Tagebuch aus dem Knast #2

solidaridad hambi

Teil 2 – HINTER GITTERN UND STACHELDRAHT - Erhalten am 14. Dezember 2016

Montag, 5. Dezember 2016 – Bereuen tue ich nichts


Als ich vom Klappern der Schlüssel in der Eisentür geweckt werde, ist es Draußen noch dunkel. Frühstück. „Weißbrot oder Graubrot?“, fragt die weiblich wahrgenommene Person am Servierwagen in der offenen Tür und verlangt nach einem Brettchen. Völlig verwirrt bringe ich die ganze Waschschüssel mit dem ganzen Geschirr, die noch auf dem Tisch steht, zur Tür. „Und beim nächsten Mal ziehen Sie sich was an.“, sagt der Typ hinter ihr an der offenen Tür. In Unterhose und Pullover stehe ich da und lasse mir vier Scheiben Graubrot, ein Päckchen Margarine und 1 Liter Wasser im TetraPack aufs Plastikbrettchen klatschen. Kurz darauf ist die Tür wieder zu.

 

Ich lege mich wieder in das warme Bett in der Hoffnung noch mal etwas schlafen zu können. Die Nacht war unruhig gewesen, immer wieder bin ich kurz aufgewacht, eine gefühlte Stunde wälze ich mich von einer Seite zur andern, weil ich nicht einsehe, ohne Grund vor der Sonne aufzustehen.

 

Als es dämmert, weiß ich erst mal nicht, womit ich anfangen soll. Ich weiß noch nicht mal, was ich machen soll und kann. Ich beschließe, das selbe zu tun, wie wenn ich ein paar Tage bei meinen Eltern bin: Fenster aufmachen, Zähne putzen, Dehn- und Kraftübungen (der linke Arm und die rechte Schulter tun noch etwas weh von der ED-Misshandlung), Frühstück. Erfreut stelle ich fest, dass die Margarine vegan ist. In zwei Decken gehüllt setze ich mich auf den Tisch ans geöffnete Fenster und schau dem wolkenlosen Himmel zu, wie er langsam heller wird. Während ich die letzte Scheibe Brot verdrücke, kommen vier männlich Gelesene auf den Hof vorm Fenster und beginnen, Laub zu haken und in blaue Plastiksäcke zu verpacken. Lautstark unterhält sich eine Gefangene über mir mit einem der vier und wirft ihm eine Zigarette runter. Aus ihrem „Gespräch“ erfahre ich, dass um 9uhr Hofgang ist, dass das Gebäude gegenüber, dessen blanke Rückwand wir aus unseren Fenstern anstarren dürfen, Haus 14 ist und dass N. (wer auch immer das ist ist) in Zelle XXX oder so sitzt.

 

Bald darauf, ich schätze gegen 8 Uhr, wird die Zelle aufgeschlossen und eine in Uniform fordert mich auf mitzukommen um meine Inhaftierung schriftlich festzuhalten. Im Flur sitzt eine weiblich gelesene Person in Maler*innenkleidung und streicht die Wand. Ich nicke grüßend und lächle, sie deutet sowas an. Im Büro am Ende des Ganges setzt sich die Uniformierte hinter einen Schreibtisch, ich davor. Sie tippt meine ungefähre Größe, Haar- und Augenfarbe in einen Computer und macht ein Foto von mir mit einer kleinen, runden Computerkamera, die auf dem Tisch steht. Das ich keine Angaben zu meiner Person mache, stört sie nicht weiter. Auf meiner Akte lese ich „Kim Neuland“. So werde ich schon die ganze Zeit genannt. Im Haftbefehl steht, das sei mein Spitzname.

 

Ich frage sie ob sie eine Idee habe wo ich einen Stift und Papier her bekommen könnte. Sie gibt mir einen Kugelschreiber. Das Papier müsse ich morgens bei der Essensausgabe erfragen. Dann geht es zurück in die Zelle.

 

Etwa eine halbe Stunde später werde ich wieder abgeholt, „Arztvisite“. Mit dem Arzt bespreche ich die Krätze-Behandlung, dann stellt er mir noch eine Reihe von Fragen zu Drogenkonsum, Krankheiten, Operationen, Medikamenten, Schwanger- oder Mutterschaft, Allergien… Ich erkläre ihm, dass ich eine Intoleranz gegenüber tierischem Eiweiß habe, daher zwangsläufig auf vegane Ernährung angewiesen bin. Dann hört er mit einem Stethoskop meinen Rücken (Lungen) und meine Brust (Herz) ab, stellt mich auf eine Waage und guckt mir schließlich noch in den Mund. Zum Schluss gibt er mir die Creme gegen Krätze, während er mir erzählt, dass er im Radio gehört habe, dass diese Parasiten wieder vermehrt in Deutschland auftreten. Die „Sprechstundenhilfe“ bringt mich zurück durch die Flure, an der Kanzel in Haus 13, in dem ich einquartiert wurde, werde ich abgestellt, hier solle ich warten.

 

An der Tür zum Hof steht eine Justizwachtel wie eine Pausenaufsicht (was sie im Prinzip ja auch ist) und raucht. Ich nutze die Gelegenheit, sie mit Fragen zu löchern, wie das hier läuft mit Anträgen, Briefen, Besuch,… Als mir keine Fragen mehr einfallen, schlendere ich zu der großen Pinnwand, da ich scheinbar immer noch auf irgendwas oder -wen warte. Ich lese Einladungen zum Gottesdienst, Gitarrenunterricht und Haarmodell sein. Außerdem Ankündigungen und Preislisten für Tabak, Obst und Gemüse. Irgendwann kommt ein Schließer und bevor ich in der Zelle 118 verschwinde, schnappe ich mir noch schnell eines der zwei deutschsprachigen von vier Büchern aus dem ansonsten leeren Regal. „Mit aller Macht“ von anonymus ist bestimmt einsame Spitze.

 

Zurück in der Zelle setze ich mich wieder in zwei Polyesterdecken gehüllt ans offene Fenster und schaue den anderen Gefangenen von Haus 13 beim Hofgang zu. Ich darf noch nicht wegen der Krätze. Ich zähle 12 Frauen. Die meisten laufen schnatternd in Grüppchen Runde um Runde auf dem schmalen gepflasterten Weg, der dicht an den vergitterten Fenster (und somit auch an mir) vorbeiführt um den kleinen Hof. Einige wenige drängen sich dicht aneinander auf den Bänken zwischen drei kleinen Bäumen auf Höhe meines Fensters. Eine läuft alleine und durch das Gitter und die Stäbe vor meinem Fenster schenken wir uns ein scheues Lächeln. Leise singt sie ein Lied und richtet den Blick gen Himmel.

 

Eine andere, zierliche sitzt mit starrem Blick allein auf einer Bank und raucht. Dann geht sie ein paar Runden in zügigem Schritt, wobei sie andere überholt. Ich lese eine Seite in diesem furchtbar spannenden Buch aus dem Flur, dann lasse ich den Blick durch den Raum schweifen auf der Suche nach etwas papierartigem, auf dem ich anfangen kann, einige Gedanken fest zu halten. Ein aufgetrennter Hygienebeutel für Binden etc. tut es dann. Klopapier wäre ja etwas altmodisch gewesen ;)

 

Es muss etwa 12 oder 13 Uhr sein als das Mittagessen kommt. Die Tür wird aufgeschlossen und es wird nach einem Teller verlangt. Schwup-di-wupp liegt da eine Frikadelle auf dem Teller. Automatisch frage ich: „Ist das mit Fleisch?“ „Ne, das ist mit Hühnchen.“ Ich versuche den Dreien vor der Tür, einer von ihnen ist der Schließer, zu erklären, dass ich kein tierisches Eiweiß vertrage also weder Fleisch, Eier oder Milch. „Fisch auch nicht?“, fragen mich große Augen. Das hatte ich fast erwartet. Am Ende habe ich sieben Scheiben Graubrot, einen Klacks Senf und zwei Mandarinen auf dem Teller und während sich die Tür wieder schließt, höre ich sie weiter reden: „Ne, Hühnchen auch nicht, da ist ja Ei mit drinne...“

 

Mit dem Essen kam auch eine 3-seitige „Kurzinformation für Zugänge in der JVA Köln“, 7 Anträge zum Ausfüllen, 4 Briefumschläge und 5 Blatt blanco Papier. Endlich! Ich fülle direkt vier der Antragsformulare aus: Ich beantrage Zugang zum Sportraum (in der Hoffnung, dass es hier einen gibt), den Bücherkatalog, ein Gespräch mit meinem Anwalt und der Seelsorge. Kurz überlege ich auch einen Antrag auf Massage zu stellen, denn mein Rücken, besonders die rechte Seite tut weh, wie schon lange nicht mehr. Ich bin unsicher, ob das von der ED-Behandlung kommt oder davon, dass ich in den letzten zwei Tagen viel schlecht gelegen habe. Dann beschließe ich aber, die restlichen drei erst mal auf zu bewahren für Anträge mit besseren Erfolgsaussichten, da ich mir unsicher bin, ob ich noch mal so unkompliziert an diese Vordrucke ran komme. Als nächstes versuche ich Tagebuch zu schreiben. Aber ich bin noch so verwirrt von dieser neuen Situation, dass mein Kopf auf einmal wie leer gefegt ist. Plötzlich habe ich Sorge, der Passivität, die sich hier so aufdrängt, zu verfallen. Um wenigsten auch mal etwas anderes zu tun, als bloß in den kahlen Hof, in dem sich nicht viel tut, zu starren und um mich etwas ab zu lenken, lese ich also in dem Buch in der Hoffnung, dass es sich vielleicht doch als irgendwie interessant entpuppt (tut es nicht, erzielt aber dennoch seine Wirkung).

 

Schon bald werde ich zum Duschen abgeholt. Endlich! Darauf freue ich mich schon seit dem Tag der Festnahme, seit dem ich viel geschwitzt habe. Mir wird Anstaltskleidung und eine große Plastikflasche mit einer grünen, schäumenden Flüssigkeit in die Hand gedrückt und der Weg in den Duschraum direkt hinter der Kanzlei gewiesen. Das angebliche Shampoo riecht nach „Goldgeist“, dem Läusemittel, das seit ein paar Jahren nicht mehr verschrieben wird wegen der enthaltenen, gesundheitsschädigenden Giftstoffe. Auf dem ausgefransten, kaum mehr lesbaren Etikett steht irgendwas von „WC“. Für heute werde ich bestimmt auch ohne das sauber genug, morgen früh steht ja schon die nächste Dusche an, um die Krätze-Creme abzuwaschen. Das Wasser ist gerade warm genug. Und wenn es kalt gewesen wäre, ich hätte es genossen! Erfrischt und etwas belebt, trockne ich mich schnell ab, denn es ist kalt in dem Raum mit nasser Haut. Ich steige in die zu großen Anstaltsklamotten bestehend aus einem dunkelblauen T-Shirt, Pullover und Jogginghose in verwaschenem blau-grün, schwarzen Socken und einer pinken Unterhose mit Schleifchen. Die Jogginghose rutscht bei jeder Bewegung. Aber davon hab ich hier ja eh nicht so viel.

 

Dann geht es zurück auf die Zelle. Eine junge Beamte schaut mir dabei zu und dokumentiert, wie ich zuerst alle Textilien, die ich gestern erst bekommen hab, Decken, Handtücher und Bettbezüge in einen Stoffbeutel mit der Aufschrift „JVA Köln – Desinfektion“ verpacke, diesen wiederum in einen blauen Plastiksack stecke und mit einem Stück Schnur verschnüre. Dann das Selbe mit meinen persönlichen Sachen. Mir wird schwer ums Herz, als mir die wenigen Sachen aus meinen Jackentaschen meiner Wald-Carmouflage-Jacke aus einem durchsichtigen Plastikbeutel entgegen purzeln. Die Kopflampe war scheinbar die ganze Zeit an gewesen und leuchtet schwach. Besonders die drei amerikanischen Walnüsse, deren Bäume mittlerweile vermutlich schon gefällt wurden und das Stück Birkenrinde hätte ich so gerne behalten. Dann sind da noch eine Karte vom Tagebau Hambach, ein Notizblock, 1 Kugelschreiber, 3 Zehen Knoblauch und ein kleines Glas mit goldenem Deckel und Pfefferkörnern darin, welches ich mir Freitag Abend noch auf die Schnelle voratshalber in die Tasche gesteckt hatte. All diese Sachen sollen nun in meine persönliche Habe gegeben werden, das heißt, ich sehe sie erst nach meiner Entlassung wieder. Zum ersten Mal muss ich mit den Tränen kämpfen, denn die Sehnsucht nach diesem wunderbaren Wald, durch den ich nun nicht mehr streifen dürfen soll, schmerzt tief. Paradoxer Weise halten sie die U-Haft für angemessen, weil sie vermuten, ich könnte mich dem Prozess und einer möglichen Strafe entziehen, Fluchtgefahr nennen sie das. Dabei ist mir beides so egal, wenn ich bloß wieder in den Wald zurück könnte! Während ich mich tief über den Beutel beuge, damit sie meine aufkommenden Tränen nicht sieht, fragt sie mich neugierig, ob das sehr jucken würde, die Krätze. Ich schlucke den Kloß und die Tränen so gut es geht runter und atme tief durch, um zu antworten. Es sei unterschiedlich, bei mir weniger, bei dieser oder jener Freund*in mehr oder sogar schlimm. Nach kurzer Pause fragt sie, warum ich überhaupt hier sei. „Ich bin wohl hier, weil mich RWE lieber hinter Gittern als im Hambacher Forst sehen will.“

 

Dann bin ich wieder allein in diesem kleinen, kahlen, fremden Raum mit den Gittern am Fenster. Drei Ohrringe und ein Haargummi sind das einzig Persönliche das ich noch bei und an mir trage. Nicht mal das Fenster kann mehr lange geöffnet bleiben, denn es ist ohnehin schon kalt in den wenigen Klamotten. Wenigstens die Strahlen der untergehenden Sonne wärmen mein Gesicht ein bisschen.

 

Während zum Aufschluss gerufen wird, d.h. Gefangene sich unter einander besuchen oder im Gemeinschaftsraum (mit Fernseher) treffen können, sitze ich in Decken gehüllt am Tisch und male, was ich da draußen vorm Fenster sehe. Später gelingt es mir endlich ein bisschen was nieder zu schreiben. Dann esse ich die letzten drei Scheiben Brot, creme mich mit der Krätze-Creme ein und friere noch eine Weile im Bett während ich die lang gezogenen Schatten der Gitterstäbe an der Wand betrachte. Mein Nacken tut unheimlich weh… Dennoch schlafe ich schneller ein als gestern.

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ich hoffe diese zeilen erreichen dich jrgendwie, vllt von einer/m Companeros, ich wünsche dir viel Kraft, viel Hoffnung und Glauben an die Freiheit, an das Bunte da draußen, gerade in Zeiten in denen es nicht nur drin grau und Kalt ist. In gedanken bin ich bei dir, da drin, und hoffe du bist in Gedanken nicht gefesselt von dem Kalten Beton um dich. Jeden Sonnenschein den ich aufsauge schick ich direkt an dich. Halte durch, ich warte auf den Bäumen auf dich.

Siempre Libertad!

 

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