt, trotzdem bestehe Strafverfolgungszwang. Man spiele da aber „mit offenen Karten“

- Ausstiegsmotivation werde auf ihre Plausibilität überprüft.

- Gefährdungsbewertung: Ein wichtiger Aspekt sei, dass sich die Leute aktiv beteiligen. Wenn Menschen ihre Kommunikationsmittel wechseln sei das ein wichtiger Fortschritt.

- Szeneausstieg – Disengagement: Ein sofortiger Ausstieg werde erwartet/ Keine weiteren Aktivitäten in der Szene

- Biographie aufarbeiten: Wie kam die Person in die rechtsextreme Szene. Oft spiele dabei Sucht in der Familie, die Scheidung der Eltern oder Mobbing in der Schule eine Rolle

- Szeneeinstieg und Szenezugehörigkeit werde aufgearbeitet/ Parameter der „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ werden ermittelt (Antisemitismus, Ausländerfeindlichkeit, übersteigerter Nationalismus, Revisionismus). An diesen Punkten werde dann gearbeitet.

- Ziele seien dabei Deradikalisierung, Verhaltens- und Einstellungsänderung

- Nachsorgekonzept dauere nochmal über ein Jahr mit lockerem Kontakt zum Aussteiger. „Bei Gefahr rückfällig zu werden kann sich die Person an uns wenden.“

- Netzwerkarbeit- Kooperation/Koordination:
Große Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Stellen. Je besser das Netzwerk, desto höher sei die Wahrscheinlichkeit dass die Person es aus der Szene schaffe.
Bei Drogenproblemen werde beispielsweise auf Wunsch des Betreuten die Drogenberatung parallel zum Aussteigerprogramm eingeschaltet. Das Netzwerk, beispielsweise zu Schule oder Ausbildungsplatz, helfe zu sehen ob die Person auf einem guten Weg sei.

- Zusammenarbeitsbedinungen:
1. Es gelte der Grundsatz: Freiwilligkeit, Ehrlichkeit, Offenheit und Vertrauen
2. Es dürfe keine weitere, rechtsextrem motivierte Straftat begangen werden
3. Keine rechte Musik: Die CD-Sammlungen mit einschlägiger Musik seien der Vernichtung zuzuführen. Das falle den Aussteigern oft schwer: „Das sehen Sie den Leuten an der Gestik an wie schwer ihnen das fällt.“

- Kein weiteres Tragen von rechtsextremer Kleidung: Das gehe nicht von heute auf morgen, aber es müsse eine Tendenz erkennbar sein.

- Keine weiteren Kontakte zur rechtsextremen Szene.

2. Initiativ
Konzeptionseinsätze/ Initiative Einzelansprachen:
Personenkreis werde gemeinsam mit der örtlichen Staatsschutzabteilung festgelegt. Ein gemischtes Anspracheteam mit einem Beamten von „BIG Rex“ und einem Staatsschutzbeamten suche die Personen dann unangekündigt zu Hause auf um ihnen das Programm vorzustellen.
Oft würden sie an der Haustüre abgewiesen, viele seien aber auch gesprächsbereit.
Ziel der Konzeptionseinsätze sei das soziale Umfeld zu sensibilisieren und polizeiliche Präsenz zu zeigen. Die Wirkung in der Szene sei offensichtlich. Oft werde nach einem Konzeptionseinsatz in einer Region in Szeneforen daran erinnert, nicht mit den Sicherheitsbehörden zu kooperieren.

3. Informativ:

- Vorträge in Schulen und Seminare in der Ausbildung von Justizvollzugsbeamten

Kontaktierte Personen:
- Seit 2001 seien 3680 Personen schon mindestens ein Mal angesprochen worden.
- Insgesamt seien 526 Personen mit Unterstützung von „BIG Rex“ aus der rechtsextremen Szene ausgestiegen.

Wilhelm Halder (Bündnis 90/Die Grünen) unterbricht die Ausführungen mit Hinweis auf den straffen Zeitplan, die Zahlen seien im vorliegenden Bericht nachzulesen.

Im Anschluss an den Vortrag folgt eine Fragerunde durch die Mitglieder der Enquete-Kommission.

Matthias Pröfrock (CDU) fragt, ob Geldzahlungen geleistet werden um jemanden zum Ausstieg zu bewegen?
Ulrich Bäuchle (LKA) antwortet, Geldzahlungen würden nicht geleistet, es gebe dafür keinen finanziellen Rahmen. Es könne auch keine finanzielle Unterstützung der Aussteiger in Bezug auf den Kauf neuer Kleidung oder ähnliches geleistet werden.
Matthias Pröfrock (CDU) fragt, ob Hilfestellung bei Behördengängen geleistet werde.
Ulrich Bäuchle (LKA) antwortet, das passiere immer in Rücksprache mit dem Aussteiger. Es würden nur diejenigen in den Prozess mit einbezogen von denen der Aussteiger das wolle.
Matthias Pröfrock (CDU) fragt, wie viele Kontakte es in der Hotline gebe.
Ulrich Bäuchle (LKA) antwortet, die Personen würden im Rahmen der Konzeptionseinsätze drei mal aufgesucht. Wenn sie nicht angetroffen würden, dann würden die Beamten Zettel mit der Nummer der Hotline hinterlassen. Oft meldeten sich Personen erst sehr viel später.
Matthias Pröfrock (CDU) fragt, wo die Ressourcen eingesetzt würden, die seit 2012 zusätzlich vorhanden seien, zumal die Aussteigerzahlen 2013 eher unterdurchschnittlich seien.
Ulrich Bäuchle (LKA) antwortet, mehr Personal bedeute nicht unbedingt mehr Aussteiger. Die persönlichen Gründe für den Ausstieg müssten vorhanden sein. Die Anzahl der Offensiv- Ansprachen sei aber verdoppelt worden. Mit den Aussteigern werde vor allem auf Nachhaltigkeit gezielt.
Matthias Pröfrock (CDU) fragt, welche Qualifikationsmerkmale an die Beamten angesetzt würden.
Ulrich Bäuchle (LKA) antwortet, wichtig sei, dass der Mitarbeiter kommunikativ sei, Interesse am Thema habe und Fortbildungen in Eigenregie durchführe. Beispielsweise würden die „Landeszentrale für politische Bildung“ und die „Friedrich Ebert-Stiftung“ Fortbildungen zum Thema anbieten.
Matthias Pröfrock (CDU) fragt ob in anderen Bundesländern ähnliche Programme bekannt seien.
Ulrich Bäuchle (LKA) antwortet, es gebe in weiteren Bundesländer behördliche Aussteigerprogramme. Allerdings seien diese nur in Hessen und Baden-Württemberg bei der Polizei angesiedelt. In 7 Bundesländern seien sie beim Innenministerium und in 3 weiteren beim Verfassungsschutz angesiedelt.
Allerdings fänden trotzdem jährliche Tagungen statt, letztes Jahr seien gemeinsame Standards und Ansprüche entwickelt worden.

Daniel Andreas Lede Abal (Bündnis 90/Die Grünen) fragt nach Kriterien für den geforderten Ausstiegswillen und die Voraussetzungen Ehrlichkeit und Offenheit.
Ulrich Bäuchle (LKA) antwortet, aus diesem Grund sei Netzwerkarbeit enorm wichtig insbesondere der Kontakt zum örtlichen Staatsschutz. Wenn die Person bei Szeneveranstaltungen nicht mehr auftauche sei das ein Indiz für ehrlichen Ausstiegswillen. Wenn die Person keinen Kontakt halte, würden auch unangekündigte Besuche getätigt.
Daniel Andreas Lede Abal (Bündnis 90/Die Grünen) fragt, ob „BIG Rex“ bei lokalen Lagen hinzugezogen werde, wenn sich beispielsweise ein Ort zu einem überregionalen Treffpunkt für Rechtsextreme entwickle.
Karl-Heinz Ortenreiter (LKA) antwortet, „BIG Rex“ bekomme Informationen und gehe in Folge dessen auf bekannte Personen zu. Die Einheit führe keine ordnungspolizeilichen Maßnahmen durch.
Ulrich Bäuchle (LKA) sagt, Gruppen würden nicht angesprochen, weil die Rechtsextremen auf Grund ihrer Ideologie in der Gruppe stark seien. Gruppenansprachen seien auf Grund dieser Gruppendynamik der Szene nicht möglich.

Nikolaos Sakellariou (SPD möchte gerne wissen um welchen Personenkreis es gehe. Ob es um „junge Mädchen, Frauen oder Männer“ gehe und welche Altersgruppe vorrangig sei. Er fragt, ob die Erfolgsquoten nach Personengruppen aufteilbar seien.
Ulrich Bäuchle (LKA) antwortet, es handle sich wie gesagt hauptsächlich um junge Männer zwischen Anfang und Mitte 20. Es würden aber auch Personen aufgesucht die „Hardliner“ seien, hauptsächlich um polizeiliche Präsenz zu zeigen. Ältere seien meist auch verantwortlich für die Rekrutierung von jungen Leuten, deswegen würden auch sie angesprochen um ihnen nichts Unantastbares zu verleihen.
Nikolaos Sakellariou (SPD) fragt, wie er sich die Konzeptionseinsätze vorstellen müsse. „Wie sehen die Ansprachen aus, wo spricht er die Person an: In der Wohnung, im Auto in einem Café?“ Er möchte wissen, ob die Beamten dabei uniformiert seien oder nicht und in welcher Altersgruppe die Beamten seien.
Ulrich Bäuerle (LKA) antwortet, die Ansprachen würden meist zu Hause durchgeführt, meist auch nur vor der Tür weil man sie oft nicht hereinlasse. Die Ansprachen würden ohne Ankündigung durchgeführt.

Karl-Heinz Ortenreiter (LKA) ergänzt, wenn es in einer Region ein Bedürfnis auf Grund von gesteigerten rechtsextremen Aktivitäten gebe, dann werde versucht mit einen Konzeptionseinsatz die Szene zu verunsichern. Es könne relativ schnell auf Lagen reagiert werden.
Ulrich Bäuchle (LKA) erzählt von einem Gespräch das er mit einem jungen Rechtsextremen und dessen Mutter geführt habe. Er habe dem jungen Mann, der Probleme auf Grund eines Outings im Internet durch den „politischen Gegner“ gehabt habe, geraten offen mit seiner Vergangenheit umzugehen und sich von ihr zu distanzieren.
Nikolaos Sakellariou (SPD) unterbricht ihn und möchte wissen, ob die Beamten in dieser Situation uniformiert gewesen seien.

Die Abgeordneten Matthias Pröfrock (CDU) und Karl Zimmermann (CDU) lachen und schütteln den Kopf.

Ulrich Bäuchle (LKA) antwortet, sie seien in Zivil gewesen.

Dr. Ulrich Goll (FDP) möchte wissen woher der Name „Konzeptionseinsatz“ komme.
Ulrich Bäuchle (LKA) antwortet, die Konzeption liege darin, dass man einen gewissen, vorher festgelegten Personenkreis angehe, aber wie genau dieser Name 2001 entstand könne er jetzt auch nicht mehr sagen.
Dr. Ulrich Goll (FDP) fragt welchen Anreiz „BIG Rex“ bieten könne.
Ulrich Bäuchle (LKA) antwortet, die Beamten seien Ansprechpartner die zuhörten und diskutierten. Das sei für viele Aussteiger sehr wichtig.

Thomas Reusch-Frey (SPD) fragt wie die Verteilung der Tätigkeitsfelder von „BIG Rex“ nach Landkreisen und Regionen sei.
Karl-Heinz Ortenreiter (LKA) antwortet, man sei in ganz Baden-Württemberg aktiv und Schwerpunkt würden dort gesetzt wo die Notwendigkeit gesehen werde. Ein Konzeptionseinsatz beinhalte In-Augenschein-Nahme der Szene vor Ort, Analyse und Zielsetzung.
Thomas Reusch-Frey (SPD) fragt, ob es Erkenntnisse zur Stabilität der Ausstiege gebe. Er möchte wissen ob es da Unterschiede gebe die Beschaffenheit der Szene angehe, ob „BIG Rex“ in manchen Bereichen eher erfolgreich sei.
Ulrich Bäuchle (LKA) antwortet, entscheidend für Stabilität sei ein sozial adäquater Lebensstil, eine adäquate berufliche Situation und Freizeitgestaltung. Dann sei keine Gefahr für einen Rückfall gegeben.
Thomas Reusch-Frey (SPD) fragt nach Öffentlichkeitsarbeit von „BIG Rex“.
Karl-Heinz Ortenreiter (LKA) antwortet, es gebe gute Kontakte zu Vereinen und Schulen.

Cristoph Bayer (SPD) sagt er habe das Wort Konzeptionseinsatz nicht verstanden. Er sehe eine Schwierigkeit in der Doppelfunktion von Repressionsdruck und sozialer Begleitung.
Karl-Heinz Ortenreiter (LKA) antwortet, es stelle sich die Frage was man in der Szene erreichen wolle. Informationen aus der Szene würden auch in andere Abteilungen weiter gegeben. Repression werde außen vor gelassen es sei denn Beamte bekämen Kenntnis von einer Straftat. Im Mittelpunkt stehe aber immer die Begleitung und der Ausstieg der Person.

Friederike Hartl (externes Mitglied) fragt, ob die Menschen die bei „BIG Rex“ arbeiten auch im psychologischen Bereich geschult extremen Drucksituationen umgehen müssten.
Ulrich Bäuchle (LKA) antwortet, es gebe keine gesonderte, psychologische Ausbildung. Häufig seien die Beamten auch nur kurzzeitig bei der Einheit.
Karl-Heinz Ortenreiter (LKA) sagt, es sei vieles „learning by doing“. Es gebe aber auch qualifiziertes Personal. Es gebe erfahrene Kollegen die schon viele Verhöre geführt hätten.
Friederike Hartl (externes Mitglied) fragt, wie garantiert werde, dass die Beamten auf den neusten Stand sind was Szenemoden angehe. Die Szene sei diesbezüglich sehr schnelllebig.
Ulrich Bäuchle (LKA) antwortet, sie seien verantwortlich für die gesamte Polizei und würden durch die tägliche Beschäftigung damit auch die neusten „Moden“ der Naziszene kennen.
Friederike Hartl (externes Mitglied) weist auf die wichtige Rolle von Frauen in der Szene hin und möchte wissen wie es um Frauen im Aussteigerprogramm bestellt sei.
Ulrich Bäuchle (LKA) antwortet, der Frauenteil in der Szene liege bei knapp 14 %, bei „BIG Rex“ spielten Frauen keine größere Rolle.

Gerhard Dinger (externes Mitglied) fragt, was beim Umzug eines Aussteigers in ein anderes Bundesland geschehe, ob entsprechende Partner informiert würden.
Ulrich Bäuchle (LKA) antwortet, es finde dann eine Überstellung in ein anderes Programm statt.
Gerhard Dinger (externes Mitglied) fragt, wie oft die Ansprache zum Ausstieg führe.
Ulrich Bäuchle (LKA) antwortet, das sei nicht messbar. Manchmal meldeten sich Angesprochene erst nach zwei Jahren, wichtig sei es im Gedächtnis zu bleiben.
Gerhard Dinger (externes Mitglied) fragt, was „BIG Rex“ anbieten könne bezüglich der Gefährdungslage für Ausgestiegene durch ihre ehemaligen Kameraden.
Ulrich Bäuchle (LKA) antwortet, es gebe einen Unterschied zwischen einem normalen Ausstieg und einem Strafverfahren. In letzterem Fall sei es möglich ins Zeugenschutzprogramm aufgenommen zu werden.

Karl Zimmermann (CDU) fragt welche Problemfelder vorlägen, dass Menschen nach rechts abdriften beziehungsweise radikal werden.
Ulrich Bäuchle (LKA) antwortet, das seien oft Einzelgänger mit Probleme in der Familie. In der Szene würden sie dann zumindest in der Anfangsphase Anerkennung bekommen. Das könne auch auf andere Szenen zutreffen.

Arnulf Freiherr von Eyb (CDU) fragt nach der Rückfallquote unter den Aussteigern.
Ulrich Bäuchle (LKA) antwortet, diese liege im einstelligen Bereich.
Arnulf Freiherr von Eyb (CDU) möchte wissen, ob erfolgreich Ausgestiegene als Helfer zum Ausstieg eingesetzt würden.
Ulrich Bäuchle (LKA) antwortet, das werde wenig gemacht, sie würden nicht wollen, dass sich Leute, die schon ausgestiegen sind, wieder gefährden oder rückfällig werden.

Anton Maegerle (externes Mitglied) möchte zur Qualität der Aussteiger wissen ob auch Funktions-/Mandatsträger aussteigen.
Karl-Heinz Ortenreiter (LKA) antwortet, es würden keine klassischen Mandatsträger/Funktionsträger aussteigen. Es gehe um die Änderung von Einstellungen und das sei bei Kadern, auch in den Bereichen Ausländer- und Linksextremismus, sehr schwer.
Eine Geben-und-Nehmen-Situation ist möglich, zum Beispiel in einem Strafverfahren, da sei „BIG Rex“ aber eher nicht zuständig. Man erreiche eher die untere Qualität der rechtsextremen Szene.
Anton Maegerle (externes Mitglied) fragt, ob wenn in einem Verein Nazis verstärkt aufträten, der Verein dann von der Einheit angesprochen werde.
Karl-Heinz Ortenreiter (LKA) antwortet, es werde in so einem Fall auf den Verein zugegangen. Diese Arbeit würden aber Jugendsachbearbeiter der Polizei machen.

Petra Häffner (Bündnis 90/Die Grünen) fragt, ob es nur den klassischen rechtsextremen Typen mit schlechter Bildung, schlechtem Umfeld, schlechter Familiensituation etc. gebe oder ob es beispielsweise auch Frauen gebe.
Ulrich Bäuchle (LKA) antwortet, meist gebe es den klassischen Typ mit mittlerem bis unterem Bildungsniveau. Es gebe aber auch Ausnahmen. Es gebe häufig Dissonanzen in der Familie, welche die Personen dann zum Kameradschaftsgefühl und zu Rechtsextremismus hinzögen. Diese Parameter können auch für andere Extreme gelten.
Petra Häffner (Bündnis 90/Die Grünen) möchte wissen wie mit Informationen umgegangen werde, die für Polizei und Verfassungsschutz wichtig seien.
Ulrich Bäuchle (LKA) antwortet, es sei nicht das Ziel Strukturen zu ermitteln - nur der Ausstieg sei das Ziel.
Karl-Heinz Ortenreiter (LKA) ergänzt, wenn sie relevante Informationen über Strukturen erhielten würden diese Organisationsintern weitergegeben.

 

Tatort Theresienwiese - Initiative für die Aufklärung des NSU in Baden-Württemberg

 

www.tatort-theresienwiese.org

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Vielen Dank für die Berichte!

 

Weiß jemand mehr über das "Handbuch der braunen Armee-Fraktion"?