Zweitausendvierzehn

Squatting

„Ex­cu­se me, sir, I´m lost. I´m look­ing for a place, where I can get lost.“

Seit An­fang 2012 wur­den in Frank­furt 6 Häu­ser be­setzt. Diese Be­set­zun­gen waren keine blo­ßen Re­ak­tio­nen auf die dro­hen­de IVI-​Räu­mung. Die ver­schie­de­nen In­itia­ti­ven und Grup­pen haben da­durch ver­sucht, nicht nur sym­bo­lisch auf den Wi­der­spruch zwi­schen Leer­stand und Be­darf hin­zu­wei­sen, son­dern aktiv neue Räume zu öff­nen und zu ge­stal­ten. Das hätte der Auf­takt für eine neue Haus­be­set­zungs­be­we­gung in Frank­furt sein kön­nen. Den­noch müs­sen wir im Ja­nu­ar 2014 fest­stel­len, dass wir mit lee­ren Hän­den da­ste­hen. Nicht nur konn­te kei­nes der be­setz­ten Häu­ser lang­fris­tig ge­hal­ten wer­den, auch die Räu­mung des IvI wurde nicht ver­hin­dert. Die meis­ten der für kurze Zeit ge­nutz­ten Ge­bäu­de, genau wie das IvI im Ket­ten­hof­weg, ste­hen heute wie­der und immer noch leer.

 

Die In­itia­ti­ve com­mu­nal«west hat letz­tes Jahr im Gal­lus zwei­mal ver­sucht, ein selbst­or­ga­ni­sier­tes Stadt­teil­zen­trum zu er­öff­nen. Im Mai be­setz­ten über 100 Men­schen das ehe­ma­li­ge So­zi­al­rat­haus in der Schwal­ba­cher Stra­ße. Das große blaue Ge­bäu­de, das in Pri­vat­be­sitz ist, stand bis dahin viele Jahre leer – wie jetzt wie­der. Unter dem Namen „Blau­er Block“ soll­te dort ein Raum der Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on ent­ste­hen. Ob­wohl sich eine po­li­zei­li­che Räu­mung schnell ab­zeich­ne­te, ent­schie­den sich viele das Haus nicht frei­wil­lig zu ver­las­sen. Durch die große Un­ter­stüt­zung vor und in dem Haus konn­te nach meh­re­ren Stun­den die Räu­mung zwar nicht ver­hin­dert, aber gegen die Po­li­zei durch­ge­setzt wer­den, das Haus ge­mein­sam und ohne Per­so­na­li­en­fest­stel­lung zu ver­las­sen. Viele An­woh­ner_in­nen so­li­da­ri­sier­ten sich spon­tan und lie­ßen sich auch durch den Ein­satz von Po­li­zei­hun­den nicht ein­schüch­tern oder ver­trei­ben.

 

Zum Glück stand im Gal­lus noch ein wei­te­res So­zi­al­rat­haus leer, das im Sep­tem­ber be­setzt wurde. Im Laufe des ers­ten Tages wurde greif­bar, was ein selbst­or­ga­ni­sier­tes Stadt­teil­zen­trum sein könn­te. Auf­grund des of­fe­nen Cha­rak­ters der Be­set­zung kamen viele Nach­bar_in­nen ins Haus. Erste Ideen, wie das neue Haus ge­nutzt wer­den könn­te, wur­den dis­ku­tiert und zum Teil um­ge­setzt. Wie wir aus der FAZ er­fah­ren konn­ten, waren un­se­re Um­bau­maß­nah­men nicht nur kurz­fris­tig sinn­voll, son­dern kom­men den jet­zi­gen Be­woh­ner_in­nen zu­gu­te. Statt einer Kita, wie Cu­nitz da­mals be­haup­te­te, ist dort jetzt eine Un­ter­kunft für min­der­jäh­ri­ge Ge­flüch­te­te. Eine sinn­vol­le Nut­zung – of­fen­sicht­lich war aber eine Be­set­zung nötig, um dar­auf zu kom­men. Das Ge­bäu­de stand davor schon lange un­ge­nutzt leer.

 

An­ders als das erste Haus be­fand sich das zwei­te Ob­jekt in städ­ti­schem Be­sitz, was ent­ge­gen un­se­ren Er­war­tun­gen kei­nen grö­ße­ren Ver­hand­lungs­spiel­raum schaff­te. Zu­nächst zeig­ten sich Lo­kal­po­li­ti­ker_in­nen an Ge­sprä­chen in­ter­es­siert, tran­ken gerne mit uns Kaf­fee und ver­spra­chen das Blaue vom Him­mel. Noch wäh­rend lau­fen­der Ver­hand­lun­gen mit Ver­tre­ter_in­nen der Stadt wurde das Haus am zwei­ten Tag ge­räumt. Ein Kom­man­do von un­ge­kenn­zeich­ne­ten Zi­vi-​Bul­len stürm­te ohne Vor­war­nung das Haus. Da­nach erst zogen re­gu­lä­re Ein­hei­ten auf. Die­ses Vor­ge­hen stellt nicht nur die bis­he­ri­gen Haus­be­set­zungs­kon­zep­te in Frage, die auf Ver­hand­lun­gen setz­ten, son­dern mar­kiert auch einen Hö­he­punkt in Sa­chen ver­selbst­stän­dig­ter Po­li­zei­tak­tik, für die im Nach­hin­ein nie­mand die Ver­ant­wor­tung über­neh­men woll­te. Die fol­gen­den Dis­kus­sio­nen in Pres­se und Stadt­teil of­fen­bar­ten brei­te Sym­pa­thie und So­li­da­ri­tät mit den Haus­be­set­zer_in­nen. Sogar Ober­bür­ger­meis­ter Feld­mann schwelg­te dar­auf­hin öf­fent­lich in Ju­gend­er­in­ne­run­gen und Pla­nungs­de­zer­net Cu­nitz träum­te zy­ni­scher­wei­se schon von zu­künf­ti­gen Ver­hand­lun­gen.


Aus al­le­dem wer­den wir Kon­se­quen­zen zie­hen!

 

„This is a warning, I spell it out for you“


Räume für selbst­or­ga­ni­sier­te Po­li­tik und Kul­tur wer­den immer knap­per. Be­set­zun­gen sind nach wie vor not­wen­dig. Haus­be­set­zun­gen stel­len die Ei­gen­tums­fra­ge nicht nur sym­bo­lisch, son­dern ganz prak­tisch: Leer­stand bleibt Ri­si­ko­ka­pi­tal. Sie sind aber auch eine Ab­sa­ge an An­trä­ge, Al­mo­sen und Ämter. Ab­seits von ma­te­ri­el­len Zwän­gen er­öff­nen sie die Mög­lich­keit, ge­sell­schaft­li­che Ver­hält­nis­se zu kri­ti­sie­ren, auch wenn diese sich nicht ein­fach aus­sper­ren las­sen.


Wir wer­den die­sen Weg wei­ter­ver­fol­gen. Ei­ner­seits drängt uns das Feh­len des IvIs dazu, an­de­rer­seits er­mu­ti­gen uns die auch po­si­ti­ven Er­fah­run­gen des letz­ten Jah­res. Durch die Be­set­zun­gen konn­ten sich neue Häu­ser, mit all ihren Mög­lich­kei­ten an­ge­eig­net wer­den – wenn auch bis­her nur kurz­fris­tig.

 

Es muss uns in Zu­kunft aber auch ge­lin­gen, diese Räume für Men­schen zu öff­nen, die sonst nichts mit links­ra­di­ka­ler Po­li­tik zu tun haben. Ge­ra­de im Gal­lus er­scheint es uns wich­tig und mög­lich einen sol­chen Raum zu eta­blie­ren. Das Vier­tel be­fin­det sich in einer Um­bruchs­si­tua­ti­on, in der ein sol­cher Ort des Aus­tauschs eine erste Form der po­li­ti­schen In­ter­ven­ti­on sein könn­te. Gleich­zei­tig würde ein selbst­or­ga­ni­sier­tes Stadt­teil­zen­trum eine klei­ne, aber kon­kre­te Ver­bes­se­rung dar­stel­len, für die es sich lohnt zu kämp­fen.

 

Uns ist dabei klar, dass die Pa­ro­le „Die Häu­ser denen, die sie brau­chen“ viele Men­schen exis­ten­ti­ell be­trifft. Die im Gut­leut ent­stan­de­nen Slums sind dafür nur ein Bei­spiel und soll­ten noch dem letz­ten ver­na­gel­ten Dep­pen be­wusst ma­chen, wel­che Fol­gen die schlech­te Ver­wal­tung des Man­gel unter ka­pi­ta­lis­ti­schen Be­din­gun­gen und eine Stadt­po­li­tik haben, die rück­sichts­los an Grund­be­dürf­nis­sen vor­bei re­giert. Das all­täg­li­che Elend von Men­schen, die hier – mit­ten in Frank­furt – in Ver­schlä­gen oder auf der Stra­ße leben müs­sen, wäh­rend Mil­lio­nen Qua­drat­me­ter an Wohn- und Bü­ro­raum leer ste­hen, ist un­er­träg­lich.

 

Das Jahr 2014 kann ei­gent­lich nur bes­ser wer­den. Die Aus­ein­an­der­set­zun­gen um die Rote Flora in Ham­burg zei­gen, dass durch die Ver­bin­dung von Häu­ser­kämp­fen mit an­de­ren so­zia­len Kämp­fen ein star­ker po­li­ti­scher Druck auf­ge­baut wer­den kann. Es ist Zeit diese Er­fah­rung nach Frank­furt zu holen. Nicht nur im Gal­lus sind In­itia­ti­ven drin­gend not­wen­dig, die sich selbst­or­ga­ni­sier­te Räume oder Wohn­raum an­eig­nen.

Wir je­den­falls wol­len Teil einer Haus­be­set­zungs­be­we­gung sein!

 

In­itia­ti­ve com­mu­nal«west, Fe­bru­ar 2014

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finde ich gut dass ihr so ein zwischenauswertungspapier geschrieben habt. inhaltlich denke ich aber, dass die besonderheit der frankfurter besetzungsbewegung des letzten jahrzehnts nicht vergessen werden sollte: neben einer gewissen offenheit - zb durch interesse an verschiedensten musikstilen etc. angezeigt - auch ein wissen darum, wo grenzen gezogen werden sollten - zb palituchverbot im ivi - und der drang zur kritischen auseinandersetzung mit der gesellschaft auch auf theoretischer ebene - zb gegenuni oder sfi-besetzung. gerade in der verbindung von militanter form und radikaler kritik lag die (bundesweite!?) einzigartigkeit dieser projekte, die jenseits von autonomer abschottung oder reformistischer anbiederung nach il-manier agierten.

... abgesehen davon das die militanz nicht aus dem ivi kam... Aber egal: Der Text ist gut.