Katastrophe im AKW Krümmel? – 1,2 Millionen Menschen auf der Flucht

Hamburg, den 10.7.09

Die Störfallserie im AKW Krümmel und die Schlampereien beim Betreiber Vattenfall zeigen in erschreckendem Ausmaß, wie es um die Sicherheit der Bevölkerung steht. Das radioaktive Zerstörungspotential in Folge eines schweren Atomunfalls in einem Atommeiler hat Tschernobyl vorgeführt. Auch wenn unterstellt wird, dass deutsche Atommeiler ein höheres Sicherheitsniveau haben, als die Tschernobyl-Reaktoren: Ein schwerer Unfall mit massiver Freisetzung von Radioaktivität ist auch in den deutschen Reaktoren nicht auszuschließen. Würde es im AKW Krümmel zu einem schweren Störfall kommen, müssten mehr als 1.000.000 Menschen allein aus Hamburg evakuiert werden.

Im Falle eines Unfalls mit so genannter Kernschmelze, also dem Versagen der Kühlung des Reaktorkerns, könnte es zum Platzen erst des Reaktors und anschließend des Sicherheitsbehälters kommen. Die extrem hohe Radioaktivität würde dann ungebremst an die Umwelt freigesetzt.

Für die Hamburger Bevölkerung hätte das katastrophale Folgen. Weht der Wind aus dem Osten in Richtung Hamburg, würden schon nach rund 15 Minuten die östlichen Teile der Stadt von radioaktiven Edelgasen verstrahlt, nach einer Stunde wäre das Hamburger Stadtzentrum betroffen. Weitere zwei Stunden später würde die Innenstadt von den leicht- und mittelflüchtigen Radionukliden getroffen.

Eine Studie im Auftrag der Hamburger Umweltbehörde, durchgeführt vom Ökoinstitut Darmstadt, hat bereits 1995 ermittelt, dass bei einem solchen Störfall im AKW Krümmel 1.183.000 Menschen aus der Hansestadt evakuiert werden müssten. (Auszüge aus dem Gutachten finden Sie online unter http://www.robinwood.de/Katastrophe.216.0.html)

Selbst wenn das innerhalb der extrem kurzen Vorwarnzeit überhaupt möglich sein sollte: Etwa 44.600 bis 106.700 Todesopfer wären die langfristige Folge eines solchen schweren Störfalls in Krümmel. Zwar könnten Katastrophenschutzmaßnahmen diese Opfer möglicherweise um die Hälfte reduzieren, doch selbst dann wäre das Schadensausmaß enorm. Darüber hinaus wären weite Teile der evakuierten Flächen in Hamburg über Jahrzehnte unbewohnbar.

„Mehr als eine Million Menschen müssten nach einem Kernschmelzunfall im AKW Krümmel allein in Hamburg evakuiert werden. Mehr als 20.000 Tote wären mindestens die Folge, wenn es in Krümmel zum Schlimmsten kommt,“ so Dirk Seifert, Energiereferent von ROBIN WOOD.

„Bei Vattenfall trifft völlig veraltete Technik auf ein katastrophales Sicherheitsmanagement. Angesichts der enormen Auswirkungen eines jederzeit möglichen schweren Störfalls in Krümmel ist die in den letzten Jahren zutage getretene Schlampigkeit von Vattenfall nicht hinzunehmen.

Deshalb muss es Vattenfall verboten werden, Atommeiler zu betreiben“, so Seifert.

Kontakt und weitere Informationen

Dirk Seifert, Energiereferent ROBIN WOOD, Tel: 040-3808 92 – 21,

_Hinweis:_ Das Gutachten des Ökoinstituts Darmstadt ist im April 1992 fertiggestellt, aber erst im Februar 1995 veröffentlich worden: „Folgen schwerer Unfälle in AKW Krümmel für das Gebiet der Freien und Hansestadt Hamburg und Auswirkungen von Katastrophenschutzmaßnahmen.“ Ökoinstitut Darmstadt, im Auftrag der Umweltbehörde Hamburg, Darmstadt, April 1992, in der Fassung vom 23. Februar 1995. Autor der Studie ist u.a. Christian Küppers, der heute auch Mitglied der Strahlenschutzkommission, einem Beraterstab des Bundesumweltministers, ist. https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/rowo-energie-pe (bei Fragen: internet@robinwood.de)

 

 

 

Hamburg, den 9.7.2009

*ROBIN WOOD: Vattenfall darf in Deutschland keine AKWs mehr betreiben*


Angesichts der grundlegenden Mängel im Sicherheitssystem von Vattenfall bekräftigt ROBIN WOOD seine Forderung, dem Konzern die Erlaubnis zu entziehen, Atomkraftwerke zu betreiben. Bei Vattenfall reiht sich nicht nur Störfall an Störfall. Die Serie von handwerklichen und planerischen Mängeln bis hin zur Schlamperei wird immer länger: So wurde der vereinbarte Einbau von Sicherheitseinrichtungen zur Überwachung der Transformatoren „vergessen“.

 

Nur wenige Tage nach der Inbetriebnahme zeigen sich Defekte an Brennelementen, Kühlsysteme fallen aus, ebenso elektrische Steuerungen. Zum wiederholten Male sind die Aufsichtsbehörden zu spät informiert. Und jetzt wurde auch noch bekannt, das Vattenfall mit der gleichen Unzuverlässigkeit in Schweden zu Werke geht.

„Vattenfall liefert einen Beleg nach dem anderen dafür, dass der Konzern keine Kompetenz zum Betrieb von hochgefährlichen Atomkraftwerken hat. Zwei Jahre hatte der Konzern Zeit, aus dem technischen, organisatorischen und kommunikativen Desaster nach dem Brand des Transformators Konsequenzen zu ziehen. Die Verantwortung wurde in Schweden bei der Konzernspitze gebündelt, zahlreiche Manager und Angestellte wurden ausgetauscht. Gebessert hat sich dadurch nichts. Die deutschen Aufsichtsbehörden müssen jetzt dafür sorgen, dass dieses Unternehmen hierzulande nie wieder ein AKW betreiben darf“, fordert Dirk Seifert, Energiereferent von ROBIN WOOD.

Wie tiefgreifend die Probleme bei Vattenfall sind, zeigt auch die abgeschaltete Audioüberwachung in der Leitwarte des Reaktors. Als Konsequenz aus den Störfällen vor zwei Jahren hatte die Aufsichtsbehörde vorgeschrieben, dass dort künftig alle Gespräche mit einer „Black Box“ aufgezeichnet werden müssen. Dass diese zwar eingebaut, aber nicht in Betrieb war, ist nicht nur ein schwerer Verstoß gegen Auflagen. Das Vattenfall-Management hatte gegen den Einbau dieser Box vor Gericht Klage erhoben. Die Mitarbeiter konnten das ohne weiteres so verstehen, dass die Chefetage diese Black-Box ablehnt. Insofern entspricht das Verhalten der Angestellten den Signalen aus der Vorstandsetage.

Das nun offenbar vermehrt defekte Brennelemente gefunden wurden, ist alarmierend. Möglicherweise waren die Belastungen durch das permanente rauf- und runterfahren der Anlage infolge der aufgetretenen Pannen so groß, dass dadurch die Brennelemente geschädigt wurden.

„Die Ursachen müssen in jedem Fall genauestens untersucht werden, denn jeder Schaden an einem Brennelement kann einerseits zu erhöhten radioaktiven Emissionen führen und andererseits bei weiteren Störfällen zu einem gravierenden Problem auswachsen“, so Seifert.

Kontakt und weitere Informationen:

Dirk Seifert, Energiereferent 040-38 08 92-21, www.robinwood.de/energie

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Ute Bertrand
ROBIN WOOD e. V., Pressesprecherin
Nernstweg 32, 22765 Hamburg
Tel. +(0)40 380 892-22; Fax: -14
Ute.Bertrand@robinwood.de
www.robinwood.de

 

 

Eine Zehntelsekunde zu wenig Stromspannung und 16 Wasserrohrbrüche - FAZ


Genau um 12.02 Uhr wurde am vergangenen Samstag das Atomkraftwerk im schleswig-holsteinischen Krümmel durch eine (Reaktor-)Schnellabschaltung eruntergefahren. Die nukleare Kettenreaktion wurde unterbunden, die Leistung des Reaktors auf rund 5 Prozent der thermischen Leistung des Normalbetriebs verringert. Als Ursache nennt der Betreiber Vattenfall Europe einen Kurzschluss in einem der beiden Transformatoren, deren Aufgabe es ist, den vom Generator erzeugten Strom auf die im Verteilnetz herrschende Spannung (380 Kilovolt) zu bringen. Als Folge des Kurzschlusses hat der Transformator Öl verloren, das zum Großteil in der dafür vorgesehenen Wanne aufgefangen wurde. Warum es in dem Transformator zum Kurzschluss kam, ist den Fachleuten noch nicht bekannt. Mit der Ursachenanalyse wurde begonnen. Unmittelbar nach der Schnellabschaltung und damit einem abrupten Wegbrechen der Leistung des Kernkraftwerks Krümmel (zu diesem Zeitpunkt 700 Megawatt) kam es im Hamburger Stromnetz zu einer, wie es in der Fachsprache heißt, Spannungseinsenkung. Dabei ging durch den Leistungsausfall für eine Zehntelsekunde die Spannung auf rund die Hälfte zurück, was nach den Aussagen von Vattenfall auch nach Blitzeinschlägen immer mal wieder vorkommt.

In Haushalten mit wenig empfindlichen Geräten führt ein solcher Spannungseinbruch zu einem kurzen Flackern der Lampen. Völlig anders reagieren elektronisch gesteuerte Anlagen, besonders dann, wenn sie über Schutzvorkehrungen verfügen, mit denen Schäden durch Über- oder Unterspannungen vermieden werden sollen. Betroffen war in Hamburg das Ampelsystem der Innenstadt; rund 1500 von insgesamt 1750 Ampeln waren ausgefallen. Kurzzeitig ohne Strom waren auch einige Einkaufszentren und ein Stahlwerk.

Auch alle 14 Wasserwerke im Stadtgebiet wurden vom Netz getrennt; rund 100 000 Hamburger blieben vorübergehend ohne Wasser. Zudem kam es nach dem Stromausfall an 16 Stellen zu Wasserrohrbrüchen, deren Ursache man bei den Hamburger Wasserwerken zwar noch nicht genau kennt. Man vermutet jedoch, dass es durch den Pumpenausfall zu einem sogenannten Druckstoß im Leitungssystem gekommen ist. Dabei können Drücke von mehreren Dutzend Bar auftreten. Als die Pumpen dann wieder liefen, brachen die "angeknacksten" Rohre. kff.


Text: F.A.Z., 07.07.2009, Nr. 154 / Seite 9
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Auszug aus "Die Welt"

http://www.welt.de/wirtschaft/article4097739/Wulff-will-Minister-Gabriel-herunterfahren.html

 

Streit um Kernenergie
Wulff will Minister Gabriel "herunterfahren"

SPD und CDU streiten sich nach den Pannen in Krümmel heftig über den Umgang mit Atomkraftwerken. Nun hat Niedersachsens Ministerpräsident Wulff (CDU) Bundesumweltminister Gabriel (SPD) Versäumnisse vorgeworfen. Er habe die Atomaufsicht nicht im Griff. Wulff hält die Kernenergie allerdings nach wie vor für sicher.
 
Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) mahnt nach den Pannen am Atomkraftwerk Krümmel zu mehr Augenmaß in der Diskussion um die Kernenergie. Atomkraft sei derzeit noch unverzichtbar, so der Regierungschef. Künftig müsse allerdings mehr Geld in die Erforschung und Nutzung regenerativer Energien fließen. 

 

WELT ONLINE: Herr Wulff, wie sicher sind die deutschen Atomkraftwerke?


Christian Wulff: Die deutschen Kernkraftwerke sind sicher. Sie werden permanent beaufsichtigt. Wenn es Zweifel an der Sicherheit gibt, werden sie abgeschaltet.

 

WELT ONLINE: ? oder sie schalten sich selbst ab, wie das Kraftwerk Krümmel. Beunruhigt Sie das?

 

Wulff: Krümmel war ja zwei Jahre vom Netz. Hier muss sorgfältig geklärt werden, was die Ursache für die neuen Störfälle war, auch die Aufsicht und Verantwortung von Ministerin Trauernicht und Minister Gabriel. Hier ist nichts zu verniedlichen. Ablenkung ist fehl am Platze. Genauso wenig dürfen Störfälle instrumentalisiert werden, um die Technologie infrage zu stellen. Kraftwerke, die sicher sind und bei denen es keinen Zweifel am neuesten Stand der Technik gibt, sollen weiter betrieben werden. Es wäre falsch, sie wegen einer ideologischen Vereinbarung vom Netz zu nehmen und dafür Strom von ausländischen – und unsicheren – Kraftwerken an unseren Grenzen zu importieren.

 

WELT ONLINE: Eine Bundesregierung aus Union und FDP würde nach der Wahl den Atomausstieg zurückdrehen?

 

Wulff: Die meisten Länder verlängern die Laufzeit ihrer Kraftwerke auf 60 Jahre. Es ist falsch, sie in Deutschland nach 32 Jahren abzuschalten. Ich bin für eine Beurteilung jedes einzelnen Kraftwerks. Die Laufzeiten sollen individuell festgelegt werden – streng nach Sicherheitskriterien.

 

WELT ONLINE: Ihr Kollege Günther Oettinger aus Baden-Württemberg sagt, wir bräuchten neue Atomkraftwerke.

 

Wulff: Im Wahlprogramm von CDU und CSU wurde beschlossen, dass wir keine neuen Kernkraftwerke wollen. Die Kernenergie ist eine Brückentechnologie, bislang können wir nicht darauf verzichten. Wir müssen aber mehr Geld als bisher in die Erforschung und Nutzung regenerativer Energien stecken. Wir haben in Niedersachsen eine positive Entwicklung bei Wasserkraft, bei Wind- und Solarenergie und bei Biomasse. Was wir dringend brauchen, sind neue Energiespeichertechniken für die Phasen, in denen kein Wind bläst oder sich Wolken vor die Sonne schieben.

 

WELT ONLINE: Will die Mehrheit der Deutschen die Atomkraft noch?

 

Wulff: Die Mehrheit der Deutschen will einen sachlichen Umgang mit dem Thema Kernkraft. Die Bürger wissen, dass wir den Klimawandel nur mit sicherer, sauberer und bezahlbarer Energie stoppen können. Das geht noch nicht ohne Kernkraft, aber ich wünsche mir mehr regenerative Energien.

WELT ONLINE: Wird die Bundestagswahl eine Abstimmung über die Atompolitik?

 

Wulff: Das hätte der Umweltminister gern. Ich kenne Sigmar Gabriel, er war mein Amtsvorgänger in Niedersachsen. Er will der SPD-Spitze zeigen, wie man ein Thema zum Wahlkampfthema machen kann – und spielt mit den Ängsten der Menschen. Das sollte er nicht tun. Gabriel hat aus seinem eigenen Scheitern nichts gelernt. Gabriel zeigt, dass er sein Ministerium und die Atomaufsicht nicht im Griff hat und schon mit der Aufsicht über die eigenen Akten überfordert ist. Man sollte nicht die Kernkraftwerke herunterfahren, man sollte Gabriel herunterfahren!

 

WELT ONLINE: Bleibt die Frage der Endlagerung?

 

Wulff: Vielleicht kommt er ja bei Vattenfall unter. Er wäre nicht der erste SPD-Politiker, der dort und in der Energiebranche Unterschlupf findet.

WELT ONLINE: Im Ernst: Die Frage, wo der Atommüll endgelagert wird, ist noch immer ungelöst. In Niedersachsen erleben Sie selbst, wie problematisch das ist. Das Endlager Asse bei Wolfenbüttel ist unsicher, niemand weiß, was dort unten liegt.

 

Wulff: Das Lager Asse ist ein nationaler Skandal ungeheuren Ausmaßes. Es wurde als Forschungslager begonnen und dann als Atommülllager betrieben. Ernst Albrecht hat nach seinem Regierungsantritt die Einlagerung gestoppt. Aber 31 Jahre lang ist es dem Bund nicht gelungen, den Skandal in den Griff zu bekommen. Es wird Milliarden kosten, Schaden durch dieses Lager abzuwenden. Für den Betrieb der Kernkraftwerke ist Gorleben als Endlager vorgesehen. Leider wurde die Erkundung unter Bundesumweltminister Trittin gestoppt. Gorleben muss aber zu Ende erkundet werden.

 

WELT ONLINE: Und wenn sich zeigt, dass Gorleben als Endlager nicht sicher ist?

 

Wulff: Wenn es nicht geeignet sein sollte, müssen wir nach anderen Standorten suchen. Im Energiekonsens haben Schröder und Trittin allerdings damals bestätigt, dass es bisher keine begründeten Bedenken gegen die Eignung gäbe.