begrabt mein herz am heinrichplatz

Zukunft ohne Verträge?

Den "Verhandlerschweinen" in die Suppe gespuckt

Vom 09.09.- 18.09. 2011 findet in Berlin die "Woche der Widerständigen: Geschichte wird gemacht – 30 Jahre Häuserbewegung” statt.

Dieser Text entsprang einer Zusammenarbeit der "AG gegen autonome Geschichtsklitterung" und "Einigen aus der Nichtverhandlerfraktion"


Aus dem Aufruf der "Woche der Widerständigen: Geschichte wird gemacht – 30 Jahre Häuserbewegung”:

"Wir, ehemalige Besetzer_innen und Kollektivist_innen aus den 80ern und Aktivist_innen von heute, wollen mit „Alten“ und „Jungen“ zusammen die damaligen Erfahrungen kritisch beleuchten und den Austausch anregen; eine Brücke zwischen „damals“ und „heute“ schlagen. Wir wollen uns kennen lernen, austauschen, zusammen tabulos streiten, besser vernetzen, lachen, staunen, in Frage stellen, tanzen und gemeinsam vorwärts gehen. Wir wollen aktuell existierende Ansätze und Initiativen einem größeren Kreis bekannt machen und alle potentiell Aufsässigen zum Mitmachen aufrufen."

 

Ein Sprung in die Zeit

 

Nachdem bereits Anfang 79 erste Wohnungen in SO 36 besetzt worden sind, eskaliert die Situation im Dezemder 80. Zu diesem Zeitpunkt sind 18 Häuser bestzt. Nach einer Häuserräumung versammeln sich innerhalb kurzer Zeit Hunderte am Kotti. Vorlauten Streifenbullen, die mit gezogender Knarre Demonstranten jagen, wird der Bulli auf die Seite gelegt, die Scheiben der Banken gehen zu Bruch, im Laufe des Abends werden immer mehr Barrikaden gebaut, die Bullen angegriffen.

Es gibt viele Festnahmen, gegen einige Leuten ergehen Haftbefehle.

Auch in den folgenden Tagen kommt es zu Demonstrationen mit teilweise bis zu  3000 Leuten, u.a. auf dem Kudamm, bei dem etliches  zu Bruch geht.

Zentrale Forderung: FREILASSUNG ALLER FESTGENOMMENEN

Unter den Besetzern besteht zu diesem Zeitpunkt noch Einigkeit in dieser Frage, auch die "Kerngehäuse" in der Cuvrystrasse unterschreiben die ausgehandelten Verträge nicht.

Vier Tage vor Weihnachten demonstrieren 15.000 Menschen an den Frauenknästen in der Lehrter und dem Männerknast in Alt Moabit vorbei, danach ziehen sie in die Innenstadt.

Zentrale Forderung: FREILASSUNG ALLER FESTGENOMMENEN

In den folgenden Tagen kommt es zu zahlreichen nächtlichen Kleingruppenaktionen.

Ende Januar 81 finder der erste Prozess gegen einen der festgenommem Genossen statt. Die Ansage ist eindeutig: 18 Monate ohne Bewährung für einen Steinwurf. Am Abend knallt es bei einer Demo in 61, in dieser Nacht gehen laut Polizeipressestelle 120 Scheiben im gesamten Stadtgebiet zu Bruch, dazu kommen mehrere Brandanschläge.

Es initiert sich ein selbsternannter Vermittlerkreis , der keinerlei Mandat durch den Besetzerrat hat, und sich schnell auflöst und durch einen von Orlowsky und Härtig geleiteten Vermittlerkreis abgelöst wird, der vom Besetzerart akzeptiert wird. Dieser fordert eine AMNESTIE FÜR ALLE FESTGENOMMENEN

Anfang Februar 81 sind schon über 50 Häuser in Berlin besetzt.

Es folgt eine Großdemonstration mit erneut 15.000 Menschen am 07.02.81. Die Hauptforderung lautet AMNESTIE FÜR ALLE FESTGENOMMENEN

Die Unterstützung für die Hausbesetzerbewegung in der Stadt ist enorm. In einer Stadt, in der man mal locker ein paar tausend Mark "Abstand" für einen runtergetretenden Teppich auf den Tisch legen muss, um als "Nachmieter" akzeptiert zu werden,sympathisiert auch die "Oma von nebenan" mit "den jungen Leuten". Es wird überall und eifrig gespendet, ganze Hausgemeinschaften finanzieren sich fast ausschließlich dadurch, der Reste wird zusammengeklaut.

Zahlreiche Verbände und politischen Gruppen weit jenseits der radikalen Linken unterstützen den Vorschlag eines Amnestiegesetzes, darunter auch die Alternative Liste, die im Mai 81 erstmalig in des Abgeordnetenhaus einziehen wird.

Ende Februar 81 wird das hunderste Haus besetzt.

Während ein Teil der Hausbesetzer keinerlei Interesse zeigt, in irgendeiner Form in Verhandlungen über die Besitzverhältnisse einzutreten, hält ein anderer Teil es nicht länger aus, in solch präkären Eigentunsverhältnissen zu leben. Verträge müssen her.
Verschiedene Vorschläge, wie z.B. das "Käseglockemodell",  werden im Besetzerrat lanciert, natürlich nur  nach  FREILASSUNG ALLER FESTGENOMMENEN, wird behauptet.

Die Aktivitäten der Legalisierer gefallen dem Senat, hatte er doch gerade öffentlich seine Vorstellungen, wie eine  "politische Lösung" aussehen könnte etwas klarer benannt:
Der sogenannte harte Kern der Gewalttäter soll von den friedlichen Hausbesetzern getrennt werden, in diesem "Differenzierungsprozeß" soll aus Instandbesetzern Instandbewohner werden.
Diese Umarmungsstrategie der "guten Instandbestzer" beinhaltet auch:
Hausfriedensbruch und damit zuammenhängende Delikte wie Entnahme von Strom und Wasser sollen nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden.
Die Polizei räumt nur auf Antrag des Besitzers und nur wenn Abriß- Neubau- oder Modernisierungspläne bewilligt sind.
Keine Räumungen von Neubesetzungen, um die totale Konfrontation zu vermeiden
Ausgestellte Durchsuchungsbefehle werden derzeit nicht vollstreckt.

Kurze Zeit später gibt es die "Peitsche" für die "Bösen". Drei Häuser am Fränkelufer, die als eher radikal gelten, werden geräumt, in der Folge kracht es mal wieder häufig.

Unter dem Vorwand, den "Stillstand der Bewegung"  zu überwinden,  bringen mehrere Häuser auf dem Besetzerart den Vorschlag ein, mit dem Senat in Verhandlungen zu treten, ohne die Vorbedingung FREILASSUNG ALLER FESTGENOMMENEN weiter zu stellen. Es sollen nur keine weiteren Durchsuchungen und Räumungen mehr stattfinden. Noch finden sie dafür keine Mehrheit.

Der radikalere Teil der Bewegung unterstützt derweil andere Teile der radikalen Linken, so finden Demonstrationen und Aktionen zum Hungerstreik der Gefangenen aus  der RAF (an dem sich anfänglich auch viele "soziale Gefangene" beteiligen) statt. Als Mitte April 81 Sigurd Debus an den Folgen der Zwangsernährung stirbt, wird der Kudamm komplett zerlegt.

Neben dem zentralen Besetzerrat haben sich auch in Kreuzberg 36, 61, Schöneberg und Charlottenburg lokale Besetzerräte gebildet, weil der zentrale Besetzerart aus allen Nähten platzt und die Diskussion bei mittlerweile fast 180 besetzten Häusern schwierig geworden ist.

Besonders in Kreuzberg 61 und in Schöneberg tobt die (verbale) Schlacht zwischen den "Verhandlerschweinen" und den Leuten, die auf den ursprünglichen Konsens FREILASSUNG ALLER FESTGENOMMENEN beharren.

Nach einem bewegtem Sommer mit einem "Sturm aufs Rathaus" (Grossdemo mit dem Ziel, die Bannmeile ums Rathaus zu durchbrechen, was mit einer heftigen Strassenschlacht endete) und einer Demo durch den Villenbezirk Grunewald, bei dem an den Villen von "Spekulanten und Co" zahlreich die Thermoscheiben zu Bruch gehen, folgt am 22.09. 81 die Räumung von acht besetzten Häusern. Bei den Auseinandersetzungen wird eine Gruppe Demonstranten von den Bullen in den fliessenden Verkehr getrieben, Klaus Jürgen Rattay wird dabei von einem BVG Bus überfahren und stirbt noch auf der Strasse. Eine friedliche Mahnwache an der Stelle wird wenige Stunden später brutal unter Einsatz von Tränengas geräumt. Die Bilder, wie Bullenstiefel die abgelegten Blumen gezielt zertreten, flimmern am Abend über die Bildschirme der Stadt.
10.000 Menschen sind auf der abendlichen Spontandemo, es knallt bis zum frühen Morgen heftig. Die Bullen benutzen ihre Wannen als Waffe und jagen damit Menschen über die Bürgersteige, das es dabei keine weitere Toten gibt, muss als Wunder bezeichnet werden. Sie stossen allerdings auch auf erbitterten Widerstand, ganze Hundertschaften werden von Gruppen entschlossener Leute verjagt, die wesentlich kleiner sind.
Vier Tage später demonstrieren erneut mehrere zehntausende Menschen in Solidarität mit der Hausbesetzerbewegung.

Den Rest des Jahres kommt es immer wieder zu Durchsuchungen, zahlreiche Neubesetzungen werden von den Bullen sofort wieder geräumt.

Wärend es in Frühjahr 82 noch möglich ist, Tausende zu spontanen Demonstrationen  zu mobilisieren, schliessen die ersten besetzten Häuser individuelle Verträge ab.
Andere nutzen die Häuser als Ausgangsbasis für einen grundsätzlichen Kampf gegen das System, so z.B. anlässlich des Besuchs der US Präsidenten in Westberlin. Ohne die besetzten Häuser als Infrastruktur wäre die Organisierung der "Schlacht am Nollli" (guckst du Geschichtsbuch) nicht möglich gewesen.

Erst am 08.11.84 wurde das letzte besetzte Haus in Westberlin geräumt.
Eine ganze Reihe anderer Häuser hatte den Weg in die Legalisierung gewählt, die ursprünglich gemeinsame Forderung FREILASSUNG ALLER FESTGENOMMENEN dabei verraten.
 
Wenn diese Leute, die bis heute unter teilweise extrem privilegierten Verhältnissen wohnen (fragt sie mal nach ihrer Miete und quatscht dann mit ihren Nachbarn mit den "normalen" Mitverträgen) heute dazu einladen, "sich kennzulernen, austauschen, zusammen tabulos zu streiten, besser zu vernetzen, lachen, staunen, in Frage stellen, tanzen und gemeinsam vorwärts gehen" (aus dem Aufruf), dann wollen wir mit diesem kurzen Geschichtsabriss an den Schatten des Verrates erinnnern, der über dieser Feier liegt.

 

Dieser Text entsprang einer Zusammenarbeit der "AG gegen autonome Geschichtsklitterung" und "Einigen aus der Nichtverhandlerfraktion"

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...weshalb der oben veröffentlichte Beitrag mit seinen klaren Worten auch wirklich gut und absolut wichtig ist.

 

Ich kann mich auch sehr gut erinnern, wobei sich auf den hier oben dargestellten Verrat noch einiges mehr draufsetzen ließe, das krass verrätisch gewesen ist. Im Zuge der oben beschriebenen Entwicklungen veränderte sich die soziale Zusammensetzung in den Häusern und in dem ganzen Drumherum in den Kiezen zum Beispiel auch ganz entscheidend. Sowohl politisch als auch sozial wurde so viel so unwiderbringlich zerstört und verdrängt, dass es 30 Jahre später eher an der Zeit wäre, ein Haufen Zeug ganz neu zu behaupten, statt aus dem ewig selben Dunstkreis heraus zwischen "besser vernetzen" und "gemeinsam vorwärts gehen" einmal mehr auf Eigenpräsentation für einen "größeren Kreis" zu betreiben setzen - Austauschabsichten mit jüngeren, neuen Protagonisten hin oder her. Wieviele "potenziell Aufsässige" werden dem, was übrig blieb, konform genug sein, um wirklich "mitmachen" zu dürfen? Meine Einschätzung: die übliche Minderheit unter den "potenziell Aufsässigen", die eben in das soziale Schema und in den eigenen politischen Kram des bestehenden übrig Gebliebenen passt. Was wiederum zu Privilegien, die naturgemäß ja immer Sache von Minderheiten sind.

 

Den Verfassern ernsthafte Zustimmung, hohe Achtung für die Fairness, die bei aller Schärfe der Darstellung im Text mitschwingt und, last not least, ein x-tra Dankeschön für den so treffenden Titel des Beitrags. Hab' auch all' die Jahre nie aufgehört, so zu fühlen. Und nichts vergessen. Ich werde da sein.

später in der Mainzerstrasse (1990/ Berlin DDR) blieben wir diesen Forderungen treu:

FREILASSUNG ALLER GEFANGENEN!
EINSTELLUNG ALLER VERFAHREN!
LÖSUNGEN FÜR ALLE HÄUSER!

Viele Verträge der Häuser, die heute noch existieren, konnten geschlossen werden, weil sich die Menschen in der Mainzer und die mit ihnen Solidarischen für ihre Häuser gerade gemacht haben und nicht von den (vorher beschlossenenen) Maximalforderungen abgewichen sind.

War 80, und 90 richtig und meine Forderungen wären auch 2015 nicht anders.

Ich danke euch für diesen Beitrag!