Ohne dich dreht sich kein Rädchen...

No KKE

„In der gegenwärtigen Situation werden die Leute erst auf die Strasse gehen, wenn sie Angst haben werden. Und sie werden von einem Moment auf den anderen auf die Strasse gehen, alle zusammen…Zu diesem Zeitpunkt wird man die kommunistische Partei gegen sie aufstellen, damit sie sie stoppt.“

Diese erstaunlich exakte Prognose kommt von einem alten Trotzkisten während einer Diskussion in einem Café 2007. In diesem Text möchten wir uns bemühen, zu verstehen was die offene Positionierung der griechischen kommunistischen Partei (KKE) als Polizei [1] – das wichtige Ereignis des 20. Oktobers – für die Entwicklung des Klassenkampfes in Griechenland bedeutet und inwiefern es mit der Entwicklung der Krise zusammen hängt.

 

Wir werden unsere Analyse beginnen, indem wir eine kritische Lesart der Grundposition all derjenigen versuchen, welche die Haltung der KKE als „Verrat an der Arbeiterklasse“ bezeichnen und welche auch der Grund ist, weshalb die Verteidiger dieser Position darüber hinaus bereuen, dass „wir uns gegenseitig bekämpfen“. Dieser Standpunkt scheint zu ignorieren oder zu vergessen, welches die Rolle der KKE im Klassenkampf Griechenlands ist. Es handelt sich allerdings nicht um eine Unachtsamkeit. Es handelt sich auch nicht um eine Unterlassung oder einen Irrtum. Was diese Konzeption nicht wahrnimmt, ist bestimmt von der Essenz dessen, was sie sieht, von der Struktur ihres Blickwinkels, vom Kern selbst ihres Inhalts. Was sie sieht, ist die Revolution als Triumph der Arbeiterklasse, die Transformation der kapitalistischen Gesellschaft in eine Arbeitergesellschaft, kurz, eine Revolution wie auch die KKE behauptet, sie zu konzipieren (natürlich mit ihr selbst an der Stelle der Bosse). Deshalb beschuldigt diese Kritik die KKE des Verrats im Streben nach einem gemeinsamen Ziel. Sie betrachtet sogar die KKE als Verräterin am gemeinsamen Ziel einer „freien“ Arbeitergesellschaft, weil sie, durch ihre Praxis und ihren Diskurs, den Aufbau eines Arbeiterstaates zu Lasten der Selbstverwaltung der Produktion anstrebt. Es ist in diesem Sinne, in welchem sich die Kritik gegen die Benutzung der Parole „Arbeiter, ohne dich dreht sich kein Rädchen – Arbeiter, du brauchst die Bosse nicht“ durch die KKE auflehnt.

 

Wenn es auch auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinen mag, doch es ist in dieser Parole, in welcher sich die Substanz des Ereignisses vom 20. Oktober befindet. Der Inhalt dieser Parole drückt den Standpunkt der KKE aus (und nicht nur der KKE, was sehr wichtig ist) in der Konfrontation zwischen Praktiken des Klassenkampfes, die sich in der gegenwärtigen Periode historisch produziert. Liest man diese Parole aufmerksam, so erkennt man, dass das Wort Arbeiter den Schlüssel zum Verständnis des Inhalts der Revolution gemäss der KKE (und nicht nur) liefert. Diese Revolution schafft den Arbeiter als Arbeiter nicht ab, sie schafft den Proletarier nicht ab, sie schafft die „Rädchen“ nicht ab, sie schafft also die Wertproduktion nicht ab. Im Gegenteil, sie fordert den Arbeiter auf, zu kämpfen (oder, im Falle der KKE, sich wie ein Schaf hinter den Hirten zu postieren), um weiterhin Arbeiter zu sein, um weiterhin „dafür zu sorgen, dass die Rädchen sich drehen“. Der utopische Ausdruck „ohne Bosse“ bedeutet „aus eigener Initiative“, also Bosse habend, die selber Arbeiter sind (ihre eigenen Meister, wie man sagt) oder die „Partei der Arbeiter“ als Boss. Hinter der opportunistischen Praxis der KKE, sich eine „Parole der Anarchisten“ anzueignen, befindet sich die Substanz der Aufrechterhaltung der Arbeit als getrennte Aktivität der Menschen nach der Revolution, mit allem, was das impliziert.

 

Die Haltung der KKE, die darin besteht – in diesem kritischen Moment für das Kapital und den Staat – das Parlament und die Polizei gegen die Angriffe einer Fraktion des Proletariats zu verteidigen, ist durchaus kompatibel mit dieser Parole. Umso mehr, da diese Angriffe gegen den Staat und das Eigentum nur möglich werden, wenn sie von einem sehr grossen Teil des Proletariats unterstützt werden, wie dies am 19. Oktober klar in Erscheinung trat. Die Verteidigung der Arbeit kann nicht in einem geschichtlichen Leerraum stattfinden, es gibt keine ahistorische Form der Arbeit (wie die Parole „Wir wollen Arbeit, keine Arbeitslosigkeit“ etc. stillschweigend vermuten lässt). Es handelt sich gezwungenermassen um die Verteidigung der Arbeit, so wie sie in der geschichtlichen Gegenwart definiert ist. Und danach wird die Revolution gemäss der KKE die Restrukturierung der Arbeit auf der Grundlage seiner historisch bestimmten Begriffe sein (das ist übrigens, was die Bolschewisten taten, als sie die Macht ergriffen in Russland, indem sie an der proletarischen Revolution 1917 teilnahmen, und was die Syndikalisten der CNT versuchten, als sie die Verwaltung der Fabriken übernahmen nach dem proletarischen Aufstand in Spanien 1936). Wenn wir diese Schlussfolgerungen mit der Strategie der KKE kombinieren – die darin besteht, für sich selbst eine wichtigere Rolle in der Reproduktion der Arbeiterklasse zu fordern, sich also als Reproduktionsmechanismus der kapitalistischen Verhältnisse zu stärken, der parallel zum Staat oder manchmal als „Rädchen“ der staatlichen Maschine operiert – dann wird offenkundig, dass, im Rahmen der erhöhten Wichtigkeit der Repression in der Reproduktion der Arbeiterklasse, die KKE die Rolle der Polizei spielen muss.

 

Und bezüglich denjenigen, welche die KKE angriffen? Denn, wenn man dieser Denkweise weiter folgt, wie kann man erklären, dass einige derjenigen, welche die rote Fraktion der Polizei angriffen, die ihnen den Weg zur kakibraunen versperrte, zu einem grossen Teil die KKEsche Konzeption der Revolution teilen? Diejenigen, welche ihnen vorwerfen, sich nur mit der KKE um die Kontrolle der Amaliasstrasse zu streiten, und – im weiteren Sinne – um die Führung der Bewegung, haben die Recht? Dieser Standpunkt ist teilweise begründet, doch der Fehler befindet sich schon im Inhalt der Frage (wer die politische Führung der Bewegung übernehmen soll). Die Substanz des Ereignisses vom 20. Oktober versteckt sich unter der Oberfläche dieser politischen Konfrontation. Die Antwort auf die Frage, weshalb diese Konfrontation stattfand, was ihr realer Inhalt ist und warum es ein zentrales Problem des Klassenkampfes [2] in mehreren Ländern darstellt, kann nur erfasst werden, wenn man von der Bipolarisierung Linke/Anarchisten wegkommt (die eine Bipolarisierung vergangener Revolutionen ist, „die Tradition aller toter Generationen, die mit ihrem Gewicht die Hirne der Lebenden erdrückt“). Um davon wegzukommen, sollten wir uns etwas mit dem Inhalt des „anarchistischen“ Lagers, oder schwarzen Blocks, oder von jedem je nach seinem Geschmack benannt (obwohl die Schwierigkeit, einen stabilen Namen dafür zu finden, schon etwas zeigt), beschäftigen. Jeder weiss, dass, unter „den Leuten, die kämpfen“, der Anteil derjenigen, welche organisch zu den Strukturen der Gruppen der „aktivistischen Anarchie“ gehören, heutzutage sehr klein ist, und mit der Vertiefung der Krise immer kleiner wird. Man weiss auch, dass man unter denjenigen, welche kämpfen, heutzutage auch Arbeiter findet, häufig ohne dass ihre Praxis von den Gewerkschaften verurteilt wird (z.B. die Föderation der Arbeiter lokaler Kollektive), Arbeitslose und sogar Kleinbürgerliche (z.B. die Eigentümer der Taxis), die zur Zeit eine Proletarisierung in Schwindel erregender Geschwindigkeit erleben. Die „Leute“, welche auf die eine oder andere Art die Ausschreitungen der jüngsten Vergangenheit provozieren, SIND, in ihrer überwiegenden Mehrheit, KEINE organisierten Anarchisten, und der Einfluss der organisierten Anarchisten auf sie ist klein und wird immer kleiner.

 

Es handelt sich eher um eine Mischung junger Proletarier (und nicht nur junger, soweit sich die Krise vertieft), die einen prekären Job haben oder arbeitslos sind, und auch Gymnasiasten und Studenten. Die Praktiken dieser Leute, normalerweise Ausschreitungen ohne präzise Forderung oder Ausschreitungen im Rahmen eines Kampfes um Forderungen, drücken die gegenwärtige Sackgasse der Forderung aus, das Fehlen von Zukunft, welches in dieser Krise produziert worden ist, als Krise der Existenz selbst des Lohnes und somit Krise der Reproduktion des Proletariats. Diese Leute SIND KEINE Revolutionäre, die kämpfen, weil sie ein „Klassenbewusstsein“ haben. Sie sind Träger von Praktiken, die von der Tatsache produziert worden sind, dass die Proletarier von der Arbeit ausgeschlossen werden, von der brutalen Verschlimmerung der Bedingungen der Mittelklasse, vom verrückten Wettlauf der Krise des restrukturierten Kapitalismus’, sowie auch vom Versuch sich ihr entgegen zu stellen von Seiten des Kapitals durch eine neue Runde von Angriffen, die soweit geht, dass sie sogar die Existenz des Lohnes selbst in Frage stellt. Die Praktiken dieser Leute sind auch ohne Ausweg, wenn man sie vom Standpunkt des Suchens einer Strategie zum Sieg der Arbeiterklasse und der Realisierung einer Arbeitergesellschaft aus betrachtet.

 

Es ist jedoch genau die Ausweglosigkeit dieser Praktiken, welche ihre Überwindung im Klassenkampf andeutet, eine Überwindung, die nicht ihre Durchsetzung gegenüber anderen Praktiken bedeuten wird, sondern die im Laufe ihrer konfliktuellen Koexistenz mit anderen fordernden Praktiken produziert werden wird. Diese Überwindung wird nur in jenem Stadium produziert werden können, in welchem diese nicht nur eine Reproduktion der Ausschreitungen ohne präzise Forderung sein wird, sondern auch die Ergreifung konkreter Massnahmen und ihre Umsetzung. Diese Konfrontation findet objektiv statt, und jegliche Entscheidungen von Individuen sind überbestimmt durch den blitzartigen Fortschritt der Krise. Es handelt sich also nicht um eine Konfrontation von Anarchisten und der KKE vor dem Parlament, dies ist nur Schein und ein solches Verständnis dient nur den spezifischen politischen Interessen der politisch organisierten Anarchisten und der KKE und ihren kleinen Weggefährten. Es wird freilich von beiden Seiten die „Konfrontation vor dem Parlament“ geben, Versuche, daraus politischen Mehrwert herauszuholen, und es ist auch möglich, dass solche Versuche kurzfristig zu gelingen scheinen (und hier auch: auf beiden Seiten). All diese Versuche werden darin bestehen, sich als diejenigen zu präsentieren, welche sich am meisten um die „Einheit der Arbeiterklasse“ sorgen, und beide werden fast die gleichen Begriffe benutzen in ihren gegenseitigen Anschuldigungen. Doch die Entwicklung der Krise beschleunigt sich, und schon bald wird das Ereignis vom 20. Oktober einem kleinen harmlosen Spiel gleichen, das nur aus Steinen, zwei, drei Molotovs und einigen Hundert mit roten Lumpen beschmückten Stöcken besteht.

 

Die Konfrontation, die in den Begriffen des politischen Fetischismus’ als Konfrontation zwischen Anarchisten und der KKE vor dem Parlament erscheint, zeigt sich als innere Konfrontation zwischen Praktiken des Proletariats im ganzen Zyklus der Kämpfe, welcher mit der Restrukturierung der 1980er Jahre (1990er für Griechenland) begonnen hat. Sie bildet die Substanz dieses Zyklus’ der Kämpfe, und jetzt, in der Krise, verdichten und begegnen sich all diese Widersprüche, welche ihn verursacht und entwickelt haben. Diese Konfrontation wurde historisch produziert als Resultat der Kapitalakkumulation, d.h. des Klassenkampfes, und ist nicht das Produkt von „Strategien“, „Verrat“, „Klassenbewusstsein“ oder anderer ideologischer Konstruktionen. Die zwei Lager, welche sich in grosser Geschwindigkeit formieren in der Verdichtung der historischen Zeit, haben fliessende Umrisse; und was heute, durch die Überwindung der eigenen Grenzen, die Revolution anzudeuten scheint, wird morgen gespalten erscheinen, und ihre inneren Widersprüche, die heute von geringer Wichtigkeit scheinen mögen, werden explodieren.

 

Die Vertiefung der Krise wird die Praktiken über die „Ära der Aufstände“ hinweg führen, die Ära in welcher wir uns heute offensichtlich befinden. Die Revolten von morgen (das vielleicht so fern gar nicht ist) werden gezwungen sein, Massnahmen zur Weiterführung des Kampfes zu ergreifen, die gleichzeitig überlebenswichtige Massnahmen sein werden: kommunistische Massnahmen, die den Kern der Produktion des Mehrwertes berühren, und die auch den Aufbau neuer gesellschaftlicher Verhältnisse bedeuten werden. Im Lager derjenigen, welche die Existenz selbst des Wertes in Frage stellen, werden zum Beispiel die Widersprüche des Militarismus’ und des Sexismus’ explodieren, welche notwendigerweise Massenunruhen begleiten. Innere Konflikte kommen, neue Spaltungen sind unvermeidbar.

 

Wir befinden uns im Strudel, es gibt nichts mehr, das uns daraus befreien könnte. Jeglicher Versuch, die Struktur der Verhältnisse unserer Zeit zu erfassen, jeglicher Versuch, uns von einer politischen Konzeption der Revolution zu befreien, eine Konzeption die, dadurch dass sie politisch ist, zur längst vergangenen Welt einstiger Revolutionen gehört, wird es nicht verfehlen zur Kritik dieser Welt beizutragen – eine Welt die sowieso bebt, die, als Ganzes gesellschaftlicher Verhältnisse, durch die totale Zerstörung der kommenden Revolution bedroht ist.

 

Agenten des Chaos’


[1] Es ist nicht nur die Tatsache, dass die KKE den Demonstranten den Zugang zur Amaliasstrasse verbot, welche die Praxis der KKE als polizeilich definiert. Etliche Dokumente belegen, dass die KKE das Plexiglas der Polizei an der Vassilissis-Sofias-Strasse und das Parlamentsgebäude auf sehr spezifische und gezielte Art und Weise beschützt hat, d.h. ohne dass „nichtkämpfende Bevölkerung“ der KKE hinter dem Ordnungsdienst gewesen ist.

[2] Dermassen zentral in Griechenland, dass der Mord der Polizei an einem Demonstranten in den Hintergrund gerückt wird. Die Polizei und der Staat haben eine derartige Menge Tränengas eingesetzt, dass sie es geschafft haben, einen derjenigen zu ermorden, welche die Arbeiterklasse verteidigen, indem sie Wache stehen vor dem Parlament. In vielen Ländern, vor allem in der ersten Zone des Kapitals (mit Italien und den USA als jüngste Beispiele), tritt die Konfrontation in der Form eines Zweipols von Ausschreitungen auf der einen Seite, Besetzungen und „friedlichen“ Demonstrationen auf der anderen zutage.

 

Quelle: http://www.blaumachen.gr/2011/10/ohne-dich-dreht-sich-kein-radchen/

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es ist eigentlich ganz einfach:

 

jeder der für eine herrschaftsfreie gesellschaft kämpft und eben nicht nur den kapitalismus (also das bestehende system) überwinden will, sondern alle formen der herrschaft, ist mein freund und ich kämpfe mit ihm.

 

jeder der versucht das bestehende system etwas rot zu färben und dabei hierarchien benutzt um änderungen herbeizu"führen" ist mein feind.

 

es lebe die freiheit! es lebe die anarchie!

(A)