Wo bleibt der Protest für die Sache?

Die Räumung des Oranienplatzes ist die logische Reaktion des verfehlten Protests der letzten Wochen. Es sind nicht die Politiker, denen wir die Räumung zu verdanken haben, es sind die fehlenden Inhalte des Protests!

 

Ursprung der Besetzung des Oranienplatzes ist der Protest gegen die Asylpolitik im November 2012. Wer erinnert sich denn heute noch an den Suizid des Iranischen Flüchtlings in Würzburg? 2012 hatte der Protest auch in Teilen der Bevölkerung Zuspruch. Politiker haben den Protest unterstützt. Heute aber ist der Protest in der Öffentlichkeit Nebensache. Medien berichten über  Demonstrationen aber verlieren kein Wort über deren Inhalte. Es heißt lediglich "der autonomen Szene ist nun ein Spielzeug weggenommen worden." Ist das alles was wir zu bieten haben?

 

Ohne Zweifel hat Frau Kolat Flüchtlinge gegeneinander ausgespielt. Dennoch hat sie das bekommen, was sie wollte. Das Flüchtlingscamp ist weg, die Probleme aus dem Stadtbild verschwunden und ein Gegenprotest aus der Bevölkerung minimal. Erreicht hat der Protest der vergangenen zwei Jahre dabei wenig. Abgesehen von anfänglicher medialer Aufmerksamkeit und Zustimmung ist politisch nichts erreicht worden. Gesetzesänderungen gab es keine, an Residenzpflicht und Abschiebehaft hat sich auch nichts verändert. Diese Probleme bestehen weiter, für diese Flüchtlinge und alle die in Zukunft kommen werden.

 

Es ist nur natürlich, dass Flüchtlinge der Hilfe des Senats zugestimmt haben. Mangelnde hygienische Einrichtungen, Angst vor Übergriffen, im Allgemeinen die Lebensbedingungen und das ohne Anspruch auf Sozialleistungen sind dafür Grund genug. Und das ist völlig legitim.

 

Im Mittelpunkt der heutigen Demonstrationen und des heutigen Protests stehen die Einzelschicksale der Flüchtlinge. Dabei ging es doch um generelle Sachen, die Asylpolitik sowie die bereits erwähnten Beispiele. Wo sind diese Inhalte hin?

 

Mit dem auflösen des Camps ist die Problematik aus dem Stadtbild verschwunden aber getan hat sich nichts. Auch der Protest ist dezentralisiert, was die Arbeit nur erschwert. Wenn was erreicht werden soll, dann ist jetzt der Zeitpunkt, um Inhalte wieder aufzugreifen. Forderungen müssen auf Flyer und Transparente. An den Ansätzen zu Infoständen muss festgehalten werden. Der jetzige Zeitpunkt der medialen Aufmerksamkeit muss produktiv genutzt werden. Es ist eine Chance Inhalte wieder in den Mittelpunkt zu rücken.

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Wenn Protest und Widerstand an individueller Betroffenheit aufgehangen wird, dann endet es immer mit einer individuellen Verbesserung, die für alle Übrigen nichts ändert. Der Flüchtlingsprotest begann als Kampf gegen die Residenzpflicht und kippte sehr schnell, spätestens mit dem Hungerstreik am Brandenburger Tor in einen Kampf für eine Gruppenlösung für die beteiligten Aktivisten. Ab dem Moment zog sich auch die linke Szene zurück und es übernahmen die Grünen Sozialarbeiter.

Linker Aktivismus unterscheidet sich von Sozialarbeit eben darin, dass er eine überindividuelle Perspektive vertritt. Deshalb war der O-Platz spätestens ab dem Zeitpunkt, wo es nur noch um persönliche Verbesserungen ging, kein Ort mehr, wo sich irgendetwas für mehr als die Beteiligten erreichen lies. Denn auch wenn die Linke Szene sich weiterhin eingebracht hätte und nicht so eine trostlose Veranstaltung daraus geworden wäre, Henkel & co hätten zu jeder Zeit Duldungen o. ä. aus dem Hut zaubern und damit den Protest sofort beenden können.

der hungerstreik am brandenburger tor war nur ein kampf für eine gruppenlösung für die beteiligten aktivisten? es gab doch darüberhinaus zahlreiche forderungen, bezüge etc?

Das sehe ich sehr ähnlich: "Der Ansatz ist das Problem"

Ich denke, dass dieser mit der momentanen Mode zusammenhängt lediglich "Support" sein zu wollen. Das macht für Linke evtl. an der Stelle Sinn, an der wiederum Linke im Kampf unterstützt werden. An einer Stelle an der Menschen geholfen wird, die nicht auch eine andere Welt wollen, sondern primär dem (absolut verständlichen!) Wunschen auf ein besseres Leben für sich folgen, fehlt bei "reinem Support" die gesamtgesellschaftliche Perspektive. Dieser Mode ist es auch geschuldet, dass an wichtigen Stellen (wie Übergriffen) nicht konsequent interveniert wurde.

Betroffenengruppen (ganz allgemein) erfahren die Auswirkungen von Rassismus, Kapitalismus, usw. am eigenen Leib, d. h. nicht, dass sie diese Auswirkungen auch systemisch einordnen und so automatisch zu Aktivist_innen über die eigene Sache hinaus würden.

 

(Ich meine mich zu erinnern, dass bei dem ersten Hungerstreik noch mehr im Blick war als die Gruppenlösung.)

es gab dort bis zu letzt sehr wohl leute denen es um überindividuelle sachen ging! sich wie du, vermutlich mit deutscher staatsbürgerschaft ausgesttatet hier als schlaumeier hinzustellen und von o-platz zu distanzieren, ist leider auch nicht gerade überindividuell sondern es geht um deine oder eben die individuellen befindlichkeiten von teilen der radikalen linken! 

Natürlich ist alles Wollen und Wünschen eine individuelle "Befindlichkeit"... in anderer Leuten Köpfen kann ich halt nix denken sondern nur in meinem. Die Frage ist was der Fokus meines Wollens ist: Will ich etwas für mich oder meine kleine, direkte Peergroup (individuell) oder will ich eine gesellschaftliche Änderung (das wurde hier als überindividuell bezeichnet).

Eine Distanzierung von den O-Platz Mensch halte ich allerdings auch für unangebracht, da es dort (wie ja gerade gesehen werden kann und wie du sagtest) eben auch viele Menschen mit gesellschaftlichen Zielen gibt und zum anderen auch die privaten Ziele der Anderen verständlich sind.

Ich würde es jedoch für sinnvoll halten, wenn wieder häufiger in Diskussionen mit den Geflüchteten eingestiegen würde. Dies auch um dort zu vermitteln, dass es 'Linken' eben um etwas anderes als die akute Sozialarbeit sondern um gesellschaftlich Veränderung geht. Das wäre fair um das eigene Agieren deutlich zu machen und würde ggf. auch noch auf beiden Seiten Denkprozesse anstoßen.

Die Gefahr, dass es am Ende nur um individuelle Verbesserung geht, wenn Protest an individueller Betroffenheit aufgehangen wird, besteht sicher immer, ich würde das aber nicht so deterministisch als notwendige Konsequenz sehen. Und die Alternative dazu, Protest an einer abstrakten, überindividuellen Perspektive aufzuhängen läuft Gefahr, außerhalb einer kleinen Szene der ewig üblichen Verdächtigen niemanden hinter dem Ofen hervorzulocken, klassische Szene-Selbstbezugs-Politik. Und auch linke Szene-Politik klappt dann am besten, wenn sie an individueller Betroffenheit von Szene-Mitgliedern aufgehangen wird.

Im Großen und Ganzen hilft es aber wenig, die beiden Ansätze (individuelle Pespektive vs. überindividuelle Perspektive) gegeneinander zu diskutieren, viel wichtiger fände ich es, weiter darüber nachzudenken, wie man beides gleichzeitig hinkriegt, denn auf keins von beidem kann man verzichten. Genau das haben die Geflüchteten zum Beginn ihres Protestes beeindruckend gut hingekriegt und damit auch einen politischen Erfolg produziert, der mir so oft Mut gemacht hat, dass es doch irgendwie funktionieren kann. Im Laufe der Zeit hat es dann halt immer schlechter geklappt und die NUR individuelle Perspektive hat sich durchgesetzt. Politisch fatale Entwicklung.

Ich würde Dir zustimmen, dass sich linker Aktivismus, wie er in Berlin die meiste Zeit stattfindet, von den Protesten der Geflüchteten darin unterscheidet, meistens (und oft entgegen dem eigenen Anspruch) eine NUR überindividuelle Perspektive zu vertreten. Mit dem Ergebnis der weitreichenden gesellschaftlichen Bedeutungslosigkeit und Isolation. Politisch fatale Entwicklung.

Um es nochmal auf den Punkt zu bringen: Die Frage als entweder oder zu stellen (individuell vs. überindividuell) ist das Problem.

Und die linke Szene kann und weiß vieles, aber wie man beides  zusammen hinkriegt, kann man eher aus der Anfangsphase des Protestes lernen und von denen, die den Platz nicht räumen wollten als von der Szene.

Ein aufschlußreiches Interview mit einem der Baumbesetzer_innen vom O-Platz

http://www.youtube.com/watch?v=L0XVYB2mXqE