[MD] Prof. Wippermann:"Werdet extremer!"

Magdeburg Nazifrei
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Im Rahmen der Aktivierungskonferenz von Magdeburg Nazifrei für die Kampagne gegen den Naziaufmarsch im Januar 2013 hielt der Historiker und Faschismusforscher Prof. Wolfgang Wippermann von der FU Berlin am 27.10.2012 in Magdeburg einen gut besuchten Vortrag zur Extremismusideologie.

 

Prof. Wippermann bot in einem halbstündigen Vortrag einen Überblick über die Entstehungsbedingungen der Extremismusdoktrin, die Ausformung in den 60er und 70er Jahren in der BRD sowie die gegenwärtige politische Instrumentalisierung dieser “Theorie”. Wippermann entlarvt scharfzüngig die “Extremismustheorie” als Konstrukt mit politischem Hintergrund. Sie erfüllt den Anspruch an Wissenschaftlichkeit nicht und ist ein rein politisch motiviertes Fantasiegebilde, das aus der Verfassungsschutzpraxis stamme. Im “kalten Krieg” galt es zunächst, den “Feind von links”, die Kommunist_innen, zu bekämpfen. Parteiverbote, Radikalenerlass, Repression und politische Verfolgung prägten das staatliche Handeln. Als die Bewegung der 68er drohte, den Begriff “Radikalität” positiv zu besetzen – Radikalität bedeutet ein Problem an der Wurzel anzupacken und lösen zu wollen – erfand der Inlandsgeheimdienst den Extremismus-Begriff.

 

Am sogenannten Hufeisenmodell wird deutlich, wie “schwachsinnig” (O-Ton Wippermann) diese Ideologie sei. Wippermann erklärte auf die Nachfrage eines Zuhörers, diese “Theorie” näher zu erläutern:

“Nein. Das ist es. Mehr hat die nicht zu bieten. Ich dachte damals, als Eckhard Jesse das an die Tafel malte, das sei ein Witz. Aber er meint das tatsächlich ernst”.

 

Im Hufeisenmodell gibt es eine sogenannte “Mitte”, in der es keine “extremistischen” Meinungen geben kann. Die sogenannte politische und gesellschaftliche Mitte sieht sich beiderseits von “Extremisten” bedroht. Die Gleichstellung zweier grundsätzlich gegensätzlicher und miteinander streitender politischer Bewegungen, verharmlost die eine und dämonisiert die andere.  Aber auch die Behauptung, das “extremistische Spektrum” bzw. diese “extremistischen Auffassungen” stünden nicht auf dem “Boden des Grundgesetzes” ist wissenschaftlich nicht haltbar.

 

Innerhalb einer dualistisch konstruierten Weltanschauung bleibt kaum Raum für eine vorurteilsfreie Auseinandersetzung. Die “Mitte” muß darum als eine politisch wirkende und fantasierte Metakonstruktion verstanden werden, die sich über den Bezug zu gedachten “Extremen” definiert. Die Prüfung der politischen Inhalte, der sogedachten Randgruppen, wird mit der Kategprisierung überflüssig. In der “Mitte” sei der “Hort der Demokratie” zu finden. Phänomene wie (Alltags)Rassismus, Antisemitisimus, Sozialchauvinismus oder andere menschenverachtende sind damit den “Extremen” vorbehalten. Die “Mitte” definiert sich dabei selbst als “verfassungskonform” und “demokratisch” und spricht sich damit vom Verdacht antidemokratischer und menschenverachtender Positionen frei.

 

Diese Verinfachung ist gefährlich, da sie den Blick von den tief in “der Mitte der Gesellschaft verwurzelten Faschismen” ablenkt.  Mit der Haltung, dass alle abseits der “Mitte” stehenden Kräfte allein aus ebendiesem Umstand heraus schon diskreditiert sind, findet eine politisch gefährliche Veknappung der weltanschaulichen Perspektiven statt. Nehmen Politiker_innen der “Mitte” keine Impulse des Randspektrums mehr auf, führt das dazu, dass sie ihre eigene Position regelrecht entkernen. Denn was ist politische Ausgeglichenheit, wenn nicht der imaginäre Ort, der den gemäßigten Kräften beider Lager als wichtige Anlaufstelle dient, um miteinander zu diskutieren? Die tatsächliche politische Mitte ist der Raum für konstruktive politische Auseinandersetzung. Pluralismus bedeutet die konstruktive Auseinandersetzung verschiedener Meinungen. Mit dem Begriff der “Mitte” wird also nicht das mathematische Mittel, der repräsentative Durchschnitt, gemeint, sondern um die Hoheit der eigenen Meinung gestritten.

 

Die Politikwissenschaft habe sich leider unkritisch an der Nase herum führen lassen und den Extremismusbegriff recht bedenkenlos übernommen, so Wippermann. Problematisch dabei ist, dass es sich um Amtsbegriffe handelt, die weder im Grundgesetz noch in einem anderen Zusammenhang vorzufinden sind. All das zusammengenommen konnte letztendlich auch dazu beitragen, dass eine neonazistische Terrorgruppe wie der NSU – unbehelligt vom “Verfassungsschutz” – 13 Jahre lang Banken ausrauben, Anschläge verüben und 10 Menschen aus rassistischem Hass ermorden konnte.

 

Die Extremismusideologie sei damit nicht nur aus wissenschaftlicher Sicht lächerlich, sondern auch gefährlich oder gar tödlich, wenn sie mit dazu beiträgt, dass sich sogenannte “Verfassungsschützer” nicht um Rechtsterrorist_innen kümmern.

 

Klar wird: Rechte Gewalt, Menschenverachtung und rechter Populismus können nicht nachhaltig bekämpft werden, solange die grundlegende Verschiedenheit neonazistischer und rassistischer Politiken von der linksalternativen und/oder antifaschistischen Bewegung nicht verstanden und anerkannt wird.

 

Um den mit dieser Gleichsetzung verbundenen Demokratieabbau endlich aufzuhalten und umzukehren, sei die Auflösung des Verfassungsschutzes alternativlos. Reformen werden nichts ändern. Der Verfassungsschutz ist Teil des Problems und nicht der Lösung.

Am Ende der Veranstaltung richtete Wippermann mehrere Appelle an die Zuhörenden. Er sei froh, dass es uns gibt. Jene, die sich von dieser Praxis nicht einschüchtern lassen und weiterhin mutig Politik machen. Er forderte, wir sollten noch mutiger werden.

 

Seinen Vortrag schloss er mit einem Appell an die Gäste:

 

“Werdet extremer!”

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Auf linksunten gab es vor einiger Zeit bereits Diskussionen über Wippermann, siehe die Kommentare unter diesem Artikel: https://linksunten.indymedia.org/de/node/40852