Am 17.09.2014 fand in Dresden eine unangemeldete Kundgebung und Demonstration anlässlich der Bundesratssitzung am Freitag dem 19.09.2014 statt. In dieser Sitzung lag der Gesetzesantrag zur Einstufung Bosnien-Herzegowina, Serbiens und Mazedoniens als sogenannte „sichere Herkunftsstaaten“ vor. Diese Entscheidung war gekoppelt an die Herabstufung der Frist für den Arbeitsmarktzugang für „geduldete Ausländer_innen“ - ein ausgehandeltes Zugeständnis seitens der Bundesregierung.
Die Kundgebung begann 17:00 Uhr an einem der zentralen Knotenpunkte für Dresdner Straßenbahnen, dem Albertplatz. Etwa eine Stunde lang wurden fast 200 Flyer verteilt, der Redebeitrag verlesen und etwas Musik gespielt. Nach kurzer Beratung der etwa 30 – 50 Teilnehmenden setzten sich die Demonstrant_innen mit Front-transparent und antirassistischen Sprechchören in Bewegung durch die Dresdner Neustadt. Nach kurzer Strecke wurde im Alaunpark noch einmal der Redebeitrag verlesen. Zum Abschluss gab es noch eine Einladung zum Mobivortrag im AZ Conni zum Naziaufmarsch am 4. Oktober in Döbeln.
Polizeifahrzeuge, die zwischendurch und an der Abschlusskundgebung vorbei fuhren, zeigten keinerlei Interesse an den Vorgängen.
Als Orgagruppe bleibt zu sagen, dass wir sehr erfreut sind über die verhältnismäßig hohe Zahl an Teilnehmer*innen – danke dafür - für Dresdner Verhältnisse; genauso wie über die vereinzelten Interressensbekundungen von Passant_innen.
Um jedoch wirklich wirksam auf (plötzliche) Ereignisse reagieren und einen wirkungsvollen, öffentlichen Druck aufbauen zu können, müssen Wege gefunden werden, über den eigenen „Klüngel“ hinaus zu mobilisieren ohne Teilnehmer_innen unnötiger Repression auszusetzen. Nach wie vor fehlt in Dresden definitiv eine effektive Vernetzung zwischen Aktivist*innen und den vor Ort lebenden Migrant_innen und Geflüchteten, um nicht nur vorwiegend weiße Stellvertreter*innenpolitik zu machen.
Zum Abschluss ein Auszug aus unserem Textbeitrag
„Wider die europäischen Zustände – Informationen zur Ergänzung der Asylregelung zu „sicheren Herkunftsstaaten“ und zur Grenzpolitik der Europäischen Union“
Am 19. September 2014 liegt dem Bundesrat das Gesetz “zur Einstufung weiterer Staaten als sichere Herkunftsstaaten und zur Erleichterung des Arbeitsmarktzugangs für Asylbewerber und geduldete Ausländer“ zum Beschluss vor. Erklärtes Ziel ist es, Bund, Länder und Kommunen von ihren finanziellen Verpflichtungen aufgrund eine herbei halluzinierte Flut von unberechtigten Asylanträgen zu entlasten.
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Die Zahlen von Pro Asyl verdeutlichen die aktuelle deutsche Praxis im Umgang mit Asylantragsstellenden aus den besagten Ländern. „Die geringe Bundesamts-Schutzquote von Flüchtlingen aus den Balkanstaaten Serbien (0,2 Prozent), Mazedonien (0,3 Prozent), Bosnien-Herzegowina (0,5 Prozent) und dem Kosovo (1,2 Prozent) hängt auch mit einer von Bundesinnenministerium und Bundesamt (BAMF) betriebenen »Verfahrensoptimierung im Hinblick auf den starken Anstieg der Asylbewerberzahlen 2013« zusammen – gemeint sind Maßnahmen zur Verkürzung der Verfahrensdauer und schnelleren Abschiebung: Asylanträge aus den Balkan-Staaten wurden „bevorzugt“ bearbeitet und die Betroffenen in Schnellverfahren pauschal abgelehnt. Diese seit Herbst 2012 bestehende Praxis will die große Koalition nun auch gesetzlich festschreiben: Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina sollen als »sichere Herkunftsländer« definiert und die betreffenden Asylanträge damit automatisch als »offensichtlich unbegründet « eingestuft werden – verkürzte Rechtsmittelfristen und die unmittelbar drohende Abschiebung sind die Folge.
Frankreich hat dagegen im letzten Jahr rund 17 Prozent der serbischen Asylantragsteller als Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt sowie 9 Prozent der bosnischen Asylsuchenden.“ viii
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Die europäische Flüchtlingspolitik lässt sich durch die Kriminalisierung, Entrechtung und Rückschiebung von Migrant_innen charakterisieren. Ziel ist es, Flüchtende weit vor der europäischen Grenze ausnahmslos aufzuhalten. Dafür wird nicht nur die „eigene“ Staatengemeinschaft mobilisiert sondern werden zunehmend auch andere in die Pflicht genommen. Bei diesen „Partnerschaften“ suggerieren die europäischen Akteure*innen einen „Dialog auf gleicher Augenhöhe“. Die Flüchtlingsrechtsorganisation „Pro Asyl“ spricht angesichts des Gefälles zwischen Forderungen und Angeboten folgerichtig von der Etablierung von Vasallenstaaten. xvi
Das eigentlich Bemerkenswerte an der derzeitigen postkolonialistischen, hausgemachten Situation ist allerdings nicht das kurzsichtige und rassistische Vorgehen der Institutionen – diese waren und sind seit ihrer Gründung ein Haufen diskriminierender Arschlöcher. Nein wirklich haarsträubend ist die Seelenruhe mit der sich alle europäischen Bürger*innen im eigenen Wohlstand verkriechen und auf ihren westlichen Werten herum klopfen. Man fühlt sich gut dabei im „besseren“ Teil der Welt geboren zu sein, ärgert sich über die unverbesserlichen Jihadist*innen, Kriegstreiber*innen und Diktator*innen, im Rest der Welt und in den eigenen Reihen.
Die Verantwortung die sich zwangsläufig aus der eigenen Geschichte und dem eigenen Mitwissen – selbst der Spiegel berichtet ausführlich über die EU-Grenzpolitik – ableitet, wird nach oben weg delegiert oder noch besser einfach verneint.
Diesem riesengroßen Haufen Scheiße wollen wir ein klares „NEIN!“ entgegen schleudern und unsere Solidarität mit den Refugees und allen Flüchtlingsaktivist*innen weltweit ausdrücken!
Nachtrag:
Angesichts der gefällten Entscheidungen im Bundesrat macht sich Ernüchterung (bei uns und bundesweit) breit. Aufgrund der Meinungsverteilung vor der Abstimmung schien uns eine Verhinderung des Abkommens möglich. Der derzeit in der Öffentlichkeit zerfetzte Innenminister BaWü's hat seinen Teil geleistet. Die Argumentation, dass realpolitisch eben alle mal Zugeständnisse machen müssten, halten wir für absoluten Schwachsinn. Diese Haltung mag vielleicht zutreffend sein, wenn es um den Bau irgendwelcher Infrastruktur oder ähnlichem geht. Allerdings ist hier die direkte Konsequenz, dass Menschen in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden, aus denen sie aus verschieden Gründen geflohen sind. Im schlimmsten Fall eben weil sie dort von Staat und Gesellschaft dermaßen diskriminiert werden, das sie um ihr Leben fürchten müssen. Dennoch sollte die derzeitige Wut wohl nicht nur bei ihm ankommen, sondern sehr wohl bei allen Grünen. Innerhalb der Partei gibt es anscheinend eben keinen Konsens darüber, dass Menschen ein Recht auf Asyl besitzen, die vor Hunger, Armut und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ihnen gegenüber fliehen. Der Beschluss der obersten Parteigremien vom 18.09., im Bundesrat Abstimmungen entgegen der Parteiline zu zulassen macht dies nur allzu deutlich.
In jedem Fall aber schiebt, die Kennzeichnung als „sichere Drittstaaten“ eine Verbesserung für Sinti und Roma sowie andere Minderheiten in den 3 Balkanstaaten in ferne Zukunft. Dort feiern die Regierungsoberhäupter jetzt erstmal ihre „Menschlichkeit“.
Scheiß Scheiße!
Deutschland verrecke!
danke und bitte
danke für die wichtige demo und kundgebung!
aber eine bitte: könnte euer schöner orgakreis nicht im vorhinein mal zu solcherart demos aufrufen,
anstatt einen schönen artikel im nachhinein drüber zu schreiben?
dann kommen doch auch mehr als die 30-60 leute, was kein guter schnitt ist. auch für dresden nicht.
da kommen ja zu jeder altenheimtombola mehr leute.
und das liegt eben nicht nur an den dresdener zuständen in der normalbevölkerung, sondern auch an den
zuständen in der dresdener linken szene. vorher publik(um) machen statt hinterher berichten!