Antifaschistischer Protest am 1. Mai in Ulm

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Am 1. Mai 2009 marschierten in Ulm und Neu-Ulm rund 800 Nazis unter dem Motto "Aufruhr im Paradies - die Jugend stellt sich quer - Wir wollen eine Zukunft!" auf. Etwa 5.000 Menschen trugen ihren Protest dagegen auf die Straße und trafen dabei von Anfang an auf brutale Polizeigewalt. Von polizeilicher Deeskalation war nichts zu spüren.


Ulms Oberbürgermeister Ivo Gönner (SPD) sagte zu Beginn seiner Veranstaltung, dass Ulm keinen Platz für Braune und den "schwarzen Block" biete. In einem SWR-Interview gab er von sich, froh gewesen zu sein, als das "linke Pack" endlich die Stadt verlassen hatte.

Am Rande der bürgerlichen Kundgebung am Weinhof setzten die Bullen Gönners Wunsch auch direkt um: ein antifaschistischer Block wurde mit Schlagstöcken und Pfefferspray angegriffen und gekesselt - noch bevor überhaupt irgendetwas passierte. Die Autonomen wurden somit von der DGB-"Demo" ausgeschlossen. Angeblich hätten sie kurdische DemoteilnehmerInnen angegriffen - völlig absurd. Gleichzeitig verteilten "Antikonfliktteams" der Polizei Flugblätter, die dazu aufriefen, sich von "undemokratischen" DemonstrantInnen zu distanzieren.
Während sich nur wenige DemonstrantInnen - allen voran die KurdInnen - mit den gefangenen Menschen solidarisierten, zogen es ver.di, DGB, Kirchenorganisationen  vor, am Münsterplatz Bratwürste zu essen und ihre Demokratie abzufeiern. Es wurde per Megaphon sogar dazu aufgerufen, sich der "Demonstration" des DGB anzuschließen und die Gefangenen alleine zu lassen - die meisten Menschen folgten diesem Aufruf ironischerweise unter "Hoch die internationale Solidarität"-Sprechchören.

 

Wer hat uns verraten? - Sozialdemokraten! Wer war mit dabei? - Die grüne Partei! Wer verrät uns eh? - Der DGB!

 

Während die rund 300 gekesselten AntifaschistInnen erst nach 5 1/2 Stunden wieder freigelassen wurden, redeten etwa 10.000 BürgerInnen mit einem "Volksfest gegen rechts" auf dem Münsterplatz ihrem Gewissen ein, etwas gegen Nazis getan zu haben.

Dass Ulm am 1. Mai keinen Platz für Nazis biete, war so jedoch nicht zu merken. Die Aufmarschroute wurde großzügig von Polizeigittern abgesperrt, AntifaschistInnen standen einem brutalen Polizeiaufgebot gegenüber. An der Naziroute kam es schon vor dem Naziaufmarsch zu kleineren Scharmützeln, es gab mehrere Versuche, die Absperrungen zu überwinden und auf den Aufmarschweg zu gelangen. Die Bullen verprügelten mehrere Menschen mit Schlagstöcken und setzten Pfefferspray ein, was oft durch Flaschen- und Steinwürfe beantwortet werden musste.

Als später eine Gruppe von etwa 60 autonomen AntifaschistInnen in einer spontanen Demonstration zu den Absperrungen stieß, wurde sie direkt mit Pferdestaffeln ab- und bedrängt. Auch dieser Angriff wurde entschlossen beantwortet. Daraufhin strömte eine vermummte Hundertschaft der paramilitärisch anmutenden Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten (BFE) durch Seitenstraßen.

Die Stimmung wurde zunehmend aggressiver: pünktlich als die Nazis starteten, brannten die ersten Müllcontainer und die Situation eskalierte zeitweilig. Flaschen und Steine flogen in Richtung Nazis und Bullen, immer wieder galoppierten berittene Polizeieinheiten durch die Menschenmenge und nahmen dabei Tote in Kauf. Mindestens zwei Personen wurden von Polizeipferden überritten.

Während Autonome Medics viele Verletzte versorgten, griffen vermummte BFE-Greiftrupps die anwesenden AntifaschistInnen an. Es kam zu regelrechten Prügel- und Pfeffersprayorgien seitens der Polizei. Einige Menschen wurden festgenommen.

Später kam es am Hauptbahnhof zu weiteren Auseinandersetzungen, die Bullen setzten mit Tränengas versetzte Wasserwerfer ein, während sich die Nazis in aller Ruhe nach Neu-Ulm aufmachten. In der Ulmer Innenstadt brannten weitere  Müllcontainer und auf Hauptverkehrsstraßen wurden Barrikaden errichtet.

Durch die gewalttätigen Angriffe auf AntifaschistInnen verhinderten die Bullen, dass der Naziaufmarsch in Neu-Ulm behindert werden konnte. Dennoch kam es auch hier zu einigen Flaschen- und Steinwürfen auf die Nazis und auch hier brannten Müllcontainer.

Trotz unsolidarischer bürgerlicher Gewerkschaften und massiver Polizeigewalt konnte an diesem Tag antifaschistischer Protest entschlossen auf die Straße getragen werden.

Für eine starke antifaschistische Bewegung!
Für die soziale Revolution!
www.ag-freiburg.org


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Offener Brief an den DGB Ulm und das Bündnis "Ulm gegen Rechts"

 

3. Mai 2009

 

Liebe Leute im DGB Ulm,
Liebe Leute des Bündnis "Ulm gegen Rechts",

 

am Morgen des 1. Mai haben wir - GewerkschafterInnen und Aktive aus anderen Tübinger Gruppen und Organisationen - uns von Tübingen aus mit einem Bus, der von DGB und VVN/BdA Tübingen organisiert wurde, auf den Weg nach Ulm gemacht, um mit Euch zusammen gegen den Aufmarsch der JN zu protestieren - und diesen, wenn möglich, zu verhindern.

Motiviert waren wir einerseits durch unser Entsetzen über die Zunahme neofaschistischer Aktivitäten in den letzten Jahren, andererseits auch durch unsere Erfahrung, dass mit gemeinsamem Vorgehen dem faschistischen Auftreten erfolgreich begegnet werden kann.

 

Gefreut und hoffnungsvoll gestimmt hat uns hierbei, als wir hörten, wie sich schon Wochen vor dem Aufmarsch ein breites Ulmer Bündnis gegen Rechts bildete. In Tübingen hatte sich angesichts des Neonazi-Aufmarschs im Juli 2007 ein ähnlich breites Bündnis formiert, mit dem gute Erfahrungen gemacht wurden – auch wenn es uns damals nicht gelang, den Aufmarsch der JN komplett zu verhindern.

 

Wir wenden uns jetzt – noch unter dem frischen Eindruck der Ereignisse des 1. Mai in Ulm – mit Fragen und Überlegungen bezüglich der Einkesselung eines Teils der Demonstration sowie der Ausrichtung Eures Festes vor dem Münster an Euch.

 

Zur Einkesselung:
Bei unserer Ankunft in Ulm hörten wir, dass die Demonstration bereits begonnen hätte, obwohl ein Teil der Demonstration von der Polizei eingekesselt sei. Verwundert und erschreckt durch weitere Berichte und Erzählungen z.T. auch von Personen, die diesen Kessel direkt mitbekommen haben, würden wir gerne wissen:

Stimmt es, dass sich die Demonstration in Bewegung setzte, ohne auf eine Freilassung der Eingekesselten zu warten und diese zu fordern?


Ist es richtig, dass es sogar Absprachen zwischen Verantwortlichen des Ulmer Bündnisses und der Polizei gab, diese Einkesselung vorzunehmen oder zumindest, sie nicht umgehend wieder zu beenden?

Wir halten die kollektive Festsetzung und Aufteilung von Personen aufgrund ihres Aussehens (dunkle Kleidung) und Alters (jung), über die uns berichtet wurde, für völlig inakzeptabel. Zudem hielten wir es für unverantwortlich gegenüber den Betroffenen sowie politisch völlig falsch, einen Teil von Demonstrierenden in dieser Weise zurück- und der Willkür der Polizei zu überlassen.

 

Hinsichtlich der Ausrichtung Eures Festes vor dem Ulmer Münster und das damit verbundene Ignorieren des parallel stattfindenden Nazi-Aufmarschs möchten wir Euch unsere Verwunderung und Enttäuschung mitteilen.

Für uns erscheint es (leider) notwendig, dem öffentlichen Auftreten von Neonazis mit Protest und Zivilcourage zu begegnen. Ein „Wegschauen“ können sich „deutsch“ und „normal“ Aussehende vielleicht (noch) leisten, für beispielsweise MigrantInnen hingegen stellt jedes Auftreten von Neonazis eine unmittelbare Gefahr da.

Zudem haben die Erfahrungen der letzten Jahre deutlich gezeigt, dass sich Neonazis durch „Wegschauen“ nicht entmutigen lassen. Im Gegenteil: In ihrem „Kampf um die Straße“ ist jeder Aufmarsch ein Erfolg und führt zu weiteren Aufmärschen.
Wie dies weitergehen kann, hat nicht zuletzt der Angriff von 300 Neonazis auf die Gewerkschaftsdemonstration in Dortmund an diesem 1. Mai gezeigt!

 

Wir hätten es für dringend notwendig gehalten (und hatten dies so auch erwartet), dass sich das gesamte Ulmer Bündnis, oder zumindest größere Teile davon, nicht zu einem „Alternativprogramm“ zurückziehen, sondern den Nazis aktiv entgegentreten und sich zumindest um den Hauptbahnhof versammeln.
Dies hätte zudem auch dazu beitragen können, dass sich nicht die unnötigen Szenen abgespielt hätten, die dort - auch aufgrund der Enttäuschung der Protestierenden über die Durchsetzung des Aufmarsches durch die Polizei - stattfanden und zu denen unserer Meinung nach die Polizei mit einem übertriebenen und unangemessenen Vorgehen auch selbst beitrug.

Zeitgleich wie die erschreckende Zahl von über 1000 Nazis durch Ulm marschierte, wurde in Mainz von der dortigen Bevölkerung der Bahnhof belagert, was zu einer Absage des dort angekündigten Nazi-Aufmarsches führte.
In Hannover, wo am 1. Mai der zentrale Aufmarsch für Norddeutschland geplant war, hat ein breit getragener Aufruf zu Zivilem Ungehorsam, die Nazis dort ebenfalls nicht aus dem Bahnhof zu lassen, einen Teil dazu beigetragen, dass Gerichte die Genehmigung für den Aufmarsch schon Wochen vorher entzogen.
Und auch in Tübingen hatten wir 2007 sehr gute Erfahrungen damit gemacht, dass sich von verschiedenen Plätzen in der Stadt zum Bahnhof bewegt wurde, um dort gemeinsam die Nazis festzusetzen und der Polizei einen Grund zu liefern, sie nicht marschieren zu lassen.

 

Ihr habt mit Eurem Bündnis und Eurer „Woche für Demokratie“ tolle und wertvolle Arbeit geleistet, um deutlich zu machen, dass rassistisches und faschistisches Gedankengut keinen Platz in und um Ulm haben soll.
Dass Ihr aber wegschaut, wenn Nazihorden durch Ulms Straßen marschieren, halten wir nicht für einen Grund zu feiern.

Über eine Reaktion von Euch und eine Antwort auf unsere Fragen hinsichtlich der Einkesselung auf der Demonstration würden wir uns freuen,

und senden, trotz aller Kritik, solidarische antifaschistische Grüße.

 

Die über 50 Mitfahrenden des Tübinger DGB/VVN-Busses nach Ulm
erreichbar über: bus-nach-ulm@gmx.de