Mit dem Werbebanner „Es werden noch viele Polizisten auf den Theresienwiesen sterben“ wurde einen Tag nach dem Heilbronner Polizistenmord für ein Ballerspiel geworben. Das ist besonders bei Neonazis beliebt.
Heilbronn - Polizeihubschrauber über der Stadt, Straßensperren an den Ausfallstraßen – die Fahndung lief noch auf Hochtouren. Flüchtige Täter hatten auf der Heilbronner Theresienwiese die Polizistin Michèle Kiesewetter erschossen, ihren Kollegen Martin Arnold lebensgefährlich verletzt. Da erschien einen Tag später, am 26. April 2007, auf dem Computerbildschirm eines Kaufmannes im bayrischen Gerhardshofen unaufgefordert ein Werbefenster, als er eine ukrainische Website aufrief: „Es werden noch viele Polizisten auf den Theresienwiesen sterben“, stand da auf dem Banner. Ein weiterer Klick verband den Mann mit einer niederländischen Website, die sich mit dem Computerspiel „Wolfenstein“ beschäftigte.
In dem schlüpft der Spieler in die Rolle des US-Geheimagenten Blazkowicz, um auf der Fantasieburg Wolfenstein virtuell Nazis, SS-Soldaten und Monster zu erschießen. Weil die Macher die Räume der Parallelwelt mit Hakenkreuzflaggen und Bildern Adolf Hitlers schmückten, dessen Reden und die Parteihymne der NSDAP, das Horst-Wessel-Lied, in das Spiel einarbeiteten, war der Ego-Shooter bei Neonazis sehr beliebt. In Deutschland war das Spiel seit 1994 verboten – in den Niederlanden nicht. Dort tauschten auch deutsche Neonazis in dem Internetforum darüber aus, wie sie sieben Missionen des Spiels bestehen konnten.
Auf genau diese Website wies der Mann aus Gerhardshofen hin, als er sich am 27. April 2007 bei der Polizei in Neustadt an der Aisch meldete. Die Bayern informierten sogleich ihre Kollegen in Baden-Württemberg, die in Heilbronn die „Sonderkommission Parkplatz“ eingerichtet hatten, um den Mord an Kiesewetter aufzuklären. Für die war 13 Tage später die „Spur 204“ in der Bluttat erledigt. Ein Fahnder vermerkt: „Wohl eine geschmackslose Werbemitteilung der Homepage wolfenstein.nl“.
Der Hinweis auf das Spiel hätte die Ermittler auch zu einen Heilbronner Neonazi führen können, der leidenschaftlich „Wolfenstein“ spielte. Und sich mit dem Namen „beer4war“ in ähnlichen Foren wie dem niederländischen intensiv über seine Erfahrungen mit der Parallelwelt ausließ. Hinter der Tarnidentität versteckt sich ein Rechtsextremist, der der Heilbronner Polizei bestens bekannt war: Unter dem Namen „beer4war“ betrieb Jascha H. von seinem Wohnort in Obersulm im Landkreis Heilbronn aus jahrelang ein rechtsextremistisches Musiklabel samt angegliedertem Versandhandel.
2002 registrierten ihn die Ermittler, als der heute 31jährige ein Fest der Nazi-Organisation „Hammerskins“ im schweizerischen besuchte. Dort feierte Jascha H. zusammen mit über 1000 europäischen Neonazis zur Musik der Stuttgarter Rechtsrock-Band „Noie Werte“. Genau jener Band, mit deren Musik der NSU zwei Versionen seines Bekennervideos unterlegte. In den folgenden Jahren beobachteten Verfassungsschützer und Polizisten, wie H. rechte Konzerte besuchte und mit Neonazis demonstrierte. 2009 durchsuchten Ermittler seine Wohnung, weil er „Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen in das Internet“ gestellt und „Gegenstände mit volksverhetzenden Inhalten“ verbreitet haben soll.
Im November 2011 – also wenige Tage nachdem in Eisenach und Zwickau die mutmaßliche Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) aufgeflogen war – verzog H. in die Schweiz. Zu einem Zeitpunkt, als die Fahnder offenbar anfingen, sich intensiver mit dem Heilbronner Neonazi zu beschäftigen: Beamte des Bundeskriminalamtes vermerkten in unserer Zeitung vorliegenden Akten, dass sie H.s „mögliche Verbindungen … hinsichtlich der Waffenbeschaffungen in der Schweiz“ nicht hätten überprüfen können. Die Ceska-Pistole, mit dem der NSU neun seiner zehn Opfer erschossen haben soll, wurde von einem Schweizer Waffenhändler an Neonazis verkauft.
Und gelangte so in die Hände der mutmaßlichen NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos. Sie sollen – ist der Generalbundesanwalt überzeugt – die aus Thüringen stammende Polizistin in Heilbronn ermordet haben. Bei Durchsuchungen von Wohnungen ihrer Unterstützer fanden Polizisten auch selbst gebrannte CDs mit verschiedenen Versionen des „Wolfenstein“-Spiels.
Die Abgeordneten des baden-württembergischen Landtags beschlossen im Februar 2014, zum Polizistenmord von Heilbronn keine offenen Fragen mehr zu haben. Dafür beschäftigen sie sich in einer überfraktionellen Arbeitsgruppe mit den „Konsequenzen aus der Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds“. Die Enquetekommission soll in diesem Jahr fünf Mal tagen. In allen anderen Bundesländern, in denen der NSU mutmaßlich mordete, richten die Parlamente Untersuchungsausschüsse ein.
Jascha Hopp
heißt der Kerl