Der rasante Anstieg der Weltbevölkerung treibt nicht nur die Ecopop-Initianten um. Auch Ethiker haben sich dem Problem gestellt. Teilweise haben sie drastische Schlüsse gezogen. von Markus Hofmann
Der Satz klebt an ihm wie ein alter Kaugummi im Teppich. Es ist 1979, auf der Erde leben 4 Milliarden Menschen – heute sind es über 7 Milliarden –, als der knapp 40-jährige amerikanische Philosoph J. Baird Callicott in einem aufsehenerregenden Essay schreibt, dass die Zahl der Menschen auf Erden ungefähr doppelt so gross sein sollte wie der Bestand an Bären. Derzeit schätzt man die Bärenpopulation auf rund 1,3 Millionen (alle Arten eingerechnet). Es würde hienieden also ziemlich einsam werden – zumindest aus menschlicher Sicht. Und man müsste weit zurückblicken, um vergleichbare Verhältnisse anzutreffen. Vor 10 000 Jahren betrug die Weltbevölkerung vermutlich zwischen 1 und 10 Millionen .
Der Blick auf die Erde als ein von Menschen überfüllter Ort ist ein seit langem gepflegter Topos. Er ist die Triebfeder von Ecopop, und etliche Umweltschützer berufen sich immer wieder auf ihn. Für Aufregung sorgte letztes Jahr etwa der weltberühmte Naturfilmer Sir David Attenborough, als er sagte, was viele andere wohl nur zu denken wagen: «Die Menschen sind eine Pest auf Erden.»
Der ehrgeizige junge Akademiker Callicott, der etwas Neues unter der philosophischen Sonne schaffen wollte, stellte seine Menschen-Bären-Gleichung in den Kontext der ökologischen Krise. Die – damals – vier Milliarden Menschen seien ein «globales Desaster» für die «biotische Gemeinschaft», schrieb er und zitierte lobend den Autor und Umweltaktivisten Edward Abbey, der 1968 in «Desert Solitaire: A Season in the Wilderness», einem der bekanntesten Werke Abbeys, ebenfalls eine provokative Aussage machte. Die Szene, in der er einer gefährlichen Klapperschlange begegnet, fasste er knapp zusammen: «Ich ziehe es vor, Tiere nicht zu töten. Ich bin ein Humanist. Ich töte lieber einen Menschen als eine Schlange.» Callicott fügte an: Vor die Entscheidung gestellt, eine Wahl zwischen einem Exemplar des – reichlich vorhandenen – Homo sapiens und einer seltenen und möglicherweise gar unattraktiven Art zu treffen, sei die Antwort wohl klar. Das nichtmenschliche Wesen geht vor.
Mensch vom Thron gestürzt
Das war ein Faustschlag ins Gesicht von Vertretern einer traditionell menschenfreundlichen Ethik. Callicott bezeichnete seine Sicht denn auch offen als misanthropisch. Aber das war keine Selbstkritik. Im Gegenteil. Das Ausmass an Menschenfeindlichkeit in der modernen Umweltschutzbewegung sei ein Gütezeichen: je misanthropischer, desto biozentrischer.
Damit ist das Stichwort gefallen: Biozentrismus. Wie in allen Bereichsethiken – der Medizinethik, der Wirtschaftsethik, der Rechtsethik usw. – sind auch in der Umweltethik etliche Strömungen auszumachen. Die Pole bilden hier der Anthropozentrismus auf der einen und der Biozentrismus auf der anderen Seite. Während die Anthropozentriker den Menschen ins Zentrum ihrer Weltanschauung stellen und nur ihm moralischen Wert zuschreiben, hat für die Biozentriker generell alles Lebendige einen moralischen Eigenwert.
Innerhalb der verschiedenen Ausrichtungen sind wiederum Untergruppen vorhanden. Der Biozentriker Callicott stützte sich auf die sogenannte Land-Ethik. Begründet wurde diese von Aldo Leopold. Der amerikanische Forstwissenschafter, der von 1887 bis 1948 lebte, gilt nicht nur als einer der Begründer der Umweltschutzbewegung, er hat auch die Grundlagen des Wildtier-Managements geschaffen, das uns in der Schweiz dank einwandernden Wölfen und Bären gerade sehr umtreibt. Leopolds Essaysammlung «A Sand County Almanac» ist ein bis heute vielzitierter Bestseller. Darin räumt Leopold auf mit dem Dualismus von Mensch und Natur und begreift den Menschen konsequent als Teil der Natur. Er schreibt nicht nur Menschen, Tieren und Pflanzen, sondern auch der Erde und dem Wasser – dem «Land» – moralischen Eigenwert zu. Seine goldene Regel lautet: «Etwas ist moralisch richtig, wenn es dazu dient, die Unversehrtheit, Stabilität und Schönheit der biotischen Gemeinschaft zu bewahren. Etwas ist falsch, wenn es das Gegenteil davon bewirkt.»
Auf den ersten Blick erscheint es sympathisch, wenn der Mensch vom Thron des Weltenherrschers gestossen und die natürliche Verbundenheit von allem mit allem betont wird. Doch diese ethische Konzeption weist eine Schattenseite mit höchst problematischen Konsequenzen auf. Denn wenn «das Land» eine derart wichtige Position einnimmt, welcher Wert kommt dann dem Individuum zu? Gemäss dieser Auffassung sind die Individualinteressen dem Wohl des Ganzen untergeordnet.
Vorwurf des «Ökofaschismus»
Verschwindet das Einzelne im Ganzen, läuten bei vielen die Alarmglocken. Denn angesichts einer behaupteten Überbevölkerung wäre ein Massensterben von Menschen – zum Beispiel durch eine Seuche – moralisch keine schlechte Sache: Dieses wäre ja zum Wohl der Erde. Jäger stellen durch Abschuss das ökologische Gleichgewicht wieder her, falls zu viele Hirsche dem Wald übermässigen Schaden zufügen. Ebenso wäre eine «Regulierung» der menschlichen Bevölkerung begrüssenswert.
Wenig überraschend ist dagegen der Vorwurf des «Ökofaschismus» erhoben worden. Kritiker meinen, dass die extremen Biozentriker zwar nicht den Genozid propagieren, doch weit davon entfernt, dies zu tun, seien sie nicht. Um in Harmonie mit der Natur zu leben, müssten Menschen konsequenterweise wieder zu Jägern und Sammlern werden. Da die Landwirtschaft zu stark in die Ökosysteme eingreift, müssten sie sich von wilden Pflanzen ernähren und dürften nur schwache und damit ohnehin nicht lebensfähige Wildtiere jagen.
Die meisten Umweltethiker verwerfen diese extreme Position. Befassen sich Moralphilosophen überhaupt mit dem Bevölkerungsproblem, plädieren sie dafür, die wirtschaftliche und soziale Stellung der Frau zu verbessern, und sie propagieren freiwillige Familienplanung. So meint der an der New York University forschende Philosophieprofessor Dale Jamieson, dass die einzige moralisch akzeptable Weise, die Weltbevölkerung zu stabilisieren oder zu reduzieren, darin bestehe, vor allem auf freiwillige Massnahmen in der Geburtenkontrolle zu setzen. Und der umstrittene, aber einflussreiche Ethiker Peter Singer von der amerikanischen Eliteuniversität Princeton erachtet es als sinnvoll, Ländern dabei zu helfen, «Empfängnisverhütung und Sterilisation in grossem Umfang verfügbar zu machen». Eine der Forderungen der Ecopop-Initianten, dass sich der Bund im Rahmen der Entwicklungshilfe stärker in der freiwilligen Familienplanung engagieren soll, liegt also durchaus im Bereich des ethischen Mainstreams.
Und J. Baird Callicott ? Callicott, der seit 1995 an der University of North Texas lehrt, schämt sich heute dafür, die Menschen-Bären-Formel aufgestellt und Abbeys «hochmütige und unsensible Menschenfeindlichkeit» gelobt zu haben. Er habe damals Leopolds Land-Ethik missinterpretiert und ad absurdum geführt. Seine eigene Ethik hat Callicott seither weiterentwickelt. Noch immer ist er ein radikaler – und lesenswerter – Umweltphilosoph, der sich gegen anthropozentrische Ideen ausspricht. Doch auch er vertritt nun die Meinung, dass individuelle Rechte dem Wohl des Ganzen vorangehen.
Alter Hut...
Erstmal vorweg: Ich hatte bis eben noch nie etwas von "Ecopop" gehört. Scheint aber ein Scheiß-Laden zu sein!
Aber was will uns der Artikel sagen? Titel: "Je menschenfeindlicher, desto besser". Ist ja schon mal eine wilde Überschrift. Und dann kommen als Beispiele Callicott, Leopold und Abbey. Ja, die drei waren scheiße. Aber was sollen so Beispiele aus Texten die 30-40 Jahre alt sind? Welche Relevanz haben sie?
Zudem räumt der Verfasser dieses Textes ein: "Die meisten Umweltethiker verwerfen diese extreme Position." Also was will er uns sagen? Dass es in der Umweltbewegung politische Reaktionäre gibt? Es ist sicherlich nicht verwerflich auf diese Tatsache huinzuweisen, aber das ist ein alter Hut.
Fazit: Ich werde auf diesem Text nicht ganz schlau.