Kooperatives Sammeln

Von postzivilisiertem Leben

Im letzten Artikel habe ich die Grundlagen post-zivilisatorischer Theorie herausgearbeitet (eine Theorie, die von den meisten mir bekannten Leuten liebevoll als "post-civ" bezeichnet wird). Knapp zusammengefasst handelt es sich dabei um Folgendes: Wir wenden uns gegen die Zivilisation, sind aber keine Primitivist_innen. Die Zivilisation hat uns viel beigebracht, ist aber im Endeffekt zerstörerisch. Es ist daher an der Zeit, mit ihr Schluss zu machen und zu etwas anderem überzugehen.

 

In diesem Artikel werfen wir einen Blick auf post-zivilisierte Produktionsformen und auf die Möglichkeiten, das kapitalistische System zu unterminieren.

 

Sammeln gegen die Zivilisation


Wenn zivilisierte Personen hungrig sind, wählen sie ein Rezept aus dem Kochbuch und gehen in den Laden, um die entsprechenden Zutaten zu kaufen. Wenn Sammler_innen hungrig sind, verschaffen sie sich ein Bild davon, was an Nahrung vorhanden ist und bereiten eine Mahlzeit auf dieser Grundlage zu. Sammler_innen sind immer auf der Ausschau nach Nahrung: in Gärten, in Mülleimern, auf Märkten, wo Essen abends weggeben wird, oder auf Grünflächen, wo wilde Pflanzen wachsen.

 

Wie nicht schwer zu erraten ist, halten wir Post-Zivilisierten uns an die Sammler_innen. Und das gilt nicht nur für unsere Nahrung, sondern auch für Kunst, Wissenschaft oder Pädagogik. Dafür gibt es viele Gründe – Ästhetik ist zugegebenermaßen einer davon.

 

In zivilisatorischem Denken erfüllt Produktivität ihren eigenen Zweck: Autofirmen stellen Autos her, weil es das ist, was sie tun. Die Frage, ob es nicht schon genug Autos gibt, wird nie gestellt. (Die Antwort wäre natürlich ein klares Ja. Selbst wenn wir weiter mit Individualverkehr leben wollen, gibt es genug Autos, um das zu tun. Sie müssen nur ordentlich gewartet, repariert und in manchen Fällen umgebaut werden.) Wälder werden abgeholzt, um neue Häuser zu bauen, während unzählige Gebäude leer stehen.

 

Dieses Verhalten folgt nicht dem klugen und einfallsreichen Verhalten des (menschlichen) Tieres, zu dem wir uns im Laufe der Evolution entwickelt haben. Es ist das Resultat zivilisatorischer Kultur.

 

Zivilisierte Menschen wählen ihre Ideologie wie sie ihr Telefon wählen: sie schauen sich verschiedene Varianten davon an und nehmen dann eine davon. Sammler_innen nehmen Ideologien auseinander, bewahren die interessanten Teile auf und setzen sie neu zusammen, um je eigene Weltbilder zu schaffen.

 

Sammeln ist Hacken sehr ähnlich – und umgekehrt.

 

Jetzt mögt ihr denken, dass das für eine "klitzekleine Minderheit" ganz gut sein mag, aber niemals für die Gesellschaft als Ganze funktionieren kann. "Wer würde Nahrungsmittel anbauen? Wer würde Tische bauen?" Ihr könnt diese Fragen auch verärgert herausschreien und dabei wild gestikulieren. Das macht die Diskussion besonders interessant.

 

Zumal ihr nicht ganz unrecht hättet. Die meisten von uns leben an Orten, an denen die Bevölkerungsdichte zu hoch ist, um sich ausschließlich auf das Sammeln zu verlassen. Aber wir propagieren kein klassisches Jäger-und-Sammler-Leben. Wir können gerne Nahrung anbauen. Aber nicht in der Form von Monokulturen, die Mais zum Export produzieren. Und wenn wir Tische bauen, verwenden wir das Material, das uns zur Verfügung steht, und wir bauen nur die Tische, die wir wirklich brauchen.

 

"Reinheit" ist in jedem Fall nicht unser Ziel. Ganz und gar nicht.

 

Sammeln gegen den Kapitalismus


Zentral ist, dass wir die Ressourcen anwenden, die es bereits gibt, bevor wir nach neuen suchen.

Dafür muss natürlich die Gesellschaft umgestaltet werden. Wie tun wir das? Das Konzept der Revolution ist immer eine Möglichkeit, allerdings keine, die viele Erfolge aufzuweisen hat. Der Kollaps? Ja, die Zivilisation wird sich wahrscheinlich selbst erledigen, zumindest global betrachtet. Aber wer will warten, bis die Kontinente verbrannt und die Ozeane leer sind? Wer will so zugrunde gehen?

 

Der post-zivilisatorische Ansatz ist, mit dem post-zivilisierten Leben hier und jetzt zu beginnen, unabhängig von einer möglichen "revolutionären Apokalypse" (rev-ocalypse). Aber wie tun wir das?

 

Nichts, was ich in diesen Texten schreibe, darf als Anleitung missverstanden werden. Ich formuliere nur ein paar Ideen.

 

Eine davon ist, die kapitalistische Marktwirtschaft zu ersetzen, und zwar sofort. Die Genossenschaftsbewegungen und der Syndikalismus des 19. und 20. Jahrhunderts waren auf der richtigen Spur: die Genossenschaften umgingen die Handelsprofiteure und richteten sich direkt an die Verbraucher_innen, was allen Geld sparte. Und die Syndikalist_innen übernahmen die Kontrolle der Industrie, indem sie ihre Bosse feuerten und alle als Gleiche arbeiteten. Aber Geld und Industrie sind nicht wirklich das, was uns interessiert – auf jeden Fall können sie zukünftig nicht die Rolle spielen, die sie heute spielen.

 

Nachdem die meisten materiellen Gegenstände, die wir brauchen, bereits produziert sind, können sie kostenlos verteilt werden. Umsonstläden sind Second-Hand-Läden, die von Freiwilligen betrieben werden und in denen du für nichts zahlen musst.

 

Oft jedoch sind diese Läden isoliert und können die enorme Masse an Waren, die jeden Tag in der zivilisierten Welt weggeschmissen werden, nicht umverteilen. Daher schlage ich für jede Stadt Folgendes vor:

 

* Mietet oder kauft eine Lagerhalle. Bewahrt dort geschenkte oder gefundene Waren auf.

* Mietet, kauft oder besetzt Läden in allen Vierteln der Stadt. Verteilt die Waren.

 

Je mehr Bedürfnisse außerhalb der Logik des Marktwirtschaft befriedigt werden können, desto unabhängiger werden die Menschen von der Marktwirtschaft. Je weniger Menschen kaufen, desto mehr wird das kapitalistische System darunter leiden und desto stärker werden alternative ökonomische Zusammenhänge. Irgendwann wird die alte Ordnung hinfällig und die Schenkökonomie wird wachsen und über Umsonstläden hinausgehen; sie wird Nahrungsmittel, Dienstleistungen und Kunstevents beinhalten.

 

Auf lokaler Ebene gibt es vor allem zwei Hindernisse zu überwinden: Mietzwang und Isolation.

 

Ein Netzwerk von Läden (mit einer zentralen Lagerhalle) kann die Gefahr der Isolation abschwächen. Viele Menschen fühlen sich von dem subkulturellen Charakter radikaler Kreise eingeschüchtert. Manchmal ist die Antwort darauf, die politischen Inhalte zu verwässern oder "normal" auszusehen. Dieser Ansatz kann als der des kleinsten gemeinsamen Nenners beschrieben werden. Er erklärt unter anderem warum eine Demokratie, die auf Mehrheitsbeschlüssen beruht, so langweilig ist.

 

Eine Vielfalt von Kulturen ist weit besser als eine eindimensionale und homogene Kultur. Das gilt auch für radikale Kreise. Die zentrale Lagerhalle kann als gemeinsame Basis aller Gruppen bzw. Kulturen fungieren, während die Läden so individuell – und subkulturell – sein können, wie sie wollen. Wichtig ist nur, dass sich alle an dem Projekt beteiligen.

 

Die Frage der Miete ist komplizierter. Die Läden könnten auf der Basis freiwilliger monatlicher Spenden geführt werden. Diese würden den Spendenden keine spezifischen Vorteile verschaffen (etwa neue Waren als erste wählen zu dürfen), aber sie dazu ermutigen, einen Teil ihres monatlichen Einkommens an das gemeinschaftliche Projekt abzugeben. Wichtig dabei ist, die Kosten so niedrig wie möglich zu halten. Im Idealfall bedarf es keiner bezahlten Angestellten (diese sollten alle von der Schenkökonomie leben können!), Transporte würden mit entsprechend ausgerüsteten Fahrrädern erledigt und die einzelnen Läden wären, wenn möglich, besetzt.

 

Das alles ist nicht leicht, aber machbar. Zumal in einer Zeit, in der die Todesglocken der herrschenden Wirtschaftsordnung läuten, der Bedarf an alternativen Wirtschaftsformen so groß wie nie zuvor ist – und damit auch die Chance, diese zu etablieren.

 

Text von Margaret Killjoy

Übersetzung vom AAP-Kollektiv

Gedruckt erschienen in der Broschüre "Von post-zivilisiertem Leben und Städten, die keine sind. Visionen einer anarchistischen zukunft", erhältlich via Black Mosquito

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hey ihr, wollt ihr vielleicht noch die gelayouteten pdf's hochladen, damit mensch den kram sich auch selber ausdrucken und verteilen kann?

wär' lieb. :-)

die gesamte broschüre kommt in den nächsten tagen online. :)