Sein Leben nach dem Zeugenschutzprogramm: Interview mit Holger G.

Holger G. ist einer von fünf Angeklagten im Münchner Prozess um die bundesweite Neonazimordserie an neun Migranten und einer Polizistin. Nach eigenen Angaben sowie den Verlautbarungen seiner Anwälte gehört er der rechten Szene nicht mehr an. Da seit einigen Tagen spekuliert wird, warum er das Zeugenschutzprogramm des Bundeskriminalamtes (BKA) verlassen hat, fanden wir es an der Zeit, direkt bei ihm nachzufragen.

 

Herr G., Sie haben kürzlich das Zeugenschutzprogramm des BKA verlassen. Ist dieser Schritt freiwillig erfolgt, oder gab es quasi einen Tritt in den Allerwertesten, weil Sie vor Gericht nur eine vorgefertigte Erklärung verlesen und keine Fragen zur Sache beantwortet haben?

 

Nein, wo denken Sie denn hin? Niemand hat mich unter Druck gesetzt, mehr zu erzählen. Im Gegenteil. Und ich habe mich doch vor Gericht wirklich geöffnet. Ich habe lang und breit erzählt, wie geschockt ich darüber war, was meine Freunde angeblich getan haben sollen. Ist das etwa nichts? Außerdem habe ich meine ganze Kindheit und mein Privatleben dort ausgebreitet. Das war schwer für mich, das können Sie mir glauben.

 

Sie meinen Ihre Erklärung, warum Sie auf die schiefe Bahn geraten sind: Sie waren das Nesthäkchen der Familie. Ihre Mutter soll Sie zu sehr mit Liebe überschüttet haben. Das klingt, als hätte sie Ihnen den Wunsch nach körperlicher Züchtigung nicht erfüllt. Wann hatten Sie denn zum ersten Mal dieses Verlangen?

 

Dazu möchte ich nichts sagen. Bitte, können wir nicht das Thema wechseln?

 

Aber gern. Zurück in die Gegenwart: Wie fühlt sich Ihre neue Freiheit an, so ganz ohne Zeugenschutz – haben Sie gar keine Angst vor ihren Ex-Kameraden?

 

Nein, überhaupt nicht. Der Verfassungsschutz hat mir mitgeteilt, dass die Szene mich seit meiner Erklärung vor Gericht gar nicht mehr so ernst nimmt, dass mich irgendjemand als Verräter an der Laterne aufhängen würde. Und ganz ehrlich, ich fühle mich auch nicht als Verräter. Der Verfassungsschutz meinte ja, wenn, dann müsste ich eher vor den Linken Angst haben, weil die mir den Aussteiger nicht so ganz abnehmen. Aber im Zweifel würden mich auch die Linken nicht ernst nehmen. Was das genau heißen soll, hab ich nicht ganz verstanden. Aber zumindest hab ich soviel kapiert, dass mich aktuell niemand umbringen will. Und damit kann ich gut leben.

 

Wann und wie oft hatten Sie denn Kontakt zum Verfassungsschutz – war das zufällig auch in der Zeit, als Sie Ihre Spielschulden abgezahlt haben?

 

Entschuldigung, ich weiß jetzt nicht, wovon Sie reden. Ich hatte ja schon vor Gericht erwähnt, dass ich manchmal Gedächtnislücken habe, wegen Speed und so. Früher, Sie wissen schon. Seit einiger Zeit bin ich clean, aber trotzdem. Also, wer war noch mal der Verfassungsschutz?

 

Der Inlandsgeheimdienst, der meint, dass für Sie keine Gefahr mehr besteht. Fällt Ihnen dazu noch etwas ein?

 

Nein, also echt nicht. Bitte, können wir nicht das Thema wechseln?

 

Kein Problem. Wie sind Sie denn jetzt eigentlich politisch eingestellt?

 

Also, ganz ehrlich, ich habe nichts gegen Ausländer, wirklich nicht. Ich esse sogar Spaghetti! Und politisch bin ich jetzt in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Wenn dieser Prozess vorbei ist, will ich vielleicht bei der „Alternative für Deutschland“ mitmachen. Oder bei der freiwilligen Feuerwehr. Oder beim Tierschutzverein. Oder bei der CDU. Irgendwas Sinnvolles halt, was man in der politischen Mitte so macht. Ich könnte mich auch ehrenamtlich engagieren und im Park Tauben vergiften, um die Vogelgrippe einzudämmen. Im Moment boykottiere ich übrigens die Olympischen Spiele.

 

Die könnten Sie doch sowieso nicht komplett in Sotschi verfolgen, wenn Sie drei Mal wöchentlich vor dem Münchner Gericht erscheinen müssen.

 

Das kommt noch erschwerend hinzu. Aber ich würde auch sonst dem Beispiel des Bundespräsidenten folgen.

 

Herr Gauck hat aber bisher keine klare Begründung dafür abgegeben. Wie lautet Ihre?

 

Na, weil ich es nicht gut finde, wie die Russen da die Meinungsfreiheit unterdrücken. Aber der Gipfel ist, dass sie extra für dieses Theater in Sotschi die Straßenhunde erschossen haben. Einfach so, schäbig abgeknallt! Genauso haben die das damals auch mit unseren Großvätern gemacht, als die sie vom Kommunismus befreien wollten. Die Russen haben einfach noch nichts aus der Geschichte gelernt. Ich schon!

 

Hat Bundespräsident Gauck denn dazu beigetragen, dass Sie die freiheitlich-demokratische Grundordnung jetzt besser akzeptieren können?

 

Ja, ganz eindeutig. Wenn er über deutsche Verantwortung und Respekt für den deutschen Soldaten spricht, ist das wie eine Offenbarung für mich. Dann habe ich das Gefühl, dass ich ein anständiger BRD-Bürger und trotzdem ein anständiger Deutscher sein kann.

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