kritisch-lesen.de Nr. 6 - "Italienischer Faschismus"

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Heute erschien die sechste Ausgabe von kritisch-lesen.de. Schwerpunktmäßig geht es diesmal um den italienischen Faschismus.

Innerhalb der Redaktion kam es zu einer einschneidenden Veränderung: Fritz Güde schied auf eigenem Wunsch letzte Woche aus der Redaktion aus. Wir sind davon schwer getroffen, da Fritz nicht nur ein äußerst fleißiger Schreiber und scharfer Denker ist, sondern auch weil wir zukünftig auf seine profunden Beiträge bei der Konzeption und Nachlese der Ausgaben verzichten müssen.

 

Wir wünschen Fritz politisch und persönlich von Herzen viel Kraft und Geduld und hoffen, ihn als regelmäßigen freien Autor gewinnen zu können. Ein paar geplante Rezensionen werden die nächste Zeit noch folgen. Diese Ausgabe wurde noch von Fritz mit vorbereitet, was sich deutlich an Liste der Rezensierenden zum Schwerpunkt widerspiegelt.  


Worin liegen in der Auseinandersetzung zum italienischen Faschismus heute noch Potenziale für Erkenntnisse? Während im NS unter Hitler Rassismus und Antisemitismus theoretisches Grundgerüst waren, wurde im italienischen Faschismus (zunächst) darauf verzichtet. Während die den NS mitprägende völkische Ideologie im italienischen Faschismus kaum zu finden ist, setzten Mussolini und Co. viel mehr auf den Staat und die Einbindung alter Eliten und Intellektueller. Diese und andere Unterschiede schließen jedoch Gemeinsames nicht aus: Die Faschismen in Deutschland und Italien hatten insbesondere imperialistische Expansionspolitik und Antikommunismus gemein. Wir halten die historische Auseinandersetzung mit der romanischen Form des Faschismus aus zwei Gründen für relevant: Einerseits gehen wir davon aus, dass die weiten Teile der extremen Rechten in Deutschland sich nicht ewig auf direkten Pfaden der exakten NS-Treue befinden und Inhalte und Formen des italienischen und auch französischen Faschismus an Bedeutung gewinnen werden. Andererseits appellieren wir anhand des Beispiels für eine korrektere Verwendung des Faschismus-Begriffs: Nicht alle Faschismen sind deckungsgleich, nicht alles als reaktionär Ausgemachte ist Faschismus.

 

Sebastian Friedrich und Fritz Güde untersuchen zunächst Kaminskis Analyse zum Fascismus in Italien aus dem Jahr 1925 und beziehen die nicht nur kritischen Auseinandersetzungen zu Mussolini im Umkreis der antifaschistischen Weltbühne in den 1920er Jahren mit ein. Anschließend zeigt Fritz Güde am Beispiel von Der Schmied Roms Verwandtschaften zwischen den verschiedenen Faschismen in Italien und Deutschland auf. Die deutsche „Propagandaschnulze“ feiere zwar den Gewaltkult Mussolinis, nicht aber ohne doch die Überlegenheit der Deutschen gegenüber Italien zu behaupten. Schließlich setzt sich wiederum Fritz Güde kritisch und solidarisch mit Sternhells Entstehung der faschistischen Ideologie auseinander. Er kritisiert insbesondere die Vernachlässigung der gemeinsamen imperialistischen Funktion aller Faschismen.

 

Unter den aktuellen Rezensionen findet sich diesmal zum einen Yves Müllers Rezension zu Ausschluss und Feindschaft, in der er dem Sammelband zwar das Liefern eines erhellenden Einblicks konstatiert, der aber wenig Brisantes zur aktuellen Antisemitismus- und Rechtsextremismusforschung liefere. Adi Quarti empfiehlt sodann die Lektüre von Amborts Wenn die anderen verschwinden sind wir nichts, einem persönlichen und politischen Bericht über Erfahrungen und Widerstand unter der Militärjunta in Argentinien.

 

Aus dem Archiv fischten wir diesmal die Würdigung von Sebastian Friedrich zu Orte der Bücherverbrennung in Deutschland 1933. Dieser umfangreiche Sammelband diene als neues Standardwerk zum Thema und belege, dass es sich beim Faschismus des NS um eine Massenbewegung handelt. Die letzte Rezension von Fritz Güde zu dem Jahresband 1932 der Weltbühne knüpft schließlich noch einmal direkt an die erste Rezension an und zeigt die Diskussionen in der einflussreichen Zeitung um den aufkommenden Faschismus auf.

 

Abschließend noch der Hinweis auf den 7.7.: Dieser Tag steht ganz im Zeichen von kritisch-lesen.de – an dem Donnerstag erscheint nicht nur die nächste Ausgabe, sondern gleichzeitig finden zwei Veranstaltungen von bzw. mit kritisch-lesen.de statt. In Bochum werden wir bei dem Alternativen Medienfestival mit einem Stand vertreten sein und freuen uns auf interessante Gespräche und Begegnungen. Auch in Berlin findet abends eine Podiumsdiskussion mit Volker Weiß und dem kritisch-lesen.de-Redakteur Sebastian Friedrich zum Thema „Sarrazin“ statt. Wir freuen uns die Veranstaltung gemeinsam mit unseren Freund_innen vom Antifaschistischen Infoblatt und der Edition Assemblage präsentieren zu dürfen.

 

Viel Spaß beim (kritischen) Lesen.

 

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REZENSIONEN ZUM SCHWERPUNKT

Die Weltbühne und das Faszinosum Faschismus
Hans-Erich Kaminski: Faschismus in Italien. Grundlagen, Aufstieg,
Niedergang

Bereits 1923 analysiert Hanns-Erich Kaminski Aufstieg und Fall des
Faschismus. Ein erweiterter Blick auf die Diskussionen in der Weltbühne
offenbart Schwankendes vor dem Bilde Mussolinis.
Von Sebastian Friedrich und Fritz Güde | 23. Juni 2011

[http://www.kritisch-lesen.de/?p=2627]

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Hugenbergs Schwenk zu Mussolini
Adolf Stein: Der Schmied Roms. Rumpelstilzchen

In letzter Zeit wurde oft auf die grundsätzliche Verschiedenheit des
italienischen Faschismus und des deutschen Nationalsozialismus hingewiesen.
Dass es trotzdem propagandistisch auszubauende Verwandtschaften gab, zeigt
schon 1929 die kleine Propagandaschnulze des Vorzugsschreibers
Rumpelstilzchen aus dem Hugenberg-Konzern.
Von Fritz Güde | 23. Juni 2011

[http://www.kritisch-lesen.de/?p=2633]

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War Sorel für die Heraufkunft des Faschismus wirklich maßgebend?
Zeev Sternhell: Die Entstehung der faschistischen Ideologie. Von Sorel zu
Mussolini

Sternhell beweist richtig, dass Mussolini mit Sorel den Abscheu vor dem
linken Parlamentarismus teilte. Er vernachlässigt aber Mussolinis
Parteinahme für den Imperialismus von Anfang an.
Von Fritz Güde | 23. Juni 2011

[http://www.kritisch-lesen.de/?p=2638]

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AKTUELLE REZENSIONEN

Neues und Bekanntes zu Antisemitismus und Rechtsextremismus
Michael Kohlstruck, Andreas Klärner (Hrsg.): Ausschluss und Feindschaft.
Studien zu Antisemitismus und Rechtsextremismus

Ein Sammelband der Einblick in aktuelle Forschungen zu Antisemitismus und
Rechtsextremismus verschafft, dabei aber nicht viel Neues präsentiert.
Von Yves Müller | 23. Juni 2011

[http://www.kritisch-lesen.de/?p=2641]

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Eindrückliche Einblicke
Gladys Ambort: Wenn die anderen verschwinden sind wir nichts.

Detailliert und eindringlich schildert Gladys Ambort die Erfahrungen in der
Haft unter der Militärjunta in Argentinien.
Von Adi Quarti | 23. Juni 2011

[http://www.kritisch-lesen.de/?p=2644]

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REZENSIONEN AUS DEM ARCHIV

Orte der Bücherverbrennungen in Deutschland 1933
Julius H. Schoeps/ Werner Treß (Hg.): Orte der Bücherverbrennungen in
Deutschland 1933. Sammelband

Der ausführliche Sammelband ermöglicht tiefe und erkenntnisreiche
Einblicke, wie es den Nazis möglich war, systematisch oppositionelle
Kräfte zu vernichten.
Von Sebastian Friedrich | 1. Oktober 2008

[http://www.kritisch-lesen.de/?p=213]

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Tappen durchs Dunkel
Siegfried Jacobsohn/ Kurt Tucholsky/ Carl von Ossietzky (Hg.): Die
Weltbühne. Vollständiger Nachdruck der Ausgaben 1918 bis 1933: 16 Bände

Das Jahr 1932 in der Weltbühne und der aufkommende Geist des Faschismus.
Von Fritz Güde | 1. Januar 2010

[http://www.kritisch-lesen.de/?p=717]

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Wo kann ich denn gute Informationen zur aktuellen Entwicklung bei den italienischen (Ultra-)Rechten finden? (Casa pound, blocco studentesco,...)

Es ist tatsächlich nicht weit hergeholt, daß sich in der deutschen Naziszene wieder eine Hinwendung zum italienischen Faschismus vollzieht, wie man an der aktuellen Ausgabe des Nazi-Magazins "Schwarze Fahne" sehen kann, welche sich mit dem Thema Faschismus auseinandersetzt.

Die Zeiten, in denen sich Nazis als "die wahren Antifaschisten" begreifen/bezeichnen, scheinen bald vorrüber zu sein.