[B] Der Kampf gegen die Räumung der Schule

You can't evict a movement

Nach der Räumung des Oranienplatzes rechneten viele mit der baldigen Räumung der besetzten Schule. Und bei einer Räumung schien das Szenario klar. Einige Leute würden an Absperrungen herumstehen und abends gäbe es eine, wahrscheinlich angemeldete, gut kontrollierte Spontandemonstration.

Doch es kam anders.

 

Protestmarsch und Oranienplatz


Mit dem Protestmarsch von Bayern nach Berlin und der anschließenden Besetzung des Oranienplatzes im Jahr 2012 startete eine unerwartet große und langanhaltende Bewegung der Geflüchteten. Der Politik war dies schon früh ein Dorn im Auge. Sie setzte auf die Räumung der zentralen Protestorte O-Platz und Schule, sowie auf eine Spaltung der Geflüchteten. Dies war bei der Räumung des Oranienplatzes erfolgreich. Ein Teil der Geflüchteten riss das Camp ab. Andere wollten bleiben, wurden aber geräumt. Die Medien jubelten. Zwar kamen zu Demonstrationen nach dem Abbau des Camps über 1000 Leute, eine breite Mobilisierung blieb allerdings aus. Die antirassistische Bewegung war in der Defensive.

 

Der Staat zog im folgenden die Repression nochmals an. Eine Protestkundgebung von Geflüchteten an der Gedächtniskirche wurde aufgelöst, alle Teilnehmer*innen verhaftet und nach Sachsen-Anhalt verbracht. Ein Teilnehmer sollte nach diesem Polizeiübergriff abgeschoben werden.

 

Der Widerstand formiert sich


Zwei Wochen vor der Räumung fand dann eine Demonstration mit 600 Teilnehmer*innen statt, welche auf die akute Räumungsgefahr hinwies. Sie stand unter dem Motto „United Neighbours“. Geflüchtete und Menschen, welche unter steigenden Mieten leiden, kämpften gemeinsam.

 

Der Senat geriet in der Öffentlichkeit unter Druck. Es wurde klar, dass er seine Versprechen gegenüber den Geflüchteten gebrochen hat. Die Asylverfahren wurden nicht nach Berlin gezogen und viele waren von einer Abschiebung bedroht.

 

Die Grünen in Kreuzberg beteiligten sich dann an der Repressionsoffensive. Sie wollten ihre eigene erfolgreiche Räumung haben und sprachen sich dabei eng mit der Polizei ab. Die Räumung war für Ende Juni angesetzt. Der Protestmarsch in Brüssel endete am 28. Juni, während gleichzeitig das Musikfestival Fusion startete. Sowohl viele Refugees als auch Unterstützer*innen waren also während dieser Zeit abwesend. Grüne und Polizei rechneten außerdem mit der Unterstützung des rassistischen Diskurses, welcher eine Räumung sicherlich begrüßen würde. Sie kalkulierten, dass die Presse die Interpretationsangebote der staatlichen Stellen dankend aufnehmen würde.

 

Das Scheitern der Räumung hatte dann einen zentralen Grund: die Entschlossenheit der Bewohner*innen. Die Drohung vom Dach zu springen, machte eine gewaltsame Räumung nur dann möglich, wenn der Tod von Bewohner*innen in Kauf genommen würde.

 

Die Grünen verkauften die Räumung durch 1200 Polizist*innen als freiwilligen Umzug. Viele Menschen verließen unter dem paramilitärischen und gewaltvollen Druck von Maschinenpistolen, Helmen und Schilden die Schule. Manche nahmen das staatliche Angebot an und andere wurden obdachlos.Trotz martialischer Drohungen und großer Repressionsgefahr blieben aber 40 Bewohner*innen in der Schule.

 

Die Polizei setzte wie immer auf ein riesiges Aufgebot, um jeden Widerstand als aussichtslos erscheinen zu lassen. Hamburger Gitter und Massen an Polizei sollten ein Vordringen zur Schule unmöglich werden lassen.

 

Schon bald protestieren viele Menschen an den Polizeiabsperrungen und am ersten und zweiten Räumungstag kam es zu ersten Demonstrationen.

 

Alles unter Kontrolle?


Die Dynamik entfaltete sich dann aus verschiedenen Gründen. Der Polizeieinsatz war in gewissem Sinne für Aktivist*innen normal. Die Polizei schlägt und beleidigt, sie tritt wie eine Besatzungsmacht auf. Nur sammelten sich an den Absperrungen schnell auch Menschen, welche neu anpolitisiert wurden bzw. Nachbar*innen. Die waren dann doch etwas erstaunt, dass die Polizei so ein Dreckshaufen ist. Pfeffersprayeinsätze wurden skandalisiert, Nachbarn schrieben Artikel im Tagesspiegel und Anwohner*innen wehrten sich gegen die Absperrungen und den riesigen Polizeieinsatz.

 

Nach wenigen Tagen war die Polizei am Rande ihrer Kräfte, weil sie einerseits die Schule abriegeln musste und andererseits eine Raumkontrolle über ganz Berlin brauchte, um bei spontanten Ansammlungen reagieren zu können. Die Polizei litt offenbar auch unter den andauernden Beschimpfungen durch die Menschen. Der massive Einsatz von Kräften zeigte seine beiden Schwachstellen: Länge und Solidarisierung durch Anwohner*innen.

 

An verschieden Stellen wurden die unterschiedlichen Aktionen schon aufgelistet, die den Druck auf die staatlichen Institutionen erhöhte. Einerseits direkte, militante Aktionen, andererseits spontane Besuche und Go-Ins bei Verantwortlichen und zum dritten große Demonstrationen. Die Demos mit jeweils 5000 Leuten zeigten wie groß der Protest ist und unterstützen im folgenden auch die Mobilisierung für die Blockaden. Dabei konnte bei der ersten Demonstration innerhalb kürzester Zeit eine breite Mobilisierung erreicht werden und bei der zweiten eine Mobilisierung über die akute Räumungsgefahr hinaus. Bei spontanen Versammlungen dagegen zeigt sich immer wieder eine teilweise hohe Zustimmung von Anwohner*innen und die Polizei braucht immer wieder einige Zeit um genügend Kräfte heranziehen zu können.

 

Polizei und Bezirk rechneten nicht nur mit dem Einknicken der Bewohner*innen, sondern auch mit dem Abflauen der Proteste außerhalb der Schule. Die Blockaden nahmen über die Zeit aber immer mehr an Größe zu, es wurde innerhalb kurzer Zeit eine Infrastruktur aufgebaut und in den Tagen der Blockade lernten sich viele Menschen kennen. Eine weitere Belagerung der Schule hätten Polizei und Staat vielleicht nicht durchhalten können.

 

Polizei, Staat


Wichtiger Akteue bei politischen Protesten in Deutschland ist die Polizei. Im Politikunterricht wird einem beigebracht, dass es eine sogenannte „Gewaltenteilung“ in Deutschland geben würde. Die gewählten Politiker*innen sagen der Polizei was sie zu machen hat. Angeblich.

 

Da die Politik sich allerdings in den Auseinandersetzungen mit politischem Protest vorrangig auf polizeiliche Methoden verlegt hat, bestimmt die Polizei das Vorgehen gegenüber Aktivist*innen. Auch bei der Räumung der Schule trat die Polizei sehr eigenmächtig auf. Besonders anschaulich wurde dies durch das Stellen eines Ultimatums an den Bezirk. Nach diesem Gewaltenteilungsdings sollte die Polizei die Anordnung der Politik ausführen, stattdessen sagt sie der Politik, was diese machen sollte. Der Bezirk Kreuzberg folgte den Anordnung der Polizei schon vor der Räumung der Schule stärker. Sie verpflichteten sich keine Besetzungen mehr zuzulassen und einigten sich auf Polizeistreifen im Görlitzer Park. Nach dem Ultimatum machte der Bezirk das, was die Polizei von ihm wollte: die Autorisierung der gewaltsame Räumung.

 

Die konnte dann noch verhindert werden, es kam zu einer Einigung. Die Bewohner*innen waren durch den rassistischen Terror der Polizei geschwächt, die wichtige Forderung nach Bleiberecht konnten sie nicht durchsetzen. Trotzdem muss der Kampf um die Schule als Erfolg gesehen werden, weil die gesamte Räumung der Schule verhindert werden konnte und eine große antirassistische Solidarität ausgelöst wurde, der ein breiters Publikum als die linke szene hatte: Nachbar*innen erlebten zum ersten mal die Gewalttätigkeit der Polizei.

 

Im öffentlichen Diskurs konnten sich Bezirk und Senat mit ihrer Interpretation der Räumung nicht vollständig durchsetzen. Es gab immer wieder polizeikritische Artikel oder andere Beiträge in bürgerlichen Medien, welche ein Bleiberecht nach §23 forderten. Auch viele Kulturschaffende solidarisierten sich. Obwohl in den Monaten davor fast jede Woche gegen die Schule gehetzt worden war, wurde der Kampf gegen die Bewohner*innen breit unterstützt.

 

Gleichzeitig wurde in vielen Artikeln gegen „Unterstützer*innen“ Stimmung gemacht. Auch dies eine Folge des polizeilichen und repressiven Umgangs mit politischen Protesten. Geheimdienst und politische Polizei (Staatsschutz) beraten Politiker*innen, „analysieren“ Proteste und versuchen schlimme linksradikale Verschwörer*innen zu identifizieren. Auch im letzten Geheimdienstbericht von Berlin nehmen antirassistische Proteste einen breiten Raum ein.


Der Geheimdienst schreibt zu den teuflischen Plänen der Linksradikalen: „Sukzessive gelingt es ihnen auch eher unpolitische Bewohner zu regelmäßiger politischer Arbeit zu bewegen, also an Plena teilzunehmen, Forderungen zu artikulieren und Demonstrationen zu organisieren, letztlich sogar diese selbst anzumelden.“


Die Artikulation von Forderungen der Geflüchteten stört den Geheimdienst im übrigen stärker als die Aktivitäten der Nazis. Der Teil über antirassistische Proteste in Berlin ist deutlich länger als der Bericht des Geheimdienstes über die Anschläge, rassistischen Proteste und Bedrohungen gegenüber Geflüchteten. Dies ist nach Bekanntwerden der rassistischen Mordserie des NSU und dem staatlichen Beitrag dazu, nicht unbedingt verwunderlich, aber immer wieder erschreckend.


Die Diffamierung der Unterstützer*innen findet sich aber nicht nur im Geheimdienstbericht, sondern ist ein wichtiger Teil des öffentlichen Diskurses. Der diffamierende Diskurs ist dabei relativ hegemonial, er reicht von Cem Özdemir über die TAZ bis zu Frank Henkel.

Szene im Wandel


Die Konstruktion der bösen „Unterstützer*innen“ knüpft wunderbar an rassistische Denkmuster an: Geflüchtete sind stumm, sie sind Opfer und haben keine politischen Vorstellungen. Der politische Charakter der Bewegung der Geflüchteten wird so verneint. Die Solidarität mit den Kämpfen der Geflüchteten soll durch die Diffamierung der solidarischen Menschen geschwächt werden.


Diffamierung ist keine Neuigkeit für linksradikale Aktivist*innen. In den Hochzeiten der autonomen Bewegung waren es Chaoten und Krawallmacher, denen es nur um Zerstörung geht. Jetzt zielt es auch gegen die sogenannten Postautonomen, welche weniger stark über die „Gewaltfrage“ angegangen werden, sondern stärker über den Vorwurf der Instrumentalisierung. Die antirassistische Bewegung muss sich mit diesen repressiv-diskursiven Strategien der Gegenseite auseinandersetzen.


Die linksradikale Szene hat sich in den letzten Jahren weiterentwickelt. Die direkte Zusammenarbeit mit Betroffenen von Rassismus, Zwangsräumungen oder steigenden Mieten hat stark zugenommen. Bewegungen, welche auf eine eher engere Szeneidentität aufbauten, wie die Antifa-Bewegung sind dagegen in der Krise. Es geht weniger um theoretische Texte zur Revolution, schwarze Blöcke und begeistert geführte Szene-Kriege. Es steht vielmehr die Zusammenarbeit mit den Menschen im Mittelpunkt, welche am stärksten von der Scheiße betroffen sind. Es sollen diese direkten Kämpfe unterstützt werden, welche sowohl konkrete Ziele haben wie die Verhinderung einer Zwangsräumung oder die Verbesserung der Situation der Geflüchteten, als auch eine grundsätzliche Kritik am Bestehenden mit sich tragen. Für eine Dynamikphase wie bei der Ohlauer Schule ist dabei die Zusammenarbeit von Refugee-Aktivist*innen, postautonomen Politgruppen, offeneren Bündnissen, Bezugsgruppen und aktiven Einzelpersonen entscheidend. Dabei muss die linke Szene ein Selbstverständnis entwickeln, welches ihrer derzeitigen Konstitution entspricht und nicht den Entwicklungen hinterherhinkt.


Dabei könnten verschiedene Aspekte reflektiert werden, die hier kurz angerissen werden.


Wie wird aktuell erfolgreich mobilisiert, was ist die Bedeutung von sozialen Netzwerken?
Ist das Zusammenspiel von großen, breiten Demos, begleitenden militanten Aktionen und Go-Ins erfolgsversprechender als der Versuch die Polizei bei Großereignissen herauszufordern?
Was heißt Solidarität und wie können wir solidarische Praktiken ausbauen?
Was ist die Rolle von „Supporter*innen“? Wie können wir verschiedene Kämpfe zusammenführen?
Was ist der Zusammenhang von Alltagswiderstand und Dynamikphasen?

Ausblick


Dieser Text hatte den Fokus auf den Umständen der Dynamikphase und den Unterstützer*innen. Generell wäre es sicherlich hilfreich, wenn die Situation in der Schule aus verschiedenen Blickwinkeln analysiert werden könnte.


Die Räumung der besetzten Schule wurde zu einem unerwarteten Kristallisattionspunkt und hat die antirassistischen Kämpfe aus der Defensive gebracht. Ob die Dynamik weitergeführt werden kann, ist noch unklar. Mit dem Oranienplatz und der Schule gingen zwei wichtige Orte weitgehend verloren, der Staat hat sich in letzter Zeit besonders repressiv gezeigt.


Eine Kampagne für ein Bleiberecht nach §23 wäre eine Möglichkeit, um die verschiedenen Kämpfe zu verbinden, stärker auf die „Mitte der Gesellschaft“ einzuwirken und eine gemeinsame Perspektive aufzumachen. Die Zusammenarbeit von verschiedenen Spektren und die breite, solidarische Bewegung gegen die Räumung stimmen hoffnungsvoll für kommende, emanzipatorische Kämpfe in Berlin.

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Die linksradikale Szene hat sich in den letzten Jahren weiterentwickelt. Die direkte Zusammenarbeit mit Betroffenen von Rassismus, Zwangsräumungen oder steigenden Mieten hat stark zugenommen. Bewegungen, welche auf eine eher engere Szeneidentität aufbauten, wie die Antifa-Bewegung sind dagegen in der Krise. Es geht weniger um theoretische Texte zur Revolution, schwarze Blöcke und begeistert geführte Szene-Kriege. Es steht vielmehr die Zusammenarbeit mit den Menschen im Mittelpunkt, welche am stärksten von der Scheiße betroffen sind. 

Und das soll eine Weiterentwicklung sein? Die linke Szene hat sich nicht weiterentwickelt, es ist nur der theorielastige Teil der linken Szene weggebrochen. Qualitativ hat sich nichts geändert:

Die Linken, für die Linkssein gleichbedeutend mit Sozialarbeit ist, sind immer noch so viele oder so wenig wie zu Zeiten der Hartz4-Einführung.

Die Linken, für die Linkssein gleichbedeutend mit Eventhopping ist, sind deutlich weniger als zu Heiligendamm-Zeiten.

Und die Theorie-Linken sind auch deutlich weniger im Vergleich zu Zeiten, wo das Softcore-Antideutschtum hoch im Kurs stand.

Aber es hat keine "Weiterentwicklung" gegeben, es hat auch kein Überwechseln in andere Lager gegeben, zumindest nicht von der Theorielinken hin zu den anderen beiden Strukturen. 

Die Sozialarbeiterlinken sind halt nur die einzigen, die übrig geblieben sind. Die jetzt sichtbarer sind, weil es da fast niemand anderen mehr gibt. Aber da ist keine qualitative Veränderung oder Weiterentwicklung: Was die Sozialarbeiter unter Politik verstehen, haben sie so auch schon 1994 oder 2004 darunter verstanden und es sind auch imgrunde die gleichen Strukturen und oft auch die selben Leute. Aber die Theorielinken haben nicht plötzlich den Sinn darin entdeckt, dem Staat die Sozialarbeit abzunehmen und sind jetzt zahlreich dabei, diese reformistischen Strukturen zu unterstützen. Sie haben sich vielmehr frustiert ins Private zurückgezogen.

Das heißt: Es gab und gibt keinen Turn hin zu linker Sozialarbeit, ihre Präsenz verdankt sie nur dem Wegbrechen der Theorie- sowie der globalisierungskritischen Linken. Gab es vor 10 Jahren noch 10.000 radikale Linke, davon 3.333 sozialarbeiterisch-orientierte, gibt es jetzt nur noch 5000 und davon weiterhin 3.333 sozialarbeiterisch-orientierte.