[KN] Viel Wut bei Demo gegen staatlichen Rassismus

Erstveröffentlicht: 
20.01.2014

150 vornehmlich Jugendliche demonstrierten am Samstag in Konstanz gegen staatlichen Rassismus: In mehreren Beiträgen bekundeten Auszubildende, Schüler_innen und Studierende ihre Solidarität mit Flüchtlingen. Sie rügten das Vorgehen der Polizei, des Konstanzer Landrats und der Politiker, kritisierten „Racial Profiling“ wie auch die Gutscheinpraxis. Und am Ende sammelten die Jugendlichen richtig viel Geld für die Wiederaufnahme eines Strafverfahrens

 

Dass staatlicher Rassismus an der Tagesordnung in Deutschland ist, ist vielen Menschen nicht bewusst. Wie auch? Solange man im günstigsten Fall weiss, männlich und auf dem Papier Deutscher ist, hat man damit auch keine Probleme. Es gibt kein „Racial Profiling“, nach dem man vom Behörden und Gesetzgebung in eine Kategorie eingeteilt wird, nach der man womöglich eben nicht zu den Auserwählten zählt, die genauso gleich wie alle anderen behandelt werden. Frei nach Orwell: Alle Menschen sind gleich – und manche Menschen sind gleicher.

 

„Herr Hämmerle, für mich sind Sie ein Rassist“


 Und dies wurde bereits in der Auftaktkundgebung am Benediktiner Platz deutlich. Obwohl es auch für die Stadt günstiger und zugleich weniger diskriminierend wäre, Asylbewerber_innen Bargeld auszuzahlen statt ihnen Gutscheine auszuhändigen, die sie auf gewisse Läden und Produkte limitiert, hält der Konstanzer Landrat Frank Hämmerle weiter am Gutscheinsystem fest. Hierzu Auftakt-Redner Ramos Füllmann: „In einer Sitzung im Kreistag hat der gute Franky es dann auf den Punkt gebracht […] auf die Nachfrage, warum nicht endlich dieses diskriminierende und menschenverachtende Verhalten unterlässt [...]: ,Nehmen Sie mich doch so, wie ich bin.ʻ Herr Hämmerle, für mich sind Sie ein Rassist.“

 

Kein Zufall, welche Bahn-Passagiere kontrolliert werden


 Doch auch anderweitig werden Menschen von Behörden diskriminiert. In Niklas Quintinis Rede wurde deutlich: „Als Kriterien für verdachtsunabhängige Kontrollen auf Bahnhöfen, Flughäfen, in Zügen sowie im Grenzgebiet gelten angeblich polizeiliche Erfahrungswerte. Dabei kontrolliert die Bundespolizei Menschen, die ihrer Meinung nach ein ,ausländisches Aussehenʻ haben. […] Bei einigen Menschen, die beobachten, dass PoC’s (Anm. d. Red.: People of Colour) häufiger von der Polizei kontrolliert werden, entsteht der Eindruck, dass diese tatsächlich mehr ,Dreck am Steckenʻ haben müssten. Dies ist Wasser auf die Mühlen von Rechtspopulist_innen, die Angst vor ,Ausländerkriminalitätʻ schüren wollen, um daraus politisches Kapital zu schlagen.“

 

„In Kategorien eingeteilt“


 Beim anschließenden Demonstrationszug durch die Konstanzer Innenstadt (s. Foto) grüßt ein Demoteilnehmer die Menge durch den Lautsprecher: „Hallo liebe Konstanzer, hallo liebe Schweizer. Was habe ich gerade gemacht? Ich habe euch gerade in Kategorien eingeteilt. Diese Kategorien sind zufällig. Wir wollen aber nicht, dass Menschen in Schubladen gesteckt werden. Unsere Wirtschaftsleistung ist so hoch, dass wir alle Menschen davon ernähren können. Warum tun wir es nicht einfach, sondern entscheiden willkürlich, wen wir ernähren wollen und wen nicht?“

 

Führende Politiker_innen schüren Ressentiments


 „Illegal, Schmarotzer, Sozialtourist – das sind Begriffe, die sich Flüchtlinge in letzter Zeit immer wieder haben anhören müssen“, befand Simon Pschorr bei der Kundgebung auf der Marktstätte: „Das kommt nicht etwa von irgendwelchen alteingesessenen rassistischen Stammtischbrüdern oder Glatzen. Nein, von führenden Politikern in diesem Land.“ Zudem stellte Pschorr heraus, dass es nicht angehe, dass Asylbewerber_innen weniger Leistung bekämen als Hartz-IV-Empfänger_innen und fragte kritisch: „Haben Asylbewerber andere Mindestbedürfnisse? Es sind doch genauso Menschen! Ich sage: dies verletzt die Menschenwürde. Das ist purer Rassismus.“ Auch zu den Konstanzer Verhältnissen nimmt er kein Blatt vor den Mund: „Die Unterkunft in der Steinstraße wird jetzt zaghaft renoviert, von 210 Plätzen können nur 180 genutzt werden. Jetzt könnte man ja sagen, dass ein Asylbewerber dann doch einfach in eine andere Stadt ziehen sollte, wenn er hier nichts findet. Asylbewerber sind jedoch in Deutschland an die Residenzpflicht gebunden und haben damit keine freie Wohnortwahl. Man könnte auch bei dem wenigen Geld sagen, er soll arbeiten gehen, jedoch unterliegen Asylbewerber dem Arbeitsverbot.“

 

Folgen deutscher Asylpolitik


 Im abschließenden Redebeitrag erinnerte Martina Walter an die Folgen deutscher Asylpolitik: „Zwischen 1993 und 2012 starben 182 Flüchtlinge auf dem Wege in die Bundesrepublik Deutschland oder an den Grenzen, davon allein 131 an den deutschen Ost-Grenzen. Zwei Personen trieben in der Neiße ab und sind seither vermisst, 527 Flüchtlinge erlitten beim Grenzübertritt Verletzungen, davon 302 an den deutschen Ost-Grenzen. Diese Zahlen stammen von Bundesgrenzschutz und Bundespolizei und enthalten nicht die Zahlen von Menschen, die auf nicht-deutscher Grenzseite gestorben sind. 164 Flüchtlinge töteten sich angesichts ihrer drohenden Abschiebung oder starben bei dem Versuch, vor der Abschiebung zu fliehen, davon 64 Menschen in Abschiebehaft“, um nur einige Beispiele zu nennen.

 

Erfolgreiche Soli-Party im Contrast


 Der Demonstration vorausgegangen war vor ein paar Wochen eine Gedenkveranstaltung für den am 08.01.2005 ermordeten Asylbewerber Oury Jalloh (SeeMoz berichtete), der in einer Zelle der Dessauer Polizei verbrannte. Im Nachgang veranstaltete man nach der Demonstration am Abend eine Solidaritätsparty im JugendKultur e.V. „Contrast“ für die „Initiative in Gedenken an Oury Jalloh“, die Geld für ein unabhängiges Brandgutachten sammelt, um den Fall Oury Jalloh („Das war Mord“) neu aufzurollen. „600 Euro sind zusammengekommen“, freute sich Quintini noch am Abend der Solidaritätsparty.

 

Autor: Ryk Fechner

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